Viel ist geschrieben worden über den am Freitag veröffentlichten Kopftuch-Beschluss des BVerfG. Außerdem in der Presseschau: Das BVerfG wird den Atomausstieg prüfen, Angehörige von Opfern bei Fabrikbrand in Pakistan haben Klage gegen Kik eingereicht, Lobbyverband VPRT reicht Beschwerde gegen Rechercheverbund von NDR, WDR und SZ ein und Wikileaks-Gründer Julian Assange wird wohl doch in London befragt.
Thema des Tages
BVerfG zum Kopftuchverbot: Über den am Freitag veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Tragen von Kopftüchern an Schulen berichten jetzt auch die Samstags-FAZ (Reinhard Müller/Reiner Burger), lto.de (Pia Lorenz/Anne-Christine Herr) und die Samstags-Welt (ausführlicherer Onlinebeitrag). In dem Beschluss vom Januar hat das BVerfG ein pauschales Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen für grundgesetzwidrig erklärt; zwei Richter gaben ein abweichendes Sondervotum ab. Die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch) spricht nach dem Kopftuch-Urteil im Jahr 2003 von einer Kehrtwende – "vielleicht nicht um 180, aber doch um 160 Grad". Weiter stellt sie in Aussicht: "Liest man den 56-Seiten-Beschluss genau, wird klar, dass etwa ein Protestzug besorgter Eltern kein Verbot rechtfertigen wird".
Heribert Prantl (Samstags-SZ) begrüßt die Entscheidung. Staatliche Neutralitätspflicht bedeute nicht, dass eine Lehrkraft ein Neutrum sein müsse. "Schule ist kein klinischer Raum; sie ist der Ort, an dem Gesellschaft eingeübt wird. Das Verfassungsgericht beteiligt sich an dieser Übung." Christian Rath (Badische Zeitung) meint: Das Kopftuch einer Lehrerin gehe gerade nicht auf eine staatliche Anordnung zurück, sondern sei Ausdruck ihrer Persönlichkeit. "Der Staat toleriert das Tuch nur", und "gerade in Schulen ist Toleranz doch ein wichtiges Erziehungsziel". Reinhard Müller (Samstags-FAZ) sieht hingegen die staatliche Neutralitätspflicht gefährdet. Das Grundrecht auf Religionsfreiheit müsse man zwar besonders im Blick haben – die öffentliche Schule sei aber keine religiöse Erziehungsanstalt. Müller verweist in seiner Kritik auf den Kruzifix-Beschluss des BVerfG von 1995, in dem vom "appellativen Charakter" religiöser Symbole "ohne Ausweichmöglichkeit" die Rede war.
Die Samstags-taz (Christian Rath/Daniel Bax) hält wichtige Fragen und Antworten um die Entscheidung bereit. Bundesländer, die bisher auf Kopftuchregeln verzichten, hätten gute Erfahrungen gemacht, schreibt die Samstags-SZ (Roland Preuss). Juraprofessor Hans-Michael Heinig schließlich befasst sich auf verfassungsblog.de mit verfassungsdogmatischen Fragen zum Beschluss und ist überrascht, "wie unbefangen der 1. Senat nun über die Entscheidungsgründe des vor zwölf Jahren entscheidenden 2. Senats hinweggeht".
Kopftuchverbot für Mädchen: Im Zuge des Kopftuch-Beschlusses schlägt Uta Rasche (FAS) ein Kopftuchverbot für Mädchen in Schulen vor, die vor der Religionsmündigkeit (14 Jahre) stehen: Dürften religiöse Eltern Mädchen den Schwimmunterricht oder Klassenfahrten verbieten, würden künftig "Schülerinnen den Preis zahlen müssen für die Religionsfreiheit der Lehrerinnen".
Rechtspolitik
Vorratsdatenspeicherung: Für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung zur Verbrechensbekämpfung spricht sich Axel Spilcker (Focus) aus. Justizminister Heiko Maas (SPD) verschanze sich hinter der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs, die das Thema seiner Meinung nach "quasi beerdigt" hätte. Dabei fordere der EuGH lediglich "richterliche Kontrollen, kürzere Speicherfristen und eine Datenabfrage nur bei schweren Straftaten" – und die seien machbar. Unterdessen berichtet die Montags-SZ (Christoph Hickmann), dass Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) sich für die Wiedereinführung ausspricht.
