Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist wohl nicht für das türkische Referendum zuständig. Außerdem in der Presseschau: Anschlag auf BVB-Bus hatte ein finanzielles Motiv und BAG kann nicht über Arbeitnehmer-Datenschutz urteilen.
Thema des Tages
Türkei – Verfassungsreferendum: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat keine Zuständigkeit, das türkische Verfassungsreferendum zu prüfen. Zu diesem Schluss kommt Rechtsprofessor Marten Breuer auf verfassungsblog.de. Artikel 3 des ersten EMRK-Zusatzprotokolls schütze nur das Recht auf freie Wahlen zu gesetzgebenden Versammlungen. Ein Referendum sei von dieser Vorschrift nicht erfasst, dies habe der Gerichtshof bereits entschieden.
Die türkische Oppositionspartei CHP hat zunächst beim Staatsrat, dem höchsten türkischen Verwaltungsgericht, Beschwerde dagegen eingereicht, dass die türkische Wahlbehörde den Antrag auf Annullierung des Referendums abgelehnt hat. Das meldet zeit.de.
Rechtspolitik
Eröffnung des Bundestags: Bundestagsjuristen zweifeln, ob sich per Änderung der Geschäftsordnung verhindern ließe, dass ein AfD-Politiker als ältester Abgeordneter die kommende Legislaturperiode eröffnet. Denn die Geschäftsordnung werde in jeder Wahlperiode neu beschlossen und zwar erst nach der Antrittsrede des Alterspräsidenten, berichtet die Samstags-SZ (Stefan Braun).
Videos im Internet: Das Europaparlament diskutiert derzeit den Kommissionsvorschlag für eine Überarbeitung der EU-Richtlinie über audiovisuelle Medien. Dabei sollen vor allem Video-Plattformen neu reguliert werden. Der Netz-Aktivist Joe McNamee kritisiert auf verfassungsblog.de, dass Plattformbetreiber gezwungen werden sollen, auch legale Inhalte zu löschen, weil sie die sittliche Entwicklung der Jugend gefährdeten oder zum Hass gegen Andersdenkende aufstachelten.
Justiz
BGH – BVB-Bus: Der Anschlag auf den Bus von Borussia Dortmund ist weitgehend aufgeklärt. Ein 28-jähriger Deutsch-Russe wurde als Attentäter verhaftet. Er soll mit dem Anschlag versucht haben, Teile der Mannschaft zu töten, um so einen Einbruch des Börsenkurses des Vereins auszulösen, worauf er gewettet hatte. Der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof hat Haftbefehl erlassen. Über das bizarre Verbrechen berichten Samstags-FAZ (Rüdiger Soldt/Reiner Burger) und Samstags-taz (Christian Rath).
Der mutmaßliche Täter Sergej W. wird portraitiert von FAS (Reiner Burger/Rüdiger Soldt) und bild.de (S.Baumann u.a.). Wie W. mit Hilfe von Put-Optionsscheinen das große Geld machen wollte, wird erklärt von Samstags-SZ (Alexander Hagelüken) und spiegel.de (Jörg Diehl u.a.).
BVerfG zu Beleidigung: Das Bundesverfassungsgericht hat laut lto.de eine Beschwerde des NPD-Politikers David Petereit abgelehnt. Petereit war wegen Beleidigung verurteilt worden, weil er das Foto eines Schildes aus dem Dorf Jamel verbreitete, auf dem zwei dort lebende Antifaschisten als "faul und dreist" bezeichnet wurden. Hier gehe es nicht mehr um eine inhaltliche Auseinandersetzung, so Karlsruhe.
BVerfG zu Volksverhetzung: Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht laut lto.de der Verfassungsbeschwerde eines rechten Publizisten stattgegeben. Der Mann war wegen Beihilfe zur Volksverhetzung verurteilt worden, nachdem er einen Text auf seiner Webseite veröffentlicht hatte, in dem es hieß, dass seit 1944 keine Juden mehr nach Auschwitz verschleppt worden seien. Die Strafgerichte gingen davon aus, dass das gesamte Jahr 1944 gemeint war und stuften dies als Leugnung von NS-Verbrechen ein. Die Verfassungsrichter hielten es aber auch für möglich, das "zuletzt 1944" gemeint war.
VerfGH Sachsen – Wahlprüfung: Der AfD-Polikter Arvid Samtleben klagt beim Verfassungsgerichtshof Sachsen gegen seine nicht legitimierte Streichung von der AfD-Wahlliste für die Landtagswahl 2014. Da der Wahlprüfungsausschuss des Landtags eine Beschwerde Samtlebens seit 30 Monaten ergebnislos prüft, ging er nun direkt zum Landesverfassungsgericht, meldet der Spiegel (Melanie Amann).
OLG Braunschweig zu Leihmutterschaft: Nun berichtet auch die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch) über eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig. Dort war einem deutschen Ehepaar die Elternschaft für das von einer US-Leihmutter ausgetragene Kind verwehrt worden. Das Ehepaar habe das deutsche Verbot der Leihmutterschaft umgangen. Allerdings habe der BGH in solchen Fällen bereits die Elternschaft anerkannt.
SG Berlin-Brandenburg zu Pharmapreisen: Das Sozialgericht Berlin-Brandenburg hat in einer Eilentscheidung beanstandet, dass für Medikamente, die nur bei einem Teil der Patienten einen Zusatznutzen haben, ein Mischpreis gebildet werden kann. Das Gericht verlangt, dass nur dort ein gegenüber Alternativtherapien höherer Preis verlangt werden kann, wo konkret ein zusätzlicher Nutzen besteht, so die Montags-FAZ (Andreas Mihm).
LG Hannover – Waffen und Bestechung: Nun berichtet auch der Spiegel (Julia Jüttner) über einen Prozess vor dem Landgericht Hannover. Angeklagt ist der Ehrenpräsident eines Schützenvereins aus Hameln, der mit anderen Funktionären gegen Geld Sachkundeausweise erteilte, ohne die Kandidaten richtig zu prüfen. Die Anklage lautet auf besonders schwere Bestechlichkeit. Fraglich ist, ob der Funktionär eines Schützenvereins "Amtsträger" ist.
BAG – Arbeitnehmer-Datenschutz: Rechtsprofessor Michael Fuhlrott stellt auf lto.de ein Verfahren vor, das vom Bundesarbeitsgericht in der kommenden Woche hätte entschieden werden sollen. Einem Arbeitnehmer war fristlos gekündigt worden, nachdem eine Prüfung seines dienstlichen Computers ergab, dass er bis zu 45 Stunden pro Monat privat im Internet surfte. Der Mann hielt die Verwertung dieser Information für unzulässig, weil sein Computer unzulässigerweise kontrolliert worden sei. Ein BAG-Urteil wird es nicht geben, weil die Parteien kurzfristig einen Vergleich geschlossen haben.
BAW – Taliban: Tausende von afghanischen Asylsuchenden haben erklärt, früher bei den Taliban gewesen zu sein. Dies kann ihnen im Asylverfahren nützen, weil sie bei einer Rückkehr mit der Todesstrafe rechnen müssen. In Deutschland kann das aber strafrechtliche Ermittlungen auslösen, weil die Taliban als Terrororganisation gelten. Die Bundesanwaltschaft hat nun entschieden, dass sie sich nur um Fälle kümmern will, bei denen es um Mord und Kriegsverbrechen geht, berichtet der Spiegel (Jörg Diehl u.a.).
Monika Weimar: lto.de (Martin Rath) stellt eine aktuelle Dokumentation über den Fall von Monika Weimar vor, die 1986 ihre beiden Kinder getötet haben soll.
Frauen in der Justiz: Die Montags-SZ (Rolf Lamprecht) bespricht das Buch "Ende der Wahrheitssuche" von Joachim Wagner und stellt dabei die "Eroberung der Justiz durch die Frauen" in den Mittelpunkt. Diese seien zwar effizient und hätten das Gesprächsklima verbessert, betrachteten die Richtertätigkeit aber oft nur als "Zweitberuf" neben ihrer Rolle in der Familie.
Recht in der Welt
Irak – Mossul: Der Spiegel (Katrin Kuntz) schildert die Tätigkeit zweier Richter, die in der Nähe der bereits teilweise vom IS befreiten Stadt Mossul arbeiten. Der eine nimmt Aussagen von gefangenen IS-Kämpfern auf, der andere protokolliert die Ansprüche von IS-Opfern. Beide wirkten überfordert und nicht sehr motiviert. Die Verfahren verfehlten rechtsstaatliche Standards bei weitem.
Russland – Zeugen Jehovas: Nun berichtete auch die Samstags-SZ (Julian Hans) über die Entscheidung des Obersten Gerichts Russlands, die Zeugen Jehovas zu verbieten.
IGH – Russland/Ukraine: Die Samstags-FAZ (Konrad Schuller) analysiert die Eil-Anordnung des Internationalen Gerichtshofs, Russland möge auf der besetzten Krim-Halbinsel die Rechte der Krim-Tataren und der Ukrainer beachten.
Juristische Ausbildung
VGH Kassel – Kopftuch im Referendariat: Die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) hat Rechtsmittel gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt/Main eingelegt. Dort wurde einer Rechtsreferendarin erlaubt, ihr Kopftuch auch im Gerichtssaal zu tragen. Wer im Namen des Volkes agieren wolle, dürfe "eben auch visuell keine Befangenheit ausstrahlen“, erklärte die Ministerin laut Samstags-FAZ (Reinhard Müller).
Legal Tech: Der Doktorand Daniel Mattig und der wissenschaftliche Mitarbeiter Nico Kuhlmann kritisieren auf lto.de, dass Legal Tech in der juristischen Ausbildung noch kaum eine Rolle spiele. Denkbar wären Seminare oder die Einführung eines Wahlfachs.
Sonstiges
Kriminalstatistik: In der polizeilichen Kriminalstatistik hat die Zahl der ausländischen Tatverdächtigen um 52 Prozent zugenommen. Vor allem Asylantragsteller seien für den Zuwachs verantwortlich, berichtet die WamS (Martin Lutz/Marcel Leubecher). Der Spiegel (Jörg Diehl u.a.) relativiert die Zahlen. Das häufigste Delikt sei Schwarzfahren. Bei Eigentums- und Gewaltdelikten seien häufig andere Flüchtlinge in den Unterkünften die Opfer, hohe Kriminalitätsraten gebe es vor allem bei einzelnen Gruppen von Antragsstellern, insbesondere aus Nordafrika und Georgien. "Die Intensivtäter verderben die Statistik."
Gerichtspsychiater Kröber: Der Spiegel (Beate Lakotta) sprach mit Hans-Ludwig Kröber, der seit Jahrzehnten als psychiatrischer Gerichtsgutachter arbeitet. Er habe immer die Position vertreten: "Wer psychisch gesund ist, hat eine Strafe verdient, die seiner Schuld entspricht."
Türkische Richter in Deutschland: Der Spiegel (Katrin Elger/Wolf Wiedmann-Schmidt) traf sich mit zwei türkischen Richtern, die in Deutschland Asylanträge gestellt haben. Sie haben wohl gute Chancen, Asyl zu erhalten. Deutschland hatten sie sich als Asylland wegen der hohen rechtsstaatlichen Standards ausgesucht.
Streaming als Rundfunk: Die Montags-taz (Christian Rath) schildert anhand des Konflikts um das Gamer-Kollektiv "Piet Smiet" die Frage, wann Youtuber eine Rundfunklizenz benötigen.
Das Letzte zum Schluss
Verschoben wegen Heirat: Am Landgericht Düsseldorf musste der Prozess um die Auszahlung einer Lebensversicherung um zehn Monate verschoben werden, weil die Richterin heiraten wollte. Das schildert justillon.de (Jannina Schäffer). Die Richterin war frisch in die Kammer gewechselt, hatte bereits hochzeitsbedingt vier Wochen Urlaub beantragt und verschob die in dieser Zeit ausfallenden Verfahren einfach ans Ende ihrer Fall-Liste.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 22. bis 24. April 2017: EGMR kann Türkei nicht helfen / Habgier statt Terrorismus / Kein Urteil zu Datenschutz im Betrieb . In: Legal Tribune Online, 24.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22718/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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