Rezension "Mordakte Monika Weimar": Genug Kuchen für den Lei­chen­sch­maus?

von Martin Rath

23.04.2017

Im "Fall Weimar" kamen 1986 die problematischen Elemente eines "großen Kriminalfalls" zusammen: starkes Medieninteresse und fragwürdig agierende Justizbehörden. Eine neue Dokumentation will bei der selbständigen Meinungsbildung helfen.

Am 7. August 1986 wurden bei zwei Parkplätzen unweit der hessischen Kleinstadt Heringen die Leichen der fünf- und siebenjährigen Töchter des Schlossers Reinhard Weimar und seiner Gattin, der Pflegehelferin Monika Weimar gefunden.

Eine Vermisstenmeldung lag seit drei Tagen vor. Die Ermittlungen – beide Mädchen waren erstickt worden – fanden unter hohem Medieninteresse statt, nicht zuletzt, weil sich die ehebrecherische Liebesbeziehung Monika Weimars zu einem US-Soldaten nicht mit der seinerzeit stark verbreiteten Idee vereinbaren ließ, man müsse in der Bundesrepublik wieder mehr bürgerliches Idyll wagen: In Bonn regierte Helmut Kohl und in einem von bloß drei TV-Kanälen lief die "Schwarzwaldklinik".

In der medialen Wahrnehmung sowie in Unterstützerkreisen der wegen Mordes angeklagten Monika Weimar – auch bei der Angeklagten selbst – kreißte die Idee, ein nur aus Männern zusammengesetztes Gericht könne den Fall nicht gerecht beurteilen. In ihrem eigenen Boulevardblättchen, der "Emma", erklärte Alice Schwarzer das Verfahren gar zum "politischen Prozess", der eine "abschreckende und einschüchternde Funktion für Frauen" gehabt habe, nicht aus einer "lustlosen Ehe" auszubrechen.

In den Akten steckt ein Sittengemälde

Mit ihrem Buch "Mordakte Monika Weimar" hat die Münchener Journalistin Petra Cichos nun eine aus den Akten gezogene Dokumentation des Ermittlungs- sowie der Strafverfahren in dieser Sache vorgelegt, die trotz mancher Abstriche geeignet ist, sich eigenständig ein Bild von diesem Aufsehen erregenden Kriminalfall zu machen.

Cichos zitiert dabei auf knapp 300 Seiten in täglicher Chronologie aus den zugänglichen Akten, ohne eigene Wertungen voranzustellen oder (alternative) Hypothesen zur Täterschaft abzuleiten. Sie verzichtet also auf die sonst übliche Spekulationspest in "großen" Kriminalfällen.

Zugänglich werden hier gute Teile des jeweiligen Ermittlungsstands, Einschätzungen seitens der Polizei und Staatsanwaltschaft, die sachlichen und emotionalen Einlassungen der (Noch-) Eheleute Weimar, ihrer Verwandten und der Nachbarschaft in einem Bergbau-Dörfchen in der osthessischen Provinz im Grenzland zur DDR.

Zwischen der Entdeckung der Leichen und der Inhaftierung Monika Weimars am 27. Oktober 1986 vergingen 81 Tage, in denen im Wesentlichen zwei Hypothesen zu Tatverlauf und Täterschaft aufkamen.

Stand zunächst Monika Weimar im Zentrum, galt die Aufmerksamkeit – insbesondere der Staatsanwaltschaft – zwischenzeitlich auch Reinhard Weimar. Nach deutlichen Ungereimtheiten in den Angaben und dem Verhalten seiner Ehefrau nach der mutmaßlichen Tat rückte jedoch bald sie wieder in den Fokus der Ermittler.

Die außerehelichen Beziehungen Monika Weimars einerseits und die offenbare soziale Inkompetenz von Reinhard Weimar andererseits brachten Spannungen in so ziemlich jede soziale Nähebeziehung, die nun von Seiten der Polizei in Aktenform zu bringen war.

Fragen danach, wer, wann, wie die Scheidung betrieben habe und nach der Ehelichkeit der beiden Kinder – mangels DNA-Tests seinerzeit an der roten Haarfarbe einer der Töchter festgemacht – bilden noch im nüchternen Duktus der Aktenzitate eine unübersichtliche, an menschlicher Gemeinheit reiche Melange an Zeugenaussagen.

Vorläufiges Gegengift: Dokumentation

Vieles von dem, was Petra Cichos hier aus den Akten zusammengetragen hat, lässt sich daher wie eine der großartigen Dokumentationen von Walter Kempowski (1929–2007) zum Alltagsleben in Deutschland lesen.

Kaum sind beispielsweise die Leichen der beiden Kinder – für den kriminaltechnischen Laien überraschend schnell – zur Bestattung freigegeben, geraten sich die Eheleute Weimar und die – benachbart wohnende – Verwandtschaft über die Frage in die Haare, ob für den Leichenschmaus auch genügend Kuchen vorhanden oder ob Kuchen für die Trauergäste nach der Bestattung von Kindern überhaupt üblich sei.

Auch wenn Cichos‘ Dokumentation nicht bezweckt, eine durch die Blume des Kriminalfalls geschriebene Sozialgeschichte zu sein, taucht sie hier auf: die deutsche Provinz, die einfachen Leute, ihr falscher Geiz und Ehrgeiz aus ihrem bieder möblierten Milieu herauszukommen, natürlich niemals gemildert durch christliche oder säkulare Demut und – da die kleinstbürgerliche Lebenswelt nun durch die Aufmerksamkeit der Justiz ins Licht tritt, auch von prozessualer Relevanz: all die unreflektierten, unausgegorenen Moralvorstellungen, die man sich in der deutschen Gesellschaft seinerzeit so machte.

Die Vorgeschichte und Person Reinhard Weimars – der später in stationäre Behandlung kommt – bleibt beispielsweise merkwürdig unklar, verdeckt durch ärztliche Berufshaltungen in Zeiten vor gemeindenaher Psychiatrie und urban-therapeutischer Befindlichkeitsseelsorge: Wie sich das Leben eines Mannes mit erkennbaren Verhaltens-, Alkohol- und weiteren psychiatrischen Problemen im Zeugnis seines Hausarztes spiegelt oder die mutmaßlichen Misshandlungswunden an seiner (Noch-) Gattin im ärztlichen Attest, ist im chronologisch eingefügten Aktenzitat weitaus bedrückender als jede journalistische Berichterstattung.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Rezension "Mordakte Monika Weimar": Genug Kuchen für den Leichenschmaus? . In: Legal Tribune Online, 23.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22714/ (abgerufen am: 18.03.2024 )

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