De Maizières Vision europäischer Flüchtlingspolitik. Außerdem in der Presseschau: Informationsanspruch auf Durchwahlnummern, falsches Geschlecht stört nicht bei der Identifizierung und vielleicht gibt es bald keinen Blutalkoholtest mehr.
Thema des Tages
Flüchtlingskrise: Innenminister Thomas de Maizière spricht im Interview mit dem Spiegel (Michael Sauga/Ralf Neukirch – spiegel.de Zusammenfassung) über seine Vision gemeinsamer europäischer Regeln zur Aufnahme von Flüchtlingen und die begrenzten Kapazitäten, die letztlich eine Obergrenze aufnehmbarer Flüchtlinge bedeuten. Für die übrigen müssten Lösungen in den Heimatregionen gefunden werden, wo bereits jetzt die Versorgung unterstützt werde. Das Grundrecht auf Asyl sieht er nicht gefährdet.
Die Montags-SZ (Heribert Prantl) hält zur Umsetzung des Vorschlags eine Verfassungsänderung für erforderlich und Heribert Prantl (Montags-SZ) meint, "solche Basteleien [an der Verfassung] sind nicht die Lösung sondern ein Problem". Reinhard Müller (Montags-FAZ) weist darauf hin, dass das Asylgrundrecht nach Ansicht des Verfassungsgerichts durchaus abgeschafft werden könne.
Rechtspolitik
TTIP/Schiedsgerichte: Michaela Schießl (Spiegel) meint, es genüge nicht private Schiedsgerichte im TTIP durch einen Handelsgerichtshof zu ersetzen. 80 Prozent aller in der EU tätigen US-Firmen hätten Töchter in Kanada und damit eine Hintertür zu den im Ceta-Abkommen weiterhin vorgesehenen privaten Schiedsgerichten.
Ceta: Die grüne Bundestagsabgeordnete Katharina Dröge kritisiert laut WamS (Martin Greive), dass – entgegen Behauptungen des Bundeswirtschaftsministeriums in der Antwort auf ihre kleine Anfrage – der in Ceta geplante Hauptausschuss das Abkommen auch nach einer Ratifizierung noch ändern könne und das ohne Beteiligung des EU-Parlamentes.
Urhebervertragsrecht: internet-law.de (Thomas Stadler) berichtet von einem geplanten Gesetzentwurf zur Verbesserung der Position der Urheber im Urhebervertragsrecht. Die bisher nur durch einen "Waschzettel" bekannten Regelungen ließen jedoch keinen großen Wurf erhoffen.
Sachverständige: Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Rechts der Sachverständigen soll unter anderem deren Ablehnung wegen Befangenheit erleichtert werden – durch eine Pflicht mögliche Gründe selbst zu melden. Im Oktober soll über den Entwurf beraten werden, berichtet die taz (Christian Rath), Gerichte verneinten jedoch Befangenheit großzügig, weshalb die Wirksamkeit der Regelung zu bezweifeln sei.
Fliegende Bauten: Die WamS (Carsten Dierig/Anja Ettel) befasst sich mit der DIN EN 13814, die EU-Richtlinie über die Sicherheit von Karussellen und Achterbahnen umsetzt und bisher keine Übergangsregelung für ältere Kirmes-Attraktionen enthält. Klagen von Schaustellern waren in Einzelfällen schon erfolgreich und ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg könnte die Norm kippen. Eine für Oktober geplante Befassung der Bauministerkonferenz mit der Regelung könnte zu einer Gesetzesänderung führen.
Flüchtlingskrise: Rechtswissenschaftler Roman Lehner setzt sich auf verfassungsblog.de mit den rechtlichen Voraussetzungen des Selbsteintrittsrechts ("Aussetzung" des Dublin-III-Verfahrens) und den Auswirkungen auf Schengen durch die Wiedereinführung von Grenzkontrollen auseinander. Er unterstützt den Vorschlag des Sachverständigenrates für Migration und Integration: nach Registrierung im zuständigen Dublin-Staat sollen Flüchtlinge des Aufenthaltsort frei wählen können.
Der ehemalige Bundesverfassungsgerichtspräsident Udo Di Fabio spricht im Interview mit dem Spiegel (Roman Leick/Dietmar Hipp) hinsichtlich des Umgangs mit der Flüchtlingskrise über westliche Rechts- und Gesellschaftsordnung und die Auswirkungen auf Fortbestand und Veränderung der EU.
Asylrecht: Die Samstags-FAZ (Jasper von Altenbockum) stellt nun den vorläufigen Gesetzentwurf zur Änderung des Asylrechts vom vergangenen Donnerstag ausführlich vor. lto.de (Marcel Schneider) fasst die am Entwurf bereits geübte Kritik zusammen. Die Montags-taz (Christain Rath) setzt sich speziell mit den zur Verfahrensbeschleunigung vorgesehenen Regelungen auseinander und die Montags-FAZ (Andreas Mihm) mit den Regeln zur Gesundheitsfürsorge – inklusive der Vorschläge zur Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge – und dem Arbeitsrecht für Ärzte unter den Flüchtlingen.
Taskforce gegen Hassnachrichten: Auch Youtube und Twitter sollen nach dem Willen von Bundesjustizminister Maas Teil der Taskforce gegen Hassnachrichten werden. Der Spiegel (Melanie Amann/Marcel Rosenbach) prognostiziert – angesichts vergeblicher Vorstöße in verschiedenen Ländern, effektiv gegen Hassnachrichten vorzugehen – wenig Erfolgsaussichten für Maas.
Arbeitskampf: Mit dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Hessen zum Lufthansastreik und was aus ihm folgt, setzt sich Rechtsprofessor Jobst-Hubertus Bauer in der Montags-SZ auseinander. Insgesamt sei es dennoch notwendig über das Tarifeinheitsgesetz hinaus im Bereich der Daseinsvorsorge – also auch der Luftfahrt – weitere Regelungen zu treffen – wie etwa die Streikankündigung mehr als 24 Stunden vorher.
Justiz
BVerwG – Durchwahlnummern: Hat ein Bürger als Kunde des Jobcenters Anspruch auf die Durchwahl zu seinem Sachbearbeiter nach dem Informationsfreiheitsgesetz? Auf Klagen im ganzen Bundesgebiet haben Gerichte diese Frage unterschiedlich beantwortet, weshalb der die Verfahren führende Anwalt nun gegen ein ablehnendes Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen Revision beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt hat. Das berichtet die Montags-SZ (Thomas Öchsner).
BVerwG zu Visaentscheidungen: Bei Erteilung oder Versagung eines Visums steht der Auslandsvertretung bei Prognoseentscheidungen wie etwa zur Rückkehrbereitschaft des Antragstellers ein gerichtlich nur begrenzt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht am vergangenen Donnerstag laut lto.de im Anschluss an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.
BVerwG zu Abschiebungen: Anwalt Rolf Gutmann setzt sich auf lto.de – vor dem Hintergrund der europäischen und deutschen Rechtsprechung – mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Abschiebung auseinander, insbesondere mit der vom BVerwG zugelassene Möglichkeit der freiwilligen Ausreise anstelle der Abschiebung.
BVerfG zu Fraktionsfinanzierung: Der Spiegel (Sven Becker/Dietmar Hipp) setzt sich mit der Finanzierung von Fraktionen, Parteien und politische Stiftungen auseinander. Wessen Gelder für welche Aufgaben verwendet werden dürften sei theoretisch klar, praktisch verwischten jedoch die Grenzen – es flössen etwa immer wieder Mittel in den Wahlkampf, die in die Parlamentsarbeit gehörten. Das Verfassungsgericht habe sich mit der Entscheidung, die Klage der ÖDP Anfang August als unzulässig abzuweisen, der Verantwortung entzogen, das bestehende System zu prüfen und so einen auch finanziell fairen Wettbewerb der Parteien zu schützen.
EuGH zu Fluggastrechten: Nur wenn "außergewöhnliche Umstände" vorliegen, muss eine Airline bei annullierten Flügen keinen Ersatz leisten. Dazu hat der Europäische Gerichtshof seine Rechtsprechung bestätigt und Rechtsprofessor Ernst Führich fasst für lto.de zusammen, wann von solchen Umständen ausgegangen wird.
EuG zu öffentlichen Beihilfen an Deutsche Post: Das Europäische Gericht hat entschieden, dass die Entscheidung der Kommission 2007 – ihre Untersuchungen gegen die deutsche Post auszuweiten – in großen Teilen nichtig ist. Das meldet die Samstags-SZ.
BGH zu Prozessvergleichen: Der Bundesgerichtshof hat in einem nun veröffentlichten Urteil vom Juli entschieden, dass Prozessvergleiche aus Gründen der Rechtssicherheit nicht wirksam in einer Mischform aus Protokollierung (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 Zivilprozessordnung) und eingereichten Schriftsätzen (§ 278 Abs. 6 Zivilprozessordnung) geschlossen werden können. Auf die Unwirksamkeit konnte sich der Kläger jedoch im zu entscheidenden Fall nicht berufen, berichtet lto.de (Constantin van Lijnden).
BGH zu Widerruf bei Heizöl: Die Heizöl-Branche will sich gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs zum Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen über Heizöl wehren. Derzeit liegt eine wohl wenig aussichtsreiche Anhörungsrüge beim BGH vor. Anschließend wollen die Händler vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, weil der BGH den Europäischen Gerichtshof hätte fragen müssen, berichtet die Montags-SZ (Berrit Gräber).
OVG Bln-Bbg zu besoldungsrechtlicher Erfahrungszeit: Auch Erfahrung in nicht-jurstischen Berufen ist für die Richterbesoldung anzuerkennen, wenn sie für den Erwerb der nach dem Deutschen Richtergesetz notwendigen sozialen Kompetenz förderlich sein konnte. Dies sei jedoch bei der Tätigkeit als Flugbegleiter und Fluggastabfertiger nicht der Fall, wie das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg laut berlin.kanzlei-moegelin.de (Olaf Moegelin) entschied.
VGH München zu Kosten für auswärtigen Anwalt: Die Erstattungsfähigkeit der Mehrkosten für einen auswärtigen Anwalt bemisst sich nach der ex-ante Sicht des kostenbewussten juristischen Laien. Für dessen Entscheidung, ob es sich um einen für die zweckentsprechende Rechtsverfolgung notwendigen Spezialisten handelt, ist der Internetauftritt des Anwalts im Einzelfall geeignete Informationsquelle, entschied der Verwaltungsgerichtshof München im Juni. Das meldet blog.beck.de (Hans-Jochem Mayer).
OLG Stuttgart – Scala-Verträge: Das Oberlandesgericht Stuttgart verhandelt am kommenden Mittwoch zu den sogenannten Scala-Verträgen der Sparkasse Ulm. Die Sparkasse hat einen Vergleichsvorschlag unterbreitet nach dem die Verträge nicht vor der 25-jährigen Mindestlaufzeit durch sie zu kündigen sein sollen. Die Sparraten sollen jedoch nicht erhöht werden können und ab sofort soll bis zum Laufzeitende eine Verzinsung von 3,5 Prozent gelten. Das meldet die Samstags-FAZ (Susanne Preuß).
OLG Düsseldorf – Islamisten: Die Bundesanwaltschaft hat beim Oberlandesgericht Düsseldorf Anklage gegen sieben Personen erhoben, die eine Organisation zur Unterstützung bei der Ausreise nach Syrien zum Islamischen Staat, Junud al-Sham und Ahar al-Sham gegründet haben sollen. Das melden Samstags-SZ und spiegel.de.
GStA-Naumburg – korrekte Personalien: Mangelhafte Angaben zur Person in einem Bußgeldbescheid berühren dessen Wirksamkeit nicht, solange sich die Identität aus den vorhanden Angaben zweifelsfrei ergibt. In einer Stellungnahme geht die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg davon aus, dass auch die falsche Geschlechtsbezeichnung – in der "Trans-Gender-World" in der wir leben – zweifelsfreier Identifizierung nicht entgegensteht, wie blog.beck.de (Carsten Krumm) berichtet.
LG Frankfurt – S&K: Am Donnerstag beginnt der Prozess vor dem Landgericht Frankfurt gegen die Namensgeber von S&K, einen leitenden Angestellten der Unternehmensgruppe und drei Unternehmer wegen bandenmäßigen Betrugs und Untreue. Die Samstags-SZ (Markus Zydra) schreibt über das riesige Schneeballsystem, das den Angeklagten in einem "der größten Wirtschaftsverfahren der Geschichte" vorgeworfen wird. Auch die WamS (Anne Kunz) berichtet zum Fall.
LG Saarbrücken zu Heckenschütze: Weil er hinter einer Hecke versteckt auf vorbeifahrende Autos geschossen hatte, wobei zwei Personen verletzt wurden, hat das Landgericht Saarbrücken einen 27-Jährigen wegen versuchten Mordes in 14 Fällen zu neun Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Das meldet spiegel.de.
LG Köln – Kachelmann/Bild: Für den 30. September wird das Urteil des Landgerichts Köln im Prozess Jörg Kachelmanns gegen die Bild-Zeitung erwartet, meldet der Spiegel (Alexander Kühn). Die eingeklagte Rekordsumme von 2,25 Millionen Euro Schmerzensgeld werde wohl nicht erreicht, aber sein Anwalt rechnet mit einer dennoch sehr hohen Summe.
VG Neustadt zu Reifenverwertung: Er hatte aus Altreifen Blumenkübel und einen Hangschutz für seine Terrasse gemacht und war von der Behörde aufgefordert worden, diese kostenpflichtig zu entsorgen, weil es sich um Abfall handele. Der Mann wehrte sich und bekam vom Verwaltungsgericht Neustadt recht, meldet die Samstags-FAZ.
FG Niedersachsen zu Ehe mit Demenzkranken: Die eheliche Lebensgemeinschaft mit einer demenzkranken Person besteht auch dann fort, wenn diese sich aufgrund der Erkrankung dauerhaft in einer Pflegeeinrichtung befindet und der Ehepartner sie nur dort besucht. Das entschied das Finanzgericht Niedersachsen in einem am Freitag veröffentlichten Urteil vom Juni, laut lto.de. Auch eine neue Beziehung des gesunden Partners ändert das nicht.
Recht in der Welt
Ukraine – Verfassungsreform: Rechtsprofessorin Caroline von Gall setzt sich auf verfassungsblog.de mit der urainischen Verfassungsreform auseinander. Grundrechte und Justizreform stünden hinter dem Bestreben der Dezentralisierung zurück und zu einer Lösung des Konflikts trage der Entwurf nicht bei.
Sonstiges
Alkoholtest: Wie die WamS (Helen Schiek) berichtet, soll mit einer bundesweiten Studie untersucht werden, ob sich ein hinreichend stabiles Verhältnis von Atem- zu Blutalkoholkonzentration nachweisen lässt. Dies könnte Grundlage sein, um zukünftig auf die teuren und zeitaufwendigen Blutuntersuchungen auch zum Nachweis von Straftaten zu verzichten, wie es bereits bei Ordnungswidrigkeiten gehandhabt wird.
Autonomes Fahren: Die Montags-Welt (Nikolaus Doll u.a.) setzt sich mit den juristischen und ethischen Fragen beim autonomen Fahren auseinander. Rechtsprofessor Eric Hilgendorf gehe davon aus, dass es keiner neuen Gesetze bedürfe, sondern es um die Auslegung der bestehenden im Lichte der neuen Fragen gehe.
Reisemängel: Die Montags-Welt (Berrit Gräber) beschreibt, wie Reisemängel erfolgreich reklamiert werden können. Grundsätzlich muss ein Hinweis an den Veranstalter bereits vor Ort erfolgen und dann binnen eines Monats nach Rückkunft Entschädigung gefordert werden. Anderes gilt nur, wenn in den Reiseunterlagen darauf nicht ausdrücklich hingewiesen wurde.
Datenschutz: Die Montags-SZ (Helmut Martin-Jung) macht auf die Unterbesetzung der Datenschutzbehörden aufmerksam, die in ihrer derzeitigen Verfassung keineswegs in der Lage seien, die Kontrollen zu leisten, die notwendig würden, wenn denn die Datenschutzsgrundverordnung tatsächlich geschaffen werde.
BRAK-Präsident: Am Freitag hat die Hauptsversammlung den ehemaligen Vizepräsidenten zum neuen Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer gewählt: Ekkehart Schäfer aus Ravensburg, 68 Jahre alt, Partner einer mittelständischen Kanzlei und Fachanwalt für Medizinrecht. Das meldet die Samstags-FAZ (Joachim Jahn).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 19. - 21. Sepember 2015: Minister mit Visionen – Durchwahl ins Jobcenter – Ende des Blutalkoholtests . In: Legal Tribune Online, 21.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16947/ (abgerufen am: 18.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag