Stets korrekt: Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff wehrt sich vor Gericht gegen den Vorwurf der Vorteilsnahme. Außerdem in der Presseschau: die Justizministerkonferenz, ein EuGH-Urteil zum Asylverfahren, Haftstrafe für Karlheinz Schreiber, der deutsche TÜV soll für Silikon-Brüste haften – und ein 84-jähriger Gangster bekommt nicht nur lebenslänglich.
Thema des Tages
LG Hannover – Wulff vor Gericht: Vor dem Landgericht Hannover hat am Donnerstag der Prozess gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff begonnen. Wulff muss sich wegen Vorteilsnahme in seiner Amtszeit als niedersächsischer Ministerpräsident verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, er habe sich im Oktober 2008 von dem Filmemacher David Groenewold zum Münchner Oktoberfest einladen lassen - Groenewold soll dabei Kosten in Höhe von rund 720 Euro übernommen haben. Wulff bestritt die Vorwürfe vehement und erklärte, er habe sich stets korrekt verhalten. Groenewold ist wegen Vorteilsgewährung angeklagt. Beide betonten, sie seien privat befreundet. Einen Überblick geben die SZ (Annette Ramelsberger/Ralf Wiegand), die FAZ (Robert von Lucius) und die taz (Teresa Havlicek). Ausführlich schildern zeit.de (Ludwig Greven), Die Welt (Ulrich Exner) und die SZ (Annette Ramelsberger auf der Reportageseite) den Verhandlungsstag. Ein knapperes Prozess-Protokoll findet sich auf bild.de (N. Harbusch/P. Rossberg).
Heribert Prantl (SZ) vergleicht den Prozess in seinem Kommentar mit dem gegen den Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber. "In dem einen Fall springt die Korruption ohne jede Lesehilfe ins Auge. Im anderen Fall reicht die stärkste Lupe nicht." Nun wünsche man sich, dass das Gericht "zum Maß zurückfindet". Dirk Kurbjuweit (spiegel.de) verteidigt dagegen die Ermittlungen: "Warum sollte es falsch sein, jeden Stein umzudrehen?" Der Prozess sei auch eine Chance für Wulff, sich zu verteidigen. Auch Bettina Gaus (taz) hält das umfangreiche Verfahren für richtig: "Was nötig ist, um die Wahrheit zu ermitteln, muss geschehen." Dabei handele es sich nicht nur um eine Bagatelle. Udo Vetter (lawblog.de) kritisiert dagegen das Vorgehen der Justiz als "Zirkusspiele". Christian Bommarius (FR) sieht Wulff vor allem als "Opfer seiner selbst". Seine Existenz als Politiker habe er "durch eigene Schuld verloren", seine bürgerliche Existenz müsse er nun jedoch gegen den "überzogenen Strafanspruch der Staatsanwaltschaft" verteidigen. Matthias Brüggmann (Handelsblatt) kommentiert, in dem Prozess gehe es um "Grundsätzliches" – so auch um das künftige Verhältnis von Unternehmern und Politikern.
Rechtspolitik
Justizministerkonferenz: Die taz (Christian Rath) berichtet von der Justizministerkonferenz, die am Donnerstag in Berlin stattfand. Die Justizminister der Länder beschlossen unter anderem, die öffentliche Fahndung nach Straftätern im Internet zu verstärken – allerdings nur auf staatlichen Internetseiten. Zudem soll auf den Fall Mollath reagiert und die Unterbringung psychisch kranker Straftäter reformiert werden. Der Vorschlag der schleswig-holsteinischen Ministerin Anke Spoorendonk, die aus der NS-Zeit stammende Formulierung des Mordparagraphen zu ändern, wurde zu Kenntnis genommen. Wie spiegel.de berichtet, wollen die Länder zudem Wirtschaftskriminalität stäker bekämpfen, möglicherweise auch mit neuen Sanktionen gegen Unternehmen, etwa dem Ausschluss von Subventionen oder der Auflösung.
Überwachung von Hartz-IV-Empfängern: Die Bundesagentur für Arbeit will überwachen, ob Hartz-IV-Empfänger im Internet Nebeneinkünfte erzielen – etwa auf Online-Handelsportalen wie Ebay. Die Behörde fordere eine Gesetzesgrundlage für den automatischen Datenabgleich mit den Steuerbehörden. Die FAZ (Sven Astheimer) berichtet. spiegel.de (Yasmin El-Sharif) geht insbesondere auf die scharfe Kritik von Gewerkschaften, Grünen und Linkspartei ein. Thomas Öchsner (SZ) kritisiert, der Staat lasse bei der Suche nach Steuerbetrügern entsprechenden Eifer vermissen.
Koalitionsverhandlungen – Asylverfahren: Wie die SZ (Robert Rossmann) berichtet, wollen SPD und Union erreichen, dass Asylverfahren künftig schneller bearbeitet werden – dazu soll das Personal beim Bundesamt für Migration aufgestockt werden. Außerdem solle das Arbeitsverbot für Asylbewerber nach sechs Monaten aufgehoben werden, für geduldete Flüchtlinge werde eine Bleiberechtsregelung angestrebt. Auch die taz (Daniel Bax) berichtet über die Verhandlungen. Bei der Aufhebung der Residenzpflicht rudere die Union nun aber zurück, bei der europäischen Flüchtlingspolitik gebe es keine Einigung.
Justiz
EuGH zu Asylverfahren: Der Europäische Gerichtshof hat die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für Asylverfahren geklärt. Hintergrund war der Fall eines Iraners, der über Griechenland nach Deutschland eingereist war. Dabei hat das Gericht bestätigt, dass Asylbewerber nicht in einen eigentlich zuständigen Mitgliedstaat zurückgeschickt werden dürfen, wenn das Asylsystem dort zu einer unmenschlichen Behandlung führt – wie etwa in Griechenland. Deutschland sei in diesem Fall zwar grundsätzlich nicht verpflichtet, den Asylantrag zu prüfen, müsse aber einen anderen zuständigen Staat ermitteln und im Notfall auch selbst einspringen. Die taz (Christian Rath) und die FAZ (Helene Bubrowski) berichten.
EuGH zu homosexuellen Flüchtlingen: Der Rechtswissenschaftler Nils Janson erläutert auf juwiss.de die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 7. November, wonach homosexuellen Flüchtlingen nicht zugemutet werden kann, ihre sexuelle Orientierung in ihrem Herkunftstaat geheim zu halten, um Verfolgung zu vermeiden.
LG München zu Zeitungs-Archiv: Das Landgericht München I hat eine Klage des Jugendsozialwerks abgewiesen, das der Wochenzeitung "Die Zeit" untersagen wollte, einen 34 Jahre alten Skandalbericht im Online-Archiv der Zeitung zugänglich zu machen. Die SZ (Ekkehard Müller) berichtet auf ihrer Medien-Seite. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
LG Augsburg zu Karlheinz Schreiber: Das Landgericht Augsburg hat den früheren Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber wegen Steuerhinterziehung in sechs Fällen zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf der Bestechung des damaligen Rüstungsstaatssekretärs Ludwig-Holger Pfahls (CSU) sei hingegen verjährt. Die FAZ (Albert Schäffer) berichtet über die Hintergründe des Falles, der im Mittelpunkt der CDU-Parteispendenaffäre in den 1980er und 1990er Jahren steht. Der Bundesgerichtshof hatte 2010 eine Verurteilung zu acht Jahren Haft aufgehoben, nun wolle Schreiber erneut Revision einlegen.
LG Augsburg – Einstellung in Polizistenmord-Prozess: In dem Prozess um den mutmaßlichen Mord an einem Polizisten hat das Landgericht Augsburg den Angeklagten Raimund M. für vorübergehend verhandlungsunfähig erklärt und will nächste Woche bekannt geben, ob das Verfahren eingestellt wird. M. wird vorgeworfen, zusammen mit seinem Bruder im Oktober 2011 einen Polizeibeamten erschossen und dessen Kollegin verletzt zu haben. Der Zustand des Mannes hatte sich nach seiner Unterbringung in Isolationshaft massiv verschlechtert. spiegel.de (Julia Jüttner) schildert den Fall.
OLG München – Kirch-Prozess: Wie viel Schadensersatz muss die Deutsche Bank den Erben der Kirch-Gruppe zahlen? Nach Informationen der SZ (Klaus Ott/Andrea Rexer) könnte die Summe niedriger ausfallen als gedacht, weil ein Dokument des Insolvenzverwalters der Kirch-Gruppe zeige, dass das Medienunternehmen im Februar 2002 möglicherweise schon nicht mehr sanierungsfähig war. Dann hätte das Interview des damaligen Bankchefs Breuer die Insolvenz der Kirch-Gruppe nicht herbeigeführt, sondern lediglich verschärft. Das Oberlandesgericht München hatte die Deutsche Bank deshalb Ende 2012 zu Schadensersatz verurteilt, die Höhe ist jedoch noch unklar.
NSU-Prozess – Opferanwalt im Interview: Die FR (Stefan Geiger) führt ein Interview mit dem Anwalt Jens Rabe, der im NSU-Prozess die Tochter eines Mordopfers, Semiya Simsek, vertritt.
Gurlitt-Fall: In einem Gastbeitrag für die FAZ schreibt Axel Burghart, Richter am Brandenburgischen Oberlandesgericht, es sei zweifelhaft auf welcher Rechtsgrundlage die Augsburger Staatsanwaltschaft die Bilder in der Wohnung von Cornelius Gurlitt, Sohn des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, beschlagnahmt hat. Im Ergebnis könne wohl weder der Verdacht der Unterschlagung noch der Verdacht von Betrugsstraftaten die Beschlagnahme rechtfertigen. Die SZ (Frank Müller/Klaus Ott) führt ein Interview mit dem bayerischen Justizminister Winfried Bausback, der erklärt, er hoffe auf eine "einvernehmliche Lösung", um mögliche NS-Raubkunst an die Eigentümer zurückzugeben.
Recht in der Welt
Frankreich – Deutscher TÜV haftet für Brustimplantate: Der TÜV Rheinland hätte die Silikon-Brustimplantate des Unternehmens PIP genauer prüfen müssen – und muss nun Schadensersatz zahlen. Das befand ein Handelsgericht im französischen Toulon laut Berichten der FAZ (Christian Schubert) und der SZ (Christina Berndt) und gab damit zunächst mehr als 1.600 betroffenen Frauen und sechs Händlern recht. Sie hatten Schadensersatz in Höhe von mehr als 50 Millionen Euro verlangt – wie hoch die Summe tatsächlich ausfallen könnte ist jedoch noch nicht geklärt. Zudem hat der TÜV angekündigt, in Berufung zu gehen.
Großbritannien – "News of the World"-Prozess: Die taz (Jon Mendrala) berichtet vom "News of the World"-Prozess. Die britische Boulevardzeitung soll die Handy-Mailboxen von Prominenten und Politikern abgehört haben. Nun sind die ehemaligen Chefredakteure Rebekah Brooks und Andy Coulson sowie sechs weitere Journalisten angeklagt.
Türkei – Eltern eines Mörders müssen zahlen: Wie die SZ (Christiane Schlötzer) berichtet, hat ein türkisches Gericht die Eltern eines Mörders dazu verurteilt, an die Eltern des Mordopfers knapp 500.000 Euro "für materielle Schäden und das erlittene Leid" zu zahlen. Das Gericht habe die Entscheidung damit begründet, dass die Eltern "Warnsignale ignoriert" und ihre "Erziehungsaufgabe" nicht erfüllt hätten.
Libyen – Scharia: In Libyen soll ein Komitee die Gesetze des Landes der islamischen Scharia anpassen. Das hat das Justizministerium entschieden, meldet spiegel.de.
Sonstiges
UN-Resolution zu Privatsphäre im Internet: verfassungsblog.de (Hannah Birkenkötter) spricht mit der Professorin Anja Mihr über den Entwurf einer Resolution zum Schutz der Privatspähre im Internet, den Deutschland und Brasilien bei den Vereinten Nationen eingebracht haben. Das Interview setzt die Schwerpunkt-Reihe zu NSA-Spionage in Deutschland fort.
Deutschlands Rolle in den UN: In zwei Artikeln auf der "Staat und Recht"-Seite der FAZ diskutieren die Völkerrechtler Andreas Zimmermann und Georg Nolte die Rolle Deutschlands in den Vereinten Nationen. Zimmermann ist der Ansicht, dass der Einfluss Deutschlands abnehmen könnte, Nolte plädiert für eine Führungsrolle Deutschlands "zusammen mit anderen".
Anti-Terror-Kampf: Die SZ (Stefan Kornelius/Ronen Steinke) erläutert, inwiefern zahlreiche deutsch-amerikanische Abkommen die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen regeln – dabei würden auch einseitige Zugeständnisse an die USA gemacht. Der Artikel ist Teil einer neuen SZ-Serie zur deutschen Beteiligung am Kampf gegen Terror an der Seite der USA.
Das Letzte zum Schluss
Gangsterboss James "Whitey" Bulger: Der 84-jährige berüchtigte Gangsterboss James "Whitey" Bulger ist von einem Gericht im US-amerikanischen Boston wegen elffachen Mordes zu einer Haftstrafe von "zweimal lebenslänglich plus fünf Jahre" verurteilt worden. spiegel.de (Marc Pitzke) bringt eine ausführliche Prozess-Reportage.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ak
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 15. November 2013: Wulff vor Gericht – Waffenlobbyist Schreiber verurteilt – TÜV haftet für Brustimplantate . In: Legal Tribune Online, 15.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10060/ (abgerufen am: 15.05.2024 )
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