Die Strafjustiz ist maßlos überlastet, das belastet den Rechtsstaat. Außerdem in der heutigen Presseschau: Forderungen zur Aberkennung der Staatsbürgerschaft sind Unfug, Contergan-Rente ist nicht auf Versorgungsausgleich anzurechnen, Wohnrecht ist nicht erbschaftsteuerbefreit, Klage gegen Arab Bank und die Polizei als Freund und Helfer.
Thema des Tages
Überlastete Strafjustiz: Die 100 Millionen Dollar, die Bernie Ecclestone als Auflage bei seiner Verfahrenseinstellen zahlen musste, sind eingetroffen. Das Handelsblatt (Massimo Bognanni/Jan Keuchel) nimmt dies zum Anlass sich ausführlich mit den Hintergründen der Praxis der Verfahrensverkürzung insbesondere in großen Wirtschaftsstrafverfahren auseinanderzusetzen. Es geht sowohl um Einstellungen gegen Auflage als auch um die "echten" Deals. All zu oft werde dabei die Mahnung des Bundesverfassungsgerichts ignoriert, dass die Wahrheitserforschung nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten stehe. Denn die Justiz sei systematisch überlastet und so zu einer Notwehr getrieben, die an den Festen des Rechtsstaats rüttele. Ausführlich werden die Zustände dargestellt, anhand von Beispielen zur Komplexität großer Wirtschaftsstrafverfahren und Beschreibungen der Arbeitsbedingungen von Staatsanwälten und Richtern. Mit Zahlen wird die Unterbesetzung und Überlastung untermauert. Die Probleme würden langsam auch der Politik bewusst, dank klammer Landeskassen seien jedoch mehr Kürzungen als Finanzspritzen zu verzeichnen.
Rechtspolitik
Aberkennung der Staatsbürgerschaft? Heribert Prantl (SZ) geißelt die Forderung deutschen Dschihadisten die Staatsbürgerschaft abzuerkennen als "dummes Dahergerede". Selbst wenn der Staat seine Bürger lieber anders habe, "nicht so blöd, nicht so querulatorisch, nicht so krank, nicht so verbrecherisch", sei es selbst ein Verbrechen deutschen Bürgern die Staatsangehörigkeit zu entziehen und daher vom Grundgesetz verboten.
Reform des Sexualstrafrechts: Rechtsprofessorin Monika Frommel meint im Interview mit lto.de die Istanbul Konvention sei in Deutschland bereits umgesetzt. Der Gesetzgeber habe sich aus guten Gründen gegen das Merkmal "gegen den Willen" entschieden. Dennoch sei auch psychisch vermittelter Zwang strafbar, nur eben nicht als Vergewaltigung. Lediglich was den Schutz von Jugendlichen angehe, bedürfe es der Nachbesserung im Gesetz.
Schutz von Gewaltopfern: Laut taz hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf gebilligt, nach welchem Gerichtsbeschlüsse aus anderen EU-Ländern zum Schutz von Gewaltopfern grenzüberschreitend anerkannt werden sollen. Mü (FAZ) kommentiert dazu, dass die wirklich Gewaltbereiten sich leider selten aufhalten ließen und weist auf die Beweisprobleme bei häuslicher Gewalt hin.
Justiz
BGH zu Contergan-Rente im Versorgungsausgleich: Wie blog.beck.de (Hans-Otto Burschel) und lto.de berichten, entschied der Bundesgerichtshof in einer am Dienstag veröffentlichten Entscheidung, dass Contergan-Rente als echte Zusatzleistung allein dem Geschädigten zustehe. Beim Versorgungsausgleich im Scheidungsfall könne auch aus Gerechtigkeitsgründen wegen der Bedürftigkeit des geschiedenen Partners keine Anrechnung vorgenommen werden.
BGH zu Finanzierungsberatung: Die SZ (Harald Freiberger) setzt sich mit einer am Dienstag veröffentlichten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) auseinander. Eine umfassende Aufklärungspflicht, wie sie nach der Rechtsprechung des BGH für Anlageberatung besteht, gelte für Finanzierungsberatung nicht, da die entsprechenden Regelungen nicht übertragbar seien. Der Klägeranwalt kann die Differenzierung auf Grundlage der Urteilsbegründung nicht nachvollziehen.
BFH verneint Erbschaftsteuerbefreiung für Wohnrecht: Der Bundesfinanzhof hat in einer nun mitgeteilten Entscheidung vom Juni festgestellt, dass die Erbschaftsteuerbefreiung für selbstgenutztes Wohneigentum nur gilt, wenn der Erbe nur ein lebenslanges dingliches Wohnrecht erhält. Im entschiedenen Fall erbten die Kinder des verstorbenen Mannes der Klägerin das Eigentum. Nach dem eindeutigen Wortlaut der entsprechenden Regelung sei jedoch nur der Erwerb des Eigentums steuerbefreit, so FAZ und lto.de.
OLG Köln zu WestLB Swap-Verträgen: Das Oberlandesgericht Köln hat im Streit um die seinerzeit mit der WestLB geschlossenen sogenannten Swap-Verträge gegen die Rechtsnachfolgerin der Bank entschieden, meldet die FAZ. Wegen damaliger Falschberatung muss die Stadt Hückeswagen nach bereits gezahlten 1,4 Millionen nicht die weiter geforderten 20 Millionen zahlen, sondern erhält 1,3 Millionen zurück, sollte das Urteil rechtskräftig werden.
LG Stuttgart zu Impressumspflicht für Anwälte: lto.de (Pia Lorenz) berichtet von Entscheidungen des Landgerichts Stuttgart – zuletzt Anfang August – zur Impressumspflicht von Anwälten bei Interneteinträgen. Sofern ein Eintrag in einem eigenen Informations- und Kommunikationsdienst vorliege, wie etwa ein Anwaltsprofil bei kanzlei-seiten.de, sei dieser impressumspflichtig nach § 5 des Telemediengesetzes. Die Eingabe von Daten zu Anwalt und Kanzlei in Verzeichnissen wie etwa bei Foris sei kein informationstechnisch eigenständiger Eintrag und damit für den Anwalt nicht impressumspflichtig.
VG Ansbach zu Dashcam: Auch die taz (Christian Rath/Svenja Bergt) schreibt nun zu der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Ansbach zu sogenannten Dashcams. Wer Aufnahmen lediglich zur privaten Verwendung mache handele legal, sagt Thomas Kranig, Leiter des Bayerischen Landesamtes für Datenschutz. Er hält das Urteil vor allem für ein Signal, welches verdeutliche, dass grundsätzlich Persönlichkeitsrechte verletzt werden.
Florian Kolf (Handelsblatt) geht das Urteil nicht weit genug. Er verweist auf all die Kameras die Menschen täglich filmen und fordert eine klare Grenze durch den Gesetzgeber, die im Zweifel "Kamera aus" heißen müsse.
Ermittlungen wegen "Roter Hosen": Die SZ (Susanne Höll) schreibt zu den Ermittlungen gegen ehemalige Mitarbeiter der saarländischen SPD-Fraktion, im Zusammenhang mit der Finanzierung von deren Fußballverein "Rote Hosen". Die Fraktion soll nun bis Ende September erklären, warum das Finanzchaos in den Jahren 2004-2009 unentdeckt blieb. Der damalige Kapitän der Mannschaft und heutige Justizminister Heiko Maas sei von der Affäre bisher verschont geblieben. Es fehle auch sonst an der üblichen zwischenparteilichen Häme, wohl unter anderem wegen Untersuchungen der Finanzen der übrigen Fraktionen durch den Landesrechnungshof.
GBA – Beck neuer Terror-Experte: Generalbundesanwalt Harald Range hat laut SZ Bundesanwalt Thomas Beck als "herausragenden Experten auf dem Gebiet des Staatsschutzstrafrechts" zum Leiter der Abteilung Terrorismus bei der Bundesanwaltschaft berufen.
Anklageerhebung HRE: Gegen den früheren Chef der Hypo Real Estate Georg Funke und den gesamten ehemaligen Vorstand der Bank hat die Münchener Staatsanwaltschaft nun wegen unrichtiger Darstellung der Unternehmenslage Anklage erhoben, berichtet die SZ (Klaus Ott). Die Anklage ging an den aus dem Verfahren gegen Bernie Ecclestone bekannten Vorsitzenden Richter Peter Noll.
Mangelnde Umsetzung der Energieeffizienzvorgaben: Die Europäische Kommission hat laut FAZ (now) und Welt Vertragsverletzungsverfahren unter anderem gegen Deutschland eingeleitet. Grund ist die noch ausstehende Übertragung einer europäischen Regelung aus 2012 unter anderem zur Senkung des Energieverbrauchs um 20 Prozent zwischen 2008 und 2020. Bis Anfang Juni hätte die Umsetzung in nationales Recht erfolgen müssen. Deutschland könnte der Klage wohl letztlich mit dem geplanten "Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz" entgehen.
AG München zu Schadensgutachten: Die FAZ (ktr) stellt eine aktuelle Entscheidung des Amtsgerichts München vor, nach welcher Gutachten bei Bagatellschäden nicht erforderlich sind. Für nicht erforderliche Gutachten werden die Kosten im Schadensersatzprozess nicht ersetzt. Ein Bagatellschaden habe vorgelegen, da bei dem Anstoß gegen ein stehendes Auto nur ein Blechschaden entstanden sei und keine technischen Teile oder tragende Karosserieteile betroffen gewesen seien.
Ermittlungen gegen Middelhoff: Nach Angaben der Welt droht dem ehemaligen Chef des Karstadt-Mutterkonzerns Arcandor Thomas Middelhoff nun auch eine Anklage in München. Die Staatsanwaltschaft ermittle wegen uneidlicher Falschaussage im Kirch-Prozess vor drei Jahren.
Interview Nötzel: Staatsanwalt Manfred Nötzel spricht im Interview mit dem Handelsblatt (Laura de la Motte/Kerstin Leitel) über die Einstellung im Fall Ecclestone und die Arbeit der Staatsanwaltschaft im Allgemeinen und im Speziellen in Wirtschaftsstrafverfahren.
Recht in der Welt
Klage gegen Arab Bank: Rund 300 Opfer und Opferangehörige von Anschlägen der radikal-islamischen Hamas zwischen 2001 und 2004 haben in New-York Klage gegen die jordanische Arab Bank eingereicht. Die Bank soll unter anderem während der zweiten Intifada Finanztransaktionen für die Hamas abgewickelt und damit Terroristen unterstützt haben. Die Bank weist die Vorwürfe von sich und sieht Gefahren für das Internationale Finanzsystem darin, dass automatische Routinetätigkeiten von Banken zum Haftungsrisiko werden. Die Klage stützt sich auf das Anti-Terrorismus-Gesetz, welches Klagen von US-Bürgen wegen Schäden durch internationalen Terrorismus ermöglicht. Das Handelsblatt (Pierre Heumann) berichtet.
Sonstiges
Background-Check im Internet: Rechtsanwalt Christian Oberwetter schreibt auf lto.de zum Einholen von Informationen im Internet über Bewerber. Es sei zunächst auch bei öffentlich zugänglichen Daten zwischen berufsbezogenen und persönlichen zu unterscheiden. Jedoch sei in einer Zeit, in der Privates und Berufliches mehr und mehr verschwimmt, die Grenzziehung schwer. Er meint über Google erhältliche Informationen seien verwendbar, Recherchen in privatorientierten Netzwerken wie Facebook jedoch verboten.
Strafprozessuale Wahrheit: Rechtsanwalt Mirko Laudon setzt sich auf strafakte.de vor dem Hintergrund des Mollath-Prozesses mit der strafprozessualen Wahrheit auseinander. Er verweist auf diese als höchstmögliche Wahrscheinlichkeit die Überzeugung begründe. Die Grundlage sei häufig leider nur die menschliche Wahrnehmung und der Mensch als Zeuge "biologisch natürlich eine Fehlkonstruktion".
Das Letzte zum Schluss
Entfesselnde Polizei: Laut spiegel.de hatte ein Mann großes Glück, dass sein Nachbar sich sorgen machte. Die Polizei, die den Mann gefesselt in seiner Küche fand, ging von einem "autoerotischen Unfall" aus.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 14. August 2014: Überlastete Strafjustiz – HRE-Anklage – Entfesselnde Polizei . In: Legal Tribune Online, 14.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12889/ (abgerufen am: 17.05.2024 )
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