Ein weiterer Schauprozess in Ägypten endet mit drastischen Strafen für Journalisten. Außerdem in der Presseschau: EU gegen Vorratsdatenspeicherung, Mietpreisbremse ausgebremst, Rockveranstalter vor Gericht, Verhandlungsbeginn im Stuttgart-21-Verfahren, neue Arbeit für Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und modische Innovation für Fachanwälte.
Thema des Tages
Journalisten verurteilt: Nach einem weltweit verfolgten Prozess hat ein ägyptisches Gericht drei für den Fernsehsender Al Jazeera tätige Journalisten wegen "Verbreitung falscher Informationen und Unterstützung der verbotenen Muslimbrüderschaft" zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Das gleiche Urteil ereilte Berufskollegen, gegen die in Abwesenheit verhandelt wurde.
Die Berichte von SZ (Sonja Zekri), FAZ (Markus Bickel) und taz (Karim El-Gawhary) sind sich einig darüber, dass es der Anklage nicht gelungen sei, überzeugende Beweise für subversive Tätigkeiten der nach dem Ort ihrer Festnahme "Marriott-Zelle" benannten Gruppe von Reportern nachgewiesen zu haben. Stattdessen sei das Urteil als Warnung vor unabhängigem Journalismus und gleichzeitig als Retourkutsche gegen die katarische Herrscherfamilie als Hauptgeldgeber des Fernsehsenders zu verstehen. Katar hatte die gestürzte Muslimbrüderschaft unterstützt.
Der Bericht von spiegel.de (Ulrike Putz) äußert die Vermutung, dass zumindest der australische Verurteilte durch den Druck seiner Regierung in absehbarer Zeit freikommen könnte.
Thomas Avenarius (SZ) kommentiert, dass es schwerfalle, "Ägyptens Justiz nach diesem Urteil noch als unabhängig zu bezeichnen". Das Urteil sei aber mehr als skandalös, es bringe vielmehr "den Umgang des neuen Ägyptens mit der Pressefreiheit" zum Ausdruck. Dem Ausland signalisiere die Entscheidung eine Gleichgültigkeit darüber, "wie die Außenwelt auf einen so groben Verstoß gegen die nationale und internationale Rechtskultur reagiert". Dieser Verfall betreffe nicht nur Journalisten. Seit dem Sturz Mursis habe das neue Regime bis zu 40.000 Häftlinge unter zum Teil hanebüchenen Vorwürfen produziert. Ohne die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit könnten diese sich nicht mehr auf eine unabhängige Justiz verlassen, in Ägypten sei diese "nicht unparteiisch, sondern auf erschreckende Weise politisiert".
Rechtspolitik
Bloßstellende Fotos: Der von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) im Zuge des Edathy-Skandals vorgestellter Gesetzentwurf sieht neben der Verschärfung von Strafbestimmungen zur Kinderpornographie auch die Strafbarkeit der Herstellung, Verbreitung und Veröffentlichung solcher Bilder vor, die ohne Kenntnis der – auch erwachsenen - Betroffenen angefertigt wurden und diese bloßstellend abbilden. Rechtsanwalt Niklas Haberkamm befasst sich für lto.de mit diesem Aspekt des Entwurfes und stellt neben der verwendeten Begrifflichkeit vor allem das Regelungsbedürfnis in Frage. Bereits jetzt verbiete § 201a StGB die unbefugte Anfertigung von Bildern im höchstpersönlichen Lebensbereich des jeweils Betroffenen. Gegen die Veröffentlichung schützten zudem Bestimmungen des Kunsturhebergesetzes.
Freihandelsabkommen: Netzpolitik.org (Matthias Monroy) berichtet über ein für diese Woche terminiertes Treffen europäischer und US-amerikanischer Justiz- und Innenminister in Athen. Es sei damit zu rechnen, dass unter Beteiligung u.a. der EU-Justiz-Kommissarin Viviane Reding und des US-amerikanischen Generalbundesanwalts Eric Holder über das transatlantische Freihandelsabkommen, nicht jedoch über die Auswirkungen der NSA-Affäre verhandelt werde. Der Beitrag stellt zudem weitere Kooperationen zwischen EU und USA vor.
Helene Bubrowski (FAZ) hält das Handelsabkommen "nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht" für wichtig. Es könne eine "Rückbesinnung auf gemeinsame Werte und gemeinsame Interessen" dies- und jenseits des Atlantiks bewirken und Diskussionen über Unterschiede befördern. Eine an den Fakten und auch den Interessen von Verbrauchern vorbeigehende Generalkritik an der Freihandelsvereinbarung sei demgegenüber als "Zeichen eines erstarkten Antiamerikanismus" zu werten.
Regierungsvorhaben und WM: Die taz (Ulrich Schulte) untersucht die These, die Regierungskoalition nutze die allgemeine Fußballbegeisterung während der Weltmeisterschaft dazu, unpopuläre Maßnahmen unbemerkt zu beschließen. Anhand mehrerer Beispiele kommt der Beitrag zu der Erkenntnis, diese Annahme sei "Unfug".
Vorratsdatenspeicherung: Der juristische Dienst des EU-Rates geht davon aus, dass eine "allgemeine, voraussetzungslose" Datenspeicherung nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom April nicht mehr möglich ist, schreibt fr-online.de (Mira Gajevic) unter Berufung auf Informationen des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung.
Datenschützer: Jan Heidtmann (SZ) stellt in Abrede, dass sich ausgerechnet Bundesinnenminister Thomas de Maiziére (CDU) als "oberster Datenschützer" eignet. Der Minister sei zwar "recht überzeugend" in seinen Rollen als Geheimdienst-, Spionageabwehr- und Polizeiminister, als Datenschutzminister habe er bislang jedoch nur bewiesen, dass ihm die Rechte der Bürger weniger wichtig seien als ein gutes Verhältnis zu den USA. Dagegen wäre ein "überzeugender Gesetzentwurf" zum Datenschutz wichtig, um endlich "Normalität nach Snowden herzustellen".
E-Zigaretten: Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) plant ebenso wie Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU), die Abgabe sogenannter elektronischer Zigaretten an Kinder und Jugendliche zu verbieten. Hierfür solle das Jugendschutzgesetz ergänzt werden, berichtet die SZ (C. von Bullion/C. Schrader). Matthias Drobinski (SZ) fragt, ob angesichts der von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ausgemachten "möglichen Gesundheitsgefahren" des elektronischen Rauchs ein Verbot die adäquate Antwort ist.
Rente: Dass bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung einer Rente mit 63 den Versicherungsträgern zahlreiche Anträge vorliegen, ist für Heike Göbel (FAZ) ein "weiterer Beleg für die Fähigkeiten der Bürger, für sich das Beste aus dem Sozialstaatsangebot herauszuholen". Die geplante Neuregelung beweise, dass Deutschland "beim Ausbau der sozialen Sicherung" zunehmend jene begünstige, die es eigentlich nicht nötig hätten.
Mietpreisbremse: Die von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) angestoßene, gesetzliche Mietpreisbremse stößt nach einem Bericht der FAZ (Joachim Jahn) nun auch in der Regierungskoalition auf Widerstand und dürfte kaum vor Sommer kommenden Jahres in Kraft treten. Während ein zitierter CDU-Abgeordneter eine zeitliche Befristung der Neuregelung und die Verknüpfung mit einem qualifizierten Mietspiegel fordere, habe auch das SPD-geführte Justizministerium Nordrhein-Westfalens einen Bericht zusammengestellt, der "vielfache Bedenken", etwa von Präsidenten mehrerer Oberlandesgerichte zusammenfasse. Nach diesen sei die Verfassungsmäßigkeit des Vorhabens wegen eines Eingriffs in das Eigentumsrecht von Immobilieneigentümern zweifelhaft.
Justiz
EuGH zu Sparkassen-Rot: Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs muss die erforderliche Unterscheidungskraft einer abstrakten Farbmarke bereits vor Anmeldung der Marke erworben sein. Auszüge aus der Entscheidung zu dem vom Bundespatentgericht vorgelegten Rechtsstreit veröffentlicht markenrechteblog.de (Horak Rechtsanwälte). Die Hintergründe des Falls erläutert Catrin Bialek (Handelsblatt) im Leitartikel der Zeitung: Die deutschen Sparkassen hätten sich gegen eine Verwendung des Rot-Tons "HKS 13" durch die spanische Santander-Bank gewandt. Nach dem jetzigen "salomonischen Urteil" könnten sie zwar die begehrte Farbe schützen lassen, müssten aber auch belegen, dass die Mehrheit der Verbraucher eben diese Schattierung im Finanzsektor als Kennzeichen der Sparkasse versteht. Der Streit beweise die Bedeutung einer auch farblich gestalteten Corporate Identity. Dem auch rechtlichen Beharren auf dieser müsse aber Einhalt geboten werden, wenn es nicht um geistige Kreativleistungen, sondern "pures Dominanzgebahren" gehe.
BSG zur Rentenversicherungspflicht: Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts vom April lehnt die Deutsche Rentenversicherung (DRV) die Anträge von Unternehmensjuristen auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht unter Hinweis auf gesicherte Rechtsprechung "ohne Ausnahme" ab, schreibt das Handelsblatt (Wolf Albin). Ob das Urteil dagegen auch auf in Kanzleien angestellte Anwälte anwendbar ist, sei ebenso fraglich wie seine Auswirkungen auf die Versicherungspflicht anderer Freiberufler.
LG Koblenz – Rock am Ring: Vor dem Landgericht Koblenz wurde über eine einstweilige Verfügung verhandelt, mit der die insolvente Nürburgring GmbH dem Konzertveranstalter Marek Lieberberg die Weiterverwendung des Veranstaltungs-Namens "Rock am Ring" verbieten will. Nach Einschätzung der Richterin sei dieser Name als Werktitel zu behandeln, berichtet die FAZ (Timo Frasch). Obwohl die Idee zur Veranstaltung unstreitig von dem Konzertveranstalter stamme, könne die klagende GmbH sich auf einen Anteil an der Umsetzung dieser Idee und damit auch an dem Namen berufen. Eine Entscheidung sei für die kommende Woche angesetzt.
LG Stuttgart – Stuttgart 21: Vor dem Landgericht Stuttgart müssen sich zwei Polizisten wegen eines Wasserwerfer-Einsatzes während der Proteste gegen das Großprojekt Stuttgart 21 verantworten. Die wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt Angeklagten waren im September 2010 als Einsatzabschnittsleiter tätig, schreibt die taz (Lena Müssigmann) in ihrem Bericht über den Prozessauftakt. Ihnen werde vorgeworfen, Maßgaben zum Einsatz der Wasserwerfer nicht korrekt weitergegeben und den erfolgten Abschuss in Kopfhöhe der Demonstranten nicht unterbunden zu haben. In einem weiteren Beitrag interviewt die taz (Lena Müssigmann) einen der bei dem Einsatz Verletzten und jetzigen Nebenkläger.
AG Coburg – Abi-Noten: Das Amtsgericht Coburg hat den Direktor eines renommierten Gymnasiums der Stadt wegen Falschbeurkundung im Amt zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Pädagogen habe die Deutschnoten eines gesamten Abitur-Jahrgangs eigenmächtig um einen Punkt nach oben korrigiert, schreibt die SZ (Katja Auer, erweiterte Online-Version). Ihm sei es nach Ansicht des Gerichts hierbei aber nicht um die vermeintlich schlechten Schüler, sondern um den Ruf seiner Schule gegangen.
StA Köln – Josef Esch: Die Staatsanwaltschaft Köln hat gegen Josef Esch eine Anklage erhoben wegen Immobiliengeschäften, bei denen er die Stadtsparkasse Köln/Bonn um rund 90 Millionen Euro geschädigt haben soll. Dies berichtet die FAZ (Joachim Jahn) unter Berufung auf den Focus. Gegen Esch wird derzeit außerdem vor dem Landgericht Köln wegen des Zusammenbruchs der Privatbank Sal. Oppenheim verhandelt.
Recht in der Welt
IStGH – Darfur: Fatou Bensouda, Chefanklägerin am Internationalen Gerichtshof (IStGH) in Den Haag/Niederlande, hat vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen "gründliche und öffentliche" Ermittlungen in eigener Sache gefordert. UN-interne Dokumente hätten belegt, dass im Rahmen der Unamid-Mission von UN-Blauhelmen in Darfur bewusst Informationen über Menschenrechtsverletzungen sudanesischer Regierungstruppen unterdrückt worden seien. Ob der IStGH in der Angelegenheit eigene Ermittlungen aufnehmen wird, dürfte von der Entscheidung der USA als größtem Geldgeber der Mission abhängen, schreibt die SZ (Ronen Steinke).
Spanien – Cristina: Die Schwester des neuen spanischen Königs Felipe VI., Cristina, soll bei dem gegen ihren Ehemann geplanten Korruptionsprozess als Mitwisserin angeklagt werden, berichtet die SZ (Thomas Urban). Eine Protokolländerung des Königshauses signalisiere zudem abnehmende Unterstützung für die Infantin: Mit dem Amtsantritt Felipes definiere sich das Königshaus ab sofort nur noch über die Eltern, die Ehefrau und die Kinder des neuen Monarchen.
Argentinien – Schulden: Die FAZ (Patrick Welter) berichtet über Reaktionen zur Entscheidung des Obersten Gerichts der USA aus der letzten Woche, nach der Argentinien die Forderungen von Gläubigern bedienen muss. Die Stärkung der Rechte privater Gläubiger beweise sich in der jetzigen Bereitschaft des Landes, mit den klagenden Hedgefonds zu verhandeln. Andererseits befürchte der Internationale Währungsfond "systemische Auswirkungen," weil nun die Umschuldung von Staaten erschwert werde. Argentinien drohe derweil weiteres Ungemach: Vor einem internationalen Schiedsgericht werde demnächst über eine Massenklage von 60.000 italienischen Anlegern entschieden.
Sonstiges
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Die Welt (Thorsten Jungholt) schreibt über die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die am Dienstag für das Amt der Generalsekretärin des Europarates kandidiert.
Engagement I: In einer Seite Drei-Reportage berichtet die SZ (Rudolf Neumaier) über Johannes Heibel. Der Vorsitzende der Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen bemühe sich um die Beratung von Opfern, verfolge pädophile Straftäter und mahne Versäumnisse der Staatsanwaltschaften und anderer Behörden mit dem Furor einer "kolossalen Nervensäge" an.
Engagement II: Die taz (Tobias Schulze) stellt die "Ein-Mann-Lobby" Horst Glanzer vor. Der pensionierte Polizist habe nach einer schweren Erkrankung durch hartnäckige Anrufe bei Politikern erreicht, dass Krankenkassen kurzfristiger über Behandlungs-Anträge entscheiden müssen. Auch eine Änderung der zivilprozessualen Bestimmungen zur Ablehnung von Berufungsanträgen sei entscheidend auf den Einsatz Glanzers zurückzuführen.
Lebensversicherungen: Vor der möglichen Verabschiedung eines Lebensversicherungsreformgesetzes könnten Kunden, die ihre Verträge kurzfristig kündigen, noch Tausende Euro sparen, schreibt die SZ (Herbert Fromme). Geplant sei, die Beteiligung ausscheidender Kunden an den Bewertungsreserven der Versicherer zu streichen. Gleichzeitig sei aber auch fraglich, ob eine Kündigung bis Ende Juni mit Wirkung Ende Juli noch rechtzeitig sei. Es werde allgemein erwartet, dass im Juli bereits das neue Recht gelte. Die "Tücken und Risiken" vorschneller Kündigungen stellt die FAZ (Manfred Schäfers) in den Mittelpunkt ihres Berichts.
Das Letzte zum Schluss
Fachanwaltsrobe: Die Robe gehört für Anwälte nicht nur zum guten Ton, abhängig von Instanz und Rechtsgebiet kann sie auch pflichtgemäße Arbeitsbekleidung darstellen. Auch Udo Vetter (lawblog.de) greift nun das neue Angebot einer Gewandmeisterei auf: die Fachanwaltsrobe. Deren Clou: der Fachanwaltstitel ist am Ärmel aufgenäht.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 24. Juni 2014: Ägypten verurteilt Journalisten - Wem gehört Rock am Ring? - Nachspiel zu Stuttgart 21 . In: Legal Tribune Online, 24.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12320/ (abgerufen am: 15.05.2024 )
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