Das Landgericht Zwickau hat einen Mann dreißig Jahre nach der Tat verurteilt. Außerdem in der Presseschau: Innenministerium räumt rechtswidrige Datensammlung ein und Studie fördert regionale Unterschiede bei der Examensbenotung zutage.
Thema des Tages
LG Zwickau – Mordurteil nach 30 Jahren: Das Landgericht Zwickau hat einen heute 62-Jährigen zu lebenslanger Haft verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Es sah es als erwiesen an, dass der Mann vor dreißig Jahren eine 18-jährige Frau vergewaltigt und ermordet hat. Hauptindiz, auf das sich das Urteil stützt, ist eine DNA-Spur vom Büstenhalter des Opfers, die durch neue Auswertungsmethoden Jahrzehnte nach der Tat zum mutmaßlichen Täter führte. Die Verurteilung erfolgte nach DDR-Recht. Den Fall schildern die Welt (Gisela Friedrichsen) und die FAZ (Stefan Locke).
Rechtspolitik
BKA-Datensammlung: Das Innenministerium hat eingeräumt, dass die Entziehung der Akkreditierung für die Berichterstattung zum G-20-Gipfel in mindestens vier Fällen rechtswidrig war. Gleichzeitig hat es angekündigt, den gesamten Speicher- und Löschprozess für die Dateien des Bundeskriminalamtes zu überprüfen. Es wird befürchtet, dass weit mehr Personen als die betroffenen Journalisten rechtswidrig in Dateien des Bundeskriminalamtes gespeichert sind, wie spiegel.de (Matthias Gebauer) und netzpolitik.org (Markus Reuter) schreiben.
In einem Kommentar bedankt sich Tobias Schulze (taz) beim Leiter des Bundespresseamtes, Steffen Seibert. Dessen Entziehung von Akkreditierungen hätte dafür gesorgt, dass endlich über die "willkürliche Speicherpraxis der Polizeibehörde" gesprochen werde.
"Lex Schröder": Der ehemalige Berliner Justizsenator Thomas Heilmann fordert in einem Gastbeitrag für das Hbl anlässlich des Engagements des ehemaligen Kanzlers beim russischen Konzern Rosneft eine "Lex Schröder". Dieser könne sich bisher auf eine Stichtagsregelung berufen, nach der Einkünfte aus anderen Quellen nicht auf die Bezüge als ehemaliger Bundeskanzler anzurechnen sind. Notwendig sei daher "ein Gesetz, das ehemalige Bundeskanzler genauso zu Loyalität und Transparenz verpflichtet wie jeden Beamten".
Neuer Verfassungsrichter: Die taz (Christian Rath) stellt Josef Christ vor, der am kommenden Dienstag voraussichtlich zum Richter am Bundesverfassungsgericht gewählt wird. Der bisherige Vizepräsident des Bundesverwaltungsgerichts sei politisch gut vernetzt, gelte jedoch nicht als Parteisoldat, sondern als "fleißiger, akribischer Richter". Er werde als erster Richter überhaupt vom Plenum des Bundestags gewählt und folge auf Wilhelm Schluckebier.
Musterfeststellungsklage: In einem Gastbeitrag für die FAZ befasst sich Elisabeth Winkelmeier-Becker, rechts- und verbraucherpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, mit der geplanten Einführung der Musterfeststellungsklage. Der Entwurf aus dem Bundesjustizministerium habe nicht ausschließen können, dass sich auch Anwaltsfirmen mit eigenen Geschäftsinteressen unter die EU-weit gelisteten Verbraucherverbände mischten. Insgesamt seien übertriebene Hoffnungen fehl am Platz. Die Musterfeststellungsklage schaffe kein materielles Recht und setze individuelle Ansprüche der Geschädigten voraus.
Strafvollzug: Im Interview mit lto.de (Maximilian Amos) weist der Kriminologe und Rechtsprofessor Hauke Brettel auf die Bedeutung des Strafvollzugs für den Opferschutz hin. Resozialisierung sei zwar in allen Strafvollzugsgesetzen als oberstes Vollzugsziel vorgegeben, werde jedoch sehr unterschiedlich umgesetzt. Verfassungsrechtlich geboten sei auch eine weitestgehende Gleichstellung von Strafgefangenen, die aber nicht noch nicht verwirklicht sei, wie das Beispiel des Sozialversicherungsschutzes zeige.
Bürgerversicherung: Der emeritierte Rechtsprofessor und ehemalige Verfassungsrichter Udo Steiner kritisiert die von einigen Parteien geforderte Zusammenführung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung in eine Bürgerversicherung als verfassungswidrig. Das Verbot für private Krankenversicherungen, neue Verträge abzuschließen, verletze die Berufsfreiheit. Zudem dürfe der Gesetzgeber die beiden Kompetenztitel für das privatrechtliche Versicherungswesen und für die Sozialversicherung nicht kombinieren. Schließlich müsse der angemessene Lebensunterhalt von Beamten sichergestellt werden. Dafür könne der Bund nur für seine Beamten Regelungen treffen.
Religionsfreiheit: Rechtsprofessor Markus Heimann setzt sich in der FAZ mit aktuellen Herausforderungen im Umgang mit Religionen auseinander. Wann eine Einschränkung der Religionsfreiheit verfassungsgemäß sei, sei letztlich eine Abwägungsentscheidung, die ihren politischen Charakter nicht verleugnen könne. Der Gesetzgeber solle sich stärker als bisher der Frage stellen, in welchen Lebensbereichen religiös motivierte Handlungsweisen hingenommen werden können. Elementar sei letztlich das "Verständnis und die Akzeptanz der Funktionsweise der Religionsfreiheit auf allen Seiten".
Di Fabio zu Euro und Europa: Im Interview mit der Zeit (Roman Pletter/Mark Schieritz, zeit.de-Vorabmeldungen) kritisiert Udo Di Fabio, Rechtsprofessor und ehemaliger Verfassungsrichter, die Anleihenkäufe durch die Europäische Zentralbank. Er geht davon aus, dass der Europäische Gerichtshof nach der Vorlage des Bundesverfassungsgerichts Auflagen definiere. Skeptisch äußert sich Di Fabio zudem zu deutsch-französischen Plänen einer europäischen Wirtschaftsregierung.
Justiz
BVerwG/VG Freiburg – linksunten.indymedia: Die angeblichen Betreiber der linksradikalen Internetplattform "linksunten.indymedia" wehren sich gegen die Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums. Eine Gruppe von Anwälten hat Klage beim erstinstanzlich zuständigen Bundesverwaltungsgericht eingereicht, um zunächst Akteneinsicht zu bekommen. Sie argumentieren unter anderem, dass es gar keinen Verein gegeben habe, der hätte verboten werden können. In weiteren Klagen vor dem Verwaltungsgericht Freiburg gehen die Betroffenen gegen die Durchsuchungen ihrer Wohnungen und des autonomen Zentrums KTS vor, wie die taz (Christian Rath) und lto.de (Maximilian Amos) berichten.
BGH – Veruntreuung von Fördergeldern: Der Bundesgerichtshof hat den Fall von zwei Finanzbeamten verhandelt, denen vorgeworfen wird, bei der Vergabe von staatlichen Fördermitteln nicht genau genug hingesehen zu haben. Sie sollen Gelder für den Wohnungsbau ausgezahlt haben, obwohl die Gemeinden bei den Anträgen getrickst hätten. Nächste Woche will der Bundesgerichtshof sein Urteil verkünden, so die SZ (Wolfgang Janisch).
LSG Berlin-Brandenburg – Sozialleistungskürzung für Akademikerin: Eine Akademikerin wehrt sich vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg gegen die Kürzung des Arbeitslosengeldes. Die Arbeitsagentur kürzte die Leistungen, nachdem die Wissenschaftlerin mehrfach einer Aufforderung, zu einem Gespräch zu kommen, nicht Folge geleistet hatte. Sie ist hingegen der Meinung, dass die Arbeitsagentur ohnehin nicht helfen könne, da nur sehr wenige Stellen ausgeschrieben werden, die zu ihrem Profil passen würden. Die taz (Christian Rath) schildert den Fall.
LG Düsseldorf – "Pflegemafia": Vor dem Landgericht Düsseldorf müssen sich neun Angeklagte verantworten, denen bandenmäßiger Betrug vorgeworfen wird. Sie sollen jahrelang als Pflegedienstleister Leistungen an rund 250 Patienten abgerechnet haben, die sie nie erbracht haben. So soll den Pflegekassen ein Schaden von insgesamt achteinhalb Millionen Euro entstanden sein. Weitere Verfahren gegen Ärzte, die Atteste ausgestellt haben, sowie Patienten, die Geld erhalten haben sollen, können folgen. Über den Fall berichten die SZ (Thomas Hummel) und spiegel.de (Matthias Gebauer).
AG Hamburg zu G-20-Demonstrant: Sabine Rückert (Zeit) kritisiert die Entscheidung des Amtsgerichts Hamburg, mit der ein 21-jähriger G-20-Gegner zu zwei Jahren und sieben Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde: "Die gesetzliche Anhebung des Strafrahmens kann nicht bedeuten: immer feste druff auf jeden, dessen man habhaft werden kann." Ein Richter müsse die Wirkung seines Urteils auf den Täter im Auge behalten.
StA Mühlhausen – Fischers Anzeige gegen Gauland: In einem Kommentar auf zeit.de begründet Thomas Fischer, ehemaliger Richter Am Bundesgerichtshof, warum er den AfD-Politiker Alexander Gauland wegen Volksverhetzung angezeigt hat. Dessen Äußerungen über die Staatsministerin für Migration, Aydan Özoğuz, würden zum Hass aufstacheln und zu Willkürmaßnahmen auffordern. Da Özoğuz als Mitglied einer ethnischen Minderheitsgruppe angesprochen worden sei, erhalte der Begriff "entsorgen" eine "offenkundig rassistische, auf Verletzung der Menschenwürde gerichtete Bedeutung".
Elke Büdenbender: In einer dreiseitigen Reportage stellt die Zeit (Nicola Meier/Vera Tammen) Elke Büdenbender vor, die früher als Richterin am Verwaltungsgericht Berlin arbeitete und jetzt als Frau von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier repräsentative Aufgaben übernimmt.
Recht in der Welt
Israel – Justizministerin kritisiert Richter: Die israelische Justizministerin Ayelet Shaked hat die Richterschaft in ihrem Land scharf kritisiert. "Der Zionismus wird nicht weiter seinen Kopf beugen vor einem universalen System der individuellen Rechte“, hat sie laut FAZ (Jochen Stahnke) bei einer Veranstaltung der israelischen Anwaltskammer gesagt. Auslöser sei eine Entscheidung des Obersten Gerichts gewesen, nach der Flüchtlinge nicht länger als zwei Monate inhaftiert werden dürfen.
Polen – Folgen der Verfassungskrise: In einem (englischsprachigen) Beitrag auf verfassungsblog.de befasst sich Rechtsprofessor Marcin Matczak mit möglichen Folgen der Verfassungskrise in Polen. Die derzeitige Regierung begreife Verfahrensgerechtigkeit nicht als Mittel, sondern als Hindernis für die Erreichung materieller Gerechtigkeit. Die größte Gefahr der Krise bestehe darin, dass diese Haltung sich nach der Krise fortsetze, wenn es darum gehe, die Verfassungsverletzungen rückgängig zu machen.
Juristische Ausbildung
Benotung juristischer Staatsexamina: Die FAZ (Constantin van Lijnden) stellt eine Studie zu Unterschieden in der Benotung juristischer Staatsexamina vor, die in der kommenden Woche in der "Zeitschrift für Rechtssoziologie" erscheint. Darin werde erstmals nachgewiesen, dass die Benotung stark vom Bundesland abhängt. Um andere Faktoren auszuschließen, seien Absolventen in den Blick genommen worden, die zwischen dem ersten und dem zweiten Staatsexamen das Bundesland gewechselt haben. So bedeute beispielsweise der Wechsel von Nordrhein-Westfalen nach Bremen einen Anstieg um durchschnittlich 1,6 Punkte.
Sonstiges
Umsetzung der "Ehe für alle": Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) weist auf Probleme bei der Umsetzung des Gesetzes zur Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe hin. Laut einem Schreiben des Innenministeriums könne eine Verwaltungssoftware das Gesetz erst ab dem 1. November verarbeiten, obwohl es bereits im Oktober in Kraft tritt. Außerdem seien zahlreiche Vorschriften bei der Reform übersehen worden, so dass weiterhin von Frau und Mann die Rede ist. Schließlich werde kritisiert, dass Intersexuelle weiterhin von der Ehe ausgeschlossen seien.
Predictive Policing: Die BadZ (Christian Rath) weist auf eine Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht hin, die sich mit dem Einsatz einer Prognose-Software zur Vorhersage von Einbrüchen befasst. Die Software ist seit 2015 in Baden-Württemberg im Einsatz und soll der Polizei dabei helfen, Einbrüche zu verhindern. Dazu wird nach einem Alarm der Software in der Nähe eines Tatortes verstärkt Präsenz gezeigt, wenn es Anzeichen für einen professionellen Serientäter gibt.
Die Mitte im Verfassungsrecht: Die FAZ (Helene Bubrowski) befasst sich mit dem Begriff der Mitte in Politik und Verfassungsrecht. Ausgangspunkt ist ein Aufsatz von Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle, den dieser vor Kurzem an der Universität Frankfurt zur Diskussion gestellt habe. Voßkuhle verstehe die Mitte als Raum, in dem konfligierende Auffassungen zum Ausgleich gebracht werden können. In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung gebe es zahlreiche Beispiele für bewusste und gewollte Schwebezustände, eine Haltung, die vom Staatsrechtslehrer Martin Nettesheim in einem bald erscheinenden Aufsatz als "muddling through" kritisiert werde.
Jura-Slam: lto.de (Marcel Schneider) stellt den Jura Slam vor, dessen Finale am 28. November in Berlin stattfindet. Bei dem vom Deutschen Anwaltverein veranstalteten Wettbewerb können junge Juristen auf unterhaltsame und verständliche Weise rechtliche Themen präsentieren. Der Gewinner wird vom Publikum bestimmt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 31. August 2017: Mordurteil nach 30 Jahren / Rechtswidrige BKA-Daten / Ungleiche Examensbenotung . In: Legal Tribune Online, 31.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24219/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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