Es gibt kein "Recht auf Heimat", und Karlsruhe macht keine Energiepolitik - das BVerfG hat zum Braunkohletagebau entschieden. Außerdem in der Presseschau: Bundesdatenschutzbeauftragte schon unter Beschuss, BVerwG zu Soldatenhaaren, BGH zu überhöhten Bankgebühren, EGMR zur straffreien Leugnung eines Völkermords, und wie ein griechischer Ex-Minister im Verkehr gleich drei Mal in flagranti ertappt wurde.
Tagesthema
BVerfG zu Garzweiler II: Das Bundesverfassungsgericht hat über Verfassungsbeschwerden eines Bürgers sowie des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) gegen den Braunkohletagebau Garzweiler II entschieden. Gemessen wurden die angegriffenen Umsiedlungen am Grundrecht auf Eigentum. Enteignungen zur Gewinnung von Rohstoffen für den Energiemarkt seien zulässig. Ob der Abbau von Braukohle dem Allgemeinwohl diene, müsse die Politik entscheiden. Ein aus Artikel 11 Grundgesetz abgeleitetes "Recht auf Heimat" lehnte das BVerfG ab. Das Grundrecht auf Freizügigkeit schütze nur, "wo jeder seinen Aufenthalt und Wohnsitz nehmen" könne. Indes müsse betroffenen Bürgern frühzeitig eine Klagemöglichkeit zustehen, namentlich bereits gegen die Zulassung eines "Rahmenbetriebsplanes". Karlsruhe bestätigte dabei ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2006. Es berichten unter anderem SZ (Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath), FAZ (Reiner Burger) und spiegel.de (Jörg Diehl).
"My Home ist not my Castle", kommentiert Maximilian Steinbeis (Verfassungsblog). Bei dem Gedanken, dass eine "Zwangsumsiedlung" stattfinden könne, solange die Behörden "das Allgemeinwohl im Sinn haben (…) und ein nachdenkliches Gesicht machen", werde ihm ganz anders. Wolfgang Janisch (SZ) bedauert, dass die Verfassungsrichter am Ende doch die Courage verlassen habe und sie kein "Recht auf Heimat" formulierten. "So ist es richtig", findet Reinhard Müller (FAZ): Über die Energiegewinnung entscheide der Souverän durch das Parlament und nicht das Bundesverfassungsgericht. Die Stärkung des Rechtsschutzes begrüßt Müller indes: "Rechtsschutz, der einen Rechtsbruch gar nicht mehr verhindern (…) kann", sei nämlich keiner.
Rechtspolitik
Interview Leutheusser-Schnarrenberger: Die scheidende Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) spricht zum Abschluss ihrer Amtszeit mit lto.de (Pia Lorenz/Claudia Kornmeier) über die schwarz-roten Pläne zur Vorratsdatenspeicherung - "ein grotesk falsches Signal" - die Wirkung des Gutachtens des Generalanwaltes am Europäischen Gerichtshof und warum Datenschützer heute wenigstens nicht mehr als Sicherheitsrisiko gesehen würden. Beim Recht der Unterbringung, bei den eingetragenen Lebenspartnerschaften und bei Rechten für Intersexuelle wäre sie gern noch gestalterisch aktiv gewesen. Außerdem geht es um ihre Zukunft, eventuell als Generalsekretärin des Europarats, und die Zukunft der FDP.
Justizminister Maas: Die Aufgaben des neuen Justizministers Heiko Maas (SPD) beleuchtet die FAZ (Peter Carstens). Mit der Umsetzung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung sowie der Reform des Prostitutionsgesetzes sei er für zwei politisch brisante Vorhaben verantwortlich. Erstmals sei dem Justizministerium auch der Verbraucherschutz "zugeschlagen" worden. Außerdem werden noch weitere im Koalitionsvertrag vereinbarte Vorhaben aufgezählt, von der bürgernahen und effizienten Gestaltung des Zivilprozesses bis zur Stärkung der Bundesanwaltschaft.
telepolis.de (Peter Mühlbauer) kritisiert Maas: Er sei "kein Freund von Freiheitsrechten" und habe in der Vergangenheit nicht nur ein Verbot von Paintball und PC-"Killerspielen" befürwortet, sondern auch die umstrittenen Internetsperren.
Erstes Gesetz der Koalition: Wie das Handelsblatt (Peter Thelen) informiert, soll noch in dieser Woche ein Gesetz im Bundestag verabschiedet werden, um das bereits im Jahr 2010 eingeführte Preiserhöhungsverbot für die Pharmaindustrie zu verlängern. Der Bundesrat solle das Gesetz in seiner letzten Sitzung in diesem Jahr am morgigen Donnerstag verabschieden. Dazu auch spiegel.de sowie die FAZ (Andreas Mihm).
Neue Datenschutzbeauftragte: Thomas Stadler (internet-law.de) fragt sich, was die neue Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff (CDU) für eben diese Position qualifiziert. Die Juristin habe in ihren 15 Jahren als Bundestagsabgeordnete "alle bürgerrechtsfeindlichen Gesetzesvorhaben (…) mitgetragen". Das Handelsblatt (Dietmar Neuerer) sieht in Voßhoff "die umstrittenste Personalie der neuen Bundesregierung".
"No-Spy"-Abkommen: Die Bundesregierung hat einen Bericht der New York Times dementiert, wonach das geplante "No-Spy"-Abkommen zwischen Deutschland und den USA endgültig vom Tisch sei, spiegel.de informiert. Die FAZ (Andreas Ross) schildert den Hintergrund: "je mehr Regierungen darauf pochen, dass sich die Amerikaner zurückhalten, desto heikler wird es für das Weiße Haus, nur den deutschen Freunden Zusicherungen zu geben."
Kein Presseauskunftsgesetz: Ein von der SPD-Bundestagsfraktion erarbeiteter Entwurf zu einem Presseauskunftsgesetz ist laut telepolis.de (Helmut Lorscheid) nach Widerstand aus der Union nicht in den schwarz-roten Koalitionsvertrag aufgenommen worden. Der Entwurf war eine Reaktion auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Februar 2013, wonach die Auskunftspflichten der Landespressegesetze nicht für Bundesbehörden wie den Bundesnachrichtendienst gelten.
Vorratsdatenspeicherung: Rechtsprofessor Daniel Thym befasst sich auf dem Verfassungsblog mit den möglichen Folgen der ausstehenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zur Vorratsdatenspeicherung. Thym betrachtet drei Alternativen zur Regelung der Datenverwendung: rein mitgliedstaatliche Regelung, Spielraum für die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber mit Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshof oder eine Regelung durch den EU-Gesetzgeber, wie es Generalanwalt Cruz Villalón vorschlage. Weiter stelle sich die Frage, ob der Deutsche Bundestag die Richtlinie derzeit umsetzen müsse. Thym bejaht dies, solange sie nicht für nichtig erklärt wurde.
Justiz
BVerwG zu Soldatenhaaren: Das Bundesverwaltungsgericht hat laut zeit.de entschieden, dass der "Haarerlass" der Bundeswehr rechtmäßig ist. Danach müssen bei männlichen Soldaten das Haar "am Kopf anliegen oder so kurz geschnitten sein muss, dass Augen und Ohren nicht bedeckt sind". Die Beschwerde eines Wehrpflichtigen blieb damit erfolglos. Dass Soldatinnen dagegen lange Haare tragen dürften, sei unter dem Aspekt der Frauenförderung zulässig. Auch lawblog.de (Udo Vetter) und die FAZ (Friedrich Schmidt) berichten.
BGH zu Kosten von Kontoauszügen: Wenn eine Bank für die Nacherstellung eines alten Kontoauszuges 15 Euro verlangt, ist das zu teuer. Das entschied jetzt der Bundesgerichtshof auf Klage des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, berichtet die Welt (Anne Kunz). Konkret betroffen war die Commerzbank.
ArbG Trier zu Abmahnungen durch Arbeitnehmer: Das Arbeitsgericht Trier hat entschieden, dass an eine außerordentliche fristlose Kündigung durch Arbeitgeber oder Arbeitnehmer gleich hohe Anforderungen zu stellen sind, so dass auch ein Arbeitnehmer grundsätzlich vorher abmahnen müsse. Konkret sei es, so blog.beck.de (Christian Rolfs) um die fristlose Kündigung durch eine Auszubildende gegangen, deren Arbeitgeber im Zahlungsrückstand gewesen sei.
Porno-Abmahnungen - Interview mit Urmann: zeit.de (Kai Biermann) spricht mit Rechtsanwalt Thomas Urmann, dessen Kanzlei tausende Abmahnungen an "Redtube"-Nutzer verschickte, über das Abmahnwesen - " Im Endeffekt ist es relativ sinnlos und frustrierend, was wir tun" -, die Steuerungskraft des Instruments, die Kapitulation des Staates im Urheberrecht, wie er zum Mandat für "Redtube" gekommen ist und warum auch beim Streaming eine Vervielfältigung vorliegt. Die Vermutung, dem Landgericht Köln sei "da etwas untergeschoben worden", teilt Urmann nicht, es habe aus seiner Sicht aber auch kaum Bedeutung, da es kein Verwertungsverbot für die nun erlangten IP-Adressen gäbe und eine Haftung könne auch nicht an ihn herangetragen werden. Thema sind auch im Internet veröffentlichte angebliche Mandatsverträge Urmanns.
LG Hannover – Wulff: An diesem Donnerstag will das Landgericht Hannover im Korruptionsprozess gegen Christian Wulff eine Zwischenbilanz ziehen. welt.de (Ulrich Exner) beleuchtet den bisherigen Prozessverlauf aus Sicht der Staatsanwaltschaft. Dass die bisher vernommenen Zeugen Wulff nicht belasten würden, sei nicht überraschend. Wer sich davon beeindrucken lasse, hätte die Anklage erst gar nicht zulassen brauchen. Im Falle eines Freispruchs werde die Staatsanwaltschaft eine Revision prüfen.
BGH-Rechtsprechung zu Insolvenzanfechtung: Der BGH-Richter Markus Gehrlein verteidigt in der FAZ umstrittene BGH-Urteile zur Insolvenzanfechtung. Dabei geht es um die Frage, wann ein Gläubiger Zahlungen des Schuldners, die er kurz vor der Insolvenz erhalten hat, zurückzahlen muss, um eine Gleichbehandlung der Gläubiger zu sichern.
Recht in der Welt:
EGMR – Völkermord-Leugnung: Die strafrechtliche Sanktionierung der Leugnung des Völkermordes an den Armeniern verstößt gegen die Meinungsfreiheit aus der Europäischen Menschenrechtscharta. Dies entschied laut spiegel.de der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Grund sei, dass der Begriff "Völkermord" in diesem Zusammenhang umstritten sei, anders liege der Fall beim Holocaust. Geklagt habe ein in der Schweiz verurteilter Türke.
USA – NSA-Telefonüberwachung: Über die Zweifel eines US-Bundesgerichtes an der Verfassungsmäßigkeit der Sammlung von amerikanischen Telefondaten durch die NSA berichten nun auch die FR (Damir Fras/Steffen Hebestreit) und die taz (Dorothea Hahn). Patrick Bahners (FAZ) analysiert das US-Urteil ausführlich im Zeitgeschehen-Teil. Hubert Wetzel (SZ) kommentiert unter dem Titel "Orwell in Amerika" und vermutet, die Grenzen für die "Lauscher" würden enger gezogen, aber nur innerhalb der USA.
Österreich – Rundfunk- und Meinungsäußerungsfreiheit: Rechtswissenschaftler Thomas Ziniel (Juwiss.de) befasst sich mit den österreichischen gesetzlichen Bestimmungen für öffentliche Rundfunkanstalten, konkret geht es um den ORF, und das Betreiben von Facebook-Seiten, angefangen mit einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes. Dieser hob Bestimmungen auf, die dem ORF die Nutzung von Facebook-Seiten untersagten.
Tschechien – 111.000 entlassene Straftäter: Nach einer Meldung von spiegel.de war die im Januar 2013 erfolgte Neujahresamnestie des damals noch amtierenden tschechischen Präsidenten Václav Klaus größer als bisher bekannt. Statt wie bislang angenommen 7.000 Straftätern, hätten nun 111.000 Personen von der Amnestie profitiert.
Türkei - "Mehmet" verurteilt: Die Welt (Kathrin Spoerr) schildert ausführlich die Kritik des deutschen Strafverteidigers Burckhard Benecken an der Verurteilung seines Mandanten Muhlis A. ("Mehmet") durch ein türkisches Gericht zu elf Jahren Haft. "Mehmet" soll einen Deutschen in Antalya beraubt haben. Tatsächlich habe es sich aber um den Versuch eines Versicherungsbetrugs gehandelt, von dem "Mehmet" rechtzeitig zurückgetreten sei.
Sonstiges
Dreier - Verfassungsstaat ohne sakrale Aura: Für das FAZ-Feuilleton bespricht Maximilian Steinbeis das neue Buch "Säkularisierung und Sakralität – Zum Selbstverständnis des modernen Verfassungsstaates" von Horst Dreier, Staatsrechtler und "Beinahe-Verfassungsgerichtspräsident". Mit aufklärerischer Kühle erkläre Dreier, warum der freiheitliche Verfassungsstaat keiner sakralen Aura oder eines sakralen Mythos bedürfe.
Das Letzte zum Schluss
Sparsamer Minister: Michalis Liapis, ehemaliger griechischer Verkehrsminister, wurde in der Umgebung von Athen nicht nur ohne Führerschein von der Polizei erwischt. Laut spiegel.de wurde zugleich bemerkt, dass er mit einem gefälschten Kennzeichen an seinem Auto fuhr - wohl um die Steuern zu sparen - und versichert war das Kfz auch nicht.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dc/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 18. Dezember 2013: BVerfG billigt Kohle-Enteignungen – BVerwG zu Haarlänge bei Soldaten – BGH moniert teuren Kontoauszug . In: Legal Tribune Online, 18.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10395/ (abgerufen am: 07.05.2024 )
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