Kann ein BGH-Strafsenat vernünftig über eine Revision beraten, wenn nur zwei von fünf Richtern die Akten gelesen haben? Das fragt sich BGH-Richter Thomas Fischer. Außerdem in der Presseschau: Das BVerfG hat keine Bedenken gegen Briefwahl, die Zschäpe-Verteidigerin Anja Sturm fühlt sich gemobbt und flieht nach Köln, ein deutscher Handwerker verklagt einen US-Rapper wegen Betrugs.
BGH – Vier- oder Zehn-Augen-Prinzip: Bei strafrechtlichen Revisionsentscheidungen ohne mündliche Verhandlung lesen bisher nur zwei von fünf zuständigen BGH-Richtern die Akten, der Berichterstatter und der Vorsitzende. Die anderen drei Richter eines Strafsenats bekommen den Vorgang vom Berichterstatter mündlich vorgetragen. Dies kritisiert der Vorsitzende Richter am BGH Thomas Fischer in einem Aufsatz, den er gemeinsam mit seinen Senatskollegen Ralf Eschelbach und Christoph Krehl in der Juni-Ausgabe der Zeitschrift Strafverteidiger veröffentlicht hat sowie in einem Aufsatz in der kommenden Ausgabe der Neuen Zeitschrift für Strafrecht*. Der Spiegel (Dietmar Hipp, Zusammenfassung) und die Montags-SZ (Wolfgang Janisch) greifen diese Veröffentlichungen auf und fassen die Ergebnisse zusammen. Wie es heißt, folgen die BGH-Richter in der Regel dem Vorschlag des jeweiligen Berichterstatters. Dies führe zu Divergenzen, weil die Berichterstatter unterschiedlich streng seien. Künftig wolle der 2. BGH-Strafsenat, dem Fischer vorsteht, testen, dass alle Richter die Revisionsakten lesen.
Weitere Themen – Rechtspolitik
NSA-Überwachung: Nur rund 10.000 Menschen nahmen an 30 bis 40 Demonstrationen gegen die NSA-Überwachung teil. Christian Rath (Montags-taz) erklärt dies damit, dass die massenhafte Speicherung deutscher Daten in den USA noch nicht ersichtlich missbraucht wurde. Reinhard Müller (Montags-FAZ) attestiert den Kritikern "Verschwörungstheorien, Antiamerikanismus und Rechts- wie Realitätsunkenntnis" und schließt sich damit Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) an.
Staatsanwaltschaft: In ihrer Serie zu den Wahlprogrammen der Parteien vergleicht lto.de (Claudia Kornmeier) diesmal die Positionen zur Staatsanwaltschaft. Die kleinen Parteien wollten das externe Weisungsrecht der Justizministerien gegenüber den Staatsanwaltschaften abschaffen. CDU und SPD äußerten sich nicht zu dieser Frage.
*Aufgrund eines Hinweises von Wolfgang Janisch in den Kommentaren, s.u., haben wir die zuvor nicht erwähnte NStZ-Veröffentlichung nachgetragen.
Weitere Themen – Justiz
BVerfG zu Briefwahl: Das Bundesverfassungsgericht hat eine Wahlprüfungsbeschwerde gegen die Europawahl 2009 zurückgewiesen. Damals war erstmals die Briefwahl allgemein zugelassen worden, ohne dass die Bürger dafür einen bestimmten Grund geltend machen mussten. Dies sei gerechtfertigt, um eine möglichst hohe Wahlbeteiligung zu erreichen, berichten die Samstags-FAZ (Reinhard Müller) und lto.de. Der Spiegel (Martin Schneider) schildert die Kritik des Klägers an der leichten Fälschbarkeit von Briefwahl-Unterlagen. Hilfreich wäre schon, wenn die Unterlagen vor dem Versand an die Wähler zumindest von Hand gestempelt würden.
NSU-Prozess – Zwischenbilanz: Der Spiegel (Gisela Friedrichsen) kritisiert, dass im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München die Morde nicht chronologisch, sondern durcheinander behandelt werden. Der Vorsitzende Richter Johannes Götzl zeige jedoch fulminante Aktenkenntnis. Die Nebenkläger hätten ein Aufklärungsinteresse, das oft über das strafrechtliche Prozessziel hinausreiche.
NSU-Prozess – Richter Götzl: Die Samstags-FR (Stefan Geiger) beschreibt die Arbeitsweise des Vorsitzenden Richters Johannes Götzl im NSU-Prozess: Er schreibe alles mit, um den Prozess nicht aufzeichnen zu müssen. So erschwere er, dass ihm später Fehler nachgewiesen werden können. Er befrage die Zeugen aber lehrbuchgerecht. Götzl habe den Monsterprozess in halbwegs geordnete Bahnen gebracht. Dies gelinge dem Richter freilich nur, "weil ebenbürtige Kontrahenten im Gerichtssaal fehlen".
NSU-Prozess – Verteidigerin Sturm: Zschäpes liberale Verteidigerin Anja Sturm verlässt ihre Kanzlei, von der sie sich gegen Anfeindungen wegen des Zschäpe-Mandats nicht genügend unterstützt gefühlt hat. Da sie in Berlin auch keine andere Kanzlei fand, zieht sie nun nach Köln und schließt sich der Kanzlei von Wolfgang Heer an, der ebenfalls Zschäpe-Verteidiger ist. Dies berichtete der Sonntags-Tagesspiegel (Frank Jansen). Die Montags-Welt (Hannelore Crolly) ergänzt dies um biographische Angaben zu Sturm.
OLG München zu rechtswidriger Sicherungsverwahrung: Wie der Spiegel berichtet, hat das Oberlandesgericht München erstmals im Fall einer rechtswidrig angeordneten Sicherungsverwahrung die Wiederaufnahme des Verfahrens für zulässig erklärt und so die Geltendmachung von Haftentschädigung ermöglicht.
LG Düsseldorf zu Säure-Anschlag: Das Landgericht Düsseldorf hat einen 23-jährigen Mann zu fünfeinhalb Jahre Freiheitsstrafe wegen besonders schwerer Körperverletzung verurteilt. Der Mann hatte seine Ex-Freundin von einem Mittäter mit Schwefelsäure besprühen lassen, um sie für andere Männer unattraktiv zu machen, berichtet spiegel.de.
LG Hamburg zu Wulff: Ex-Bundespräsident Christian Wulff scheiterte am Landgericht Hamburg mit einer einstweiligen Verfügung gegen das Buch "Die Machtmaschine – Sex, Lügen und Politik" des Journalisten Sascha Adamek. Der Autor beschäftigte sich auch mit den Gerüchten um die Vergangenheit von Wulffs Noch-Gattin Bettina. Adamek müsse nun lediglich einige Sätze ändern, aber erst in der nächsten Auflage, berichtet die Montags-FR (Holger Schmale).
AG Nürnberg zu Steuer-CDs: Das Amtsgericht Nürnberg sprach laut Samstags-FAZ (Joachim Jahn) ein Ehepaar, das auf einer angekauften Steuer-CD verzeichnet war, vom Vorwurf der Steuerhinterziehung frei. Die Angaben auf der CD hätten nicht als Beleg für die Annahme gereicht, dass das Geld zinsträchtig angelegt wurde. In einem separaten Kommentar kritisiert Joachim Jahn (Samstags-FAZ), die Steuer-CDs würden von der Steuerfahndung für einen "Bluff" benutzt. Wer aber keine belastenden Belege bei sich zu Hause aufbewahre und kein Geständnis ablege, habe oft gute Karten, freigesprochen zu werden.
OLG Düsseldorf – Düsseldorfer Zelle und NSA: Im Prozess gegen die islamistische Düsseldorfer Zelle fordert Verteidiger Johannes Pausch, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf Informationen nicht verwertet, die vom US-Geheimdienst NSA stammen. Die Samstags-FAZ (Helene Bubrowski) prüft die Argumentation und hält sie für wenig aussichtsreich.
AG Kassel – Kunstfreiheit: Der Spiegel (Ulrike Knöfel/Marianne Wellershoff) sprach mit dem Verteidiger Pascal Deckers, der am Amtsgericht Kassel den Künstler Jonathan Meese vertritt. Meese ist angeklagt, weil er in der Öffentlichkeit den Hitler-Gruß gezeigt hatte. Anwalt Deckers beruft sich auf den offenen Kunstbegriff des Bundesverfassungsgerichts. Den Rapper Bushido würde er allerdings nicht verteidigen, dieser nutze die Kunstfreiheit nur als Vorwand für Persönlichkeitsverletzungen.
Weitere Themen – Recht in der Welt
USA – Bradley Manning: Im Prozess gegen den Wikileaks-Informanten Bradley Manning haben vor dem Militärgericht in Fort Meade die Plädoyers begonnen. Die Staatsanwaltschaft bezeichnete den Ex-Soldaten als "Verräter", welcher den USA schaden wollte, um sich wichtig zu machen, berichtet die Samstags-taz (Antje Passenheim). Die Verteidigung nannte Manning laut spiegel.de dagegen einen naiven "Idealisten", der über Kriegsgräuel aufklären wollte.
USA – Daimler und Argentinien: Die Montags-FAZ (Corinna Budras) berichtet über einen Prozess vor dem US-Supreme Court. Dort geht es um die Frage, ob Daimler Benz wegen mutmaßlicher Verwicklungen in Entführungen von argentinischen Betriebsräten in den 70er-Jahren vor US-Gerichten verklagt werden kann. In einer Stellungnahme sprechen sich deutsche und amerikanische Wirtschaftsverbände vehement dagegen aus. Die FAZ zeichnet dabei die Diskussion um die weltweite Zuständigkeit von US-Gerichten nach.
USA – Entlassung wegen sexueller Anziehung: Das Oberste Gericht von Iowa hat die Entlassung einer Zahnarzthelferin durch ihren Zahnarzt gebilligt. Dieser hatte angegeben, die Frau ziehe ihn so an, dass er um seine Ehe fürchte. Die Entlassene sah darin eine Geschlechtsdiskriminierung. Das Gericht entschied nun, dass Führungspersonen Angestellte entlassen dürfen, die ihnen als Bedrohung der eigenen Ehe erscheinen, meldet spiegel.de.
Serbien – Prozess gegen Oligarchen: Die Montags-FAZ (Michael Martens) schildert die Ermittlungen gegen den serbischen Oligarchen Miroslav Mišković, dem Veruntreuung und Steuerhinterziehung vorgeworfen werden. Der unter Milosevic groß gewordene Mišković versuche mit Hilfe von US-PR-Firmen, den Prozess als politische Verfolgung darzustellen.
Italien – Berlusconi: Am Dienstag will der italienische Kassationsgerichtshof über den Vorwurf des Steuerbetrugs gegen Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi entscheiden. In erster Instanz war Berlusconi zu vier Jahren Haft und Verlust seiner politischen Ämter verurteilt worden. Die Samstags-taz (Michael Braun) beschreibt die politischen Rahmenbedingungen des Verfahrens. Die Montags-SZ (Andrea Bechstein) portraitiert Antonio Esposito, den Präsidenten des zuständigen zweiten Strafsenats am Kassationsgericht, er sei kein Linker.
Weitere Themen – Juristische Ausbildung und Karriere
Berufsstart: spiegel.de gibt Tipps für den juristischen Berufsstart, insbesondere für Bewerber ohne Topnoten.
Sonstiges
GPS in Polizeiwagen: Streifenwagen in Hamburg sollen mit GPS-Sendern ausgestattet werden, um Einsätze besser koordinieren zu können. Polizisten kritisieren die Überwachung. Der Polizeirechtler Frank Braun sieht auf lto.de jedoch keine rechtlichen Probleme. Die Regelung sei nach den Grundsätzen des Arbeitnehmer-Datenschutzes zulässig, weil es einen sinnvollen Grund für das Tracking-System gebe.
Beihilfe zur NSA-Spionage: zeit.de (Zacharias Zacharakis) sprach mit dem Nachrichtendienstrechtler Nikolaos Gazeas über die Ausforschung deutscher Telekommunikation durch die NSA. Sollten sich NSA-Mitarbeiter in Deutschland wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit strafbar gemacht haben, kämen verschiedene Formen der Beihilfe durch deutsche Beamte und Politiker in Betracht. Ein Anfangsverdacht liege aber noch nicht vor.
Kita-Klagen: Die FAS (Dyrk Scherff) schildert die Rechtslage mit Blick auf den ab 1. August einklagbaren Rechtsanspruch auf staatliche Kinderbetreuung für Einjährige.
Gerichts- und Anwaltskosten: Ebenfalls ab dem 1. August gilt das neue Kostenrechtsmodernisierungsgesetz. Die Montags-Welt (Monika Hillemacher) schildert, wie sich Gerichts- und Anwaltskosten erhöhen. Außerdem werden die Regeln der Prozesskosten- und Beratungshilfe erläutert.
Lärm: Der Focus (Stefanie E. Stallmann) erläutert Rechtslage und Gerichtsurteile zu Lärmgrenzen.
Das Letzte zum Schluss
Eine Million Finderlohn: Dem Rapper Ryan Leslie wurde 2010 in Deutschland ein Laptop gestohlen, er lobte eine Million Dollar Finderlohn aus, weil dort unveröffentlichte Kompositionen enthalten waren. Ein Handwerker fand den Laptop, doch Leslie verweigerte den Finderlohn, angeblich ließen sich die entscheidenden Dateien nicht mehr öffnen. Der Handwerker klagte den Finderlohn ein und bekam vor einigen Monaten von einem US-Geschworenengericht Recht. Jetzt schob der Handwerker noch eine Betrugsklage gegen den Rapper nach, weil dieser seine Geschäfte in eine neue Firma verlagert habe, um sich den Ansprüchen zu entziehen, berichtet die Samstags-FAZ (Norbert Kuls).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 27. – 29. Juli 2013: Wer liest am BGH die Akten? – Zschäpe-Verteidigerin flieht – Rapper prellt Finderlohn . In: Legal Tribune Online, 29.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9232/ (abgerufen am: 27.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag