Die EU-Kommission startet die von Junker angekündigte Transparenzinitiative. Außerdem in der Presseschau: Die Umsetzung einer Richtlinie und ihre unliebsamen Folgen, Abfindung statt Kündigungsschutz, Fatou Benouda und Jutta Limbach im Interview und wann man zu schnell fahren darf, um es noch rechtzeitig zu schaffen.
Thema des Tages
EU-Transparenz: Die EU-Kommission plant, den Ankündigungen Junckers im Wahlkampf folgend, eine Transparenzoffensive. Die Kontakte von Kommissaren und ihrem Stab etwa zu Wirtschaftsvertretern, Nichtregierungsorganisationen und Lobbyisten sollen minutiös dokumentiert und online veröffentlicht werden. Konkrete Pläne sollen kommende Woche beschlossen werden. Auf eine Ausnahme von der Veröffentlichungspflicht wird aber bereits hingewiesen. Diese gilt für Treffen mit Dissidenten und anderen Personen, die andernfalls mit Repressalien rechnen müssten. Kommissionspräsident Juncker und sein Vize rufen auch die Abgeordneten des EU-Parlaments auf, dem Vorbild der Kommission zu folgen. Es berichten die Welt (Christoph B. Schiltz), das Handelsblatt (Thomas Ludwig) und die FAZ (hmk). Zur weiteren Transparenz der TTIP-Verhandlungen soll außerdem der Zugang zu wichtigen Dokumenten der Verhandlungen erleichtert werden.
Im Kommentar begrüßt Christoph B. Schiltz (die Welt) das Vorhaben als einem modernen Demokratiegedanken und moderner Bürokratie gerecht. Dieses Verständnis sei in Deutschland noch gänzlich unterentwickelt. Gerade auch die Abgeordneten sollten sich dies zueigen machen und dem Vorschlag Junckers folgen.
Rechtspolitik
Vergaberecht: Die Umsetzung einer Richtlinie zum Vergaberecht wird öffentliche Ausgaben und das Korruptionsrisiko erhöhen, befürchten Experten nach Bericht des Handelsblatts (Wolfgang Reuter). Der bisher in Deutschland geltende Vorrang öffentlicher Ausschreibung soll abgeschafft werden, weil es nach der Richtlinie den Auftraggebern zu überlassen ist, welches Vergabeverfahren sie anwenden. Sie können im Gegensatz zum "offenen" das "beschränkte Verfahren" wählen, bei dem nicht zwingend das beste, sondern ein nach nicht diskriminierenden Gesichtspunkten gewähltes Angebot den Zuschlag erhält. Nach einer Untersuchung des Bundesrechnungshofs haben nicht öffentliche Vergabeverfahren im Schnitt dreizehn Prozent Mehrausgaben zur Folge.
Kündigungsschutz: Das Handelsblatt (Frank Specht) meldet einen Vorschlag des Verbands "Die Familienunternehmer", wonach eine vertraglich vereinbarte Abfindung den Arbeitgeber zur Kündigung ohne Begründung berechtigen soll, auf sein Klagerecht soll der Arbeitnehmer verzichten. Die so kalkulierbaren Kosten einer Kündigung sollen Neueinstellungen erleichtern und den Arbeitsmarkt flexibilisieren. Zudem sollen die Arbeitsgerichte entlastet werden, deren Prozesse zu 95 Prozent mit Vergleichen endeten. Im Kommentar meint Specht (Handelsblatt), der Vorschlag sei den Versuch wert, weil Zögern bei Einstellungen, Überstunden für bereits vorhandene Arbeitnehmer und Befristungen auch gerade zu Lasten der älterer Arbeitnehmer und Langzeitarbeitsloser wirkten.
Justiz
BGH zu Vermieterpflichten: Zwar müssen Mieter grundsätzlich für schuldhaft verursachte Schäden an der Mietsache aufkommen. Nicht aber dann, wenn der Vermieter eine Wohngebäudeversicherung abgeschlossen und die Kosten dafür auf die Mieter umgelegt hat. Dann muss der Vermieter für die Reparatur aufkommen, wie der Bundesgerichtshof in einem Fall entschied, in welchem die zwölfjährige Tochter der Mieter einen Brand verursacht hatte, melden lto.de und FAZ. Auch das Recht zur Mietminderung stehe dem Mieter bis zur Schadensbeseitigung zu.
BGH zu Gesamtschuldnerausgleich: Eine Obergesellschaft, die mit abhängigen Gesellschaften – wegen deren Kartellrechtsverstößen – gesamtschuldnerisch eine Geldbuße zu zahlen hat, muss diese nicht schon deshalb im Innenverhältnis allein tragen, weil ihr auch Vorteile aus den Verstößen zugeflossen sind. Das entschied der Bundesgerichtshof, wie lto.de berichtet. Für eine Zahlungsverpflichtung im Innenverhältnis seien Umstände wie Verschuldens- und Verursachungszusammenhänge sowie der jeweils zugeflossene Erlös konkret festzustellen.
OVG Münster zu Referendarsvergütung in NRW: Nachdem die Referendarsbezüge Ländersache geworden waren, hatte Nordrhein-Westphalen sein Gesetz nicht geändert. Danach waren weiter die Beamtenanwärterbezüge für Bundesbeamten maßgeblich. Die Bezüge der Referendare ohne Gesetzesänderung darunter anzusetzen, war rechtswidrig, entschied das Oberverwaltungsgericht Münster, meldet nun auch lawblog.de (Udo Vetter).
AG München zu Filesharing: lawblog.de (Udo Vetter) verweist auf ein mustergültiges "Urteil zum Abheften" des Amtsgerichts München zu (fehlender) Verantwortlichkeit des Anschlussinhabers bei Filesharing. Auch Rechtsanwalt Karsten Gulden begrüßt das Urteil, mit welchem nun auch das AG München der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folge und die bisherige Praxis überzogener Darlegungspflichten aufgegeben habe. internet-law.de (Thomas Stadler) weist darauf hin, das angesichts der bisherigen Rechtsprechung des Landgerichts München I die Gefahr bestehe, in der Berufungsinstanz wieder auf die hohen Darlegungserfordernisse zu stoßen.
ArbG Köln zu Kündigung: Eine Frau die sich bei der Arbeit unwohl fühlte, sich aber nicht krank melden wollte, hatte ihre Kollegen gebeten, ihr bei Bedarf Bescheid zu geben und sich kurz hingelegt. Da niemand sie weckte, schlief sie volle sieben Stunden, was ihr eine Kündigung bescherte. Diese hielt das Arbeitsgericht Köln für unverhältnismäßig, berichtet lto.de.
StA Hamburg – Verfahrenseinstellung gegen di Lorenzo: Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat gegen Geldauflage in ungenannter Höhe das Strafverfahren gegen Giovanni di Lorenzo eingestellt, meldet lawblog.de (Udo Vetter). Der Chefredakteur der Zeit hatte bei der letzten Europawahl zweifach seine Stimme abgegeben.
OLG München – NSU: spiegel.de (Gisela Friedrichsen) berichtet von der Zeugenaussage des V-Mannes D., der auf Weisung des bayerischen Verfassungsschutzes in die rechte Szene eingestiegen sein soll. Er konnte sich im Gegensatz zum V-Mann Brandt nicht daran erinnern, dass Beate Zschäpe am sogenannten Mittwochsstammtisch des Thüringer Heimatschutzes teilgenommen habe. Nachdem er 1997 oder 1998 vor einer "Braunen-Armee-Fraktion" gewarnt habe, die in Thüringen entstehe, habe man die Zusammenarbeit einvernehmlich beendet.
LG Duisburg – Love-Parade: Das Verfahren vor dem Landgericht Duisburg wegen des Love-Parade-Unglücks 2010 verzögert sich vermutlich weiter, meldet spiegel.de (bas). Der Vorsitzende Richter habe erhebliche Kritik an Qualität und Vollständigkeit der Übersetzung des Gutachtens des britischen Panikforschers geäußert, auf welches sich die Anklage maßgeblich stützt.
OLG München – Mordfall Đureković: Die SZ (Katja Riedel) berichtet weiter vom Prozess gegen zwei vermutliche Hintermänner im Mordfall Đureković vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München, in dem seit Dienstag der wegen dieses Mordes verurteilte P. aussagt.
BSG zu künstlicher Befruchtung: Vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundessozialgerichts zur Kostentragung der Krankenkassen für künstliche Befruchtung nur bei verheirateten Paaren äußert sich Reinhard Müller (FAZ). Er verweist auf eine vergleichbare Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus 2007. Trotz der Aufweichung des Sonderstatus der Ehe durch das BVerfG im Bezug auf die Lebenspartnerschaft Homosexueller sei der Sonderstatus der Ehe gegenüber nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit Blick auf das Kindeswohl weiterhin tragfähig. Der Sozialrechtswissenschaftler Sebastian Kauschke geht auf lto.de näher auf das Urteil ein und spricht sich für eine Anpassung der Gesetze an die Lebenswirklichkeit an, gerade auch im Hinblick auf den demografischen Wandel.
AG Laufen spricht "Kollegah" frei: Der als Rapper "Kollegah" bekannte Jurastudent B. ist vom Amtsgericht Laufen am Mittwoch mangels Schuldnachweis vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen worden. Zwar habe er zugeschlagen, könne aber in Notwehr gehandelt haben. Die Staatsanwaltschaft will in Berufung gehen, melden die FAZ und spiegel.de.
Recht in der Welt
IStGH – Interview Bensouda: Die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs Fatou Bensouda äußert sich im Interview mit der SZ (Ronen Steinke) zu den Möglichkeiten des IStGH, gegen IS-Kämpfer aus Staaten vorzugehen, die – im Gegensatz zu Syrien – das Statut des Gerichtshofs unterzeichnet haben. Sie spricht über die Schwierigkeiten der Ermittlungen in Kriegsgebieten, zu geringe Ressourcen und den sehr langsamen Wandel zu internationaler Justiz, den die Arbeit des Gerichtshofs erst einleite.
UN – Nordkorea vor den IStGH: Am Dienstag hat ein Unterausschuss der Vollversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution mit der Aufforderung erlassen, der Sicherheitsrat möge den Internationalen Strafgerichtshof mit Ermittlungen gegen die nordkoreanischen Regierungsverantwortlichen beauftragen. Grundlage der von der EU und Japan erarbeiteten Resolution ist ein UN-Bericht über das System nordkoreanischer Gefangenenlager. Mit der Zustimmung der Vollversammlung sei zu rechnen, meldet die taz, wohl aber nicht mit der des Sicherheitsrats.
Fifa-Korruptionsuntersuchung: Das Handelsblatt (Stefan Kaufmann) berichtet zum Streit um die Fifa-Korruptionsuntersuchung. Der Fußballweltverband hat bei der Staatsanwaltschaft Bern Strafanzeige gegen einzelne Personen wegen Fehlverhaltens bei der WM-Vergabe gestellt. Kritiker halten das für ein Ablenkungsmanöver. Ein Sportjurist stützt die Weigerung, den umstrittenen Untersuchungsbericht zu veröffentlichen, mit dem Treue- und Loyalitätsgrundsatz im Vereinsrecht, nach welchem interne Streitigkeiten intern zu behandeln seien. Am heutigen Donnerstag empfängt Joseph Blatter in der Fifa-Zentrale die beiden Vorsitzenden der Fifa-Ethikkommission Garcia und Eckert.
Clausio Catuogno (SZ) meint, die Strafanzeige gebe der Fifa ein weiteres Argument, den umstrittenen Bericht nicht zu veröffentlichen: "Die Staatsanwaltschaft prüft ihn doch schon!". Und als Nebeneffekt verschafften die Ermittlungen Zeit. Joachim Hofer (Handelsblatt) empfiehlt, auf staatliche Ermittlungsergebnisse – ob nun selbstveranlasste der Staatsanwaltschaft in der Schweiz oder unerwünschte des FBI – sollte der Verband besser nicht warten. Die Fifa täte gut daran, grundlegende Neuerungen in Personal und Organisationsstruktur anzugehen.
Sonstiges
Interview Jutta Limbach: Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach spricht im Interview mit der SZ (Heribert Prantl/Kia Vahland) über ihre ehrenamtliche Arbeit als Vorsitzende der Kommission für Raubkunst. Sie äußert sich unter anderem zu rechtlichen Fragen wie der Verjährung der Ansprüche auf geraubte Kunst, zu möglichen Rückgabeansprüchen bei "entarteter Kunst", die wohl einer Gesetzesänderung bedürften und meint, dass ein Schlussstrich unter die Aufarbeitung nur ein faktischer und kein gewollter sein sollte.
Demokratiedefizit in Genossenschaften: Vor dem Hintergrund des wohl bevorstehenden Verkaufs von Kaiser's Tengelmann an EDEKA äußert sich der Genossenschaftsberater Burkhard Flieger im Interview mit der taz (Jost Maurin) zum Demokratiedefizit großer als Genossenschaft geführter Unternehmen. Er kritisiert etwa Organisation und Struktur von Wahlen und die praktisch unerreichbare Unterschriftenanzahl, um ein Thema überhaupt auf die Tagesordnung zu setzen.
Google und Leistungsschutzrecht: Im Interview mit der FAZ (Michael Hanfeld) spricht der Executive Vice President des Springerverlags, Christoph Keese, über das Leistungsschutzrecht, den laufenden Rechtsstreit der VG Media mit Google und schwache digitale Innovationskraft in Europa.
Gerichtliche Mediation: Rechtsanwalt Gerfried Braune (ra-braune.de) macht auf die Praxis vieler Verwaltungs- und Zivilgerichte aufmerksam, entgegen § 9 Mediationsgesetz weiterhin gerichtliche Mediation anzubieten, anstelle des oder in Verbindung mit dem Güteverfahren. Nach der Regelung des Mediationsgesetzes durfte gerichtliche Mediation nur bis zum 1. August 2013 weitergeführt werden.
Das Letzte zum Schluss
Zu schneller Stuhlgang: Wie justillon.de berichtet, darf die Fahrtgeschwindigkeit nicht in jedem Fall der Geschwindigkeit des Stuhlgangs angepasst werden. Aber wie das Amtsgericht Grünstadt auf ordnungsgemäßer Fahrtgeschwindigkeit zu beharren, ging der nächsten Instanz doch zu weit: Wer von seinem unangenehmen Umstand weiß, sollte nicht Auto fahren - wer aber überrascht wird, darf schnell zum nächsten Parkplatz düsen.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
(Hinweis für Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 20. November 2014: EU-Transparenzinitiative – Intransparente Vergabeverfahren – Aufgaben für den IStGH . In: Legal Tribune Online, 20.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13869/ (abgerufen am: 17.05.2024 )
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