Wenn ein kirchlicher Arbeitgeber aus religiösen Gründen kündigt, können weltliche Gerichte nur eingeschränkt prüfen. Dies entschied das BVerfG. Außerdem in der Presseschau: E-Zigaretten sind keine Arzneimittel, Thomas Middelhoff bleibt in Haft, verdeckte Ermittlung in der Roten Flora und ein einfallsloser Räuber mit kreativer Ausrede.
Thema des Tages
BVerfG zu kirchlichem Selbstbestimmungsrecht: In einem nun veröffentlichten Beschluss aus dem letzten Monat hat das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde eines katholischen Krankenhausträgers stattgegeben und eine erfolgreiche Kündigungsschutzklage zur erneuten Entscheidung an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen. Der Fall betraf einen Chefarzt, dem gekündigt worden war, nachdem sein Arbeitgeber Kenntnis von der neuen, standesamtlichen Ehe des zuvor katholisch getrauten Mannes erlangt hatte, schreibt lto.de (Ulf Nadarzinski) in einer ausführlichen Darstellung von Fall und Problematik. Das Bundesarbeitsgericht hatte zwar einen Verstoß des Arztes gegen katholische Grundsätze ausgemacht, aber zu seinen Gunsten gewertet, dass im Haus auch andere zum zweiten Mal verheiratete Mediziner arbeiteten. Dies verstoße nach der jetzigen Entscheidung gegen die eingeschränkte Prüfkompetenz staatlicher Gerichte zu Loyalitätsobliegenheiten in kirchlichen Arbeitsverhältnissen. In einer zweistufigen Prüfung hätten Gerichte zunächst die Plausibilität von Darlegungen zu etwaigen Verstößen gegen das kirchliche Selbstverständnis festzustellen. In einem zweiten Schritt müsse dann eine Abwägung der kirchlichen Belange mit jenen des betroffenen Arbeitnehmers erfolgen, wobei ersteren kein grundsätzliches Übergewicht zukomme.
SZ (Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath) und Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) berichten ebenfalls. Letzterer bezeichnet den Beschluss als "ziemlich weise." Die Aufgabe von Verfassungsrecht sei es, "dem Anderen Anerkennung und Entfaltungsspielraum zu verschaffen". Die Entscheidung schaffe dies durch "eine kraftvolle Erinnerung an die Entscheidung unserer Verfassung, die Autonomie der Kirchen anzuerkennen und zu schützen".
Dagegen beweist der "Sieg" nach Matthias Drobinski (SZ) vor allem, "unter welchem Veränderungsdruck das kirchliche Arbeitsrecht mittlerweile steht". Zahlreiche Muslime oder Konfessionslose seien in kirchlichen Einrichtungen beschäftigt, somit wandle sich auch das Verständnis einer Loyalitätspflicht gegenüber den jeweiligen Arbeitgebern. Es sei an diesen, ihre Loyalitätsregeln diesen Veränderungen anzupassen und "vielleicht sogar irgendwann als Bereicherung" zu verstehen.
Rechtspolitik
Kinderrechte: Vor 25 Jahren verabschiedeten die Vereinten Nationen die Kinderrechtskonvention. Die Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Beate Rudolf erinnert auf lto.de daran, dass hiermit auch in Deutschland verbindliche staatliche Handlungsaufträge verbunden sind. Während dies mit dem Recht auf gewaltfreie Erziehung nach § 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuches auch konkrete gesetzgeberischen Nachhall gefunden habe, sei die Anwendung der Konvention durch "Verwaltung und Gerichte noch immer nicht selbstverständlich". Dies zeige sich etwa in der nach wie vor fehlenden Ausbildung von Richtern im Umgang mit Kindern. Die Autorin fordert zudem eine rechtspolitische Debatte "zur Schaffung einer Kultur der Kinderrechte".
Bestattungsrecht: Die Bremische Bürgerschaft hat eine Novellierung des Bestattungsrechts der Freien Hansestadt beschlossen, nach der erstmals in Deutschland die Asche Verstorbener auf Friedhofsgrund und auch auf privaten Grundstücken verstreut werden kann. Die FAZ (Reinhard Bingener) berichtet.
Justiz
EuGH – Sprachtest: Das Verwaltungsgericht Berlin hat dem Europäischen Gerichtshof die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob es mit EU-Recht vereinbar ist, ein deutsches Einreisevisum zum Zwecke des Familiennachzugs vom Bestehen eines Sprachtests abhängig zu machen. Im zu entscheidenden Fall hält die klagende Nigerianierin dies für unzumutbar, weil der erforderliche Sprachkurs von ihr nur nach zehnstündiger Busfahrt erreicht werden könne, meldet lto.de.
BVerwG zu E-Zigaretten: Sogenannte E-Zigaretten entbehren nach Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts einer therapeutischen Eignung, etwa zur Nikotinentwöhnung. Sie unterfallen damit nicht dem Arzneimittelgesetz und sind damit auch frei verkäuflich, schreibt die FAZ (Helene Bubrowski). In seinem Bericht weist das Neue Deutschland (Sven Eichstädt) darauf hin, dass nach Ansicht des Leipziger Gerichts einer Warnung der nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) vor E-Zigaretten eine "verbotsähnliche Wirkung" zukäme. Die Äußerung sei ein Ermangelung einer Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig.
Den in einem Verfahren als Gutachter tätigen Rechtsprofessor Wolfgang Voit befragt lto.de (Anne-Christine Herr) zu den Voraussetzungen einer Einstufung als Arzneimittel und der europäischen Rechtslage.
OLG München – NSU-Prozess: Das Verfahren gegen Beate Zschäpe und andere vor dem Oberlandesgericht München wurde mit der Vernehmung eines Gründungsmitglieds des 2000 verbotenen Netzwerks "Blood and Honour" fortgesetzt. Spiegel.de (Gisela Friedrichsen) schreibt, dass die Frau jegliche Kenntnis zu Unterstützungsleistungen zugunsten des NSU-Trios oder der anderen Angeklagten geleugnet habe.
LAG Hamburg zu Hartz-IV-Rebellin: Eine als "Hartz-IV-Rebellin" bekanntgewordene vormalige Jobcenter-Mitarbeiterin muss den ihr von der Hamburger Sozialbehörde zugewiesenen Arbeitsplatz im Integrationsamt der Stadt antreten. Das Landesarbeitsgericht Hamburg wies die beantragte einstweilige Verfügung gegen die Versetzung ab, meldet spiegel.de. Nach Ansicht des Gerichts seien die zu besorgenden Nachteile für die als Kritikerin speziell der Sanktionen gegenüber Leistungsbeziehern bekanntgewordene Frau nicht so schwerwiegend, dass nicht eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren abgewartet werden könne.
LG Regensburg zu Gustl Mollath: Rechtsprofessor Henning Ernst Müller (beck-blog.de) schreibt Anmerkungen zu der seit zwei Wochen vorliegenden Urteilsbegründung des Wiederaufnahmeverfahrens gegen Gustl Mollath vor dem Landgericht Regensburg. Obgleich die gerichtliche Feststellung, Mollath habe seine damalige Ehefrau tatsächlich misshandelt, für den Angeklagten einen "Misserfolg" darstelle, seien die durch seinen Fall bewirkten gesetzgeberischen Änderungen ein "in der bundesrepublikanischen Rechtsgeschichte einmaliger" Vorgang.
LG Essen zu Thomas Middelhoff: Der gegen den verurteilten Manager Thomas Middelhoff erlassene Haftbefehl bleibt weiter in Kraft. Wie SZ (Uwe Ritzer) und FAZ (Brigitte Koch) übereinstimmend berichten, bestehe nach Ansicht des Landgerichts Essen nach wie vor Fluchtgefahr, zudem sei die unklare finanzielle Situation Middelhoffs auch durch zwischenzeitlich eingereichte Unterlagen nicht transparenter geworden.
Christian Bommarius (Berliner Zeitung) hält das Ergebnis auch dieses Haftprüfungstermins für "angemessen". Der Unternehmer habe einen ausländischen Wohnsitz, außerdem liefen gegen ihn weitere Ermittlungsverfahren. Unter diesen Umständen sei eine Fluchtgefahr offensichtlich.
Staatsanwalt: Für spiegel.de (Karoline Meta Beisel) stellt ein junger Staatsanwalt seinen Berufsalltag vor.
Recht in der Welt
EuGH – Banker-Boni: Eine gegen EU-Boni-Regeln am Europäischen Gerichtshof erhobene Klage Großbritanniens steht vor dem Aus. Die im letzten Jahr beschlossenen Regelungen zu Begrenzungen der Boni für Banker seien nach Ansicht des Generalanwalts beim EuGH weder unverhältnismäßig noch auf falscher Rechtsgrundlage erlassen worden, berichtet die FAZ (Hendrick Kafsack/Marcus Theurer). Großbritannien habe die Regelung als unzulässigen Eingriff in die von den Mitgliedsstaaten zu regelnde Sozialpolitik angegriffen.
Schweden – Julian Assange: Der schwedische Haftbefehl gegen Julian Assange bleibt nach einer Entscheidung eines Berufungsgerichtes in Kraft. Die gegen den WikiLeaks-Gründer erhobenen Vorwürfe beträfen nach Ansicht des Gerichts "Verbrechen relativ ernster Natur", berichtet spiegel.de. Die von Assange angebotene Befragung in seinem gegenwärtigen Domizil, der ecuadorianischen Botschaft in London, sei zudem gegenüber einem Verfahren in Schweden nicht gleich effektiv.
Italien – Verjährung: Eine mehrjährige Freiheitsstrafe eines Schweizer Unternehmers wegen schwerwiegender Sicherheitsmängel beim Umgang mit Asbest ist vom höchsten italienischen Gericht annulliert worden. Der Tod von bis zu 3.000 Mitarbeitern bleibt somit ungesühnt, weil sich der Unternehmer auf Verjährung berufen kann, schreibt die FAZ (Jörg Bremer). Als Konsequenz habe Ministerpräsident Matteo Renzi versprochen, die Justizreform im Lande voranzutreiben.
Schweiz – EMRK: Nach einer Meldung der SZ (thei) hat die Schweizerische Volkspartei im Bundesrat des Landes die Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention verlangt. Als Reaktion auf regelmäßige Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Ausweisungen von Asylbewerbern bereite die Partei zudem ein Volksbegehren mit dem Ziel vor, völkerrechtliche Verträge zu kündigen, wenn sie der Schweizer Verfassung widersprächen.
China – Verbraucherschutz: Die SZ (Marcel Grzanna) befragt den chinesischen Rechtsanwalt Zhang Lijun zu einer von ihm betreuten Sammelklage mehrerer VW-Fahrer gegen die Qualitätsaufsichtsbehörde des Landes und dem Stand von Verbraucherrechten in China.
Sonstiges
Terrorismus: Reinhard Müller (FAZ) plädiert im Leitartikel der Zeitung dafür, in der Auseinandersetzung mit islamistischen Terroristen rechtsstaatliche Werte offensiv zu vertreten. Man könne stolz darauf sein, in einer Gesellschaft zu leben, in der Witze über Religion "ohne staatliche Sanktionen oder Selbstjustiz" möglich seien und in der auch Straftätern der "Weg zurück in die Gesellschaft" gewiesen werde.
Verdeckte Ermittlung/Rote Flora: Die FAZ (Frank Pergande) berichtet ausführlich zu dem jüngst aufgedeckten Fall einer verdeckten Ermittlerin, die jahrelang Aktivisten des Hamburger Kulturzentrums "Rote Flora" ausspioniert haben soll. Im Dezember solle sich der Innenausschuss der Bürgerschaft mit dem Vorgang beschäftigen.
Nach Thomas Hahn (SZ) ist der Einsatz verdeckter Ermittler "ein wichtiges Werkzeug des Staatsschutzes" und zur Kenntnisgewinnung der Strukturen des bundesweit bekannten Hauses wahrscheinlich auch rechtlich begründbar. Dass die Ermittlerin bei ihrem Einsatz aber offenbar auch vor einem Einbruch in die "Gefühlswelten" der Bespitzelten nicht zurückschreckte, sei unanständig. "Das darf ein Staat nicht tun."
Henry Kissinger: In seinem Blog "Recht subversiv" erinnert Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck (zeit.de) an eine von dem chilenischen Künstler Alfredo Jaar und dem European Center for Constitutional Rights vor zwei Jahren durchgeführte Kunstaktion "Verhaftet Kissinger!". Durch mehrsprachige Anzeigen in Zeitungen sollte auf die Beteiligung des vom Anwalt als "Kriegsverbrecher" bezeichneten ehemaligen US-Außenministers am Militärputsch in Chile aufmerksam gemacht werden.
Das Letzte zum Schluss
Einfallsloser Überfall: Nachdem er bei der Auswahl des von ihm erneut überfallenen Kiosks wenig Einfallsreichtum bewies, zeigte sich ein nun vom Amtsgericht Frankfurt Verurteilter bei der Einlassung zum Tatvorwurf umso erfinderischer. Nach Jahren in Haft kehrte der Mann zum Laden zurück, um, wie spiegel.de schreibt, "die Modalitäten für die Rückzahlung des zuerst erbeuteten Geldes" zu besprechen. Das Gericht folgte dieser Erklärung nicht und verurteilte ihn erneute zu einer Haftstrafe.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 21. November 2014: Kündigung katholisch – Dampf erlaubt – Middelhoff bleibt in Haft . In: Legal Tribune Online, 21.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13883/ (abgerufen am: 17.05.2024 )
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