Das Landgericht Köln hat die Tagesschau-App vom 15. Juni 2011 verboten. Das eher skurrile Urteil erfährt vielfältige Kommentierungen. Außerdem in der Presseschau: Sterbehilfe-Debatte im Ethikrat, Klage gegen Google-Bildersuche, Spionage-Anklage in Stuttgart, Banker-Prozess in London – und wie ein inszeniertes Attentat einem Bürgermeister zum Verhängnis wird.
LG Köln zu Tagesschau-App: Das Landgericht Köln hat der ARD die Verbreitung der Tagesschau-App "vom 15. Juni 2011" als nicht sendungsbezogenes "presseähnliches Erzeugnis" untersagt. Der auf Urheberrecht spezialisierte Rechtsanwalt Stephan Ory setzt sich auf lto.de mit dem Verfahren auseinander, in dem die klagenden Zeitungsverleger nur diese spezielle Ausgabe des Programms angegriffen hatten. Ein generelles Verbot der Anwendung sei in den Augen des Gerichts dagegen nicht möglich. Ob das Urteil darüber hinaus grundsätzliche Aussagen zur Zulässigkeit entsprechender Angebote der Rundfunkanstalten enthalte, müsse den noch nicht vorliegenden Urteilsgründen entnommen werden. Im Kern gehe es bei dem Streit darum, "was ARD und ZDF im Internet dürfen". Auch die taz (Pascal Beucker) berichtet ausführlich.
Reinhard Müller (FAZ) lobt das Urteil euphorisch als "Zeichen der Freiheit, das leuchten soll" – es schütze den Wettbewerb auf dem Pressemarkt und sei keineswegs bloß ein "symbolischer Sieg". Als "juristisch letztlich wertlosen" "Pyrrhussieg" wertet hingegen die Bernhard Hübner (FTD) das Urteil. Steffen Grimberg (taz) meint, der Konflikt lasse sich "juristisch nicht lösen", da Gerichte angesichts der Pressefreiheit letztlich nicht über journalistische Inhalte, die sich zudem täglich änderten, befinden könnten. Auch Jörg Diehl (spiegel.de) meint: "Die App ist kein Fall für die Justiz." Thomas Stadler (internet-law.de) kritisiert das Urteil juristisch: Er hält es für einen unzulässigen "Eingriff in die Programmautonomie der ARD".
Weitere Themen – Rechtspolitik
Sterbehilfe: Der Deutsche Ethikrat hat gestern über Suizid und Suizidbeihilfe diskutiert. Im Rahmen der Diskussion habe der Präsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery jegliche Sterbehilfe durch Ärzte erneut abgelehnt und den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Verbot gewerbsmäßiger Sterbehilfe kritisiert, berichtet die FAZ (Heike Schmoll). Diese strikte Ablehnung sei beim Verfassungsrechtler Reinhard Merkel auf Kritik gestoßen.
Sport & Kultur ins Grundgesetz: "Sollen Sportler kriegen, was Kinder nicht haben?" kommentiert pointiert Heribert Prantl (SZ) die Pläne der SPD-Fraktion, die Sportförderung ins Grundgesetz aufzunehmen. Eine Verfassung sei "kein Poesiealbum", sie mit Sinnsprüchen zu füllen tue ihr keinen Gefallen. Gegen die Aufnahme der Kulturförderung spreche zudem der Föderalismus.
Die FAZ (Andreas Groth) dokumentiert im "Sport"-Teil die skeptische Haltung verschiedener Verfassungsjuristen.
Beschneidung von Jungen: spiegel.de fasst die Kritik der Oppositionsparteien und des Kinderschutzbundes am von der Regierung geplanten Gesetz zur Beschneidung von Jungen zusammen.
Medizinprodukte: Werner Bartens kritisiert auf der "Wissen"-Seite der SZ die geplanten EU-Regelungen zur Überwachung von Medizinprodukten wie Prothesen oder Implantaten. Dabei handele es sich um "Scheinprüfungen", nach wie vor werde der Innovationsfähigkeit der Vorrang gegenüber Patientenrechten eingeräumt.
Mietrechtsreform: Die SZ (Daniela Kuhr) schildert anlässlich der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag die politische Auseinandersetzung um die finanzielle Beteiligung von Mietern an energetischen Sanierungen.
Weitere Themen – Justiz
LG Hamburg – Google-Bildersuche: Die FAZ (Martin Gropp) berichtet im "Medien"-Teil über die Klage von Max Mosley, Ex-Präsident des Internationalen Automobilverbands FIA, gegen den Suchmaschinenkonzern Google vor dem Landgericht Hamburg. Mosley wolle erreichen, dass Google Aufnahmen von ihm, die bei einer Sex-Party vor viereinhalb Jahren entstanden waren, aus den Suchergebnissen der Bildersuche filtert.
BVerwG – A 100-Prozess: Über die mündliche Verhandlung zur Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses zum Bau eines Teilstücks der Berliner Stadtautobahn A 100 vor dem Bundesverwaltungsgericht berichtet kurz die FAZ (Mechthild Küpper). In einem Eilverfahren hatte das Gericht der Stadt Anfang des Jahres einstweilen untersagt, den Bau weiter vorzubereiten. Mit einem Urteil werde im Oktober gerechnet.
BVerwG zu Kirchenaustritt: Auch lto.de (Thomas Traub) beschäftigt sich nun in einem umfassenden Artikel mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Mittwoch zum Kirchenaustritt, der auch auf die Hintergründe des Streits eingeht.
Joachim Frank (FR) nimmt das Urteil zum Anlass, den deutschen Sonderweg einer verpflichtenden Kirchensteuer scharf zu kritisieren – und hätte sich diesbezüglich ein "offenes Wort" des Bundesverwaltungsgerichts gewünscht.
NSU-Sonderermittler: In Berlin soll der Oberstaatsanwalt Dirk Feuerberg als Sonderermittler die Ermittlungspannen der Berliner Justizbehörden im Zusammenhang mit dem "Nationalsozialistischen Untergrund" aufklären. Die SZ (C. von Bullion/T. Schultz) berichtet und schildert auch die jüngsten Ereignisse im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Auch spiegel.de (Matthias Gebauer/Sven Röbel) berichtet ausführlich.
LG München I zu MAN-Affäre: Im Zuge der MAN-Korruptionsaffäre ist es zu einer weiteren Verurteilung gekommen. Wie die FTD (Angela Maier) berichtet, hat das Landgericht München I die ehemalige Finanzchefin Sabine Drzisga wegen Bestechung nach einer Verständigung über das Strafmaß zu einer zehnmonatigen Bewährungsstrafe und zur Zahlung von 60.000 Euro verurteilt.
Jobcenter-Attacke: Die taz (Marlene Halser) berichtet über die Ermittlungen zu der tödlichen Messerattacke auf eine Jobcenter-Mitarbeiterin in Neuss am Mittwoch. Der geständige Täter behaupte, niemanden habe töten zu wollen, die Staatsanwaltschaft gehe hingegen von einer Tötungsabsicht aus und habe Haftbefehl wegen Mordes beantragt. Die Getötete sei wohl ein "Zufallsopfer" gewesen, der Täter habe eigentlich einen anderen Sachbearbeiter zur Rede stellen wollen. Auch die SZ (Laura Hertreiter/Uwe Ritzer) berichtet.
OLG Stuttgart – Spionage-Anklage: Die Bundesanwaltschaft hat vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gegen ein Ehepaar aus Russland Anklage wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit und mittelbarer Falschbeurkundung erhoben. Beide sollen für den russischen Auslandsgeheimdienst SWR spioniert haben, so spiegel.de (Hubert Gude/Holger Stark) über einen "der spektakulärsten Spionagefälle seit Ende des Kalten Krieges".
StA Weiden – Auschwitz-Wachmann: Nach einem Bericht von spiegel.de (Benjamin Schulz) droht dem ehemaligen Wachmann des Konzentrationslagers Auschwitz Johann Breyer eine Anklage durch die Staatsanwaltschaft Weiden. Der in den USA lebende Breyer soll für die Ermordung von mindestens 344.000 Juden mitverantwortlich sein.
Kartellamt contra Mineralölindustrie: Die SZ (Caspar Busse) schildert die Ermittlungen des Bundeskartellamts gegen Raffinerien und den Großhandel im Rahmen einer "Sektoruntersuchung" wegen des Verdachts überhöhter Preise und der Benachteiligung freier Tankstellen.
Weitere Themen – Recht in der Welt
Großbritannien – Banker-Prozess: Vom Prozess gegen Kweku Adoboli, den "Skandal-Trader" der UBS-Bank, vor einem Londoner Gericht berichtet ausführlich spiegel.de (Carsten Volkery). Die entscheidende Frage sei, ob der Angeklagte mit Duldung seiner Vorgesetzten oder ohne deren Wissen gehandelt habe.
Russland – Lebedjew angeklagt: Der russische Oppositionelle, Finanzmagnat und Medienunternehmer Alexander Lebedjew ist von der Staatsanwaltschaft wegen "Rowdytums aus politischem Hass" angeklagt worden. Anlass sei ein Fausthieb gegen den Oligarchen Sergej Polonskij im Rahmen einer politischen Debatte zur Finanzkrise, berichtet die FAZ (boy.).
EU/USA – Boeing-Streit: Die EU hat bei der Welthandelsorganisation WTO nun Strafzölle gegen die USA wegen illegaler Subventionen des Flugzeugbauers Boeing beantragt. Damit wolle sie ein Urteil der WTO vom März dieses Jahres durchsetzen, so die FTD (Benjamin Dierks). Zuvor hatten die USA der EU wegen der Subventionierung von Airbus Sanktionen angedroht.
Das Letzte zum Schluss
Inszeniertes Attentat: Der Bürgermeister der Schwarzwaldgemeinde Rickenbach soll ein Attentat auf sich selbst inszeniert haben, um sich dienstunfähig schreiben zu lassen – so jedenfalls die Anklage der Staatsanwaltschaft, über die das Landgericht Waldshut-Tiengen nun zu befinden hat. Der Anwalt des Angeklagten spricht hingegen von einer Intrige; der Bürgermeister selbst schweigt – all das berichtet strafblog.de (vnagel).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. September 2012: Verbotener Tagesschau-App-Tag – Sterbehilfe im Ethikrat – Klage gegen Google-Bildersuche . In: Legal Tribune Online, 28.09.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7199/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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