Der mutmaßliche Attentäter von Berlin war deutschen Sicherheitsbehörden bekannt. Außerdem in der Presseschau: Haftung für Computerautos, Laienverteidiger im Strafprozess und ein Vater, der sein Kind auf Ebay anbietet.
Thema des Tages
GBA – Anis Amri: Die SZ (Lena Kampf u.a.) die FAZ (Jasper von Altenbockum u.a.), die taz (Sabine am Orde u.a.) und spiegel.de (Jörg Diehl/Christoph Sydow) zeichnen in umfassenden Beiträgen nach, wie der mutmaßliche Attentäter von Berlin, Anis Amri, nach Deutschland einreiste, von Sicherheitsbehörden beobachtet wurde und immer wieder entwischen konnte. So ist er bereits bei der Observation des radikalen Predigers Abu Walaa aufgefallen, wurde als "Gefährder" eingestuft – also als jemand, dem man einen Anschlag zutraut – und saß bereits in Abschiebehaft. Weil sich der Verdacht nach Zuständigkeitswechsel nicht erhärten konnte, wurde die Observation eingestellt und Amri konnte untertauchen.
Die FAZ (Alexander Haneke/Majid Sattar) erklärt in einem separaten Beitrag die Voraussetzungen und Zuständigkeiten bei der Einstufung von Verdächtigen als "Gefährder". Die taz (Barbara Dribbusch) und spiegel.de (Anna Reimann) erläutern die Bedeutung der Duldung.
Heribert Prantl (SZ) stellt fest, dass die Behörden vorhandene Instrumente des Ausländerrechts nicht genutzt haben, wie etwa die Abschiebung wegen besonderer Gefahr: "Das Recht ist scharf; man muss es anwenden."
Rechtspolitik
Gefährder: Im Zusammenhang mit dem Berliner Attentat fordern Politiker schärfere Kontrollen von sogenannten "Gefährdern", erläutert das Hbl (Frank Specht). Neben verschärften Meldeauflagen werde der Einsatz von Fußfesseln und die Einrichtung von Transitzentren diskutiert. Außerdem erinnere man sich an Thomas des Mazières Vorschlag, einen neuen Haftgrund "Gefährdung der öffentlichen Sicherheit" einzuführen.
Hassmails: Christian Rath (BadZ) hält einen gesonderten Straftatbestand gegen Hass- und Drohmails und zum Schutz von Politikern für unnötig. So seien bedrohliche und hasserfüllte E-Mails als Beleidigung, Nötigung oder Volksverhetzung strafbar. Zudem müsse die Meinungsfreiheit beachtet werden, die in einer Demokratie einen besonderen Stellenwert einnimmt.
Roboterautos: Computergesteuerte Fahrzeuge könnten bald auf deutschen Straßen zum Einsatz kommen. Nach Informationen der SZ (Markus Balser) soll bald ein Gesetz die Rechts- und Haftungsfragen rund um die Computerautos klären. Ein Referentenentwurf, der sich derzeit in der Ressortabstimmung befindet, sieht die Verantwortung nach wie vor beim Menschen. Automatische Systeme müssen jederzeit übersteuerbar sein, aber auch den Menschen vor gefährlichen Lagen warnen. Der Fahrzeugführer soll seine Letztverantwortung zu keiner Zeit abgeben dürfen. Für Unfallfolgen haften Hersteller nur, wenn der Fahrzeugführer seiner Aufmerksamkeitspflicht nachgekommen ist.
Arzneimittel: Bundesrichter Thomas Fischer widmet sich in seiner Kolumne auf zeit.de diesmal der Preisbindung für Arzneimittel und den aktuellen Reformbemühungen. Nachdem der Europäische Gerichtshof im Oktober dieses Jahres die deutsche Preisbindung für Unternehmen aus dem EU-Ausland moniert hatte, will Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) den Versandhandel mit solchen Medikamenten verbieten. Der BGH-Richter äußert seine Verwunderung über den Tatendrang des Gesetzgebers.
Justiz
BAG zu Betriebsratsausschlussverfahren: Rechtsanwalt Bernd Weller stellt auf dem Handelsblatt Rechtsboard eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zum Ausschlussverfahren nach dem Betriebsverfassungsgesetz vor. Dieses erlaubt den Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds bei grober Verletzung einer betriebsverfassungsrechtlichen Pflicht. Das BAG hat nun entschieden, dass sich eine Pflichtverletzung nur auf eine Amtszeit bezieht und der Ausschluss nach einer Neuwahl nicht mehr greift.
LG Bamberg zu Silvester-Mord: Das Landgericht Bamberg hat den Angeklagten Roland E., der an Silvester vergangenen Jahres ein elfjähriges Mädchen erschossen hatte, zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Der Mann hatte von seinem Grundstück aus auf eine Gruppe von Menschen geschossen, weil er sich vom Lärm der Silvesterknaller gestört fühlte. Das Gericht bejahte die Mordmerkmale der Heimtücke und der niederen Beweggründe, berichten die Welt (Gisela Friedrichsen) und die SZ (Hans Holzhaider).
AG Berlin – Entgeltdiskriminierung: Die Journalistin Birte Meier hat das ZDF auf Leistung von 70.000 Euro wegen Entgeltdiskriminierung verklagt. Die Rechtsanwälte Robert von Steinau-Steinrück und Paul Gooren beschreiben auf lto.de die Beweisschwierigkeiten bei Klagen nach dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz und erwarten, dass der Nachweis von Lohndiskriminierung durch das geplante Entgelttransparenzgesetz leichter gelingen werde.
