Das BVerwG befragt den EuGH zur Sekundärmigration. Außerdem in der Presseschau: 17 EU-Staaten bilden Europäische Staatsanwaltschaft, NPD verliert wohl gegen Steffen Kailitz und der Presserat ändert Kodex in Sachen Strafberichterstattung.
Thema des Tages
BVerwG – Sekundärmigration: Dürfen Flüchtlinge, die bereits in einem EU-Land internationalen Schutz erhalten, in einem anderen EU-Land erneut Asyl beantragen? Oder sind die Anträge bereits als unzulässig anzusehen? Mit diesen und weiteren Fragen zur sogenannten Sekundärmigration wird sich der Europäische Gerichtshof auf Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts befassen. Die Leipziger Richter baten um eine schnelle Entscheidung, da die Fragen eine Vielzahl der Fälle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und vor den Verwaltungsgerichten betreffen. welt.de (Sven Eichstädt) schildert die zugrunde liegenden Fälle.
Rechtspolitik
Europäische StA: 17 Unionsstaaten, darunter auch Deutschland, haben sich im Wege der verstärkten Zusammenarbeit darauf geeinigt, eine gemeinsame "europäische Staatsanwaltschaft" einzuführen. Sie soll im Jahr 2019 ihre Arbeit beginnen. Die konkrete Struktur und Befugnisse stünden noch nicht fest. Strafrechtsanwalt Franz-Josef Schillo zeichnet auf lto.de nach, warum es bislang keine europäische Staatsanwaltschaft gibt und äußert Zweifel an der Effizienz und Funktionsfähigkeit der geplanten Behörde.
Rückkehr von Migranten: Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration setzt sich dafür ein, die Rückkehrberatung für Migranten in Deutschland flächendeckend einzuführen und gesetzlich zu verankern. Die SZ (J. Bielicki/B. Kastner) fasst die Argumente des Rates zusammen und erinnert an den Gesetzentwurf von Thomas de Maizière (CDU). Dieser sieht konsequentere Abschiebungen und mehr Befugnisse zum Sammeln von Daten von Flüchtlingen vor. Die FAZ (jib.) und die taz (Daniel Bax) sammeln Kritik am Entwurf des Innenministers. Die Welt (Marcel Leubecher) bringt Hintergründe zu den Forderungen des Sachverständigenrates.
Römische Verträge: Am morgigen Samstag wollen die EU-Regierungschefs trotz Verhandlungsschwierigkeiten und bestehender Zweifel seitens der Regierungen Griechenlands und Polens die Römischen Verträge erneuern und deren Unterzeichnung am 25. März 1957 gedenken. Unter dem Titel "fast alle Wege führen nach Rom" zeichnet die FAZ (Michael Stabenow) ausführlich die Entwicklung der europäischen Verträge nach.
Parteienfinanzierung: Die FAZ (Alexander Haneke) befasst sich ausführlich mit dem Gesetzentwurf des Bundesrates in Sachen Finanzierung verfassungsfeindlicher Parteien, wie dieser zustande kam und welche Kritik daran besteht.
Alexander Haneke (FAZ) hält es für verständlich, dass der Gesetzgeber schnellstmöglich verfassungsfeindlichen Parteien die staatliche Teilfinanzierung entziehen will. "Schließlich ist es kaum zu ertragen, dass mit Steuergeldern rechtsextreme Hetzer finanziert werden […]." Er mahnt allerdings, die Beteiligten sollten sich erst darüber klar werden, "welche Fallstricke da lauern", bevor sie das Grundgesetz änderten.
AÜG-Änderungsgesetz: Am 1. April tritt die Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in Kraft. Rechtsprofessor Manfred Löwisch beleuchtet auf dem Handelsblatt-Rechtsboard, wie sich dies auf das Rechtsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeiter auswirkt, insbesondere auf die sogenannte "Fallschirmlösung".
Europäische Ermittlungsanordnung: Justizbehörden eines EU-Mitgliedsstaats sollen Ermittlungsanordnungen für einen anderen EU-Staat erlassen können. Diese Vorgabe der EU ist am vergangenen Mittwoch mit der Reform des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen in nationales Recht eingegangen. Warum das europäische Ermittlungsverfahren mit dieser Regelung "am Ende einer Sackgasse" angelangt sei, erläutert Strafrechtsprofessor Marco Mansdörfer auf lto.de.
Fahrverbot: Vom Bundestag geladene Experten halten das geplante Fahrverbot als neue Sanktion neben Geld- und Haftstrafe für eine "angemessene Pein gerade für junge Übeltäter". Jost Müller-Neuhof (Tsp) resümiert die Kritik an dem Vorstoß, findet selbst allerdings, dass es einen Versuch wert sei.
Justiz
LG Hamburg zu Silvester-Übergriffen: Das Landgericht Hamburg hat einen 34-Jährigen unter anderem vom Vorwurf der sexuellen Nötigung im besonders schweren Fall während der Silvesternacht 2015/16 freigesprochen. Dies sei nicht verwunderlich, nachdem sogar der Oberstaatsanwalt im Plädoyer eine Mittäterschaft ausschloss. Die SZ (Thomas Hahn) beschreibt, wie das Verfahren das Leben des Unschuldigen beeinträchtigt hat und verweist auf mögliche Ermittlungsfehler.
LG Dresden – Steffen Kailitz: Der Vorsitzende Richter im Verfahren der NPD gegen Steffen Kailitz am Landgericht Dresden habe durchblicken lassen, dass er die kritischen Äußerungen des Politikwissenschaftlers von der Meinungsfreiheit gedeckt sieht, berichtet zeit.de (Tilman Steffen).
StA Stuttgart – Daimler: Wie die SZ (Thomas Fromm/Max Hägler/Stefan Mayr) schreibt, hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart Daimler bislang nicht darüber in Kenntnis gesetzt, gegen welche Personen genau sie ermittle. Der Autokonzern betone, nicht über den Schadstoffausstoß getäuscht zu haben. Die Deutsche Umwelthilfe und Rechtsprofessor Martin Führ, der für den Diesel-Untersuchungsausschuss des Bundestages ein Gutachten erstellt hatte, halten dem entgegen. Das Hbl (Lukas Bay/Stefan Menzel/u.a.) überlegt, was die Ermittlungen ausgelöst haben könnte. So könnte etwa eine in den USA anhängige Sammelklage gegen Daimler wegen etwaiger erhöhter Abgaswerte die Staatsanwaltschaft bewegt haben. Der Beitrag gibt auch einen Einblick in die Rechtslage der deutschen und europäischen Abgasnormen.
Volker Votsmeiter (Hbl) betont die Unschuldsvermutung, meint jedoch auch, dass allein die technischen Voraussetzungen der Fahrzeuge darauf hindeuteten, dass "nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist". Daimler wäre gut damit beraten, "öffentlich Fehler einzugestehen und zu korrigieren – damit nicht noch mehr Kunden das Vertrauen verlieren".
LG Bielefeld zu Brandanschlag: Das Landgericht Bielefeld hat drei Männer wegen eines Anschlags mit Molotow-Cocktails auf eine Flüchtlingsunterkunft in Porta Westfalica zu jeweils vier Jahren Haft verurteilt. Eine Frau erhielt eine Bewährungsstrafe von 18 Monaten. Entgegen der Staatsanwaltschaft, die auf versuchten Mord plädierte, nahm das Gericht eine gemeinschaftliche schwere Brandstiftung an, melden SZ und FAZ.
Klagen wegen Germanwings-Absturz: Am heutigen Freitag will der Anwalt von Angehörigen der Germanwings-Opfer am Landgericht Düsseldorf fünf Schmerzensgeldklagen gegen die Fluggesellschaft Germanwings einreichen. "Die bislang gezahlten Beträge sind selbst nach deutschen Maßstäben zu gering bemessen", begründet er sein Vorgehen. Dies meldet spiegel.de.
StA Düsseldorf – Rainer Wendt: Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ermittelt in der Gehaltsaffäre um den Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt wegen Untreue gegen unbekannt, so spiegel.de und SZ. Wendt erhielt trotz Freistellung für die Gewerkschaftsarbeit über Jahre hinweg ein Teilzeitgehalt.
Verfahren wegen VW-Abgasaffäre: spiegel.de (Kristina Gnirke) schildert, warum immer mehr deutsche Zivilgerichte zugunsten der VW-Geschädigten urteilten. Den Wandel begünstigten etwa die Ermittlungsergebnisse und Prozesse in den USA, wo VW sich bereits mit mehreren Klägern geeinigt hat und rund 22 Milliarden Euro Schadensersatz zahlen muss.
Rechtsausschuss Brandenburg zu Jan G.: Der Rechtsausschuss des Brandenburger Landtags versucht, im Fall des Jan G. herauszufinden, ob die Justiz hätte verhindern können, dass er seine Großmutter und zwei Polizisten tötet. Die SZ (Verena Mayer) zeichnet die kriminelle Vergangenheit des 24-Jährigen nach. Dieser wartet derzeit auf den Prozess.
Justiz und Politik: Stefan Ulrich (SZ) beleuchtet unter dem Titel "Kampf der Gewalten", wie sich diese "manchmal bis hin zur Lähmung des Staates ineinander [...] verhaken". Als Beispiel führt er etwa die tausenden suspendierten Richter in der Türkei an. Anhand der Ermittlungen gegen französische Politiker fasst er zusammen, auf welche Weise die Judikative legitimerweise in die Exekutive eingreifen kann oder sogar muss. Die Gefahr eines Judikats sieht er in Europa nicht.
Recht in der Welt
EU/Polen – Streit um Rechtsstaatsverfahren: Polen drohe als Reaktion auf das erklärte Scheitern des Rechtsstaatsverfahrens, die Rom-Erklärung am morgigen Samstag nicht zu unterzeichnen. Am vergangenen Mittwoch hatte Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission, das Verfahren für erfolglos erklärt; er wolle nun den zuständigen Ministerrat in den Streit um das Polnische Verfassungsgericht mit einbinden. Wie spiegel.de (Markus Becker) schreibt, gebe es im EU-Parlament auch die Forderung, Polen die Stimmrechte im Europäischen Rat zu entziehen.
Polen – Ermittlungen gegen Tusk: Am vergangenen Montag stellte der polnische Verteidigungsminister Antoni Macierewicz Strafanzeige gegen den EU-Ratspräsidenten Donald Tusk wegen des "Verdachts auf Verübung eines Verbrechens zum Schaden des polnischen Staates". Die SZ (Florian Hassel) erläutert die Vorwürfe und warum die Anzeige im Kalkül der Regierungspartei PiS steht.
Sonstiges
Berichterstattung über Straftaten: Der Presserat hat Punkt 12.1 des Pressekodex zur Berichterstattung über Straftaten geändert. Demnach sei dabei zu beachten, "dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt". Die Zugehörigkeit solle in der Regel nicht erwähnt werden, sondern nur dann, wenn ein begründetes öffentliches Interesse bestehe. Laut taz (Jana Anzlinger) erlaubt der Presserat damit künftig, die Herkunft von Straftätern zu erwähnen. Die FAZ (Michael Hanfeld) erläutert die Hintergründe der Reform.
"Wozu soll das gut sein?", fragt Jana Anzlinger (taz). Denn die Information über die Herkunft des Täters helfe niemandem weiter, sondern schüre nur den "(falschen) Eindruck, dass die meisten Straftaten von Menschen anderer Abstammung begangen werden".
Das Letzte zum Schluss
Populäres Polizeihandeln im Bild der Presse: Dass die Polizei nicht nur dem Menschen erklärter Freund und Helfer, sondern auch ausgesprochen tierlieb sein kann, haben Beamte aus Stadthagen bewiesen. Als sie nachts ein verloren gegangenes Kaninchen fanden, setzten sie es auf die noch warme Motorhaube des Polizeiwagens, um das frierende Haustier wieder aufzuwärmen, wie neben zahlreichen Lokal- und Boulevardmedien auch der Norddeutsche Rundfunk berichten. Der Bildbeweis findet sich u.a. auf spiegel.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 24. März 2017: Sekundärmigration vor EuGH / Europäische StA / NPD gegen Kailitz . In: Legal Tribune Online, 24.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22453/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
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