Über 80 Prozent der Verfahren vor Verwaltungsgerichten gewinnt der Staat. Außerdem in der Presseschau: Leichtere Ausweisung von Kranken, Kritik an Di Fabios Gutachten und Zielschwäche in Bremer Bürgerschaft.
Thema des Tages
Geringe Chancen vor Verwaltungsgerichten: Die Chancen, dass Bürger vor Verwaltungsgerichten gegen Behörden gewinnen, stehen statistisch schlecht. In nur 16,5 Prozent der Verfahren obsiegt der Bürger. justiz-und-recht.de hat entsprechende Statistiken des Statistischen Bundesamtes ausgewertet. Über Gründe wird ein wenig spekuliert und auch ein Ländervergleich gezogen: Berliner sind besonders klagefreudig und ihre Erfolgsquote ist besonders niedrig (8,5 Prozent).
Rechtspolitik
Ausweisung bei Krankheit: Als Teil des Asylpaket II, dass am Mittwoch im Bundestag beschlossen werden soll, soll die Möglichkeiten eine Ausweisung durch medizinisches Attest zu stoppen minimiert werden. Die Montags-FAZ (Frank Pergande/Julian Staib) legt die geplanten Änderungen näher dar, so sollen etwa zukünftig Atteste unverzüglich vorgelegt werden müssen und andernfalls von der Behörde nicht berücksichtigt werden.
Sexualstrafrecht: Die bayerische Landesregierung will am Montag über einen Gesetzesvorschlag zu sexuellen Übergriffen aus Gruppen beraten. Mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe soll die Beteiligung an einer Gruppe bestraft werden, die einen Täter abschirmt, um seine Identifizierung und Festnahme zu verhindern. Das meldet die Samstags-FAZ (Albert Schäffer).
Getrennterziehende: In einer Resolution zur "Gleichheit und gemeinsamen elterlichen Verantwortung" kritisiert der Europarat unter anderem Deutschland für die Benachteiligung von Vätern in Sorgerechtsfragen, schreibt der Spiegel (Guido Kleinhubbert). Die Aufteilung des Sorgerecht zu gleichen Teilen (Wechselmodell) müsse gesetzliche Regel werden, in Deutschland müssen Väter auch für eine nur nahezu gleiche Beteiligung kämpfen und die Mütter gelten dennoch als Alleinerziehende, mit entsprechenden Vorteilen. Das Ergebnis einer Studie des Familienministeriums zu "Kindeswohl und Umgangsrecht" wird in zwei Jahren erwartet.
Bundestagsrechte bei EU-Verträgen: Nachdem vergangenen Donnerstag eine Expertenkommission sich für die Zustimmungsbedürftigkeit von EU-Verträgen – etwa auch TTIP und Ceta – durch den Bundestag ausgesprochen hat, stellt die Jurastudentin Valeria Nickel auf verfassungsblog.de die Argumentation für und wider vor.
Abschlussprüfungsreform: Rechtsprofessor Peter Hommelhoff befasst sich in der Montags-FAZ mit der Abschlussprüfungsreform 2016. Der nun vorliegende Regierungsentwurf habe die befürchtete umfassende Staatsaufsicht über Vorstände und Aufsichtsräte verbannt. Darin liege eine restriktive Auslegung der Richtlinienvorgaben, die es beizubehalten gelten, auch um Ausweitungstendenzen des EU-Gesetzgebers hin zu einer umfassenden staatlichen Aufsicht entgegen zu wirken.
Justiz
Prozesskosten vor EuGH und BVerfG: Die Kläger des OMT-Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof fühlen sich unfair mit Anwaltskosten der Europäischen Zentralbank belastet, das könne Bürger von Klagen abhalten. Der EuGH hatte ihnen mit Klageabweisung die Kosten auferlegt. Die EZB verweist darauf, dass sonst der Steuerzahler die Kosten zu tragen habe. Beim Bundesverfassungsgericht müssen Bürger für nicht erfolgreiche Verfassungsbeschwerden dagegen nicht zahlen, schreibt die Samstags-FAZ (Philip Plickert/Joachim Jahn), das gelte auch für die Klage gegen das OMT-Programm.
OVG Lüneburg zu Codesharing: Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat im Eilverfahren das Codesharing zwischen Etihad und AirBerlin auf 26 umstrittenen Routen bis zum 26. März weiter erlaubt. Ausgeschlossen bleiben fünf deutsche Inlandsrouten, berichten Samstags-FAZ (Timo Kotowski) und lto.de sowie die Samstags-SZ (Jens Flottau), die auch näher auf den zugrundeliegenden Streit eingeht.
LAG Stuttgart zu Druckkündigung: Im Fall einer Lehrerin, deren Kündigung sieben Kollegen damit erzwangen, dass sie mit ihrer eigenen Kündigung drohten, hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg der Klägerin Recht gegeben, schreibt Rechtsanwalt Marcel Grobys in der Samstags-FAZ. Zwar könnten solche Kündigungen wegen des potentiellen Schadens für das Unternehmen rechtmäßig sein, es müsse den Betroffenen jedoch zu schützen versuchen, wofür informelle Gespräche zur Klärung nicht genügten. Das Gericht fordert das Angebot eines förmlichen Mediationsverfahrens.
OLG München – NSU: Weil ihr Verteidiger Hermann Borchert verhindert ist, will Beate Zschäpe ihre Antworten auf Fragen des Gerichts doch erst am Mittwoch verlesen lassen, meldet die Samstags-Welt.
VG Köln zu Auskunftsanspruch: Die Presse hat gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz keinen Auskunftsanspruch darüber, in welchem Umfang es Journalisten und Parlamentarier überwacht. Das entschied das Verwaltungsgericht Köln auf eine Klage des Tagesspiegel, meldet Tsp (Jost Müller-Neuhof). Der Auskunftsanspruch der Presse reiche nicht so weit, dass das Amt Informationen, die so nicht vorliegen, aus Datensätzen herausfiltern müsste.
VG Greifswald – Wahlfehler: Weil eine Fußmatte verrutschte und eine Tür ins Schloss fallen ließ, war der Weg in ein Wahllokal zur Oberbürgermeisterwahl in Greifswald für 90 Minuten versperrt. Der Kandidat der CDU unterlag mit 15 Stimmen und hat Klage beim Verwaltungsgericht Greifswald erhoben. Am morgigen Dienstag wird das Gericht laut Montags-Welt darüber verhandeln, ob ein erheblicher Wahlfehler vorlag, ob also das Wahlergebnis nach der Lebenserfahrung konkret beeinflusst worden sein kann.
LG Frankfurt – CO₂-Handel: Mit dem am 15. Februar vor dem Landgericht Frankfurt beginnenden Prozess gegen (ehemalige) Mitarbeiter der Deutschen Bank wegen mutmaßlicher Beteiligung an einem Umsatzsteuerkarusell beim Handel mit CO₂-Zertifikaten, befasst sich die Montags-SZ (Klaus Ott). Es könne der erste "Bankenprozess" werden, der mit Haftstrafen endet. Nur vier der acht Angeklagten habe das Gericht bei Geständnis eine Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt.
LG Bremen – Reeder Stolberg: Vor dem Landgericht Bremen beginnt am Mittwoch der Prozess gegen den Schwergut-Reeder Stolberg, der einen rasanten Aufstieg und fulminanten Fall hingelegt hat. Er muss sich wegen Bilanzfälschung, Insolvenzverschleppung und Kreditbetrug verantworten, in einem Prozess den drei eigens dafür freigestellte Richter in eineinhalb Jahren Aktenwälzen vorbereiteten, schreibt die Samstags-taz (Henning Bleyl).
LG Stuttgart – Porsche-Verfahren: Das Verfahren gegen Wendelin Wiedeking und Holger Härter könnte vorzeitig mit einem Freispruch enden, ließ das Landgericht Stuttgart durchblicken. Schon die Akten hätten die Anklage nur teilweise gestützt, bisherige Zeugen seien gänzlich unergiebig, schreibt der Spiegel (Frank Dohmen/Dietmar Hawranek).
AG Meißen zu Reichsbürgern: Das Amtsgericht Meißen hat weitere sechs Reichsbürger wegen gemeinschaftlicher Freiheitsberaubung, gefährlicher Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beihilfe zum Uniformenmissbrauch zu 10 bis 30-monatigen Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt, meldet die Samstags-FAZ (Stefan Locke). Sie waren mit weiteren Personen als Bürgerwehr "Deutsches Polizei Hilfswerk" in selbstgeschneiderten Uniformen Streife gegangen und hatten 2012 einen zur Vollstreckung erschienen Gerichtsvollzieher "festgenommen" und dabei verletzt.
AG Aachen – herabwürdigende Patienten-Selfis: Weil sie Selfis mit bewusstlosen oder wehrlosen Patienten machten, die diese herabwürdigten, sind fünf Krankenpfleger und -pflegerinnen vor dem Amtsgericht Aachen angeklagt. Über den Fall und Fälle von Gewalttätigkeiten sowie die hohe Dunkelziffer, schreibt die Montags-Welt (Anette Dowideit).
Recht in der Welt
Polen – Rechtsstaat: Bundestagspräsident Norbert Lammert kritisiert auf zeit.de die derzeit gerade aus Polen zu hörende Ansicht, demokratische Legitimation legitimiere allumfassend. Dass der Rechtsstaat über das Verfassungsgericht demokratische Mehrheiten in die Schranken weise, habe es auch in Deutschland zum Unmut der Mehrheit oft genug gegeben. Das sei eine Bedingung der Freiheit, die auch mit dem EU-Beitritt als gültig anerkannt worden sei. Mit der FAS (Konrad Schuller) spricht der polnische Präsident Andrzey Duda unter anderem über die umstrittene Neubesetzung des polnischen Verfassungsgerichts.
Polen – Polizeigesetz: Am Freitag hat das polnische Parlament ein Polizeigesetz beschlossen, dass elektronische Überwachung und Datenerfassung ausweitet. Berufsgeheimnisträger wurden nicht ausgenommen, lediglich Gespräche mit dem Verteidiger und das Beichtgeheimnis sind tabu, meldet die Samstags-taz.
Griechenland – Abkommen mit NRW: Nordrhein-Westfalens Finanzminister Norbert Walter-Borjahns hat für sein Bundesland ein Abkommen mit Griechenland unterzeichnet. Nachdem er eine Liste mit potentiellen griechischen Steuersündern übergeben hatte, sollen griechische Steuerfahnder nun Unterstützung erhalten, mit Schulungen in Deutschland und griechisch sprechenden deutschen Experten, die vor Ort helfen, schreiben spiegel.de (Giorgos Christides) und Montags-taz (Claudia Hennen).
USA – Deutsche Bank: In einer Sammelklage in den USA wird der Deutschen Bank vorgeworfen, sie habe auf ihrer Devisenhandelsplattform "Autobahn" Algorithmen eingebaut, die Kundenaufträge verlangsamten. Die Verzögerung habe die Bank zur Kursbeobachtung genutzt um je nach Entwicklung Aufträge zu ihren eigenen Gunsten abzuweisen oder auszuführen. Die Bank behauptet, es gehe um Risikoabsicherung, die Klage spricht von Manipulation, berichtet der Spiegel (Martin Hesse).
Sonstiges
Keine Selbstzensur: Zur Richtlinie 12.1. des Deutschen Pressekodex schreibt die Samstags-SZ (Heribert Prantl), dass die Aufforderung, ethische, religiöse oder anderen Minderheitenzugehörigkeit nur zu erwähnen, "wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht" gerade keine Selbstzensur darstelle. Sie fordere eine Abwägung, ob eine Information sachlich Bedeutung hat, oder Diskriminierung fördert, vor der Wahrheit solle der Leser jedoch nicht geschützt werden.
Di Fabio-Gutachten: Die Rechtsprofessoren Jürgen Bast und Christoph Möllers kritisieren auf verfassungsblog.de das Gutachten des ehemaligen Verfassungsrichters Udo Di Fabio für den bayerischen Staat. Sie begründen, warum der juristische Gehalt "erstaunlich dürftig" sei und werfen Di Fabio vor seine Reputation als Verfassungsrichter dazu zu nutzen, "einer demokratischen Regierung einen Rechtsbruch zu unterstellen, ohne diesen konkret benennen zu können". Die FAS (Patrick Bahners) sieht den Rat an Bayern, keine Klage zu erheben, zwischen die Zeilen des Gutachtens geschrieben. Die Montags-FAZ (Jürgen Kaube) schreibt ebenfalls zum Gutachten und kritisiert die Kritik von Bast und Möllers, die in "sorgloser Argumentation" Politik, Ökonomie und Recht verwechselten.