AG Erkelenz – Laienverteidiger: Wie die taz (Markus Sehl) darstellt, wird in mehreren Prozessen gegen Umweltaktivisten vor dem Amtsgericht Erkelenz auch die Frage nach der Zulässigkeit einer Verfahrensbeteiligung von Justizlaien verhandelt. Die Aktivisten wollen die Möglichkeit der Laienverteidigung als Mittel alternativer Prozessführung nutzen und erreichen, dass auch Personen ohne juristische Ausbildung zugelassen werden. Bisher sei die Rechtslage nicht geklärt.
BGH – Telekom: Der Streit um die Haftung der Telekom für die Kursverluste beim Börsengang im Jahr 2000 kommt vor den Bundesgerichtshof. Im Musterverfahren haben sowohl Telekom als auch der Vertreter des Musterklägers Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt eingelegt, berichten die FAZ (Marcus Jung) und das Hbl (Katharina Schneider). Das OLG hatte die Verantwortung von Telekom für einen Prospektfehler bejaht.
OLG München – NSU: Die SZ (Annette Ramelsberger) porträtiert den Vorsitzenden im NSU Verfahren, Manfred Götzl, der den Prozess mit "asketischer Disziplin" im Griff habe. Götzl sei ein "Technokrat der Justiz", der sich genau ausrechne, ob sich eine Drohgebärde im Gerichtssaal lohne und: "Er ist ein Meister der Zermürbung."
VG Stuttgart – S 21: Nachdem die Bahn eine Klage gegen das Land Baden-Württemberg wegen Zusatzkosten in Milliardenhöhe beim Projekt Stuttgart 21 angekündigt hat, hat die Landesregierung zur Klärung der Kostenverteilung die anderen Projektpartner zu formellen Gesprächen eingeladen, auch um die Verjährungshemmung auszulösen. Zudem hat sie Feststellungsklagen vorbereiten lassen, berichtet die SZ (Josef Kelnberger).
Recht in der Welt
Schottland – EU: Nikos Skoutaris, Dozent an der Universität von East Anglia (UK), kommentiert auf verfassungsblog.de den Entwurf der schottischen Regierung zur möglichen Teilnahme des Landes am Europäischen Binnenmarkt. Vorgeschlagen werde etwa der Verbleib im Europäischen Wirtschaftsraum nach norwegischem Vorbild.
Syrien – Kriegsverbrechen: Die UN-Vollversammlung will im Kriegsgebiet von Syrien Beweismaterial sammeln lassen, um einen möglichen Prozess wegen Kriegsverbrechen zu sichern. Hierzu soll eine Arbeitsgruppe eingesetzt werden, die mit der bereits existierenden UN-Untersuchungskommission zusammenarbeiten soll. Die SZ (Moritz Baumstieger) und die taz (Andreas Zumach) berichten.
Andreas Zumach (taz) sieht in der Resolution ein "wichtiges politisches Signal gegen die Straflosigkeit".
USA – Klage Facebook: Angehörige von Opfern des Orlando-Attentats verklagen Facebook, Google und Twitter vor einem Gericht in Detroit auf Schadensersatz, schildern das Hbl (Frank Wiebe/Catrin Bialek) und die taz (Peter Weissenburger). Die Familien werfen den Unternehmen vor, den Terroristen des IS eine Plattform zur Verbreitung ihrer Hasspropaganda bereitgestellt zu haben.
Catrin Bialek (Hbl) hofft, dass die Klage endlich "Bewegung in eine absurde Tatenlosigkeit der Internetkonzerne" bringt.
EuGH zu Zinsklauseln: Der Europäische Gerichtshof hat Vertragsklauseln, die spanische Banken bei Hypothekendarlehen verwendet hatten, für rechtswidrig erklärt, berichtet die SZ (Thomas Urban). Die Klauseln sahen feste Zinssätze vor, auch wenn der Leitzins niedriger lag. Nun müssen die Banken den Kunden bis zu viereinhalb Milliarden Euro erstatten.
Sonstiges
Asylsuchende aus Syrien: Pauline Endres de Oliveira, Mitarbeiterin von asyl.net, befasst sich auf verfassungsblog.de mit der behördlichen und gerichtlichen Entscheidungspraxis zum Status von syrischen Flüchtlingen. Die Unterscheidung zwischen der Gewährung des Flüchtlingsschutzes nach der Genfer Flüchtlingskonvention und dem subsidiären Schutz habe wieder an Bedeutung gewonnen, seit der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte ausgesetzt wurde. Die in diesem Zusammenhang geänderte Entscheidungspraxis von Behörden und Gerichten sei rechtsstaatlich fragwürdig.
Das Letzte zum Schluss
Ebay-Säugling: Ein 28-jähriger Vater hatte das Modethema unter dem Stichwort "regretting parenthood" wohl zu ernst genommen. Er stellte sein Kind mehrere Wochen zum Verkauf auf Ebay ein. Nachdem die Staatsanwaltschaft Duisburg Ermittlungen wegen Kinderhandels eingeleitet hatte, erklärte er: Alles nur ein Scherz! Die Ermittler stellten das Verfahren daraufhin wegen fehlendem Vorsatz ein, meldet lawblog.de (Udo Vetter).
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Nach dem Fest erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 23. Dezember 2016: Fahndung nach Anis Amri / Gesetz zu Roboterautos / Klage wegen Entgeltdiskriminierung . In: Legal Tribune Online, 23.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21550/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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