Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Verfahrensabsprachen im Strafprozess stößt in der Tagespresse überwiegend auf Kritik. Außerdem in der Presseschau: der überarbeitete Gesetzenwurf für eine elektronische Bestandsdatenschnittstelle, das BGH-Urteil zur Medienberichterstattung im Kachelmann-Prozess und warum ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher sich freiwillig dem IStGH in Den Haag stellt.
BVerfG zum Deal im Strafverfahren: In einem Grundsatzurteil hat das Bundesverfassungsgericht die gesetzliche Regelung zur Verständigung im Strafverfahren, den so genannten "Deal", für verfassungsgemäß erklärt, gleichzeitig aber ein erhebliches Vollzugsdefizit hinsichtlich Transparenz- und Dokumentationsregelungen bei "informellen Absprachen" in der Praxis bemängelt. Der Gesetzgeber sei deshalb in der Pflicht, die Praxis im Blick zu halten und Fehlentwicklungen entgegenzuwirken. Ansonsten trete ein verfassungswidriger Zustand ein. Darüber hinaus habe das Gericht nach Darstellung der SZ (Wolfgang Janisch) einige "Sollbruchstellen" zur Kontrolle abgesprochener Urteile geschaffen: Verstöße gegen die Dokumentationsvorschriften sollen künftig genügen, um ein Urteil in der Revision zu kippen. Ausführlich über das Urteil berichten auch lto.de (Martin W. Huff/Pia Lorenz) und die taz (Christian Rath).
Die den Verfassungsbeschwerden zu Grunde liegenden Strafurteile hat das Gericht gleichwohl als verfassungswidrig aufgehoben. Eine Darstellung der konkreten Fälle und der jeweiligen Begründung findet sich in der FAZ (Helene Bubrowski).
Heribert Prantl (SZ) bezweifelt, dass die vom Gericht formulierten Grundsätze zu einer besseren Einhaltung der gesetzlichen Regelung führen, da erst einmal ein Prozessbeteiligter Revision einlegen müsse. Reinhard Müller (FAZ) meint, die Beobachtungspflicht des Gesetzgebers werde jedenfalls niemanden erzittern lassen. Christian Rath (taz) erkennt ein "harmloses" Urteil: Die Richter hätten für die informellen Absprachen zwar Ursachen benannt, aber keine Abhilfe gefordert. Auch für Urteile, die nach einem Deal zu milde ausfallen, sei Karlsruhe kein Kontrollmechanismus eingefallen. Aus Verteidigersicht meint Udo Vetter (lawblog.de) hingegen, die Verständigung habe nicht nur Schattenseiten, sondern ermögliche im Einzelfall auch, einen Angeklagten vor einem harten Urteil zu bewahren. Das Urteil sorge dafür, dass sich der Niedergang des guten alten Strafprozesses in geordneten Bahnen vollzieht, findet schließlich Christian Bommarius (FR).
Weitere Themen – Rechtspolitik
Mietrechtsrefom: Im Rahmen einer Themenwoche zur Mietrechtsreform 2013 befasst sich Rechtsprofessor Stefan Klinski auf lto.de mit der energetischen Sanierung von Wohngebäuden. Mit der Neuregelung, die unter anderem einen Ausschluss des Minderungsrechts des Mieters für die ersten drei Monate bei einer energetischen Sanierungsmaßnahme vorsieht, seien die Probleme allerdings noch nicht gelöst. Potential für künftige Reformbestrebungen gebe es vor allem in einem weiteren Zusammenwirken von Energie- und Mietrecht, beispielsweise indem man den Duldungsanspruch des Vermieters für Sanierungsmaßnahmen entfallen ließe, wenn er die Energieeinsparverordnung nicht einhält.
Managergehälter: Das Bundesjustizministerium hat einen Entwurf für ein neues Aktienrecht ausgearbeitet, wonach künftig nach Schweizer Vorbild die Anteilseigner eines Unternehmens und nicht mehr der Aufsichtsrat über die Höhe der Vorstandsbezüge entscheiden sollen. Einzelheiten über die geplante Neufassung von § 120 des Aktiengesetzes finden sich in der Welt (Jochen Gaugele/Dorothea Siems).
Elektronische Bestandsdaten-Schnittstelle: Nach Berichten von netzpolitik.org (Andre Beister) und spiegel.de haben sich die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD auf einen entschärften Gesetzentwurf zur Schaffung einer digitalen Schnittstelle für Bestandsdaten geeinigt. An diese Schnittstelle sollen die Telekommunikationsfirmen Daten über Inhaber von Telefonnummern, IP-Adressen sowie Passwörter übermitteln, auf die dann Behörden auch zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zugreifen können. Die entschärfte Version sehe etwa für bestimmte Daten nunmehr einen Richtervorbehalt vor. Der Bundesdatenschutzbeauftragte wie auch der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung haben den neuen Entwurf als verfassungsrechtlich bedenklich kritisiert.
NPD-Verbotsantrag: Nachdem die FDP-Minister einen eigenen NPD-Verbotsantrag der Regierung gekippt haben, spricht sich der hessische FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn nach Berichten der taz (Stefan Reinecke/Paul Wrusch)
nunmehr dafür aus, dass auch die Länder den Weg nach Karlsruhe noch einmal überdenken. Anders als mit dem Beginn des Wahlkampfes könne man das Agieren in Sachen NPD-Verbotsverfahren nicht verstehen, meint Stefan Reinecke (taz).
Corporate Governance Kodex: Der Vorsitzende der Regierungskommission Corporate Governance, Klaus-Peter Müller, legt laut FAZ (Joachim Jahn) nach fünf Jahren sein Amt nieder. Aus diesem Anlass nimmt Joachim Jahn (FAZ) eine nüchterne Betrachtung des Corporate Governance Kodex vor: Wo es wirklich wichtig wurde, oder auch nur die Volksseele kochte, hätten die Volksvertreter stets den "Selbstregulierern das Zepter aus der Hand genommen". Was bleibe, seien eher technische Regeln zur Unternehmensführung.
Weitere Themen - Justiz
BGH zu Medienberichterstattung im Fall Kachelmann: Der ehemalige Wettermoderator Jörg Kachelmann hat einen Prozess vor dem Bundesgerichtshof gegen bild.de verloren. In dem Verfahren war zu klären, ob das Onlineportal über Details aus den Aussagen Kachelmanns vor dem Haftrichter zu seinen Sexualpraktiken berichten durfte. Laut Urteilsspruch sei die Wiedergabe entsprechender Zitate ursprünglich unzulässig, nach der Verlesung der Aussage im öffentlichen Strafprozess aber erlaubt gewesen. Der Vorrang des Presserechts gelte indes nicht für die sogenannte Verdachtsberichterstattung vor einer Anklageerhebung, bei der die Medien die Persönlichkeitsrechte von Beschuldigten sehr viel mehr beachten müssten. Die FAZ und Die Welt (Hanne Crolly) berichten. Rechtsanwalt Martin W. Huff schildert auf lto.de den turbulenten Ablauf der gestrigen mündlichen Verhandlung.
BGH – mietrechtliches Haustierverbot: Nach Bericht des Handelsblatts befasst sich der Bundesgerichtshof heute mit der Frage, ob ein generelles mietvertragliches Verbot von Katzen und Hunden zulässig ist. Zuvor habe das Amtsgericht für den Vermieter, das Landgericht für den Mieter entschieden.
BGH zu Auskunftsrechten in geschlossenen Fonds: Auf der Recht & Steuern-Seite der FAZ bespricht Rechtsanwalt Edgar Wallach zwei Urteile des Bundesgerichtshofs, in denen Anlegern in geschlossenen Fonds ein Auskunftsanspruch über Namen, Anschrift und Beteiligungshöhe der übrigen Anleger zugesprochen wurde. Hintergrund ist, dass Anleger den zumeist als GmbH & Co.KG organisierten geschlossenen Fonds oft nur mittelbar über eine Treuhandkommanditistin beitreten. Ziel ist es anonym zu bleiben und sich überdies die Eintragung ins Handelsregister zu ersparen. Nach der Urteilsbegründung gehöre es zum Kernbereich der Gesellschafterrechte in einer Personengesellschaft, dass der Gesellschafter die Identität der übrigen Gesellschafter kennt.
OVG NRW zu Fotoverbot: Die taz (Daniel Blum) befasst sich mit einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen aus der vergangenen Woche, das ein Verbot der Kölner Oper an einen Journalisten der Bild-Zeitung, Fotos von einer dort aufgeführten Premiere zu machen, bestätigt hat. Laut Urteil ergebe sich weder aus dem presserechtlichen Auskunftsanspruch noch aus der grundrechtlichen Presse- und Informationsfreiheit eine Verpflichtung, Fotojournalisten Aufnahmen zu gestatten. Bei Journalistenverbänden sei das Urteil auf Kritik gestoßen.
ArbG Berlin – Ausbeutung einer Hausangestellten: Nach Information von lto.de haben sich eine indonesische Hauangestellte und ein ehemaliger saudi-arabischer Diplomat vor dem Arbeitsgericht Berlin auf einen Vergleich geeinigt. Der frühere Attaché, dessen Familie die Hausangestellte systematisch misshandelt, erniedrigt und auch eingesperrt haben soll, zahle der Frau 35.000 Euro. Die taz (Manuela Heim) schildert die prozessuale Vorgeschichte: Eine Entschädigungsklage der Hausangestellten war durch alle Instanzen aufgrund der Immunität des Diplomaten abgewiesen worden. Nachdem das Königreich Saudi-Arabien seinem Entsandten den Diplomatenstatus entzogen hatte und damit ein Gang vor das Bundesverfassungsgericht nicht mehr möglich gewesen ist, war nun doch das Berliner Arbeitsgericht zuständig.
LG Köln – Sal. Oppenheim: Das Landgericht Köln hat nach Meldung der SZ die Mitwirkung von Ergänzungsrichtern in Strafsachen neu geregelt und damit die Voraussetzungen für einen Neustart des Strafprozesses gegen die frühere Führung des Bankhauses Sal. Oppenheim geschaffen, der Untreue in besonders schwerem Fall und teilweise Beihilfe vorgeworfen wird. Aufgrund der bisherigen Gerichtspraxis, im Einzelfall zu entscheiden, welcher Richter einer Kammer als Ergänzungsrichter zugeordnet wird, war der Prozess zuvor abgebrochen worden.
LG Stuttgart – Anwerbung von Terroristen: Die FAZ (Rüdiger Soldt) schildert den Prozessauftakt gegen zwei Islamisten vor dem Landgericht Stuttgart, denen die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen wird, um Konvertiten und junge Muslime für eine Sprachschule in Ägypten und danach für eine Ausbildung in Terrorlagern anzuwerben. Schwierig könne die Erbringung des Nachweises werden, dass die Absolventen der Sprachschule tatsächlich in die Terroristenlager vermittelt wurden.
Staatsanwaltschaft Bremen – Ermittlungsverfahren gegen Niels Stolberg: Nach Informationen von spiegel.de (Yasmin El-Sharif) hat die Staatsanwaltschaft Bremen ihre Ermittlungen gegen den Ex-Reeder Niels Stolberg wegen Betrugs eingestellt. Es könne nicht nachwiesen werden, dass Stolberg den amerikanischen Finanzinvestor Oaktree finanziell geschädigt habe. Verfahren wegen Kreditbetrug und Bilanzfälschung liefen indes noch.
Weitere Themen – Recht in der Welt
IStGH – Bosco Ntaganda: Der unter dem Kampfnamen "Terminator" bekannte kongolesische Rebellenführer Bosco Ntaganda hat sich nach Berichten der taz (Dominic Johnson) und von zeit.de (Andrea Böhm) in Ruanda der US-Botschaft gestellt und darum gebeten, an den Internationalen Strafgerichtshof überstellt zu werden. Dieser hatte bereits im Jahr 2006 Haftbefehl gegen Ntaganda unter anderem wegen Mord, Vergewaltigung und Einsatz von Kindersoldaten erlassen. Ntaganda habe sich im Osten Kongos wahrscheinlich nicht mehr sicher gefühlt, so dass ein Prozess in Den Haag ihm wohl als das kleinere Übel erschienen sei.
Ein Prozess gegen Ntaganda könnte ein entscheidender Schritt hin zum Ende der Straflosigkeit für Kriegsverbrecher im Osten des Kongo sein, meint Tobias Zick (SZ).
Sonstiges
IT-Grundrecht: In einer netzpolitischen Veranstaltung wurde vorgestern der Frage nachgegangen, ob es sich bei dem so genannten IT-Grundrecht, welches das Bundesverfassungsgericht vor fünf Jahren in seinem Urteil zur Online-Durchsuchung formuliert hatte, angesichts dessen, dass es sich kaum in Gesetzgebung und Strafverfolgung niedergeschlagen habe, um ein 'vergessenes Grundrecht' handele. Die SZ (Niklas Hofmann) berichtet von der Veranstaltung.
Unternehmensumstrukturierungen vor Gericht: Rechtsanwalt Dirk Wasmann befasst sich auf der Recht&Steuern-Seite der FAZ mit Gerichtsprozessen, die sich an die Umstrukturierung von Unternehmen anschließen. Obwohl in solchen Fällen eine gestiegene Zahl von Spruchverfahren zu beobachten sei, in denen Minderheitsaktionäre eine höhere Entschädigung verlangen, bestehe für Unternehmen kein Anlass, allein deshalb von Strukturmaßnahmen Abstand zu nehmen. Denn die Dauer dieser Gerichtsprozesse nehme aufgrund der gestiegenen Qualifikation der Richter und der gewachsenen Bedeutung der vom Gericht bestellten Sachverständigen stetig ab.
Das Letzte zum Schluss
Rendezvous im Dienst: Ein britischer Polizist aus einer Einheit um Schutz diplomatischer Einrichtungen muss für neun Monate ins Gefängnis, weil er in mindestens drei Fällen seinen Posten vor besonders gefährdeten Gebäuden verlassen hat, um seine Freundin zu treffen. Der Vorsitzende Richter habe geurteilt, dass das Verhalten des Beamten angesichts der Bedeutung seiner Arbeit nicht toleriert werden könne, so die SZ.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/js
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 20. März 2013: "Dealen" verfassungsgemäß – Kachelmann-Berichterstattung rechtmäßig – "Terminator" stellt sich . In: Legal Tribune Online, 20.03.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8365/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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