Wie soll Arbeitsrecht im digitalen Zeitalter aussehen? Außerdem in der Presseschau: Stalking-Strafbarkeit soll verschärft werden, Vermieter muss an Homosexuelle vermieten und EU-Bürger will sich auf Deutschen-Grundrecht berufen.
Thema des Tages
Arbeitszeitgesetz: Soll der Acht-Stunden-Tag einer Wochenarbeitszeit weichen? Dies fordert der Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände Ingo Kramer und regt eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes an. Im Gegensatz zur neuen EU-Arbeitszeitrichtlinie, die eine Wochenobergrenze von 48 Stunden festlegt, schreibt das Arbeitszeitgesetz bereits seit 1918 den Acht-Stunden-Tag vor, lässt aber schon jetzt viele Ausnahmen zu. Darauf weisen auch die Gewerkschaften hin und fordern, klare gesetzliche Schutzrechte zu erhalten. Die Diskussion um das Maß an Flexbilität des Arbeitsrechts im digitalen Zeitalter ist von Bedeutung, denn "die Verlagerung von Prozessen ins Digitale ermöglicht mehr Freiheiten, schafft aber auch neue Begehrlichkeiten", so das Hbl (Dana Heide/Donata Riedel).
Thomas Öchsner (SZ) meint dazu, der Gesetzgeber "sollte nicht einer Entgrenzung der Arbeitszeiten Tür und Tor öffnen" – flexible Arbeitszeitmodelle seien schon jetzt ebenso möglich wie unbezahlte Überstunden und das Lesen von E-Mails zu Hause.
Rechtspolitik
Stalking: Ein Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas sieht vor, dass Nachstellungen bereits dann strafbar sind, wenn sie "geeignet sind", die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend zu beeinträchtigen. Bisher ist eine tatsächliche Einschränkung des Lebens des Opfers Strafbarkeitsvoraussetzung, die durch die Sanktionierung gerade verhindert werden soll, berichtet die taz (Christian Rath). In einem separaten Kommentar begrüßt Christian Rath (taz) die Verschärfung, kritisiert jedoch, dass stattdessen neue Strafbarkeitslücken eingebaut würden.
Integrationsgesetz: Das von Innenminister Thomas de Maizière geplante Integrationsgesetz, das verpflichtende Integrations- sowie Strafmaßnahmen bei Verstößen vorsieht, erläutert zeit.de (Frida Thurm). Heribert Prantl (SZ) bezeichnet es als ein "trauriges" Gesetz "ohne Elan, ohne Mut, ohne Tatkraft", das "diszipliniert und sanktioniert". Das sei keine Integration. Reinhard Müller (FAZ) hingegen meint, dass "zunächst derjenige, der sich eingliedern will, im eigenen Interesse zu seiner Integration beitragen muss."
Strafbarkeit des Kursbetrugs: Eine am 3. Juli in Kraft tretende EU-Verordnung ersetzt Teile des Wertpapierhandelsgesetzes unmittelbar, weitere Gesetzesänderungen sind durch den Deutschen Bundestag im April geplant. Insiderhandel und Kursmanipulation werden dann höher bestraft, letztere in manchen Fällen sogar als Verbrechen, meldet die FAZ (Joachim Jahn).
Justiz
EuGH – Diskriminierung durch Auslieferung: Das Landgericht Berlin hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob Deutschland Staatsangehörige anderer EU-Staaten bei der Auslieferung gegenüber seinen eigenen Bürgern benachteiligen darf. Der italienische Manager Romano Pisciotti, der von der Bundespolizei aufgrund eines US-Haftbefehls festgenommen, in die USA ausgeliefert und dort inhaftiert wurde, verlangt Schadensersatz, weil der Schutz vor Auslieferung nach Art. 16 des Grundgesetzes nur für Deutsche gilt. Das Bundesverfassungsgericht, das er vor der Auslieferung angerufen hatte, hatte darin keine nach EU-Recht verbotene Diskriminierung erkannt, berichtet die taz (Christian Rath).
BVerfG zu Maßregelvollzug NRW: In einem Beschluss aus Ende Februar äußert das Bundesverfassungsgericht Zweifel daran, dass die Regeln zur Zwangsbehandlung psychisch kranker Straftäter im nordrhein-westfälischen Maßregelvollzugsgesetz verfassungsgemäß sind, meldet lto.de. Aus formalen Gründen wurde die Verfassungsbeschwerde zwar als unzulässig abgewiesen und keine Entscheidung in der Sache getroffen. Schon das vorbefasste Landgericht Düsseldorf hätte nach Ansicht des BVerfG aber die Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz feststellen sollen.
BGH zu Kauf und WEG: Der Kauf eines fremden Grundstücks durch eine Wohnungseigentümergemeinschaft fällt in die Beschlusskompetenz der Eigentümerversammlung, entschied der Bundesgerichtshof nach einer Meldung der FAZ (Joachim Jahn). Der zu entscheidende Kauf des Nachbargrundstücks mit Parkplätzen der Eigentümer entsprach dem Grundsatz "ordnungsmäßiger Verwaltung".
OLG Hamm zu Pachterhöhung: Gründe dafür, dass ein vereinbarter Pachtpreis "aufgrund geänderter wirtschaftlicher und geldlicher Verhältnisse nicht mehr angemessen" und zu erhöhen ist, können eine Steigerung der Lebenshaltungskosten und des Durchschnittspachtpreises sein. Dass bei einer Neuverpachtung gesteigerte Pachtpreise erzielt werden können, rechtfertigt eine Erhöhung hingegen nicht, entschied das Oberlandesgericht Hamm nach einem Bericht von lto.de.
LG Köln zur Diskriminierung durch Vermieter: Der Vermieter einer "Hochzeitsvilla" hätte an ein schwules Paar vermieten müssen – weil er ablehnte, wurde er vom Landgericht Köln aufgrund eines Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zu einer Entschädigung verurteilt. Sein "Moral- und Anstandsempfinden" sei kein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung von hetero- und homosexuellen Paaren, wie lto.de berichtet.
HambVerfG – Volksentscheid: Der Hamburger Senat lässt vom Landesverfassungsgericht überprüfen, ob die Vorlage der Volksinitiative "Rettet den Volksentscheid" zulässig ist. Die geplanten Gesetzesänderungen, etwa dass mit niedrigen Quoren ein Gesetz gekippt werden könne, seien "nicht verfassungsgemäß", berichtet die taz Nord (Marco Carini).
AG Königstein zu Bombendrohung gegen Schröder: Weil er bei einer Feier zum 70. Geburtstag von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) telefonisch mit einer Bombe gedroht hatte, wurde ein 39-Jähriger zu einer einjährigen Haftstrafe ohne Bewährung wegen Störung des öffentlichen Friedens durch die Androhung von Straftaten sowie Bedrohung verurteilt, meldet spiegel.de.
Anwaltsbezahlung: lto.de (Pia Lorenz) befasst sich mit einer Studie zum geschlechtsspezifischen Lohngefälle zwischen angestellten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten. Anwältinnen hätten danach bis zum 28. März umsonst gearbeitet, wenn sie den gleichen Lohn wie ihre männlichen Kollegen bekämen.
Recht in der Welt
Polen – Verfassungsrecht: Verfassungsblog.de veröffentlicht einen ausführlichen Aufsatz des polnischen Rechtsprofessors Tomasz Tadeusz Koncewicz, zurzeit Gastprofessor in den USA, mit dem Titel "'Emergency Constitutional Review: thinking the unthinkable? A Letter from America". In englischer Sprache beschäftigt sich der Autor ausführlich mit den Verfassungsänderungen in Polen und meint, auch die ordentlichen Richter sollten ihre Aufgabe wahrnehmen, die Republik und die Verfassung zu verteidigen.
Türkei – Erdoğan und Satire: Angesichts der Aufregung des türkischen Staatspräsidenten Erdoğan über eine Satire über ihn in der Sendung "Extra 3" im NDR, deren Löschung er von der Bundesregierung verlangt, weist das Hbl (Gerd Höhler) darauf hin, dass in der Türkei eine Vielzahl von Verfahren wegen "Präsidentenbeleidigung" geführt werden und darauf in manchen Fällen auch eine Anklage wegen Terrorismus werde.
USA – Krypto-War: Dass das FBI erklärt hat, das Telefon eines Terroristen auch ohne die Hilfe von Apple entschlüsselt zu haben, wird die Debatte um Ermittlungsbefugnisse, Konzernrechte sowie Grenzen des Datenschutzes nicht beenden – und die US-Regierung wird weiterhin versuchen, einen juristischen Präzedenzfall zu schaffen, schreibt zeit.de (Patrick Beuth). Katrin Werner (SZ) hält es für "gefährlich", dass "die Gedanken der Bürger, die sie ihren Geräten anvertrauen", vor dem Staat nicht sicher sind. Ulrich Clauß (Die Welt) hingegen meint, Verschlüsselungsfragen seien in der Informationsgesellschaft Machtfragen, die demokratisch legitimiert gehörten.
UN-Kriegsverbrechertribunal – Florence Hartmann: Wie die taz (Erich Rathfelder) berichtet, wurde während des Prozesses gegen Radovan Karadžić vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal die ehemalige Tribunals-Mitarbeiterin Florence Hartmann festgenommen. Diese war 2009 durch das Kriegsverbrechertribunal zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil sie ihm öffentlich unterstellt hatte, im Verfahren gegen Serbiens Ex-Staatschef Milošević vor dem Internationalen Strafgerichtshof Beweise zurückgehalten zu haben.
Sonstiges
Flüchtlinge und Haftpflicht: Wenn Haftpflichtschäden durch mittellose Flüchtlinge verursacht werden, die nicht versichert sind, bleiben die Geschädigten auf ihren Kosten sitzen. Die Länder und Kommunen diskutieren daher teilweise Sammelhaftpflichtversicherungen für Flüchtlinge. Das Bundesjustizministerium hingegen ist der Ansicht, von einer nicht versicherten Person geschädigt zu werden, gehöre zum "allgemeinen Lebensrisiko", berichtet lto.de.
Fischer zu Strafe: "Wie viel Strafe ist genug?" fragt Bundesrichter Thomas Fischer auf zeit.de. In seiner aktuellen Kolumne erklärt er, wie Strafen verhängt werden und was "verhältnismäßig" oder "gerecht" heißen kann. Sein Fazit: "Strafe ist eine überdauernde Kategorie sozialer Kontrolle. Ihre Anknüpfung folgt immer zeitbedingten, sozialen Kriterien der Abgrenzung."
Das Letzte zum Schluss
Blindes Vertrauen in Google: Ein Abrissunternehmen gab die Adresse seiner Kundin in den Kartendienst Google Maps ein, folgte der Beschreibung und riss das Haus wie vereinbart ab. Ungünstiger Weise fiel dabei niemandem auf, dass die Software die eingegebenen Suchdaten zu einer anderen Adresse umgeleitet hatte und es sich bei dem Objekt um ein Nachbarhaus handelte, meldet justillon.de (Stefan Maier). Bislang ist unklar, wer für den Schaden haftet.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lil
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 30. März 2016: Arbeitsrecht flexibilisieren? / Stalking leichter strafbar? / EU-Bürger ausliefern? . In: Legal Tribune Online, 30.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18914/ (abgerufen am: 17.05.2024 )
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