Ministererlaubnis: Die WamS (Michael Gassmann) lässt Juristen mit Kritikpunkten an der Ministererlaubnis zur Übernahme von Kaiser's Tengelmann durch Edeka zu Wort kommen. Das keine wettbewerbsfördernden Bedingungen gestellt wurden wird kritisiert, andererseits die Trennung wettbewerbsrechtlicher und politischer Fragen gerade als Merkmal der Ministererlaubnis hervorgehoben. Problematisch erscheine, dass eine Nichteinhaltung der Bedingungen auch nach Jahren noch eine Rückabwicklung der Übernahme erforderlich machen könnte, weil die Aufrechterhaltung eines Zustands Bedingung sei.
Portrait Maas: Der Spiegel (Melanie Amann) portraitiert Bundesjustizminister Maas, der mit prägnanten Worten Furore gemacht habe, aber in der Gesetzgebung keine Haltung bewahre. "Ausgerechnet mit ihm ist die SPD wieder Law-and-Order-Partei".
Unbegründeter Verdacht: Nachdem Eltern ihren Kindern Aussagen zu angeblichen sexuellen Übergriffe von Kindern an Kindern unter den Augen der Kita-Erzieher entlockten, haben sich die Vorwürfe in geschulten Befragungen im Ermittlungsverfahren nicht bestätigt, berichtet der Spiegel (Bruno Schrep). Das Ermittlungsverfahren ist eingestellt, die Reputation der Erzieher aus der "Horror-Kita" (Bild-Zeitung) konnte nicht wieder hergestellt werden.
Möbelplagiate: Über den Handel mit plagiierten Möbeln und dazu ergangene Gerichtsurteile, schreibt die Montags-Welt (Carsten Dierig). Im Gegensatz zum strengen deutschen Urheberrecht seien andere laxer, innerhalb der EU etwa Großbritannien und Italien, aber auch in Deutschland bedürfe das Möbelplagiat einer hohen Übereinstimmung mit dem Original. Verbraucher bewegten sich in einer Grauzone und die Verurteilung eines Spediteurs wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke sei von Bundesgerichtshof und Europäischem Gerichtshof bestätigt worden.
Europäische Knöllchen: Mit den Folgen von Verkehrsverstößen im europäischen Ausland befasst sich die Montags-Welt (Claudius Lüder). Ab 70 Euro inklusive Verfahrenskosten werden EU-ausländische Knöllchen auch im Inland vollstreckt, ansonsten kann Vollstreckung bei Wiedereinreise erfolgen. Punkte in Flensburg werden jedoch nicht über Staatsgrenzen verteilt und auch Fahrverbote gelten nicht.
Unfallschaden Absetzen: Die Montags-SZ (Berrit Gräber) erklärt die steuerliche Absetzbarkeit des finanziellen Schadens eines Autounfalls bei betrieblich bedingter Fahrt. Regelmäßig können Unfallkosten und direkte Folgekosten – etwa das beim Unfall zerstörte Handy, die der Arbeitnehmer selbst trägt, als Werbungskosten abgesetzt werden.
Das Letzte zum Schluss
Geruchsgutachten: Weil es auf der Herrentoilette im Haus der Bremer Bürgerschaft so erbärmlich stank, gab die Bürgerschaft 2012 ein Gutachten in Auftrag. Das Ergebnis wurde nun vorgestellt: Mit den Urinalen ist alles in Ordnung, es mangelt wohl an der Treffsicherheit der Benutzer. Das meldet die Montags-Welt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 16. bis 18. Januar 2016: Schlechte Chancen vor VG / Väter-Gleichberechtigung / Keine Selbstzensur . In: Legal Tribune Online, 18.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18150/ (abgerufen am: 16.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag