Der EuGH-Generalanwalt lässt zwar nicht die Vorratsdatenspeicherung insgesamt über die Klinge springen, hält die Ausgestaltung aber für in vollem Umfang unverhältnismäßig. Außerdem in der Presseschau: Degenhart zum SPD-Mitgliederentscheid, EuGH muss sich mit Hartz-IV-Regelung befassen, Ackermanns Verfassungsbeschwerde wird nicht angenommen, Bettina Wulff sagt aus und: Warum wollen denn heute alle Nerds sein?
Tagesthema
EuGH-Generalanwalt zu Vorratsdatenspeicherung: In seinen Schlussanträgen zu Vorabentscheidungsgesuchen aus Irland und Österreich hat der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs Pedro Cruz Villalón die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung als für "in vollem Umfang" unvereinbar mit der EU-Grundrechtecharta beurteilt und konstatierte einen qualifizierten und unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 7 Grundrechtecharta). lto.de (Claudia Kornmeier) berichtet. Die Speicherung nach der Richtlinie ermögliche die Erstellung von Bewegungs- und Persönlichkeitsprofilen und berge großes Missbrauchspotential. Die Richtlinie sei mit Blick darauf zu unpräzise formuliert - es fehle etwa ein Katalog bestimmter Straftaten - und missachte damit den Gesetzesvorbehalt aus der Charta. Auch die Speicherung von Daten bis zu zwei Jahre sei unverhältnismäßig. Gleichwohl habe Villalón der Vorratsdatenspeicherung keine grundsätzliche Absage erteilt und schlage eine angemessene Übergangszeit vor, in der die Ungültigkeit der Richtlinie ausgesetzt werden solle. Auch die FAZ (Helene Bubrowski) erläutert die Schlussanträge sowie möglichen Konsequenzen für den deutschen Gesetzgeber. Ebenso berichten die taz (Christian Rath), die SZ (Wolfgang Janisch), die FR (Steffen Hebestreit)und die Welt (Manuel Bewarder).
Auch zeit.de (Kai Biermann) informiert und bietet gleich die Schlussanträge. "Antworten auf die wichtigsten Fragen" liefert spiegel.de (K.Lischka/C.Hecking/O.Reißmann). Die Reaktionen in Berlin fasst die taz zusammen: Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) mahnt, die EU-Kommission solle die Richtlinie aufheben. Bundesdatenschutzbeauftragter Peter Schaar meint, auf dieser Grundlage dürfe eine Wiedereinführung erst einmal nicht in Betracht gezogen werden. Union und SPD sähen sich indes durch die Schlussanträge bestätigt: Es sei nur eine Frage des "Wie", nicht des "Ob". Zu den politischen Reaktionen berichtet auch die FAZ (Johannes Leithäuser).
In Richtung des EuGH kommentiert Heribert Prantl (SZ): "Raus aus dem Grundrechtshalbschlaf". Ohne starke Grundrechte sei es ein schwaches Europa. Geboten sei, dass die Richter den Anträgen nicht nur wie üblich folgen, sondern über die Vorgaben deutlich hinaus gehen. Enttäuscht zeigt sich Christian Rath (taz): Was beanstandet wird, ist in Deutschland ohnehin "längst erfüllt" und die "vorsorgliche Massenüberwachung" wird als solche nicht infrage gestellt. Mehr Aufmerksamkeit für den Datenschutz begrüßt Reinhard Müller (FAZ, ähnlich FAZ.net), meint aber, ohne die oft "ohnehin gespeicherten Daten" könne man Kriminalitätsbekämpfung auch gleich einstellen und wer "die Speicherung schon für den schwersten Eingriff hält", habe die Maßstäbe verloren. Thomas Stadler (internet-law.de) hatte zwar erwartet, dass der Generalanwalt die Richtlinie nicht unbeanstandet lässt, ist vom Umfang der Kritik aber überrascht.
Rechtspolitik
Verfassungsrechtliche Bedenken bei SPD-Mitgliederentscheid: Auf der Staat und Recht-Seite der FAZ findet sich unter dem Titel "Wer mit den Parteien heult" ein Gastbeitrag der Staatsrechtslehrer Christoph Degenhart und Hans-Detlef Horn (Zusammenfassung auf FAZ.net). Sie kritisieren nicht nur den SPD-Mitgliederentscheid zum Koalitionsvertrag, sondern auch die Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember zum selbigen: Eine "Stärkung der parteienstaatlichen Demokratie" mit dem Bundesverfassungsgericht als deren "integrierendem Bestandteil". Im politischen Willensbildungsprozess agierten Parteien längst als eine "Zwischengewalt", deren "Exklusivherrschaft" die repräsentative Demokratie um "ihren politischen Sinn" bringe.
DAV zu Fahrverbot: Der Deutsche Anwaltverein lehnt die schwarz-roten Pläne zur Einführung eines Fahrverbotes als Hauptstrafe ab. Vom Charakter her handele es sich beim Fahrverbot um eine Nebenstrafe. Dazu lto.de.
Asylverfahren: Im Schnitt sollen Asylverfahren nach den schwarz-roten Koalitionsplänen nur noch maximal drei Monate dauern, berichtet die taz (Daniel Bax). Dazu solle etwa das Personal im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aufgestockt und Bosnien und Herzegowina, Mazedonien sowie Serbien als sichere Herkunftsländer eingestuft werden: Asylanträge von Staatsangehörigen aus diesen Ländern können dann schneller bearbeitet werden. Auch sollen Angehörige der Bundeswehr die Verwaltung im Bundesamt unterstützen.
Hauptausschuss für Bundestag: Der Staatsrechtslehrer und ehemalige Bundesverfassungsrichter Hans Hugo Klein widmet einen ausführlichen, auch rechtshistorischen Gastbeitrag im Staat und Recht-Teil der FAZ dem Hauptausschuss, welcher alsbald im Bundestag eingesetzt werden solle. Obgleich Klein wenig Verständnis für die fehlende Einsetzung der üblichen Ausschüsse hat und dies für keineswegs verfassungsrechtlich unbedenklich hält, sei die Schwelle zur Verfassungswidrigkeit noch nicht überschritten.
Justiz
30 Jahre Volkszählungsurteil: Mit Peter Wedde, Professor für Arbeitsrecht und Recht der Informationsgesellschaft, spricht die taz (Svenja Bergt) anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts am 15. Dezember darüber, wie es heute um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bestellt ist, Verhaltensänderungen bei (Kamera)Überwachung und die Grenze zwischen Überwachung und gutem Service. Dass im schwarz-roten Koalitionsvertrag von Vorratsdatenspeicherung die Rede ist, mache Wedde "fassungslos", für die Zukunft wünsche er sich ein Recht auf elektronisches Vergessen.
EuGH – Hartz-IV für EU-Ausländer: Nach deutschem Recht wird EU-Ausländern, die sich nur zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten, kein Hartz-IV gezahlt. Ob diese Regelung europarechtskonform ist, soll der Europäische Gerichtshof nun nach einer Vorlage durch das Bundessozialgericht klären, berichtet die FAZ (Corinna Budras). Im konkreten Fall gehe es um eine schwedische Familie. Dazu auch zeit.de.
In einem separaten Bericht (Corinna Budras) im Unternehmens-Teil der FAZ wird "Deutschlands oberster Hartz-IV-Schiedsrichter" vorgestellt: Thomas Voelzke, Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht. Eitelkeiten seien dem auch als Pressesprecher des Gerichts fungierenden Richter fremd, er habe in diesem Verfahren mit Bedacht nicht die Werbetrommel gerührt.
EuGH zu Lebenspartnerschaften: In einem aus Frankreich vorgelegten Fall hat der Europäische Gerichtshof, so spiegel.de, entschieden, dass die französische Lebenspartnerschaft ebenso wie die Ehe einen rechtlichen Rahmen setzt, der auch die gegenseitige Unterstützung vorsehe. Vergleichbarkeit müsse also auch für Vergünstigungen gelten. Im konkreten Fall sei es um Sonderurlaubstage und Gehaltsprämien gegangen, die eine französische Bank nur Eheleuten gewähren wollte.
BVerfG zu Ackermann: Wie lto.de meldet, hat das Bundesverfassungsgericht eine Beschwerde vom ehemaligen Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann nicht zur Entscheidung angenommen. Er habe verhindern wollen, dass die Erben von Leo Kirch Einsicht in Papiere erhalten, die Staatsanwälte bei der Deutschen Bank beschlagnahmt hätten.
Das Handelsblatt (Laure de la Motte) berichtet ausführlich über alle Hintergründe, fasst noch einmal den Streit zwischen den Kirch-Erben und der Deutschen Bank vor dem Oberlandesgericht München zusammen und weist auf den kommenden Montag hin, für den eine weitere Beweisaufnahme seitens der Deutschen Bank im Schadenersatzprozess beantragt wurde.
BGH zu versuchter Nötigung durch Inkassoanwalt: Wie lto.de meldet, hat der Bundesgerichtshof die Verurteilung eines Anwaltes zu einer Bewährungsstrafe wegen versuchter Nötigung bestätigt. Der Anwalt habe für einen sogenannten Gewinnspieleintragungsdienst Mahnschreiben blanko entworfen, die sein Mandant dann ausfüllte und versendete. Den Adressaten sei der falsche Eindruck entstanden, die zivilrechtlichen Forderungen seien hinreichend geprüft worden. Das Handeln des Anwaltes könne auch als verwerflich gelten, da er juristischen Laien mit der Autorität eines Organs der Rechtspflege gedroht habe, so der Bundesgerichtshof.
Vorbereitung Wiederaufnahmeverfahren Mollath: Einen Ausblick auf die neue Hauptverhandlung vor dem Landgericht Regensburg gegen Gustl Mollath gibt Henning Ernst Müller (BeckBlog). Laut spiegel.de wolle Mollath sich nicht erneut zur Schuldfähigkeit untersuchen lassen – das Landgericht habe den Psychiater Norbert Nedopil als Gutachter bestellt- und ziehe ein Gutachten nach Aktenlage vor. Das Wiederaufnahmeverfahren werde voraussichtlich im Frühjahr beginnen.
LG Hannover – Aussage Bettina Wulff: Über die Aussage von Bettina Wulff, der Noch-Ehefrau des vor dem Landgericht Hannover wegen Vorteilsannahme angeklagten Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff, zum "ominösen Oktoberfest-Besuch" im Jahr 2008 berichtet Gisela Friedrichsen (spiegel.de). Der Vorsitzende Richter habe seinen Fragenkatalog "lustlos" abgearbeitet: Vom Essen auf dem Fest bis zum Honorar einer attraktiven Babysitterin. Für den 19. Dezember wolle der Vorsitzende eine Zwischenbilanz zum Komplex der Vorteilsannahme ziehen. Die Beweisaufnahme, so Friedrichsen, ergebe bislang jedenfalls nichts. Die Welt (Ulrich Exner) schreibt: "Bettina Wulff spricht ihren Mann frei".
Annette Ramelsberger (SZ) befindet, Bettina Wulff schlage die Richter "in ihren Bann", kritische Fragen blieben eher aus. Dazu auch zeit.de (Marco Hadem) und taz (Teresa Havlicek). Ein Liveticker zum Prozesstag findet sich auf focus.de.
Abmahnungen bei Porno-Streams: Die Kanzlei von Thomas Urmann plant nach dem ausführlichen Hintergrundbericht von spiegel.de (Konrad Lischka), weitere Abmahnungen wegen des Streamings von Porno-Filmen auf "Redtube" zu versenden. Wie spiegel.de erläutert, hänge die rechtliche Bewertung der Abmahnungen auch davon ab, wie die IP-Adressen möglicher Nutzer ermittelt worden seien, es gebe bislang lediglich ein unveröffentlichtes Gutachten der Münchner Patentkanzlei Diehl + Partner. Woher die Daten kommen, fragt sich auch Thomas Stadler (internet-law.de).
Rechtsanwalt Carl Christian Müller befasst sich für lto.de ebenfalls sehr umfassend unter dem Titel "Vom Leerlaufen des Richtervorbehalts" mit dem Fall und meint: Der Versand sei erst durch "das Versagen einer überforderten Justiz" ermöglicht worden.
Mit Bild.de (Sven Schirmer) spricht der "Abmahnanwalt" Thomas Urmann selbst darüber, ob bald auch Nicht-Telekom-Kunden dran sind, warum Streaming nicht gleich Streaming ist, seinen "ganz normalen" Job und dass bald weitere Portale in den Blick genommen werden.
Recht im Ausland
Australien – Gericht kippt "Marriage Equality Bill": Wie unter anderem zeit.de meldet, hat das oberste australische Gericht ein Gesetz gekippt, das Homo-Ehen für die Hauptstadt Canberra und Umgebung legalisierte. Das letzte Wort müsse das australische Parlament haben und nicht die Behörden in den einzelnen Bundesstaaten. 27 kürzlich geschlossene Ehen würden nun ungültig.
Neuseeland – Klimaflüchtlinge: Anlässlich einer Entscheidung des neuseeländischen High Court, dass Klimaflüchtlinge keinen Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention genießen, befasst sich auf dem Juwiss-Blog Hannah Heitfeld mit der Frage: "Keine Chance für Klimaflüchtlinge?".
Sonstiges
Ehrlichkeit in der sozialen Marktwirtschaft: In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt befasst sich die Kölner Steuerrechtsprofessorin und Gründungsmitglied des Fördervereins Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft Johanna Hey unter dem Titel "Gegen den Reiz zu lügen" mit der Bedeutung vom Vertrauen in die gegenseitige Ehrlichkeit für das Funktionieren der sozialen Marktwirtschaft.
Das Letzte zum Schluss
"Geek Nerds" nicht für alle: Früher ein Schimpfwort, heute streitet man sich darum: Wie spiegel.de (Richard Meusers) meldet, habe die Gadget-Verkaufsplattform getDigital im November dieses Jahres eine Abmahnung wegen Verstoßes gegen die Wortmarke "Geek Nerd" von deren Rechteinhaber Trade Buzzer UG erhalten. Trade Buzzer mahne auch wegen der Verwendung der Wortmarken "Sheldon Cooper", "Barney Stinson" und "Walter White" - bekannten Charaktere aus US-Sitcoms - ab.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in den Printausgaben oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dc
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 13. Dezember 2013: Vorratsdatenspeicherung ade? – Degenhart zu SPD-Entscheid – EuGH zu Hartz-IV für Ausländer . In: Legal Tribune Online, 13.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10352/ (abgerufen am: 17.05.2024 )
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