Hessischer Landeswahlleiter im Gespräch: "Mit Pannen muss man umgehen können"

Interview mit Dr. Wilhelm Kanther

24.09.2013

Das vorläufige amtliche Wahlergebnis steht fest. Nun werden die Koalitionsgespräche beginnen. LTO blickt gemeinsam mit dem hessischen Landeswahlleiter Wilhelm Kanther zurück: Welche Pannen gab es, worüber haben sich Bürger beschwert und wie viel juristischen Sachverstand braucht es für die Organisation einer Wahl?

LTO: Herr Kanther, inwiefern unterscheidet sich Ihre Arbeit als Landeswahlleiter bei der Bundestagswahl von derjenigen des Bundeswahlleiters?

Kanther: Wir sind auf Landesebene dafür verantwortlich, dass die Wahl ordnungsgemäß durchgeführt wird. Wir haben von der Aufstellung der Wahlvorschläge bis zur Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses im Lande die maßgebliche Verantwortung im Land.

LTO: Entscheidet über die Auslegung und Umsetzung des (neuen) Wahlrechts der Bundeswahlleiter alleine oder sind Sie in diesen Prozess eingebunden?

Kanther: Das fällt auch in unsere Zuständigkeit. Die Organisation einer Wahl ist ja eine Umsetzung des Wahlrechts. Im Einzelfall findet da natürlich eine Auslegung statt, wenngleich die Vorschriften sehr formal sind und nur wenig Deutungsspielraum lassen.

"Zahl der Briefwähler ist leicht gestiegen"

LTO: Gab es durch das neue Wahlrecht Probleme?

Kanther: Zu 90 Prozent ist das Wahlrecht ja so geblieben, wie es vorher war. Geändert hat sich, dass es nun ein Rechtsmittel gegen die Nicht-Zulassung einer Partei gibt. Neben kleineren Sachen ging es dann letztlich noch um den Umgang mit Überhangmandaten. Aber dafür gibt es aufgrund des neuen Wahlrechts mathematische Formeln, die nun zur Zuteilung von Ausgleichsmandaten führen können und die nach der Wahl angewandt werden müssen. Das ist keine organisatorische Aufgabe. Nach der Pressemeldung des Bundeswahlleiters von heute gibt es vier Überhangmandate und 28 Ausgleichsmandate, die sich auf die Parteien verteilen.

LTO: Geändert hat sich für die Bundestagswahl auch, dass jetzt per Brief gewählt werden kann, ohne dass man dafür einen besonderen Grund angeben muss.

Kanther: Ja, das ist geändert und vom Bundesverfassungsgerichts auch bestätigt worden. In anderen Bundesländern war das schon länger so.

LTO: Haben deswegen jetzt mehr Bürger per Brief gewählt?

Kanther: Die Anzahl der Briefwähler ist zwar leicht gestiegen, aber ich denke nicht, dass das daran liegt. Die Zahlen steigen bereits seit Jahren. Außerdem wurden auch bisher nur sehr niedrige Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Gründe für eine Briefwahl gestellt.

"Juristischen Sachverstand braucht man schon"

LTO: Hilft es denn, wenn man als Landeswahlleiter Jurist ist?

Kanther: Ich denke, dass man nicht unbedingt Jurist sein muss. Im Rahmen der Organisation stellen sich aber natürlich immer wieder auch rechtliche Fragen, so dass juristischer Sachverstand von Zeit zu Zeit schon notwendig ist. Über den sollten zumindest einige Personen im Team verfügen.

LTO: Was für rechtliche Fragen stellen sich denn während der Organisation der Wahl?

Kanther: Es geht da um ganz konkrete Auslegungsfragen des Wahlrechts, zum Beispiel was den  Wahlvorgang selbst betrifft. Es kommt vor, dass die Wahlvorstände Fragen haben, etwa zur Ausfüllung von Stimmzetteln, oder zum Umgang mit organisatorischen Pannen. Man sollte sich vor allem in den Regelwerken auskennen und bezogen auf den jeweiligen Einzelfall zu einer zutreffenden rechtlichen Beurteilung kommen.

LTO: Ist es dieses Jahr bei Ihnen zu Pannen gekommen?

Kanther: In Kassel sind Stimmzettel vertauscht worden, was aber noch während der Wahl aufgefallen ist. Solche Dinge passieren. Damit muss man umgehen können. Unter Umständen können Wahlfehler bis vor das Bundesverfassungsgericht beziehungsweise den Staatsgerichtshof gebracht werden.

"Verstöße gegen das Wahlrecht sind sehr selten"

LTO: Was passiert nach der Wahl?

Kanther: Heute rufen vor allem Bürger an, die sich über ganz unterschiedliche Dinge beschweren. Manche vermuten unzulässige Kennzeichnungen auf ihren Stimmzetteln und befürchten, dass ihre Wahl nicht geheim gewesen ist. Oder es wird moniert, dass Plakate zu nah am Wahllokal hingen, dass der Zugang zum Wahllokal nicht behindertengerecht gewesen ist oder Stimmzettel an Menschen ausgehändigt wurden, die gar nicht wahlberechtigt sind. Für die meisten Dinge gibt es aber eine Erklärung. Verstöße gegen das Wahlrecht sind sehr selten.

LTO: Was muss sonst noch nach der Wahl gemacht werden?

Kanther: Die Wahlausschüsse müssen die endgültigen Ergebnisse feststellen. Das geschieht im Laufe der nächsten zwei Wochen.

LTO: Werden die Stimmen denn nochmal nachgezählt oder bleibt es bei der einmaligen Zählung durch die Wahlhelfer am Wahlabend?

Kanther: Die Wahlausschüsse zählen nur nach, wenn Bedenken gegen die Ordnungsmäßigkeit des Wahlgeschäfts bestehen, die auf anderem Wege nicht aufgeklärt werden können . Nur wegen eines knappen Ergebnisses darf nicht nachgezählt werden. Bei der Feststellung des endgültigen Ergebnisses kann es zum Beispiel um Zweifel an der Gültigkeit einer Stimme gehen. Auch rechnerische Berichtigungen können vorgenommen werden.

Daneben kann natürlich auch im Wahlprüfungsverfahren von den zuständigen Organen eine Nachzählung angeordnet werden.

"Wahlcomputer haben keine Priorität"

LTO: Sie sind erst seit April 2013 Wahlleiter. War die Vorbereitungszeit da nicht etwas knapp?

Kanther: Mein Vorgänger ist in den Ruhestand gegangen und das folgt nun mal nicht den Fristen einer Legislaturperiode. Die Hochphase der Wahlvorbereitung fing so im April/Mai an. Da konnte ich ganz gut einsteigen.

LTO: Haben Sie schon Verbesserungsvorschläge für die nächste Wahl?

Kanther: Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Wir müssen uns erst mit den Kreiswahlleitern austauschen. Bei der gemeinsamen Durchführung von Land- und Bundestagswahl ist zum Beispiel aufgefallen, dass ähnliche Vorgänge unterschiedlich geregelt sind. Wir müssen uns da mal genauer ansehen, ob die Wahlordnungen an diesen Stellen nicht angeglichen werden sollten.

LTO: Was halten Sie denn davon, wieder Wahlcomputer einzuführen?

Kanther: Die elektronischen Wahlgeräte, die damals auch in in Hessen verwendet worden sind, hatte das Bundesverfassungsgericht 2009 wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl abgelehnt. Man müsste sich jetzt also mal über den technischen Fortschritt informieren. Das Thema hat im Moment allerdings keine Priorität.

LTO: Vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Wilhelm Kanther ist seit April 2013 Landeswahlleiter in Hessen.

Das Interview führte Claudia Kornmeier.

Zitiervorschlag

Dr. Wilhelm Kanther, Hessischer Landeswahlleiter im Gespräch: "Mit Pannen muss man umgehen können" . In: Legal Tribune Online, 24.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9652/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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