Bei Geheimeinsätzen der Bundeswehr muss der Bundestag nicht mehr nachträglich zustimmen. Außerdem in der Presseschau: EuGH-Generalanwalt gegen Safe-Harbor-Beschluss und der BGH zu Unterhalt bei künstlicher Befruchtung.
Thema des Tages
BVerfG zu Bundeswehr und Parlamentsvorbehalt: Das Bundesverfassungsgericht konkretisiert die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für das Mitentscheidungsrecht des Bundestages über den Einsatz bewaffneter Soldaten im Ausland. Für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte gilt grundsätzlich der Parlamentsvorbehalt, ohne dass eine zusätzliche militärische Erheblichkeitsschwelle überschritten sein müsse, das heißt auch für Einsätze aus humanitären Gründen. Nur bei Gefahr im Verzug ist ausnahmsweise die Bundesregierung berechtigt, den Einsatz vorläufig alleine zu beschließen. Wenn der Einsatz bereits abgeschlossen ist, muss der Bundestag nun aber nicht mehr nachträglich zustimmen. Der Bundestag hat dann aber ein umfassendes Informationsrecht. Dem Fall lag ein Rettungseinsatz in Libyen im Februar 2011 zu Grunde. Darüber berichten unter anderem der Tsp (Ursula Knapp), die SZ (Wolfgang Janisch) und die FAZ (Helene Bubrowski). Die taz (Christian Rath) weist darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht damit "für heimliche Kommandoaktionen der Bundeswehr den Parlamentsvorbehalt faktisch ausgehebelt" habe.
Reinhard Müller (FAZ) meint, dass die Zustimmung in der Regel "ohnehin kein Problem" sei, da die Regierung sich ihren Mehrheitsverhältnissen sicher sein könne. Bislang habe "sich der Parlamentsvorbehalt auch nicht als Spaltpilz im Bündnis erwiesen; er darf eben nicht zur Gefahr werden." Der Anwalt Robert Glawe begrüßt auf lto.de das Urteil. Der Parlamentsvorbehalt werde zwar noch einmal ausführlich begründet, "einer extensiven parlamentarischen Anspruchshaltung" würden aber Grenzen gezogen. Durch die "alleinige Eilkompetenz" der Bundesregierung trage das Gericht dem Interesse der Soldaten Rechnung, auf Grund einer rechtlich verlässlichen (und nicht schwebend unwirksamen) Anordnung eingesetzt zu werden.
Rechtspolitik
Asylrecht: Die EU-Kommission hat zwei Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Die EU-Asyl-Verfahrensrichtlinie und die Aufnahme-Richtlinie seien noch nicht vollständig umgesetzt worden. Die Bundesregierung erklärte, sie stehe kurz vor der Umsetzung. Insgesamt hat die EU-Kommission 40 Verfahren gegen 19 Staaten eingeleitet, berichtet spiegel.de.
Konzernhaftung: Durch das geplante Rückbau- und Entsorgungskostennachhaftungsgesetz soll eine Konzernhaftung für Verbindlichkeiten aus Stilllegung, Rückbau und Entsorgung in Zusammenhang mit Kernkraftwerken begründet werden, meldet blog.beck.de (Philippe Rollin). Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie wolle dadurch verhindern, dass Konzerne durch Konzernabspaltungen sich ihrer Verbindlichkeiten entledigen könnten. "Neben dem unmittelbar als Zustandsstörer haftenden Eigentümer zieht [das geplante Gesetz] sämtliche 'herrschende Unternehmen' zur Haftung heran, und zwar alle zusammen als Gesamtschuldner."
Einwanderungsgesetz: Christian Bommarius (BerlZ) ist der Ansicht, dass das Grundrecht auf Asyl von der Politik "schamlos und beständig" missbraucht werde, denn diese habe sich über Jahrzehnte der Ansicht verschlossen, dass ein großer Teil, nicht als politisch Verfolgte, sondern als Armuts- und Umweltflüchtlinge kämen und "denen verweigert wird, was sie gar nicht verlangen. Sie suchen keine Zukunft, sondern eine neue Heimat", für sie sei nicht das Grundrecht auf Asyl anzuwenden, sondern Art.1: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Die Politik reagiere "hektisch und planlos" anstatt endlich ein Einwanderungsgesetz zu erarbeiten.
Erbschaftsteuer: In einem Gastkommentar kritisiert der FDP-Politiker Hermann Otto Solms im Handelsblatt die Erbschaftsteuerreform des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble und schlägt vier diskutable Neugestaltungen vor, die den Anforderungen an den Gleichheitsgrundsatz entsprächen und der Bedeutung der Familienunternehmen gerecht würden.
Prekäre Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie: Sämtliche in der Fleischindustrie Arbeitenden sollen sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden; diese von Bundeswirtschaftsminister Gabriel vorgelegte Selbstverpflichtung unterschrieben sechs führende Fleischwirtschaftsproduzenten. Im Herbst soll das Gesetz für Werkvertrags- und Leiharbeiter überarbeitet werden, mit der Hoffung, die prekären Arbeitsverhältnisse in der Fleischindustrie zu verbessern, so die Zeit (Anne Kunze).
Justiz
BVerfG zu Vermittlungsausschuss: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Jelena von Achenbach bespricht auf verfassungsblog.de das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur nicht erforderlichen Spiegelbildlichkeit des Parlaments in Arbeitsgruppen des Vermittlungsausschusses. "Das Demokratieprinzip gilt jedenfalls für das gesamte – auch das innere selbstorganisierte – Handeln der Verfassungsorgane im Gesetzgebungsvorgang, nicht nur für jenes, das verfassungsrechtlich konkret geregelt ist." Daraus ergebe sich auch die proportionale Besetzung von Arbeitsgruppen.
EuGH – Facebook: Die Safe-Harbor-Entscheidung der EU-Kommission für einen freien Datenverkehr in die USA, soll in dem Fall "Schrems gegen Facebook" aus Sicht des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs gegen die EU-Grundrechtecharta verstoßen. Facebook-Daten, die in die USA übertragen werden, seien dort nicht ausreichend gegen den Zugriff des US-Geheimdienstes geschützt. Die irische Datenschutzbehörde könne Facebook die Übertragung von Daten in die USA untersagen. Es berichten blog.beck.de (Axel Spies), internet-law.de (Thomas Stadler), die taz (Christian Rath) und tagesschau.de (Frank Bräutigam).
Wolfgang Janisch (SZ) sieht in dem Schlussantrag "ein starkes Signal", denn Europa sei ein Raum, der einer "mächtigen Allianz des koordinierten Datenmissbrauchs Paroli" bieten könne. Er fragt sich, ob der Safe-Harbor-Beschluss nichts als naive Gutgläubigkeit war.
BGH zu Vaterschaft bei künstlicher Befruchtung: Der Bundesgerichtshof hat nun entschieden, dass ein zeugungsunfähiger Mann, der die künstliche Befruchtung seiner Freundin akzeptiert und sich bereit erklärt hatte, für das Kind zu sorgen, dem Kind später auch Unterhalt zahlen muss, schreiben die SZ (Wolfgang Janisch) und die FAZ (Helene Bubrowski). Der Bundesgerichtshof folgt dabei dem Oberlandesgericht Stuttgart: "Bei der künstlichen Befruchtung handele es sich um die Übernahme der Elternschaft kraft Willensakt." Das OLG stützte sich auf den 2002 reformierten § 1600 des Bürgerlichen Gesetzbuches.
BGH zu Abbruch bei Ebay-Auktionen: Wer auf Ebay einen Gegenstand versteigert, darf unter bestimmten Voraussetzungen die Gebote der potentiellen Käufer streichen. Dies könne, neben den in den Ebay-Bedingungen ausdrücklich genannten Gründen auch dann in Betracht kommen, wenn gewichtige Umstände vorliegen. Eine gefühlte "Unseriösität"' des Käufers reiche nicht. Der Bundesgerichtshof hat dadurch seine Rechtsprechung zum Abbruch von Ebay-Auktionen präzisiert, meldet lto.de (Pia Lorenz).
Joachim Jahn (FAZ) weist darauf hin, dass Ebay "kein bloßer Freizeitspaß" sei, man mache sich im Zweifel auch schadensersatzpflichtig.
BGH zur Marke "Goldbären": In dem Streit des Goldbären-Produzent Haribo gegen Lindt hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Wortmarke "Goldbären" von Haribo nicht verletzt ist und Lindt weiterhin goldene Schokoladenbären verkaufen darf, da man den Lindt-Teddy als Goldbären bezeichnen könne, aber nicht müsse. Genauso gut passe "Schokoladen-Bär" oder "Schokoladen-Teddy". Aus Verbrauchersicht ist bei der Wortmarke demnach eine Verwechslungsgefahr nicht gegeben. Dies berichten süddeutsche.de (Stephan Radomsky) und das Handelsblatt (Holger Alich/Christoph Kapalschinski).
BGH zu Farbmarke Rot bei Banken: In dem Streit zwischen den Sparkassen und dem Bankkonzern Santander wegen Verletzung der Farbmarke Rot in ihrem jeweiligen Marktauftritt, verweist der Bundesgerichtshof den Fall an das Oberlandesgericht Hamburg zurück. Die Sparkassen wollen Santander verbieten, die Farbe rot auf dem deutschen Markt zu verwenden. 2007 hatten die Sparkassen "ihr" Rot (HKS 13) als Marke beim Patentamt eintragen lassen. Der BGH hält Ansprüche der Sparkassen für möglich. Tsp (Ursula Knapp) berichtet (auch zu Haribo).
BFH zu Verkauf von Privatsammlungen: Im Verkauf von Privatsammlungen liegt grundsätzlich keine unternehmerische Tätigkeit, so dass keine Umsatzsteuer zu zahlen ist. Der Einwand, die 140 Pelzmäntel – planmäßig und mit erheblichen Organisationsaufwand verkauft - seien alle aus der "Sammlung der Schwiegermutter," wollte der Bundesfinanzhof der Klägerin aber nicht glauben. Bei dem Verkauf von Pelzmänteln unterschiedlicher Größen, Marken und Pelzarten sei kein einheitliches Sammelthema wie bei Briefmarken und Münzen ersichtlich; es handele sich um Gebrauchsgegenstände. Über den Fall berichtet lto.de.
VGH Hessen zu Abstand von Windrädern: Windräder dürften auch weiterhin in Hessen nicht näher als 1.000 Metern zu Siedlungen gebaut werden, bestätigte nun der hessische Verwaltungsgerichtshof die Vorinstanz, wie die Welt meldet. Zwar könnten aus Lärmschutzgründen 500 bis 600 Meter ausreichend sein, es sei aber der Landesplanung erlaubt, einen höheren Wert festzusetzen, um so auch andere Faktoren wie Lichtreflexe oder Schattenwurf zu berücksichtigen, eine Verhinderungsplanung liege dadurch nicht vor.
OLG Stuttgart zu Scala-Verträgen: Das Oberlandesgericht Stuttgart hat nun entschieden, dass die Sparkasse Ulm die so genannten Scala-Verträge, welche relativ hohe Zinsen und lange Laufzeiten haben, nicht vorzeitig kündigen dürfe. Das Handelsblatt (Elisabeth Atzler/Anke Rezmer) stellt den Fall vor.
Elisabeth Atzler (Handelsblatt) findet das Urteil richtig , denn der Kunde sei gegenüber der Bank in einer schwächeren Position und müsse deshalb mehr geschützt werden. Allein das "Leiden" der Bank angesichts der Minizinsen im Euroraum dürfe kein hinreichender Grund sein, die Gültigkeit von Verträgen mit langen Laufzeiten in Frage zu stellen. Die Bank habe die Risiken selbst "nicht existenzgefährdend" eingestuft.
OLG München – NSU-Prozess: Auf Gegenständen aus den Resten der ausgebrannten Wohnung des NSU-Trios in Zwickau finden sich laut Aussage eines BKA-Gutachters DNA-Spuren der Hauptangeklagten Beate Zschäpe, meldet die taz. Tiefere Einblicke in die Spurenanalyse des Gutachters gewährt zeit.de (Tom Sundermann).
VW: Volkswagen wird in dem "Abgasskandal" in den kommenden Jahren mit verschiedenen Anklagen und Verfahren in den USA und Deutschland zu rechnen haben: So könne die US-amerikanische Bundesumweltbehörde bis zu 37.500 Dollar Strafe pro beanstandetem Auto verhängen; was insgesamt eine Summe von 18 Milliarden Dollar ergäbe. Mehrere Anwaltskanzleien haben Class-Action-Klagen erhoben, mit dem Ziel Schadensersatz für betrogene VW-Diesel-Fahrer zu fordern, sowie Sammelklagen der Verbraucher. In Braunschweig eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren. Dies meldet die Welt (Clemens Wergin).
Daneben ist gegen VW in Brasilien eine Zivilklage wegen seines Verhaltens während der Militärdiktatur eingereicht worden. Der Konzern habe während der Diktatur von 1964 bis 1985 die illegale Festnahme und Folter von Arbeitnehmern hingenommen, meldet die taz (Kai Schöneberg).
Heribert Prantl (SZ) wird es schwindlig bei den Nachrichten und schlecht angesichts der Folgen. Ein "Höllensturz" vergleichbarer Art habe es kaum je gegeben. Zu ermitteln sei "ein besonders schwerer Fall des fortgesetzten Betrugs"; in Deutschland mit Gefängnisstrafe bis zu 10 Jahren bedroht.
Recht in der Welt
USA - "Happy Birthday": Die Warner Music Group zog zu Unrecht jahrzehntelang Lizenzgebühren für das Geburtstagsständchen "Happy Birthday" ein. Die Lizenz beziehe sich nur auf ein bestimmtes Piano-Arrangement, nicht auf das Lied als Ganzes. Dies hat nun ein Gericht in Los Angeles entschieden, melden spiegel.de und lto.de.
Frankreich - Uber: Die Vermittlung von privaten Fahrern zum Transport von Personen ist illegal, dies hat das französische Verfassungsgericht entschieden, schreibt die taz (Rudolf Balmer). Uber ist mit ihrer Argumentation, dass ein Verbot ihrer Vermittlungstätigkeit automatisch verheerende Folgen für andere Beförderungsangebote, wie Carsharing und Limousinen Angebote habe, nicht durchgedrungen. Vielmehr sind diese Transportmöglichkeiten wie die Taxibranche klar gesetzlich geregelt, begründet das Gericht seine Entscheidung.
UN-Menschenrechtsrat - Saudi Arabien: Der Saudische Botschafter Faisal bin Hassan Trad ließ sich in Genf zum Vorsitzenden einer Beratergruppe des UN-Menschenrechtsrats wählen – laut der Nichtregierungsorganisation UN-Watch, eine der wichtigsten Gruppen des Menschenrechtsrats. Ihr Geschäftsführer Hillel Neuer "hält dies für skandalös." So z.B. habe Saudi-Arabien in diesem Jahr mehr Menschen geköpft, als der "Islamische Staat". Die Zeit (Katharina Kühn) schreibt darüber.
Frankreich – IWF-Chefin: Die Pariser Staatsanwaltschaft hat die Einstellung des Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der Affäre um den Unternehmer Bernard Tapie gegen die IWF-Chefin und frühere französische Finanzministerin Christine Lagarde angeregt, meldet spiegel.de. In Frage stehe ihre Rolle bei der Entscheidung der Regierung, Tapie einen Schadensersatz in Millionenhöhe zu zahlen. Der Vorwurf lautete auf Vernachlässigung ihrer Amtspflichten als Finanzministerin.
Sonstiges
Netzpolitik-Affäre: In der Anhörung vor dem Untersuchungsausschuss zur Netzpolitik-Affäre verteidigt der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen seine Entscheidung, nach der Veröffentlichung vertraulicher Dokumente Anzeige zu erstatten. Maaßen kritisiert, dass die Landesverratsaffäre zu einer "Umwertung der Werte" geführt habe, so netzpolitik.org (Thomas Rudl). Innenminister de Maizière erschien erst gar nicht.
Das Letzte zum Schluss
Plötzlich Dieb: Ein Mann in Bayern ist unbeabsichtigt zum Autodieb geworden. Am Dienstagmorgen ist der Mann nach dem Brötchenholen nicht in sein eigenes Auto, sondern in einen identisch aussehenden Wagen gestiegen und davon gefahren. Die beiden grauen Autos der selben Marke waren nebeneinander geparkt, nicht abgeschlossen und in dem "Diebesgut" ließ der Eigentümer den Schlüssel zurück, so dass nur der Startknopf gedrückt werden musste, meldet motortalk.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ps
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage
Die juristische Presseschau vom 24. September 2015: Bewaffneter Einsatz ohne Parlament – USA ist kein sicherer Hafen - Unterhalt trotz Unfruchtbarkeit . In: Legal Tribune Online, 24.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16995/ (abgerufen am: 18.05.2024 )
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