Gibt es eine Pflicht zur gemeinsamen Erziehung von Jungen und Mädchen? Das muss jetzt das Bundesverwaltungsgericht entscheiden. Außerdem in der Presseschau: Die Überprüfung der Sicherheitsarchitektur, ein Karlsruher Beschluss zur Demonstrationsfreiheit, urheberrechtliche Fragen von Heinos neuer CD und warum zwei Touristen im Kongo so lange mit einer Miliz verhandelten, bis man sie für entführt hielt.
BVerwG – Jungengymnasium*: Am Mittwoch wird das Bundesverwaltungsgericht entscheiden, ob der katholische Orden Opus Dei in Brandenburg ein reines Jungengymnasium gründen darf. Das Land Brandenburg hat die Genehmigung verweigert. Das BVerwG müsse jetzt entscheiden, ob es eine Verfassungspflicht zur Koedukation gebe, beschreibt Jost Müller-Neuhof (Sonntags-Tagesspiegel) den Konflikt und plädiert für eine Genehmigung der Schule – im Interesse der Vielfalt.
Weitere Themen- Rechtspolitik
Überprüfung Sicherheitsarchitektur: Heute nimmt die vierköpfige Regierungskommission zur Überprüfung der Sicherheitsgesetze und Sicherheitsarchitektur ihre Arbeit auf. Die Samstags-SZ (Heribert Prantl) berichtet vorab ausführlich über die Ein- und Besetzung der Kommission, die mit den Frage befasst ist: "Wie ist die Entwicklung der Gesetzgebung seit den Terroranschlägen des Jahres 2001 aus rechtsstaatlicher Sicht rechtlich und rechtspolitisch zu bewerten?" Nur bis Juli habe die Kommission Zeit. Christian Rath (taz) prognostiziert, dass die Kommission am Ende zwei sich inhaltlich widersprechende Berichte für das Innen- beziehungsweise Justizministerium abliefern werde.
Privatisierung Wasserversorgung: Die geplante EU-Richtlinie zur Konzessionsvergabe in der Wasserversorgung kritisiert Heribert Prantl (Samstags-SZ): Zwar würden Kommunen nicht zur Privatisierung "genötigt", müssten sich aber einiges einfallen lassen, um "das eigentlich Selbstverständliche" - öffentliche Güter gehören in die öffentliche Hand- beizubehalten.
Zahlungsfristen im Zivilrecht: Deutschland muss eine EU-Richtlinie "zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr" umsetzen. Am Mittwoch wird der Rechtsausschuss des Bundestags Sachverständige zum Gesetzentwurf der Bundesregierung anhören. Die Montags-FAZ (Joachim Jahn) stellt einige Positionen vorab dar. In einem separaten Kommentar fordert Jahn (Montags-FAZ) die Klarstellung, dass auch nach Einführung von gesetzlichen Zahlungsfristen weiterhin "unverzüglich" bezahlt werden muss, damit die Reform ihr Ziel nicht verfehlt.
Förderung der Selbsttötung: Der Heidelberger Medizinethiker Axel W. Bauer widmet in der FAS einen breit angelegten Gastbeitrag der Selbsttötung. Anlass ist ein Gesetzentwurf zur Pönalisierung der gewerbsmäßigen Förderung von Selbsttötungen. Bauer hält diesen für verfehlt und gefährlich: Der Entwurf "privilegiere durch Schweigen" organisierte und private Sterbehilfe. Selbsttötungen seien jedoch "nicht mit der Autonomie des Menschen" legitimierbar. Weiter fragt Bauer, ob die "politische Toleranz" der Tötungsassistenz sich künftig "tatsächlich nur auf Schwerkranke (…) beziehen soll" und ob alte Menschen dann sterben "wollen sollen".
Vergabekriterien bei Organtransplantation: "Wer darf leben, wenn nicht alle gerettet werden können?" - Der Spiegel (V. Hackenbroch/U. Ludwig/A. Windmann) (Vorabmeldung auf spiegel.de) befasst sich mit der Organvergabe in Deutschland. Erforderlich sei eine grundsätzlichen Debatte darüber, nach welchen Kriterien bei Organmangel die Vergabe künftig stattfinden solle und wer entscheiden dürfe, forderten Mediziner, Politiker und Juristen. Heute würde nach "Dringlichkeit" und nicht "Benefit" vergeben. Thomas Gutmann, Rechtsphilosophie- und Medizinrechtprofessor, sehe in der Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer und der europäischen Vergabestelle Eurotransplant einen "klaren Verfassungsbruch": Private Institutionen regelten, richterlich faktisch nicht überprüfbar, wer ein Transplantat bekommt, dies müsse jedoch der Gesetzgeber regeln.
Alkoholverbote: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will Alkoholkonsum auf öffentlichen Plätzen verbieten, berichtet die Samstags-taz (Nadine Michel). Rechtlich sei dies jedoch umstritten, auch Parteitagsbeschlüsse von SPD und Grünen stünden dem Vorhaben eigentlich entgegen. Eine Arbeitsgruppe soll nun aber weiter prüfen. Der Freiburger Kriminologie-Professor Roland Hefendehl hatte als Sachverständiger an Kretschmanns rundem Tisch teilgenommen und berichtet darüber launig in seinem Newsletter strafrecht-online.org. Christian Rath (taz.de) kommentiert: "Gezielte präventive Maßnahmen wie Platzverbote gegen Einzelne sind auch keine Lösung"
*Anm. d. Red.: An dieser Stelle stand zuvor, es handele sich um eine Jesuitenschule. Tatsächlich hat der Orden aber nichts mit der Schule zu tun.
Weitere Themen – Justiz
BVerfG zu Demonstrationsfreiheit und Rechtsschutz: Im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren gegen Demonstrations-Beschränkungen oder -Verbote genüge keine "summarische" Prüfung, die Klage müsse "vollständig" geprüft werden. Dies entschied, so die Samstags-taz (Christian Rath), das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde des sächsischen Landesverbandes der Jungen Nationaldemokraten (JN). Eine Versammlung der JN sei wenige Tage vor dem Termin überraschend mit einem Teilverbot belegt worden.
BAG zu Kündigungsschutzgesetz: Bei der Bestimmung der nach dem Kündigungsschutzgesetz relevanten Betriebsgröße müssen auch Leiharbeiter berücksichtigt werden. So entschied das Bundesarbeitsgericht bereits am Donnerstag. Dazu informieren u.a. lto.de und die Samstags- SZ (Daniela Kuhr). Das Urteil sei auch für Arbeitsrechtsexperten "völlig überraschend" gekommen, so die SZ. Der Arbeitgeberverband BDA kritisiere, das Urteil widerspreche dem Gesetzeswortlaut. Beim Deutschen Gewerkschaftsbund freue man sich, dass der Kündigungsschutz nun nicht mehr durch die Beschäftigung von Leiharbeitern umgangen werden könne.
BAG zu Altersdiskriminierung: Über den Klageerfolg eines Anwaltes vor dem Bundesarbeitsgericht berichtet der Spiegel (Dietmar Hipp). Geklagt habe der 36- Jährige wegen einer Stellenanzeige für "Young Professionals" und "Berufsanfänger" der Berliner Charité, auf die er sich erfolglos beworben habe. Das BAG entschied, die Anzeige sei ein Indiz für eine altersbedingte Ablehnung des Klägers; dem Urteil liege das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zugrunde, so der Spiegel.
BVerwG zu Lehrer-Arbeitszimmer: Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Umfang der Fürsorgepflicht bei Lehrern kommentiert für lto.de der Rechtswissenschaftler Michal Deja. Mehrkosten für Büro und Material, die einem Lehrer entstünden, wenn er zu Haus seinen Unterricht vorbereite, müssten nicht ersetzt werden, sie seien "nicht unerträglich".
VerfG Hamburg zu Sperrklausel: Nach einem Bericht der Samstags-FAZ (Frank Pergande) hat das Hamburger Landesverfassungsgericht die 3-Prozent-Sperrklausel bei den Wahlen der Bezirksversammlungen nach einer Klage eines Piraten-Mitglieds gekippt. Die Versammlungen seien "keine Volksvertretungen im Sinne des Grundgesetzes", führte der Gerichtspräsident laut FAZ zur Begründung an, wechselnde Mehrheiten seien daher kein Problem. Die Wahl von 2011 genieße jedoch Bestandsschutz und müsse nicht wiederholt werden.
KG Berlin verurteilt Islamisten: Über die Verurteilung zweier Männer wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland durch das Kammergericht Berlin berichtet die Samstags-FAZ (Mechthild Küpper) und schildert die Hintergründe. Die beiden Angeklagten, deren Werdegang beschrieben wird, wurden vom KG zu neun Jahren beziehungsweise sechs Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.
BVerfG zu Nazi-Umgangsrecht: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, einem rechtsextremen Vater kein Umgangsrecht mit seinen Kindern einzuräumen, um die aus der Szene ausgestiegene Mutter nicht zu gefährden, kommentiert für lto.de die Familienrechtlerin Jutta Wagner. Wagner begrüßt den Beschluss und hofft, dass das Kindeswohl, welches erheblich vom Wohle des Elternteils abhänge, bei dem es wohne, wieder mehr in den Mittelpunkt rechtspolitischer Diskussionen zum Umgangsrecht rücke.
AG Landshut – Europäischer Haftbefehl: Die FAS (Katrin Hummel) berichtet über einen vom Amtsgericht Landshut ausgestellten europäischen Haftbefehl, der möglicherweise unverhältnismäßig war. Ein Franzose war mit 6.000 Euro Unterhalt für seine in Deutschland bei der Mutter lebenden Kinder im Verzug und sollte am Wochenende nach Deutschland zu einem Strafverfahren ausgeliefert werden.
BVerwG – Auskunftspflicht: Am 20. Februar wird das Bundesverwaltungsgericht entscheiden, ob Journalisten einen Auskunftsanspruch gegen Bundesbehörden auf Landespressegesetze stützen können. Bisher war das üblich, der Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof) geht aber davon aus, dass das BVerwG anders entscheidet, weil dem zuständigen Senat ein Richter angehört, der 2006 in einem Aufsatz die herrschende Meinung angriff.
LG Landshut – Mord an Eltern der Ex-Freundin: Am Dienstag beginnt am Landgericht Landshut der Prozess gegen Christoph W., der die Eltern seiner Ex-Freundin ermordet hat. Offen ist wohl nur noch, ob er dabei voll schuldfähig war. Die Montags-SZ (Annette Ramelsberger) schildert den Fall ausführlich auf ihrer Seite 3. Bekannt wurde der Fall vor allem, weil die Freundin sich kurz vor der Tat von W. getrennt hatte, ihm nach der Tat aber ohne zu zögern bei der Beseitigung der Leichen half.
LG Köln – Sal. Oppenheim-Untreue: Am 27. Februar beginnt am Landgericht Köln der Strafprozess gegen vier ehemalige Manager der Bank Sal. Oppenheim, denen besonders schwere Untreue zulasten der Bank vorgeworfen wird. Die FAS (Melanie Amann) schildert den Fall und stellt die Vorsitzende Richterin Sabine Grobecker vor.
Staatsanwaltschaft Detmold – Ehrenmord an der Tochter: Die Detmolder Staatsanwaltschaft hat Anklage wegen Mordes gegen Fendi Ö. erhoben. Er ist der Vater von Arzu Ö., die 2011 wegen der Beziehung zu einem Deutschen von ihren Geschwistern getötet wurde. Die Geschwister wurden bereits wegen Mordes verurteilt, jetzt ist der Vater wegen Anstiftung zum Mord angeklagt, berichtet die Montags-SZ (Annette Ramelsberger). Da es hierfür nur Indizien gibt, betrete die Staatsanwaltschaft, die eine "Gesamtschau" vornimmt, juristisches Neuland.
Gertrude Lübbe-Wolff: Aus Anlass ihres 60. Geburtstags widmet die Montags-FAZ (Christian Geyer) der Bundesverfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff ein Portrait.
Weitere Themen – Recht in der Welt
UN - Drohnen-Kollateralschäden als Kriegsverbrechen?: Wie netzpoltik.org (Andre Meister) berichtet, will der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte untersuchen, ob zivile Todesfälle nach Drohnen-Angriffen und anderen Formen gezielter Tötungen Kriegsverbrechen darstellen. Untersucht würden Einsätze der USA, Großbritannien und Israel, bei denen "jeweils Zivilisten um ihr Leben gebracht wurden".
Türkei – Prozess gegen Soziologin: Die bereits zwei Jahre lang inhaftierte und drei Mal vom Vorwurf der Unterstützung eines angeblichen Anschlages freigesprochene türkische Soziologin Pinar Selek wurde in Istanbul nun in Abwesenheit in einem "absurden" Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Samstags-Welt (Boris Kálnoky) berichtet, erläutert die Hintergründe und den Ablauf des Prozesses. "Was hat Selek gemacht?", fragt Frederik Obermaier (Samstags-SZ): "Sie wollte über die PKK schreiben und sie hat dafür mit PKK-Kämpfern gesprochen. (...) Selek hat über unbequeme Themen berichtet. Über Kurden, türkische Männer, die Zustände im Militär. Jetzt soll sie dafür büßen."
Russland – Gesetz gegen Homosexualität: Mit nur einer Gegenstimme hat die russische Duma ein Gesetz gegen "Propaganda von Homosexualität gegenüber Minderjährigen" verabschiedet. Die Samstags-FR (Christian Esch) informiert.
USA – Senatsferien: Bisher konnte der Präsident zustimmungsbedürftige Entscheidungen allein treffen, wenn der Senat "Sitzungspause" hatte. Ein Bundesberufungsgericht hat nun mehrere so getroffene Entscheidungen von US-Präsident Obama aufgehoben, weil der Senat nicht in Sitzungspause gewesen sei, berichtet die Montags-FAZ (Patrick Welter). Der Senat sei immer wieder pro forma zusammengetroffen, um Allein-Entscheidungen des Präsidenten den Boden zu entziehen.
Frankreich – Twitter verurteilt: Wie spiegel.de (Ole Reißmann) meldet, wurde Twitter in Frankreich dazu verurteilt, die Namen von Nutzern herauszugeben, die unter Pseudonymen antisemitische und rassistische Äußerungen getwittert hätten. Nachdem sich u.a. der Jüdische Studentenverband zunächst beim Unternehmen beschwerte, sperrte dieses entsprechende nach französischem Recht strafbare Äußerungen. Dies genügte den Studenten indes nicht, sie verlangten eine Löschung.
Niederlande/Nigeria – Shell: Am Mittwoch wird ein Distriktgericht in Den Haag über die Klage von vier Fischern gegen den niederländischen Ölkonzern Shell entscheiden. Shell soll für die Ölverschmutzung durch leckende Pipelines Schadensersatz bezahlen. Der Konzern macht fremde Saboteure und Öldiebe für den Schaden verantwortlich. Der Spiegel (Niels Klawitter) schildert den Fall.
Sonstiges
Heino und Urheberrecht: Heino hat auf seiner neuen CD Stücke der Ärzte ("Junge") und anderer deutscher Rockmusiker gecovert. lto.de (Tobias Kohl) erläutert, dass Heino dabei die Urheber nicht um Erlaubnis fragen musste, wenn er Text und Melodie unverändert ließ und bei der GEMA für die erforderlichen Lizenzen zahlte.
Empfehlungen Verkehrsgerichtstag: Vergangene Woche fand in Goslar der jährliche Verkehrsgerichtstag statt. Über seine Empfehlungen an Gesetzgeber, Verwaltung und Justiz berichten spiegel.de sowie blog.beck.de (Carsten Krumm).
Uwe Wesel: Am 2. Februar wird der linksliberale Rechtsprofessor und Buchautor Uwe Wesel 80 Jahre alt. Die Montags-FAZ (Jürgen Kaube) hat ihn portraitiert.
Das Letzte zum Schluss
Entführung im Kongo: Ein Deutscher und ein Österreicher wollten mit einem Jeep quer durch Afrika fahren. An einem Checkpoint der kongolesischen FDLR-Miliz verweigerten sie das übliche Wegegeld von ein paar Dollar und wurden deshalb von den Milizionären aus dem Wagen gezogen. Laptops, Telefone, Kreditkarten und Bargeld von mehr als 4.000 Dollar wurden ihnen abgenommen. Als die beiden Europäer nach einem Tag immer noch in der Gewalt der Miliz sind, benachrichtigen die kongolesischen Behörden die Botschaften Deutschlands und Österreichs, die wiederum die UN-Mission im Kongo mobilisieren. Bei einer UN-Befreiungsaktion werden die beiden "Geiseln" dann sofort übergeben. Die taz (Simone Schlindwein) hat herausgefunden, dass die beiden Afrikatouristen gar nicht entführt waren, sondern einfach nicht mehr gehen wollten, bevor sie nicht ihre Wertgegenstände zurückerhalten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in den Printausgaben oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dc/chr
(Hinweis für Journalisten) Hinweis für Journalisten
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 26. - 28. Januar 2013: BVerwG und katholische Jungs – BVerfG und rechte Jungnazis – Heino und sein "Junge" . In: Legal Tribune Online, 28.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8046/ (abgerufen am: 08.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag