Der Gesetzgeber muss die Studienplatzvergabe im Fach Medizin neu regeln. Außerdem in der Presseschau: Die Hamburger Polizei erfährt Kritik für Öffentlichkeitsfahndung und das Bundeskartellamt knüpft sich Facebook vor.
Thema des Tages
BVerfG zu Numerus Clausus: Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelungen zur Vergabe von Studienplätzen im Fach Medizin für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber aufgetragen bis Ende 2019 eine Neuregelung zu treffen. Die Richter beanstandeten nicht, dass die Abiturnote bei der Vergabe eine wesentliche Rolle spielt. Jedoch müssen länderspezifische Abweichungen ausgeglichen und das Verfahren um weitere Eignungskriterien ergänzt werden, weil die Abiturnote nichts über die sozial-kommunikative oder empathische Kompetenz des Bewerbers aussage. Die Kriterien dürfen jedoch nicht von den Hochschulen festgelegt werden, sondern müssen gesetzlich bestimmt sein. Außerdem muss die Vergabe so gestaltet werden, dass die Ortspräferenzen sich nicht nachteilig auswirken. Eine Vergabe nach Wartezeit ist laut Karlsruhe ebenfalls zulässig, jedoch muss sie gedeckelt sein, weil mit zunehmender Wartezeit der spätere Lernerfolg abnehme. Grundsätzlich verschaffe das Recht auf gleiche Teilhabe am staatlichen Studienangebot keinen Anspruch auf Schaffung zusätzlicher Kapazitäten. Über das richtungsweisende Urteil schreiben die SZ (Wolfgang Janisch), die FAZ (Hendrik Wieduwilt), die taz (Christian Rath) und der Tsp (Jost Müller-Neuhof) sowie Rechtsanwalt Arne-Patrik Heinze auf lto.de.
Gigi Deppe (tagesschau.de) sieht in dem Urteil einige positive Impulse, merkt jedoch an, dass vieles offen bleibt. Die Noten würden auch in Zukunft das entscheidende Kriterium sein. Reinhard Müller (FAZ) mahnt, dass der Zweck des Verfahrens nicht vergessen werden darf: Es gehe darum, gute Ärzte zu finden. Anna Lehmann (taz) schlägt vor, Personen vorrangig zu berücksichtigen, die eine Ausbildung in der Pflege absolviert haben.
Die FAZ (Heike Schmoll) und spiegel.de tragen Reaktionen auf das Urteil zusammen. Die SZ (Susanne Klein) befasst sich in einem gesonderten Beitrag mit dem Ärztemangel.
Rechtspolitik
Innere Sicherheit: Vor einem Jahr ereignete sich der Anschlag auf dem Breitscheidplatz in Berlin. Seither wurden zahlreiche Sicherheitsgesetze geändert und verabschiedet. zeit.de (Frida Thurm) zieht Bilanz. spiegel.de (Jörg Diehl) geht der Frage nach, wie die Behörden auf den Anschlag und die Terrorgefahr reagiert haben.
Glücksspielstaatsvertrag: Weil Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein den neuen Glücksspielstaatsvertrag nicht ratifizieren, kann dieser nicht zum Jahresbeginn in Kraft treten. Laut FAZ-Einspruch (Helmut Schwan) ist dafür die an den Regierungen in Düsseldorf und Kiel beteiligte FDP verantwortlich, die den Wettbewerb gefährdet sieht. Weil der bisherige Staatsvertrag kaum durchgesetzt werden könne, blühe insbesondere das Geschäft mit Sportwetten.
Rückkehrförderung: Der Rechtsreferendar David Werdermann kritisiert auf verfassungsblog.de die staatlichen Programme zur Förderung der freiwilligen Ausreise von Ausländern. Indem die Rücknahme des Asylantrags mit Rückkehrhilfen prämiert werde, verletze der Staat das Asylgrundrecht.
Strafprozessrecht: Der Rechtsanwalt Eren Basar äußert in der FAZ Bedenken hinsichtlich der vom 2. Strafkammertag und der Justizministerkonferenz formulierten Überlegungen zur Reform des Strafprozessrechts. Manche Äußerungen würden die Annahme stützen, dass es vorrangig darum gehe, der Justiz Aufwand zu ersparen. Stattdessen solle der Strafkammertag besser Vorschläge unterbreiten, wie sich die Qualität der Wahrheitsfindung verbessern ließe.
Kostentragung bei Großveranstaltungen: Der Rechtsprofessor Felix Ekardt befasst sich im FAZ-Einspruch mit möglichen Kostentragungspflichten der Veranstalter von Weihnachtsmärkten oder Fußballspielen. Bis auf in Sachsen würden die Landesgesetze keine Umwälzung der Kosten vorsehen. Eine Sonderabgabe wäre jedoch verfassungsrechtlich zulässig, jedoch nicht bei Veranstaltungen, die unter die Versammlungsfreiheit fallen.
Justiz
BVerwG zu Elbvertiefung: Das Bundesverwaltungsgericht hat die Klagen mehrerer Hauseigentümer aus Blankenese und Övelgönne gegen die Elbvertiefung abgewiesen. Sicherheit des Elbhangs sowie Gesundheit und Eigentum der Anwohner seien nicht gefährdet, begründete das Gericht seine Entscheidung. Die Bauarbeiten könnten trotzdem noch nicht beginnen, da zunächst die Behörden ihre Planungen für den sogenannten Umweltausgleich nachbessern müssten. Das hatte das Bundesverwaltungsgericht in einem früheren Urteil entschieden, wie die FAZ (Christian Müßgens) schreibt.
LG Bremen – VW-Garantiezusagen: Der Verbraucherzentrale Bundesverband will vor dem Landgericht Bremen klären, ob VW-Vertragshändler für etwaige Folgeschäden der Nachrüstung durch VW haften. Eine entsprechende Klage hat der Verband bereits im November eingereicht, wie die FAZ (Marcus Jung) berichtet. In dem zugrunde liegenden Fall hat der VW-Kunde zunächst eine Garantiezusage verlangt und ist nach Verweigerung durch den Händler vom Kaufvertrag zurückgetreten.
Klage gegen Lkw-Kartell: Die Bahn, die Bundeswehr und 40 weitere Unternehmen wollen nach Informationen der SZ (Markus Balser) Klage gegen mehrere Lkw-Hersteller einreichen. Sie werfen ihnen illegale Preisabsprachen vor. Es geht um 35.000 Fahrzeuge im Einkaufswert von zwei Milliarden Euro.
ArbG Regensburg – Asyl-Entscheider: Das Arbeitsgericht Regensburg hat zu erkennen gegeben, dass es die Klage eines 59-Jährigen abweisen wird, der 2016 zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kam und die Eingruppierung in eine höhere Gehaltsstufe forderte. Trotz zwischenzeitlicher Personalnot beim Bundesamt geht das Gericht laut SZ (Bernd Kastner) davon aus, dass der Mann nicht eingestellt wurde, um den Personalbedarf im Sinne des Tarifrechts zu decken.
OLG München – NSU-Prozess: Gisela Friedrichsen (Welt) befasst sich mit der Rolle der Nebenklage im NSU-Prozess. Die Nebenklagevertreter würden unterschiedlich im Prozess agieren. Zuletzt habe die Anwältin Angela Wierig für Aufsehen gesorgt, als sie die Justiz vor dem Vorwurf des institutionellen Rassismus in Schutz nahm.
AG Hamburg – Polizeizeugen bei G20-Prozess: In einem Strafverfahren gegen einen G20-Demonstranten vor dem Amtsgericht Hamburg soll ein Polizeizeuge angegeben haben, sich mit einem Ordner auf die Vernehmung vorbereitet zu haben, in dem alle Vernehmungsprotokolle gesammelt sind. Das berichtet die taz (Katharina Schipkowski) unter Berufung auf Prozessbeobachter. Zudem soll ein privater Ordner unter Polizeibeamten die Runde gemacht haben. Anwälte kritisieren, dass es so unmöglich sei, Erinnerungslücken und Falschaussagen aufzudecken.
Polizei Hamburg – Öffentlichkeitsfahndung zu G20-Protesten: Die SZ (Thomas Hahn) berichtet jetzt auch über die öffentliche Fahndung nach mutmaßlichen Straftätern, die an den G20-Protesten teilgenommen haben sollen.
Heribert Prantl (SZ) hält die Fahndung für rechtswidrig. Keiner wisse, ob die auf den Fotos abgebildeten Personen Straftaten begangen hätten. Die Polizei werfe G20-Kritiker in einen Topf mit Gewalttätern. Jost Müller-Neuhof (Tsp) meint hingegen, auf Ausnahmegewalt mit einer Ausnahmefahndung zu reagieren, sei nicht zu beanstanden. Beachtung verdiene jedoch der Nebeneffekt, dass "Strafverfolgung und polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit stetig ineinanderfließen".
VGH Mannheim zur Anwesenheitspflicht von Studierenden: Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat in einer Entscheidung vom 21. November eine Prüfungsordnung der Universität Mannheim wegen Unbestimmtheit verworfen, die Dozenten erlaubte, eine Anwesenheitspflicht in ihren Lehrveranstaltungen einzuführen. Marco Penz ordnet auf juwiss.de das Urteil ein und prüft, ob eine hinreichend bestimmte Regelung verfassungsmäßig wäre. Es spreche einiges dafür, dass Art. 5 Abs. 3 GG auch die Lernfreiheit schütze und ein Recht auf Fernbleiben beinhalte. Eine Anwesenheitspflicht sei nur dort verhältnismäßig, wo das Studium ohne Anwesenheit schlechterdings nicht vorstellbar erscheint, wie etwa bei Praktika oder praktischen Übungen.
OLG Hamm zu Ehrendoktortitel: Das Oberlandesgericht Hamm hat in einem neulich bekannt gewordenen Urteil entschieden, dass ein Vertrag über die Vermittlung eines zweifelhaften Ehrendoktortitels nicht sittenwidrig ist, weil nicht ausgeschlossen sei, dass es bei der Verleihung "jedenfalls auch" um Wissenschaft ging. lto.de (Hermann Horstkotte) stellt das Urteil vor und schildert andere Fälle, in denen über die Verleihung des Titels diskutiert wurde.
Rechtsstandort Deutschland: Im FAZ-Einspruch setzt sich Roman Poseck, Präsident des Oberlandesgerichts Frankfurt, mit dem Werk "Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb" des Juraprofessors Gerhard Wagner auseinander. Die Justiz würde zwar die meisten Verfahren qualitativ hochwertig und in einer überschaubaren Zeit erledigen. Bei wirtschaftlich außergewöhnlich bedeutsamen Streitigkeiten sei Deutschland jedoch nicht wettbewerbsfähig. Statt eines neuen deutschen Handelsgerichts empfiehlt Poseck kleine Schritte, wie die vermehrte Nutzung der englischen Sprache oder attraktivere Internetauftritte der deutschen Justiz.
Recht in der Welt
Slowenien/Kroatien – Grenzstreit: Kroatien weigert sich das Urteil eines Schiedsgerichts über den Grenzverlauf zu Slowenien am Golf von Piran umzusetzen. Die Regierung behauptet, das Urteil sei unter Verletzung von Verfahrensvorschriften zustande gekommen. Laut FAZ-Einspruch (Helene Bubrowski) könnte über das EU-Fischereirecht auch der Europäische Gerichtshof mit der Frage befasst werden. Zudem könne die EU politischen Druck ausüben, weil die Zustimmung Kroatiens zum Schiedsverfahren im Zusammenhang mit den Beitrittsverhandlungen erklärt wurde.
EU/Polen – Stimmrechtsentzug: Am Mittwoch könnte die Europäische Kommission beschließen, den Stimmrechtsentzug für Polen nach Artikel 7 des EU-Vertrags zu beantragen. Eine Zustimmung des Rates gilt jedoch als unwahrscheinlich, weil Ungarn voraussichtlich sein Veto-Recht ausüben wird. Die Problematik und Alternativen zum Stimmrechtsentzug erläutern die FAZ (Reinhard Veser) und die Welt (Hannelore Crolly).
USA – Richterwahl: Drei von US-Präsident Donald Trump vorgeschlagene Juristen haben ihre Kandidatur für das Amt eines Bundesrichters zurückgezogen. Zuvor hatten republikanische Politiker aus dem Senat deutlich gemacht, dass sie die Bewerber für ungeeignet halten, so die SZ (Hubert Wetzel).
Russland – Rosneft: Die FAZ (Benjamin Treibe) setzt sich mit zwei Prozessen auseinander, in denen es um die Übernahme des Ölkonzerns Bashneft durch Rosneft gehe. In beiden Prozessen sei Rosnefts Argumentation höchst fragwürdig, jedoch komme es darauf in "Russlands gelenktem Justizwesen" nicht an.
ICTY – Praljak-Suizid: Der Habilitand Alexander Heinze geht im FAZ-Einspruch der Frage nach, ob der serbische Kriegsverbrecher Slobodan Praljak durch seinen Suizid vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien seiner Strafe entgangen ist. Dabei vergleicht er verschiedene Straftheorien und wendet sie auf die internationale Strafgerichtsbarkeit an. Sein Fazit: "Gerade in einem Rechtssystem, dessen Existenz seit jeher von Realisten und politischen Opportunisten angezweifelt wird, erfordert die positive Generalprävention mehr als nur ein Schuldurteil und Tadel; sie erfordert einen Strafvollzug."
Internationaler Sportgerichtshof – Hyperandrogene Athletinnen: Der Internationale Sportgerichtshof muss bald entscheiden, wie mit Athletinnen umgegangen wird, die hyperandrogen sind, deren Körper also mehr männliche Geschlechtshormone als üblich produziert. Letztes Jahr hatte das Gericht einen Testosterontherapiezwang vorläufig ausgesetzt. FAZ-Einspruch (Christoph Becker) befasst sich eingehend mit der Problematik und den bisher bekannt gewordenen Fällen.
Sonstiges
Bundeskartellamt zu Facebook: Das Bundeskartellamt geht davon aus, dass Facebook seine marktbeherrschende Stellung ausnutzt, um Daten über andere Apps und Webseiten zu sammeln. Das geht aus einem vorläufigen Bericht der Behörde hervor. Facebook bestreitet hingegen eine marktbeherrschende Stellung zu haben und verweist auf andere Social-Media-Anbieter. Eine abschließende Entscheidung will das Kartellamt im Frühsommer 2018 treffen. Dann drohen Facebook Untersagungsverfügungen und Bußgelder. Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) und netzpolitik.org (Markus Reuter) erläutern das Verfahren.
In einem gesonderten Kommentar schreibt Markus Reuter (netzpolitik.org), dass das Verfahren nur der Anfang sein könne, um das "Monster Facebook" zu bändigen: "Um die Marktbeherrschung zu brechen, muss Facebook zu mehr Informationen für unabhängige Forschung, zu einer Interoperabilität mit anderen Plattformen und zur Bereitstellung eines kompletten Exports der Nutzerinhalte verpflichtet werden."
Air Berlin-Darlehen: Weil die Lufthansa von der Übernahme der Fluglinie Niki Abstand nimmt, muss sie wahrscheinlich als Rechtsnachfolger von Air Berlin das vom Bund gewährte Darlehen zurückzahlen. Das erläutert Rechtsanwalt Stefan Hertwig in einem Gastbeitrag für die FAZ. Die Rückzahlung könnte sogar von Konkurrenten eingeklagt werden, weil ohne Rückzahlung aus dem Darlehen eine illegale Beihilfe würde. Die Lufthansa könne sich auch nicht damit verteidigen, der Insolvenzmasse nichts entzogen zu haben, da das Darlehen der Aufrechterhaltung des Flugbetriebs diente.
Glücksforschung und Recht: Christian Geyer (FAZ) kritisiert die von Thomas Arntz, Kabinettschef am Europäischen Rechnungshof, in der NJW vertretene Forderung einer stärkeren Berücksichtigung der Glücksforschung durch die Rechtswissenschaft. Das Recht drohe dadurch seine Eigenlogik zu verlieren. Es solle weiter "positivistisch sein Schmerzensgeld festsetzen, wohl wissend, dass es nicht weiß, was Schmerzen kosten".
Der ehrbare Kaufmann: Die Rechtsanwältin Birgit Spießhofer spürt im FAZ-Einspruch dem Ideal des "ehrbaren Kaufmanns" nach, das zwar nobel sei, jedoch nicht ausreiche. Individuelle Tugendhaftigkeit brauche robuste Rahmenbedingungen.
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lto/dw
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Die juristische Presseschau vom 20. Dezember 2017: BVerfG zu Studienplatzvergabe / Öffentlichkeitsfahndung in der Kritik / Kartellamt gegen Facebook . In: Legal Tribune Online, 20.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26111/ (abgerufen am: 07.05.2024 )
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