Die Bundestagswahl ist Geschichte, die Diskussionen um Fünf-Prozent-Klausel und Minderheitsregierung setzen jetzt erst ein. Außerdem in der Presseschau: EuGH zu Visumspflicht, AG Rostock zu Meuterei, Haftbedingungen im russischen Straflager und ausgefallene Werbemaßnahmen eines Anwalts.
Thema des Tages
Fünf-Prozent-Klausel: Fast sieben Millionen der am Sonntag ausgezählten Wahlstimmen, immerhin 15 Prozent aller Voten, sind auf Parteien entfallen, die nicht dem 18. Bundestag angehören werden. Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) fragt daher ob die gängige, verfassungsgerichtlich bestätigte Rechtfertigung der Einschränkung der Wahlrechtsgleichheit noch trägt oder ob die Fünf-Prozent-Sperrklausel nun verfassungswidrig sei. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Europawahl-Entscheidung von 2011 schließlich darauf hingewiesen, dass die Rechtfertigung durch neue Entwicklungen in Frage gestellt werden könne. Angesichts der Menge der "für die Tonne gemachten" Kreuzchen sei zu überlegen, ob der neue Bundestag den Willen des Volkes noch mit der gebotenen Genauigkeit abbilde. Spiegel.de (Annett Meiritz) berichtet über einen "Drittstimmen"-Vorschlag des Verfassungsrechtlers Hans Herbert von Arnim, nach dem die alternative Entscheidung solcher Wähler, deren erste Präferenz an der Sperrklausel gescheitert ist, mitgezählt werden soll.
Reinhard Müller (FAZ) kommentiert dagegen, dass es "kein unwichtiges Ziel" sei, die "Zersplitterung der Volksvertretung" zu verhindern. Bei einem reinen Mehrheitswahlrecht etwa könnten mehr als die Hälfte aller Stimmen "unter den Tisch fallen."
Minderheitsregierung: Die SZ (Johan Schloeman) befragt in ihrem Feuilleton Rechtsprofessor Christoph Möllers zu "Reiz und Risiko" einer nach dem erreichten Ergebnis möglichen Minderheitsregierung. Der Staatsrechtler meint, dass aus normativer Sicht nichts gegen gegen eine solche einwenden sei, sieht aber praktische Schwierigkeiten durch die permanent bestehende Möglichkeit der Kanzlerin, durch Anrufung des Bundespräsidenten Neuwahlen herbeizuführen. Obwohl eine Minderheitsregierung zu einer "Parlamentisierung des Regierens" führen könne, sei sie nichts für die von einem großen "Stabilitätsbedürfnis" geprägten Nerven der deutschen Öffentlichkeit.
Rechtspolitik
Rekommunalisierung: Nachdem ein parallel zur Bundestagswahl durchgeführter Volksentscheid in Hamburg eine Mehrheit für den kommunalen Rückkauf der Energienetze ergab, wird die Bürgerschaft am heutigen Mittwoch über die Umsetzung abstimmen, schreibt die taz-Nord (Marco Carini) und stellt die diskutierten Modelle vor.
Parlamentsvorbehalt: Ein hochrangiger Beamter des Auswärtigen Amtes stellt nach Bericht der FAZ (Nikolas Busse) am heutigen Mittwoch eine Studie zur Änderung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes vor. Kernpunkt sei die Streichung des Parlamentsvorbehalts bei Auslandseinsätzen deutscher Soldaten, solange diese innerhalb von Operationen des NATO-Bündnisses erfolgten. Hierdurch würde die Bündnisfähigkeit der Bundeswehr unterstrichen.
Ghetto-Renten: Eine Bundesratsinitiative fordert eine rentenrechtliche Gleichbehandlung von Zwangsarbeitern. Bislang seien viele Auszahlungen sogenannter Ghetto-Renten an Voraussetzungen des Gesetzes zur "Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigung in einem Ghetto" von 2002 gescheitert oder rückwirkende Rentenbescheide auf wenige Jahre begrenzt worden, schreibt die taz (Frank Gerstenberg) in ihrem Bericht, der eine 84-jährige Betroffene vorstellt.
Justiz
EuGH zu Visumspflicht für Türken: Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) benötigen türkische Staatsangehörige für die Einreise in die EU weiterhin ein Visum. Die taz (Christian Rath) erläutert die Hintergründe des Falls einschließlich des 1963 geschlossenen Assoziationsabkommens mit der Türkei und der nun von den Luxemburger Richtern vorgenommenen Unterscheidung von aktiver und passiver Dienstleistungsfreiheit. In einem separaten Kommentar bezeichnet Christian Rath (taz) das Urteil als "enttäuschend". Zwar sei es der EU unbenommen, die Visumspflicht jederzeit aufzuheben, wegen vorherrschender "Angst vor unerwünschter Einwanderung" sei hiermit jedoch nicht zu rechnen. Somit blieben Türken auch "weiterhin Gäste zweiter Klasse".
BGH zu Vogelschlag: Bei einer Flugverzögerung wegen in Triebwerke geratener Vögel besteht nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs kein Anspruch auf Entschädigung. Der sogenannte Vogelschlag befinde sich als "außergewöhnlicher Umstand" außerhalb des Verantwortungsbereichs einer Fluggesellschaft, meldet lto.de.
BGH zu Internetglücksspiel: In einer weiteren Entscheidung urteilte der Bundesgerichtshof, dass die Landeslottogesellschaft Brandenburg einem von ihr beauftragten Online-Dienstleister zumindest teilweisen Aufwendung- und Vergütungsersatz schuldet. Wie lto.de schreibt, hatte die Gesellschaft die Beauftragung widerrufen, nachdem die Bundesländer übereinkamen, den Internetvertrieb gänzlich einzustellen. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs stelle dies eine hoheitliche Maßnahme dar, kartellrechtliche Ansprüche bestünden deshalb nicht. Gleichwohl habe der klagende Online-Dienstleister einen Anspruch auf Ersatz unvermeidbarer Aufwendungen, die bis zum ordentlichen Kündigungstermin ohnehin entstanden wären.
VerfGH Berlin – Polizeivideos: Berliner Oppositionsparteien haben nach Bericht der taz-Berlin (K. Litschko) beim Verfassungsgerichtshof des Stadtstaates eine gemeinsame Normenkontrollklage gegen ein im Frühjahr von der Großen Koalition verabschiedetes Gesetz zu Polizeiaufnahmen eingelegt. Die Neuregelung erlaubt Aufnahmen von Demonstrationen, sobald deren "Größe oder Unübersichtlichkeit" dies erfordert.
OLG Hamm – Dubai Fonds: In der Verhandlung einer Schadensersatzklage von Anlegern des insolventen Dubai-Fonds einer Investmentfirma vor dem Oberlandesgericht Hamm besteht nach Meldung der Welt wenig Aussicht auf Erfolg. Unter Bezugnahme auf aktuelle Entscheidungen des Bundesgerichtshofs hätte das Gericht ausgeführt, dass Mängel in Verkaufsprospekten erheblich sein müssten, um eine Haftung zu begründen. Diese Erheblichkeit sei jedoch nicht erkennbar.
AG Rostock – Meuterei: Ein Verfahren gegen sechs Obermaate der Bundesmarine wegen Meuterei ist vom Amtsgericht Rostock gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt worden. Ihnen wurde vorgeworfen, im Frühjahr während eines Auslandseinsatzes einen Vorgesetzten misshandelt und gedemütigt zu haben, in der ausführlichen Darstellung der SZ (Hans Holzhaider) erweist sich der Vorwurf dagegen eher als Ausdruck eines Streiches unter Seeleuten mit gröberen Umgangsformen.
Verfassungsschutz: Aus Anlass der jüngst bekanntgemachten Überwachung von Journalisten durch den niedersächsischen Verfassungsschutz befragt lto.de (Claudia Kornmeier) Rechtsanwalt Peter Hauck-Scholz, der den Bundestagsabgeordneten Bodo Ramelow (Linke) in dessen Verfassungsbeschwerde wegen einer ebensolchen Überwachung vor dem Bundesverfassungsgericht vertritt. Der Anwalt gibt zu bedenken, dass grundrechtlich geschützte Positionen wie die Pressefreiheit oder das freie Mandat nach den geltenden Verfassungsschutzgesetzen vor einer Beobachtung nicht schützen und sieht diesbezüglich den Gesetzgeber in der Handlungspflicht.
Eine betroffene Journalistin hat derweil nach Bericht der SZ (Hans Leyendecker) wegen der Vernichtung der über sie gesammelten Unterlagen bei der Staatsanwaltschaft Hannover eine Anzeige wegen Urkundenunterdrückung erstattet und wegen der ihr erteilten Falschauskunft Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den zuständigen Sachbearbeiter eingelegt.
Recht in der Welt
Russland – Haftbedingungen: Nadeschda Tolokonnikowa, eine der verurteilten Pussy Riot-Aktivistinnen, hat sich in einem Brief an den Menschenrechtsbeauftragten der Russischen Föderation über unmenschliche Haftbedingungen beklagt und einen Hungerstreik angekündigt. Wie die SZ (Julian Hans) schreibt, müsse die in Lagerhaft Befindliche bis zu 16 Stunden am Tag arbeiten, nach Bekanntwerden der Vorwürfe sei sie zum "Schutz" in Einzelhaft verlegt worden. Übergriffe anderer Lagerinsassen seien an der Tagesordnung und würden durch die Verwaltung gefördert, schreibt die FAZ (Michael Hanfeld) in ihrem Feuilleton. Der Brief bezeuge, dass das von Alexander Solschenizyn so kraftvoll beschriebene Gulag-System weiterhin existiere. Eine gekürzte Übersetzung des Schreibens Tolokonnikowas bringt die Welt.
USA – Geheimnisverrat: Ein Journalist und früherer FBI-Mitarbeiter hat sich nach Darstellung der FAZ (Andreas Ross) vor Gericht wegen der Weitergabe vertraulicher Informationen an eine Nachrichtenagentur für schuldig bekannt und einer Gefängnisstrafe von knapp vier Jahren zugestimmt. Die Informationen betrafen Erkenntnisse zu einer jemenitischen Terrorzelle.
Sonstiges
Landeswahlleiter: Lto.de (Claudia Kornmeier) befragt den hessischen Landeswahlleiter Wilhelm Kanther zu seinem Aufgabengebiet und seinen Erfahrungen mit dem neuen Wahlrecht. Größere Probleme seien bei der jüngsten Wahl nirgendwo aufgetreten, die leicht erhöhte Anzahl von Briefwählern ist nach Kanther auch nicht zwangsläufig auf die vereinfachten Voraussetzungen hierfür zurückzuführen.
Menschenrechtsschutz: Über eine prominent besetzte Tagung zum Thema der nationalen Durchsetzbarkeit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Zwecke höchstmöglichen Menschenrechtsschutzes schreibt der Rechtswissenschaftler Hauke Delfs (verfassungsblog.de).
Das Letzte zum Schluss
Schockwerbung: Über eine bestenfalls eigenwillige Methode der Mandantenwerbung schreibt Richter Hans-Otto Burschel (blog.beck.de). Ein nordrhein-westfälischer Anwalt bedruckte Kaffeetassen mit drei verschiedenen Motiven und bat die zuständige Kammer um Begutachtung der berufsrechtlichen Zulässigkeit. Unter anderem wurde eine Frau abgebildet, die sich offensichtlich in Selbsttötungsabsicht eine Pistole unters Kinn hält, versehen mit dem Text "Nicht verzagen, R. fragen" und den Kontaktdaten des Anwalts. Die Kammer erteilte den prompten Hinweis der Unvereinbarkeit derartiger Werbung, eine hiergegen eingereichte Klage beim Anwaltsgerichtshof NRW wurde als unzulässig abgewiesen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 25. September 2013: Diskussion um Sperrklausel – Visumspflicht für Türken – Haftbedingungen in Russland . In: Legal Tribune Online, 25.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9662/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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