Das Bundeskabinett beschließt Gesetzentwurf zu "Hassrede". Außerdem in der Presseschau: Auch Gesetzentwürfe zur Störerhaftung und zur Ausweitung des Kindereheverbots wurden verabschiedet und der NSU-Prozess wirft neue Fragen auf.
Thema des Tages
NetzDG: Das Bundeskabinett hat den Entwurf für das geplante "Gesetz zur besseren Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken" verabschiedet. Betreiber sozialer Netzwerke soll künftig bußgeldbewehrt die Pflicht treffen, "offensichtlich strafbare Inhalte" innerhalb von 24 Stunden zu löschen. Kritiker monieren unter anderem, die Meinungsfreiheit im Internet sei bedroht. SZ (Robert Rossmann), FAZ (Hendrik Wieduwilt) und taz (Carolina Schwarz) resümieren das Vorhaben. spiegel.de (Fabian Reinbold) und netzpolitik.org (Lennart Mühlenmeier) zeichnen ausführlich die Kritik nach.
"Die Entscheidung darüber, was unter den Schutz der Meinungsfreiheit fällt und was nicht, darüber, was im Netz stehen darf und was gelöscht werden muss, ist eine hoheitliche Tätigkeit", schreibt Heribert Prantl (SZ). Im Leitartikel betont Reinhard Müller (FAZ), der Staat ziehe sich nicht zurück, er bestimme weiterhin, was strafbar ist und übernehme die Strafverfolgung. Dem Vorwurf der Zensur entgegnet er, die sozialen Netzwerke sorgten dafür, dass "auf Plattformen Recht und Gesetz respektiert werden". Hendrik Wieduwilt (FAZ) widerstrebt der Grundsatz: "Im Zweifel weg damit!" Er konstatiert, eine Gesellschaft, die sich solche Regeln gebe, dürfe sich nicht mehr freiheitlich nennen.
Die SZ (Wolfgang Janisch/Ronen Steinke) beantwortet Fragen zur Strafbarkeit von "Fake News", zum Schutzumfang der Meinungsfreiheit, zum kritisierten "Ende der Anonymität im Netz" und zu den rechtlichen Konsequenzen, sollten soziale Netzwerke zu viel löschen.
Rechtspolitik
Störerhaftung: Mit dem verabschiedeten Gesetzentwurf zur Änderung des Telemediengesetzes will die Bundesregierung die Störerhaftung abschaffen und so mehr offene WLAN-Hotspots gewährleisten. zeit.de (Friedhelm Greis) berichtet ausführlich. Wie tagesschau.de schreibt, befürchteten Kritiker unter anderem einen "'Freibrief' für Rechtsverletzungen unter dem Deckmantel der Anonymität".
Ausweiterung des Kinderehe-Verbots: Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf gegen Kinderehen auch in bisher nicht ausgeschlossenen Altersgruppen verabschiedet. Damit soll die Ehemündigkeit grundsätzlich erst mit dem 18. Lebensjahr eintreten. Eheschließungen, bei denen die Mädchen unter 16 Jahre alt waren, sollen nach dem Gesetz nichtig sein. zeit.de (Katharina Schuler/Catharina Felke) erläutert in Frage-Antwort-Form die bisherige Rechtslage, die geplanten Regelungen, die Folgen für die Betroffenen und entsprechende Kritik. Die taz (Simone Schmollack) berichtet auch über die Folgen für Flüchtlinge und über Reaktionen auf das Vorhaben.
Ulrike Heidenreich (SZ) hält den Entwurf für "zu rigide". Sie vermisst Einzelfallprüfungen bei Eheschließungen von unter 16-Jährigen; durch die Nichtigerklärung könnten Unterhalts- und Aufenthaltsrechte verlorengehen. "So verstörend es in diesem Zusammenhang klingt: Es geht ums Kindeswohl." Simone Schmollack (taz) teilt diese Ansicht. Sie konstatiert, das Gesetz werde die Problematik um Kinderehen nicht vollständig lösen, da die wirklich kritischen Fälle den Behörden nicht bekannt würden.
Terrorabwehr: SZ (Wolfgang Janisch) und taz (Christian Rath) zeigen auf, wie sich mit dem Terror – von RAF zu Islamisten – auch die Terrorabwehr geändert habe und warnen davor, die Rechtsstaatsprinzipien zugunsten eines Präventionsstaates aufzugeben.
Übertragung von Gerichtsurteilen: Soll die Verkündung von Urteilen künftig im Fernsehen übertragen werden? Diese Frage diskutierten mehrere hundert Richter und Staatsanwälte beim Deutschen Richtertag anlässlich eines entsprechenden Gesetzentwurfs. Die BadZ (Christian Rath) präsentiert das Für und Wider – letztlich offenbarte sich ein "eher skeptisches Medienbild" der Richter.
Bayerische Präventivhaft: Nach Kritik an den bisherigen Plänen einer unbegrenzten Präventivhaft für Gefährder will die bayerische Staatsregierung nun im neuen Entwurf die richterliche Prüfungsfrist von einem Jahr auf drei Monate reduzieren. Die SZ (Ronen Steinke) betont, dass bereits die kurze Präventivhaft verfassungsrechtlich umstritten sei.
Justiz
BVerfG zu Schmähkritik: Das Bundesverfassungsgericht betont in einer nun veröffentlichten Entscheidung vom 8. Februar 2017 erneut, dass die Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik ein eng zu handhabender Sonderfall bleiben solle. Die Karlsruher Richter führten ihre bereits bekannte Begründung fort: Der Begriff Schmähkritik sei von Verfassungs wegen eng zu verstehen, da er eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht verbiete. Das Bundesverfassungsgericht gab damit der Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers statt, der sich gegen seine Verurteilung wegen Beleidigung gewehrt hatte. Er hatte einen Bundestagsabgeordneten der Grünen auf einer Demonstration als "Obergauleiter" bezeichnet. lto.de fasst auch zusammen, was bei der nun vom Landgericht Köln durchzuführenden Abwägung zu berücksichtigen sei.
"Man muss bestreiten, kritisieren, falsch finden können, was jemand anders behauptet, fordert, gut findet, und umgekehrt [...]." Diese Möglichkeit der Auseinandersetzung schütze die Meinungsfreiheit gerade. Daher sei es "weder ein Skandal noch ein Triumph, sondern ziemlich normal", dass das Bundesverfassungsgericht der Strafjustiz eine Differenzierung abverlange, meint Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de).
VGH Kassel zu Fraktionszuschüssen für NPD: Die hessische Gemeinde Büdigen muss der NPD kommunale Zuschüsse gewähren; die entsprechende Satzungsänderung verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz und sei daher unwirksam. Dies entschied der Verwaltungsgerichtshof Kassel, meldet spiegel.de.
OLG München – NSU: Die Bundesanwaltschaft hat es abgelehnt, den Psychiater Joachim Bauer als Sachverständigen zu hören. Die Expertise des bestellten Gutachters Henning Saß sei nicht zu bezweifeln. Zschäpes Anwalt Grasel habe Bauer nun selbst als Sachverständigen geladen, schreibt die taz (Konrad Litschko) unter dem Titel "Ein hilfloses Manöver". Zudem habe ein Nebenklageanwalt einen Forscher als Sachverständigen geladen, der belegen solle, dass der Verfassungsschützer Andreas Temme den NSU-Mord an Halit Yozgat mitbekommen haben muss.
LG Regensburg zu Meineid: Das Landgericht Regensburg hat Edward B., einen Freund von Gustl Mollath, zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten wegen Meineids in einem Wiederaufnahmeverfahren gegen das Justizopfer verurteilt. Er hatte vor Gericht wissentlich und unter Eid über einen angeblichen Komplott von Mollaths Ex-Frau gelogen. spiegel.de erinnert auch an das Verfahren gegen Mollath.
BVerfG – Ministerin und AfD: "Natürlich dürfen auch Bundesminister in der Öffentlichkeit ihre Meinung über Parteien sagen, im Fall der AfD ist das sogar dringend geboten. Nur ob und in welchem Umfang sie dabei Unterstützung ihres Ministeriums in Anspruch nehmen dürfen, ist umstritten." Dies notiert die BerlZ (Christian Bommarius) anlässlich der am 24. Mai anstehenden Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht zur AfD-kritischen Pressemitteilung von Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU).
LG Berlin – Obdachloser: Das Landgericht Berlin hat die Anklage wegen versuchten Mordes gegen sieben junge Männer zugelassen, die versucht haben sollen, in der Weihnachtsnacht 2016 einen Obdachlosen in Brand zu setzen. Die FAZ (Mechthild Küpper) stellt die mutmaßlichen Täter dar und erklärt und wie der Mann gerettet werden konnte.
BAW – türkische Spione: Der Welt (Annelie Naumann/Marcel Leubecher u.a.) liegt die Antwort auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Sevim Dagdelen vor, derzufolge die Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit im Auftrag der türkischen Regierung zurzeit gegen 20 Beschuldigte ermittele, "soweit es um die Ausspähung von Anhängern der Gülen-Bewegung geht".
StA München I – Insiderhandel: Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt gegen den Aufsichtsratschef des Konzerns Linde, Wolfgang Reitzle, wegen Insiderhandels. Es sei zu klären, ob er beim Kauf von Linde-Aktien bereits Kenntnis von den Fusionsverhandlungen mit einem Konkurrenzunternehmen hatte, notiert das Hbl (Axel Höppe/Robert Landgraf).
Anzeige gegen McDonald's: Verbraucherschützer haben McDonald's beim Bundeskartellamt angezeigt. Sie werfen dem Konzern vor, Franchisefilialen gegenüber konzerneigenen Filialen schlechter zu stellen. Das Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) fasst die Vorwürfe zusammen.
Mord an Siegfried Buback: Die taz (Wolfgang Gast) befasst sich mit den Bemühungen Michael Bubacks, Sohn des 1977 von der RAF erschossenen Generalstaatsanwalts Siegfried Buback, den Mord an seinem Vater aufzuklären. Er vermutet, Verena Becker sei die Täterin und vom Verfassungsschutz gedeckt worden.
Durchsuchungen in Anwaltskanzleien: Der Rechtsanwalt André Szesny erklärt im Interview mit der Zeit (Marcus Rohwetter), warum Durchsuchungen in Kanzleien unzulässig seien. Er sieht das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant gefährdet.
Anis Amri: Die Zeit (Mohamed Amjahid, Daniel Müller u.a.) bringt über drei Seiten "die Rekonstruktion eines Staatsversagens" im Fall Anis Amri und erörtert, was Polizei und Verfassungsschutz zu welchem Zeitpunkt wussten und wie der Staat den Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz hätte verhindern können.
LG Hamburg zu Silvester-Übergriffen: Die Zeit (Sebastian Kempkens) gibt im Recht-und-Unrecht-Teil einen umfassenden Einblick darin, wie das Verfahren wegen eines vermeintlichen Silvester-Übergriffs das Leben von Behzad S. und sein Vertrauen in das deutsche Rechtssystem erschütterte. Der Beitrag zeichnet zudem nach, wie es zum Vorwurf gegen S. kommen konnte und stellt "systematische Fehler" fest.
Recht in der Welt
EU – Brexit: spiegel.de (Markus Becker) schildert, ob und wie der Brexit noch gestoppt werden könnte. Unter Juristen sei strittig, ob ein Widerruf des Austrittsantrags möglich sei. Weitgehende Einigkeit herrsche allerdings darüber, dass ein sogenannter "Exit vom Brexit" auf politischem Wege möglich wäre.
Sonstiges
U-Ausschuss zu Silvester-Übergriffen: Die Polizei habe ihren Einsatz in Köln an Silvester 2015/16 unzureichend geplant, zu wenig Beamte bereitgestellt und schließlich zu spät reagiert. Dieses Fazit zieht der Untersuchungsausschuss des Düsseldorfer Landtags zu den Silvester-Übergriffen. Die FAZ (Reiner Burger) erläutert auch, in welchen Punkten sich der Ausschuss nicht einigen konnte.
Verfassungsschützer und NSU-Mord: Die Forschergruppe Forensic Architecture behauptet nachweisen zu können, dass Verfassungsschützer Andreas Temmel während des Tatgeschehens bemerkt haben müsse, dass Halit Yozgat in seinem Internetcafé erschossen wurde. Dies hatte er bisher bestritten. Am heutigen Donnerstag wollen die Forensiker ihre Ergebnisse zu der Frage veröffentlichen. Die SZ (Jörg Häntzschel/Annette Ramelsberger) stellt das Ziel und die Arbeitsmethoden der Forschergruppe vor.
Das Letzte zum Schluss
Ermittlungserfolg in Tschechien: Ein Autofahrer aus Finnland hat sich bei einem Roadtrip in Tschechien heillos verfahren. Grund: Er nutzte eine jahrzehntealte Karte der damaligen Tschechoslowakei. Als er endlich Aussicht auf Rettung hatte, ließen ihn die Polizeibeamten erst einmal "pusten" und fanden so den zweiten Grund für die Planlosigkeit des Fahrers: fast zwei Promille Alkohol im Blut. Dies meldet die Welt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 6. April 2017: NetzDG-Entwurf verabschiedet / Störerhaftung ade / BVerfG zu Schmähkritik . In: Legal Tribune Online, 06.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22561/ (abgerufen am: 27.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag