Rechtliche Hürden erschweren den EU-weiten Austausch von Ermittlungsdaten. Außerdem in der Presseschau: willkürliche THC-Grenzwerte im Straßenverkehr, Freitaler Bürgerwehr unter Terrorverdacht und Obamas Amnestieprogramm verpufft.
Thema des Tages
Datenaustausch ja, Terrorabwehrzentrum nein: Was steht einem besseren europäischen Austausch von Ermittlungsdaten zur Terrorabwehr entgegen? Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen nennt im Interview mit tagesschau.de (Marie v. Mallinckrodt/Ariane Reimers) "sehr restriktive" Rechtsvorschriften als Grund. Bedarf für ein gemeinsames europäisches Antiterror-Abwehrzentrum sieht er unterdessen nicht. Maaßen warnt auch vor Risiken zu weit gehender Exekutivmaßnahmen.
"Die Integrationsbereitschaft stößt nicht nur in der Steuer- und der Flüchtlings-, sondern auch bei der Sicherheitspolitik an nationalstaatliche Grenzen", meint Eckart Lohse (Montags-FAZ). In der EU gebe es nicht einmal eine gemeinsame Definition dessen, was ein Gefährder ist.
Die Montags-SZ (Stefan Braun) weist auf die Gefahr von Datenlecks bei einem gemeinsamen Abwehrzentrum hin: Bei 28 Staaten und unzähligen Behörden könnten wichtige Informationen im schlimmsten Fall in die Hände von Terroristen gelangen.
Rechtspolitik
THC im Straßenverkehr: Dass kleinste Rückstände THC im Blut für einen Führerscheinentzug ausreichen, halten viele Mediziner und Juristen für willkürlich, so die WamS (Haiko Prengel, Ressort Motor). Die Schwelle zur Gefahr liege im Straßenverkehr bei deutlich höheren Werten; viele Betroffene seien nicht akut berauscht.
Arbeitsverhältnisgesetz*: Die Große Koalition hat sich offenbar auf den Erlass eines "Arbeitsverhältnisgesetzes" verständigt. Bislang sei nur eine Definition des Arbeitnehmerbegriffs im BGB beabsichtigt gewesen – jetzt strebe die Koalition wohl den großen Wurf an, heißt es bei blog.beck.de (Markus Stoffels).
Terrorismus und Rechtsstaat: Wie begegnet ein Rechtsstaat dem Terrorismus heute? Reinhard Müller (FAZ) zieht den Vergleich zum RAF-Terrorismus, der den Rechtsstaat letztlich gestärkt habe. Man müsse darauf achten, sich nicht erpressen zu lassen und Straftäter zur Rechenschaft ziehen. Überbordende Vorschriften, die die Freiheiten des Einzelnen einschränken, wolle aber niemand.
BND-Reform: Der innenpolitische Sprecher der SPD Burkhard Lischka fordert im Spiegel (Maik Baumgärtner u.a. – Kurzmeldung), die Reform des BND rasch auf den Weg zu bringen. Nach einem Gesetzentwurf aus dem Kanzleramt sollen alle EU-Institutionen und -Bürger vor Überwachung durch den BND geschützt sein.
Personalwechsel am BFH: lto.de informiert über die Ernennung Silvia Schusters als neue Vizepräsidentin am Bundesfinanzhof in München. Zugleich wurden dort vier neue Senatsvorsitzende ernannt.
*Bei der Meldung zum Arbeitsverhältnisgesetz handelte es sich um einen Aprilscherz des Autors vom Beck-Blog.
Justiz
BAW – Freitaler Bürgerwehr: Die Bundesanwaltschaft zieht Ermittlungen gegen die Mitglieder einer selbsternannten Bürgerwehr aus Freital an sich – und hat entsprechende Akten bei der sächsischen Justiz angefordert. Das meldet u.a. spiegel.de. Die Mitglieder stehen unter Verdacht, eine rechtsterroristische Vereinigung gebildet zu haben.
LG München I – Deutsche Bank-Prozess: Die Samstags-SZ (Stephan Radomsky) fasst den seit einem Jahr andauernden Prozess gegen die Manager der Deutschen Bank vor dem Landgericht München I ausführlich zusammen. Das Verfahren sei längst "zum juristischen Abnutzungskampf geraten".
Corinna Budras (FAS) befasst sich angesichts des Mitangeklagten Rolf Breuer – er zahlt eine Millionenstrafe an die Kirch-Erben – allgemein mit der persönlichen Haftung von Managern. Die habe mehr eine symbolische Bedeutung, woran sich eine "mitunter rachsüchtige Öffentlichkeit" werde gewöhnen müssen.
FG Köln – Cum-Ex-Geschäfte: Ein amerikanischer Investor hat im Zusammenhang mit sogenannten Cum-Ex-Geschäften das Bundeszentralamt für Steuern verklagt. Der Investor will vor dem Finanzgericht Köln die Erstattung von Kapitalertragssteuern erzwingen, meldet der Spiegel (Martin Hesse).
LG Hamburg – BUND zieht Klage zurück: Der Bund für Umwelt und Naturschutz hat eine Klage gegen seinen Mitgründer Enoch zu Guttenberg vor dem Landgericht Hamburg zurückgezogen. Der Verband wollte zunächst Enochs Aussage verbieten lassen, er sei mit der Windkraftlobby verquickt. Hierzu u.a. die Samstags-taz (Anja Krüger).
EGMR – Peter Marx: Wie der Spiegel (Dietmar Hipp) meldet, ist beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Beschwerde des NPD-Funktionärs Peter Marx gegen die Bundesrepublik anhängig. Marx geht gegen die Ablehnung seiner Kandidatur als Oberbürgermeister in Schwerin im Jahr 2008 gerichtlich vor – bislang erfolglos.
AGH NRW zur Zulassung nach Beleidigung im Ref: Die Samstags-FAZ (Helene Bubrowski) schildert den Fall einer ehemaligen Referendarin aus Nordrhein-Westfalen, der ihre Zulassung als Rechtsanwältin nach einer Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs Nordrhein-Westfalen zunächst bis 2019 versagt bleibt. Sie hatte einem ihrer Ausbilder unter anderem ein Leben wie das "Loch vom Plumpsklo" und ein "Weltbild von 1940" attestiert, nachdem sie offenbar mit ihrer Stationsnote unzufrieden war. "Unwürdig" für den Anwaltsberuf, so der AGH.
AG Köln zu Silvesterübergriffen: Das Amtsgericht Köln hat einen Mann aus Algerien wegen Diebstahls eines Handys und Bargeldes in der Kölner Silvesternacht zu einer Geldstrafe verurteilt. Das meldet spiegel.de.
LG Köln zu MyTaxi: Das Landgericht Köln hat das einstweilige Verbot einer Rabattaktion des Anbieters MyTaxi im März bestätigt, wie lto.de meldet. Das Urteil habe keine spürbare Auswirkung: Das Landgericht Frankfurt sprach im Januar ein bundesweites Verbot aus.
LG Neubrandenburg – "Rabaukenjäger": Weite Kreise hatte der Fall des Mannes gezogen, der ein totes Reh an seiner Anhängerkupplung über eine Bundesstraße schleifte: Dass das Landgericht Neubrandenburg dem "Nordkurier" die Bezeichnung "Rabaukenjäger" verboten hat, sehen Kritiker als Angriff auf die Pressefreiheit. Die FAS (Frank Pergande) relativiert: Die Berichterstattung des Nordkuriers sei auch nicht ganz in Ordnung gewesen.
BAG zur Konfession bei Einstellung: Unter welchen Voraussetzungen dürfen kirchliche Arbeitgeber eine bestimmte Konfession des Bewerbers erwarten? Zu dieser Frage hat das Bundesarbeitsgericht den Europäischen Gerichtshof angerufen. blog.beck.de (Markus Stoffels) berichtet.
OLG Hamm zur Zwangsmedikation: Für die Zwangsmedikation eines in Untersuchungshaft Inhaftierten stellt das nordrhein-westfälische Untersuchungshaftvollzugsgesetz keine Grundlage dar. Das hat das Oberlandesgericht Hamm im März entschieden, so lto.de. Für derartige Eingriffe bedürfe es einer besonderen gesetzlichen Grundlage.
LG Hannover zu Einbruchstrio: Ein Trio beging während Beerdigungen eine Serie von Einbrüchen in die Häuser der Verstorbenen oder deren Angehörigen. Der Spiegel (Julia Jüttner) bringt einen Bericht über den Prozess vor dem Landgericht Hannover.
Gefängnis statt Rundfunkbeitrag: Die WamS (Lutz Stordel) schildert die Geschichte einer Frau, die sich beharrlich weigert, den Rundfunkbeitrag zu zahlen. Bereitwillig sei sie in Erzwingungshaft gegangen.
Recht in der Welt
ICTY – Freispruch für Šešelj: Nach dem Freispruch des serbischen Nationalistenführers Vojislav Šešelj prüfen die Ankläger am Haager Tribunal eine Berufung. Sie könnten sich auf eine abweichende Meinung einer Richterin berufen, heißt es in der Samstags-FAZ (Michael Martens). Šešelj habe etwa mit seinen gewaltverherrlichenden Reden Frontkämpfer zur Gewalt angestachelt, was für eine indirekte Schuld an Kriegsverbrechen spreche.
Die Entscheidung sei voll von abwegigen Tatsachenfeststellungen und Rechtsirrtümern, meint der langjährige ICTY-Richter Wolfgang Schomburg im Interview mit der Samstags-SZ (Stefan Ulrich).
EU-Türkei-Abkommen: Amnesty International wirft der Türkei vor, rechtswidrig syrische Flüchtlinge in deren Heimat abzuschieben. Die EU-Kommission hat zugesagt, die von Amnesty International erhobenen Vorwürfe zu prüfen – und unterdessen bekräftigt, die Vereinbarungen mit der Türkei stünden im Einklang mit europäischem und internationalem Recht. Hierzu die Samstags-FAZ (Michael Stabenow).
Frankreich – Radikalisierung im Gefängnis: Frankreich will dem Islamismus in Gefängnissen vorbeugen. Häftlinge sollen in Gesprächskreisen, Treffen mit Terroropfern oder Historikern dazu gebracht werden, ihr gewalttätiges Weltbild infrage zu stellen, heißt es bei lto.de.
USA – Amnestieprogramm: US-Präsident Obama kündigte 2014 die Begnadigung von 10.000 Drogengefangenen an – doch jetzt sei vom Ehrgeiz des "Celemency Project" nichts mehr übrig, schreibt die FAS (Markus Günther). Das kühne Begnadigungsprogramm sei "von den Mühlen der Politik zerrieben".
Italien – Religiöse Bauten: Das italienische Verfassungsgericht hat ein lombardisches Gesetz für nichtig erklärt, nach dem allein die katholische Kirche neue religiöse Gebäude errichten durfte. Der italienische Rechtsprofessor Giancarlo Anello begrüßt auf verfassungsblog.de in englischer Sprache die Entscheidung: Sie stärke die Religionsfreiheit gerade europäischer Muslime.
Sonstiges
Verfahren gegen Pkw-Maut: Wegen der geplanten Pkw-Maut wird die EU-Kommission das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland voraussichtlich fortführen. Die Kommission könne dann Mitte Juni Klage am Europäischen Gerichtshof erheben, so die Samstags-FAZ (Michael Stabenow).
Polizeiprofessor in Sachsen: Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) verbietet einem Professor der sächsischen Landespolizeihochschule per Abmahnung, Ulbig die persönliche Eignung für sein Amt abzusprechen. Hierzu der Focus (tso) und die Montags-Welt (Tommy Schmoll).
Mindestlohn: Muss für Praktikanten und Ehrenamtliche der gesetzliche Mindestlohn gezahlt werden? Die richtige Einordnung unter gesetzliche Tatbestände des Mindestlohngesetzes gelinge oft nicht, so die Anwälte Alexander Bork und Britta Fischer auf lto.de.
Recht auf Arbeitsverweigerung: Rechtsanwalt Marcel Grobys erklärt in der Samstags-FAZ (Ressort Beruf und Chance), wann ein Arbeitnehmer nach Schikanen seines Chefs die Arbeit verweigern darf.
Erdogan-Satire: Nachdem das ZDF ein Erdogan-Schmähgedicht des Satirikers Jan Böhmermann aus der Mediathek entfernt hat, meint Jost Müller-Neuhof (Tsp): "Eine gelungene Satire, keine auf Erdogan, sondern auf unsere weltbekannte Überheblichkeit, mit der wir anderen beständig meinen erklären zu müssen, wie irrsinnig weit die Meinungsfreiheit zu reichen hat." Ein "Lehrstück über die Grenzen der Pressefreiheit", titelt die Montags-Welt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 2. bis 4. April 2016: Umkämpfte Datentöpfe / Willkürlicher THC-Grenzwert / Freitaler Bürgerwehr unter Terrorverdacht . In: Legal Tribune Online, 04.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18957/ (abgerufen am: 18.05.2024 )
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