Ersatzausweise für Terrorverdächtige: Kritik am von der Bundesregierung geplanten Ersatzausweis für Terrorverdächtige kommt jetzt auch von Rechtsprofessor Gerrit Hornung. Konkret besorgt Hornung "erhebliche Stigmatisierungen" und damit "verfassungsrechtlich bedenkliche Diskriminierungen". Er will am heutigen Montag dem Innenausschuss des Bundestages seine Kritik vortragen, meldet der Spiegel (wow).
Kleinanlegerschutz/Crowdfunding: Die Samstags-FAZ (Joachim Jahn) stellt den Gesetzentwurf zum Kleinanlegerschutz und kritische Stimmen hierzu vor. Der Entwurf sieht etwa Mindestlaufzeiten von Vermögensanlagen, Prospektpflichten und Werbebeschränkungen vor – letztere bezeichnet Joachim Jahn (Samstags-FAZ) in einem gesonderten Kommentar als "symbolischen Aktionismus". Auch das Handelsblatt (Frank M. Drost) berichtet.
EU-Datenschutzverordnung: Die EU-Innen- und Justizminister der 28 Mitgliedstaaten haben sich am vergangenen Freitag darauf verständigt, die geplante EU-Datenschutzverordnung "in einem entscheidenden Punkt" abzuschwächen: Daten sollen künftig auch zu anderen Zwecken verarbeitet werden dürfen als für den, für den sie eigentlich erhoben wurden – wenn "berechtigte Interessen" die der Betroffenen überwiegen. Kritiker befürchten weniger Datenschutz für den Einzelnen, berichtet die Samstags-Welt (Andre Tauber).
WLAN-Haftung: Harsche Worte zum Referentenentwurf aus dem Bundeswirtschaftsministerium zur WLAN-Haftung findet Rechtsprofessor Thomas Hoeren (blog.beck.de). Der Entwurf regele entgegen seinem Ziel die "radikale Verschärfung" der Haftung; die Regelung sei europarechtswidrig und "eine einzige Unverschämtheit".
Justiz
BVerfG prüft Atomausstieg: Ist das Atomausstiegsgesetz von 2011 mit dem Grundgesetz vereinbar? Über diese Frage will das Bundesverfassungsgericht noch in diesem Jahr befinden. Die Welt am Sonntag (Daniel Wetzel) und die Montags-taz (Christian Rath) stellen ausführlich Rahmenbedingungen und Grundfragen des Verfahrens dar. Die Energiekonzerne argumentieren, das Ausstiegsgesetz komme einer Enteignung gleich – daher stehe ihnen eine Entschädigung zu. Die Bundesregierung führt ins Feld, die Branche könne sich angesichts eines absehbaren Ausstiegs nicht auf Vertrauensschutz berufen.
BAG zu Aufhebungsverträgen: Ist ein Klageverzicht in einem Aufhebungsvertrag wirksam, den ein Arbeitnehmer unter Androhung einer außerordentlichen Kündigung unterzeichnet? Nicht, wenn die Kündigungsdrohung widerrechtlich ist, entschied das Bundesarbeitsgericht am vergangenen Donnerstag. Rechtsanwalt Sascha B. Greiner schildert den zugrunde liegenden Fall auf lto.de.
LG Dortmund – Klage gegen Kik eingereicht: 2012 starben in Pakistan 259 Menschen beim Brand einer Fabrik, die im Auftrag des Textilhändlers Kik produziert. Angehörige haben nun Zivilklage beim Landgericht Dortmund einreichen lassen – und wurden dabei von der Menschenrechtsorganisation ECCHR unterstützt. Der Vorwurf: Kik habe keine ausreichende Arbeitssicherheit beim pakistanischen Zulieferer gewährleistet. Über den möglichen Präzedenzfall für die deutsche Justiz berichten die Samstags-taz (Hannes Koch), der Spiegel (Hasnain Kazim/Nils Klawitter – spiegel.de-Zusammenfassung) und das Handelsblatt (C. Kapalschinski/K. Ludowig).
StA Karlsruhe klagt Freiburger Staatsanwalt an: Nach einer Meldung des Spiegel hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe beim Landgericht Freiburg Anklage wegen Strafvereitelung im Amt gegen einen 2012 suspendierten Freiburger Staatsanwalt erhoben. Wie die Badische Zeitung (Adrian Hoffmann) berichtet, habe die StA Karlsruhe die Anklage bereits im Sommer 2014 erhoben. Beim LG Freiburg müsse allerdings aus Befangenheitssorgen erst "ein zuständiger Richter gefunden werden", der über die Anklage entscheiden kann.
LG Frankfurt und Uber Pop: Am kommenden Mittwoch entscheidet das Landgericht Frankfurt über ein deutschlandweites Verbot des Fahrdienstes Uber Pop. Es gilt als wahrscheinlich, dass die Entscheidung zu Lasten Ubers ausgehen wird, schreibt die FAS (lspr).
VG Berlin zum "Masern-Notstand": Die nach Masernausbrüchen vom Berliner Gesundheitsamt gemäß Infektionsschutzgesetz ausgesprochenen Schulbetretungsverbote hat das Verwaltungsgericht Berlin im Eilverfahren gebilligt, meldet lto.de.
AG Köln und Abou-Nagie: Am 9. April muss sich der Salafist Ibrahim Abou-Nagie unter "massiven Sicherheitsvorkehrungen" vor dem Amtsgericht Köln wegen Betrugs verantworten, schreibt der Focus (xl). Abou-Nagie soll sich unter anderem gegenüber dem Jobcenter als mittelloser Familienvater ausgegeben und 54.000 Euro kassiert haben – obwohl er zugleich mit sechsstelligen Summen eine Koran-Verschenkaktion unterstützt habe. Das Verfahren sei monatelang zwischen den Instanzen hin- und hergeschoben worden.
Recht in der Welt
USA – Exekution durch Erschießung: Den Gesetzentwurf des Senats Utah (USA), wonach zum Tode Verurteilte aus logistischen Gründen nicht mehr durch Giftinjektion, sondern wieder durch Erschießen getötet werden sollen, bezeichnet Carolin Emcke (Samstags-SZ) als "so beschämende wie groteske historische Volte". "Man möchte nicht wissen, welche Methode die Gesetzgeber in Utah als Nächstes wählen würden, sollten irgendwann Patronen schwer zu beschaffen sein."
Südafrika – Pistorius: Dem wegen fahrlässiger Tötung von einem südafrikanischen Gericht verurteilte Sportler Oscar Pistorius droht im Berufungsverfahren nun doch eine Verurteilung wegen Mordes. Das meldet die Samstags-Welt.
Schweden – Assange-Befragung: Die Stockholmer Staatsanwältin Marianne Ny will den Wikileaks-Gründer Julian Assange im Verfahren wegen sexueller Nötigung und Belästigung nun doch in der ecuadorianischen Botschaft in London verhören lassen. Ny habe eine Befragung in London bisher kategorisch abgelehnt – nun verjähren die Taten aber bald. Assange ist offenbar zur Befragung bereit, berichtet die Samstags-SZ (Silke Bigalke).
USA – Blurred Lines: Vergangene Woche entschied eine Jury in Los Angeles (USA), dass der Popsong "Blurred Lines" ein Plagiat des Marvin Gaye-Songs "Got To Give It Up" ist – Robin Thicke und Pharrell Williams müssen über 7 Millionen US-Dollar an die Gaye-Erben zahlen. Das allgemeine Feeling des Songs sei übernommen worden. Dass ein allgemeines Feeling geschützt ist, hält Thomas Lindemann (FAS) für eine fatale Idee: "Wenn zwei verwandte Songs nun immer gegeneinander antreten, wird jedes Mal einer verlieren und verschwinden müssen."
Sonstiges
Beschwerde gegen Rechercheverbund: Gegen den Rechercheverbund von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR hat der Lobbyverband der privaten Fernseh- und Radiosender VPRT Rechtsaufsichtsbeschwerde bei der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen eingereicht. Das meldet der Spiegel (mum). Der VPRT sehe in dem Verbund "konturlosen Spielraum" für "intransparente, unzulässige Quersubventionierungen"; er sei nicht vom öffentlich-rechtlichen Funktionsauftrag gedeckt und verstoße gegen Rundfunk-, Vergabe- und EU-Beihilferecht. faz.net (Michael Hanfeld) berichtet ausführlicher.
Das Letzte zum Schluss
Public Pooper: Die Polizei in Ohio fahndet seit drei Jahren nach einem Mann, der "mehrfach unerwünschte Haufen" auf Autos und Kinderspielzeugen hinterlassen haben soll. Der Fall stinkt zum Himmel, schreibt spiegel.de.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 14. bis 16. März 2015: Kopftuch-Beschluss: Berichte und Meinungen – BVerfG wird Atomausstieg prüfen – Klage gegen Kik eingereicht . In: Legal Tribune Online, 16.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14953/ (abgerufen am: 09.05.2024 )
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