Griechenland muss die Währungsunion nicht verlassen, um seine Schulden wegzuverhandeln, erklärt ein Rechtswissenschaftler. Außerdem in der Presseschau: BGH-Urteil zu unerwünschten Schatten von Bäumen sowie Testamente zugunsten von Pflegekräften.
Thema des Tages
Schuldenschnitt und Bail-Out-Verbot: Der Rechtswissenschaftler Matthias Goldmann tritt auf verfassungsblog.de der Behauptung von Finanzminister Wolfgang Schäuble entgegen, ein griechischer Schuldenschnitt sei wegen des Bail-Out-Verbots (Art. 125 AEUV) nur außerhalb der Währungsunion möglich. Goldmann verweist auf das Pringle-Urteil des EuGH. Danach dürfen die Union und die Mitgliedstaaten einem Mitglied der Eurozone sehr wohl finanzielle Unterstützung leisten, sofern dies im Rahmen einer auf Stabilität gerichteten Haushaltspolitik erfolgt. Goldmann fasst zusammen: "Das Europarecht schaufelt sich nicht sein eigenes Grab. Man muss es nicht erst umgehen, um die Ziele der Union wahrhaft zu verwirklichen."
Rechtspolitik
Elternunterhalt bei Pflege: Unter dem Titel "Kinder haften für ihre Eltern" befasst sich die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch) kritisch mit dem Elternunterhalt, das heißt dem Regress der Sozialhilfeträger bei den Angehörigen Pflegebedürftiger. Familienrechtsexperten fragen sich, warum man auch heute solche Grundsatzfragen weitgehend den Gerichten überlässt - auf Grundlage hundert Jahre alter Regelungen aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Der Regress träfe meist Leute, die sich aus bescheidenen Verhältnissen hoch gearbeitet hätten und lohne sich für den Staat finanziell kaum.
Einreise in die EU: Aus einem "vertraulichen Papier" der EU-Kommission geht laut Spiegel hervor, dass EU-Bürgern bei der Wiedereinreise in den Schengen-Raum Überprüfungen eines terroristischen Hintergrundes aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes drohten. So sei etwa geplant, bei der Einreise verstärkt auf "blasse Hautpartien, die auf eine frische Bartrasur schließen lassen, sowie Militär- und Outdoorkleidung" zu achten.
Prostitution: Wie der Spiegel meldet, gibt es im Gesetzentwurf für das geplante Prostitutionsschutzgesetz weitere Verschärfungen; so solle Sexarbeitern, die keine Anmeldebestätigung vorlegen können, bereits beim ersten Mal ein Bußgeld drohen. Auch solle die Gelegenheitsprostitution unter das Gesetz fallen und die verpflichtenden Beratungsgespräche nur von staatlichen Stellen geführt werden können. Das Ringen zwischen SPD und Union um die Inhalte des Gesetzentwurfs erläutert ausführlich auch die Samstags-SZ (Constanze von Bullion).
Erbschaftsteuer: Der Anwalt René Udwari stellt auf lto.de ausführlich den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform der Erbschaftsteuer bei Unternehmenserben vor. Er warnt vor unüberlegten "Last-Minute-Schenkungen" auf Basis der alten Rechtslage. Dagegen empfielt der Anwalt Mathias Birnbaum in der FAS "jetzt noch schnell das alte Recht zu nutzen".
Betreuungsgeld: Am 21. Juli wird das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zum Betreuungsgeld verkünden. Sollte es für verfassungswidrig erklärt werden, plant die CSU laut Spiegel, dass der Bund die Gelder den Ländern zur eigenen Verwendung zur Verfügung stellen solle. Bayern würde dieses dann in ein eigenes Betreuungsgeld investieren. Ulrich Clauss (Montags-Welt) hält es für einen "genialen" Trick der CSU, erst auf Bundesebene ein rechtswidriges Gesetz durchzusetzen und nach dessen Scheitern dann Kompensationen zu fordern. Bei der Maut werde es die CSU wohl erneut probieren.
Smart-Cars: Justizminister Heiko Maas (SPD) fragt in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt, ob digitalisierte Autos zu einer Dystopie wie in Huxleys "Schöner neuer Welt" führen werden. Als Gegenmittel schlägt er sieben konkrete Prinzipien vor. So müsse zum Beispiel schon bei der Konstruktion solcher Autos der Datenschutz beachtet werden. Der Fahrer müsse die Datenübermittlung aus seinem Auto jederzeit und ohne Nachteile stoppen können.
Justiz
BGH zu Kohl-Tonbändern: Wie der Bundesgerichtshof am Freitag entschied, musste Heribert Schwan, der als Ghostwriter für den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl dessen Memoiren schrieb, die Tonbänder herausgeben, die Kohl in Vorbereitung der Schriften besprochen hatte. Laut der Samstags-BadZ (Christian Rath) argumentierte der BGH, es habe ein "auftragsähnliches Rechtsverhältnis" bestanden, nach dessen Ende Schwan alles herausgeben musste, was er während des Auftrags erhalten hat. Das Oberlandesgericht Köln hatte sein Urteil zugunsten Kohls anders begründet: dieser habe das Eigentum an den Kassetten durch das bloße Besprechen erworben. Dazu auch ausführlich der Samstags-Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof).
BGH zu Baumschatten: In der Regel besteht kein zivilrechtliches Abwehrrecht gegen negative Emissionen von Bäumen, also den Entzug von Licht und Wind. Das entschied der BGH am Freitag und bestätigte damit die bisherige Rechtsprechung. Geklagt hatte ein Paar, dessen Garten von zwei städtischen Eschen beschattet wird. Der Samstags-Tagesspiegel (Ursula Knapp) berichtet ebenso wie der Notar Herbert Grziwotz auf lto.de.
BGH zu Rundfunkbeitrag: Der Beitragsservice der Rundfunkanstalten kann Vorstreckungsersuchen auch ohne Unterschrift und Siegel anfertigen. Sie gelten auch dann als "mit Hilfe automatischer Einrichtungen erstellt", wenn ein Sachbearbeiter individuelle Aspekte eingefügt hat. Das entschied laut Handelsblatt (Norbert Häring) der Bundesgerichtshof, der ein anders lautendes Urteil des Landgerichts Tübingen aufhob.
BVerfG zu Mietpreisbremse: Mit einem am vergangenen Freitag veröffentlichten Beschluss verwarf das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen die sogenannte Mietpreisbremse und die Berliner Mietenbegrenzungsverordnung. Aufgrund des Subsidiaritätsgrundsatzes müsse der beschwerdeführende Immobilieneigner zunächst den Zivilrechtsweg beschreiten, referiert die Samstags-FAZ (Joachim Jahn).
BVerfG – BKA-Gesetz: Der Jurist und Journalist Dietmar Hipp berichtet für lto.de über die Verhandlung des BKA-Gesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht in der vergangenen Woche. Hipp hat die mehr als achtstündige Verhandlung bis zum Ende verfolgt und schildert insbesondere das nachmittägliche Rechtsgespräch über den Schutz des privaten Kernbereichs und die Weitergabe von Daten aus der Terrorabwehr. Auch Hipp prognostiziert, dass das BKA-Gesetz beanstandet wird.
Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel) kommentiert: "Die Erregung von damals hat das erneuerte BKA-Gesetz nicht verdient". Es sei von den Richtern klug gewesen, den Fall nach Inkraftreten des Gesetzes sechs Jahre liegen zu lassen.
BVerfG – Tarifeinheitsgesetz: Der Marburger Bund, Cockpit und der deutsche Journalisten-Verband haben am Freitag unmittelbar gegen das inkraftgetretene Tarifeinheitsgesetz Verfassungsebschwerde eingelegt und gleichzeitig einen Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt, um die neuen Vorschriften zunächst auszusetzen. Auch die GDL bereitet eine Klage gegen das Gesetz vor, berichten Samstags-FAZ (Joachim Jahn) und blog.beck.de (Markus Stoffels).
BVerfG – NPD-Verbot: Erst im Herbst will der Bundesrat im laufenden NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht neues Material vorlegen. Damit will der Bundesrat belegen, dass die NPD bei Protesten gegen Asylbewerber- und Flüchtlingsunterkünfte eine "Scharnier- und Bündelungsfunktion" für andere rechtsextremistische Gruppen erfülle. Auch würden, so der Spiegel, derzeit Befragungen durchgeführt, die belegen sollen, dass die Partei ein "Klima der Angst" erzeuge.
ArbG Hamburg zu Bagatelldiebstahl: spiegel.de berichtet über eine am vergangenen Freitag veröffentlichte Entscheidung des Hamburger Arbeitsgerichtes. Danach durfte einer Krankenschwester nach 23 Dienstjahren nicht fristlos gekündigt werden, nur weil sie acht halbe belegte Brötchen, die für Dritte bestimmt waren, aus dem Kühlschrank des Pausenraums nahm und gemeinsam mit Kolleginnen verzehrte. Die Einzelfallprüfung gehe hier zugunsten der Angestellten aus. Dazu auch blog.beck.de (Markus Stoffels).
VG Düsseldorf zu Sonntagsarbeit: Die Post darf die durch den Streik liegen gebliebenen Postberge nicht am Sonntag abarbeiten. Dies entschied das Verwaltungsgericht Düsseldorf laut blog.beck.de (Markus Stoffels). Die Sonntagsruhe sei verfassungsrechtlich geschützt, die Allgemeinheit müsse die nachteiligen Folgen aus einem Arbeitskampf grundsätzlich hinnehmen.
BAW - NSA: Heribert Prantl (Montags-SZ) kritisiert die Untätigkeit der Bundesanwaltschaft nach den neuen Enthüllungen über Spionage der NSA. "Der Entschlossenheit der USA, unverdrossen weiterzuspionieren, muss entschlossen entgegengetreten werden."
StA Stralsund - Nordkurier: Die Staatsanwaltschaft Stralsund will einen Strafantrag der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg gegen den Chefredakteur der Zeitung Nordkurier nicht weiterverfolgen, meldet meedia.de (Marvin Schade). Der Journalist hatte den Neubrandenburger Staatsanwälten in einem anderen Fall vorgeworfen, sie agierten gegen die Presse mit Schaum vor dem Mund. Diese hatten darin eine Beleidigung gesehen. Der Fall hatte eine Diskussion über die Pressefreiheit ausgelöst.
BGH zu Framing: Die BGH-Entscheidung vom Donnerstag zum sogenannten Framing, dem Einbetten fremder Videos auf der eigenen Internetseite, kommentiert der Anwalt Andreas Biesterfeld-Kuhn für lto.de. Biesterfeld-Kuhn hätte sich die klare Ansage gewünscht, dass Framing keine Urheberrechte verletzt. Er hegt dogmatische Zweifel mit Blick auf die vorausgehende Entscheidung des EuGH.
BGH zu Nivea-Blau: Das ebenfalls am Donnerstag ergangene Urteil des BGH zum sogenannten Nivea-Blau bespricht für lto.de die Rechtsanwältin Valeska Töbelmann. Jetzt bestehe Klarheit für Markenanmelder, dass eine Verkehrsdurchsetzung der Farbmarke schon dann angenommen werden kann, wenn mindestens fünfzig Prozent der Verbraucher, die Farbe dem Produkt zuordnen können. Es könne allerdings noch Diskussionen darum geben, ob die Umfragen von unabhängigen Sachverständigen durchgeführt werden müssen.
Recht in der Welt
China - Festnahme von Anwälten: Chinesische Sicherheitsbehörden haben Ende der Woche binnen 48 Stunden mindestens 50 Anwälte, Mitarbeiter von Kanzleien und Menschenrechtsaktivisten festgenommen, berichtet unter anderem die Montags-taz (Felix Lee). Mit dabei ist der Anwalt der kurz zuvor freigelassenen Journalistin Zhang Miao. Das chinesische Polizeiministerium wirft ihnen vor, eine "kriminelle Vereinigung" gebildet zu haben.
Sonstiges
Gesetzessprache: Die WamS (Matthias Heine) beschreibt aus rechtshistorischer Sicht, warum die Sprache von Gesetzen oft so unverständlich ist: Deutsche Juristen hätten sich zu lange am sprachlich besonders komplexen römischen Recht orientiert.
Leistungsschutzrecht: Wie spiegel.de (Isabell Hülsen u.a.) berichtet, hätten Beamte aus dem Stab des Kulturstaatsministers bereits 2013 die Bundesregierung vor einer Blamage in Sachen Leistungsschutzrecht gewarnt: Das Gesetz war nicht bei der EU-Kommission notifiziert worden; dies wäre aber nach Einschätzung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages notwendig gewesen.
Aufhebungsverträge im Arbeitsrecht: Unter dem Titel "Lasst uns Freunde bleiben" befasst sich die Samstags-SZ (Peter Neitzsch) mit den Tücken von Aufhebungsverträgen, so etwa einer drohenden Sperrzeit beim Arbeitslosengeld. Hier rieten Arbeitsrechtsexperten zu einer Kündigung mit Abwicklungsvertrag oder Klauseln im Vertrag, die angeben, dass sonst eine betriebsbedingte Kündigung erfolgt wäre.
Erbrecht und Pflege: Die Montags-SZ (Berrit Gräber) beschreibt, dass das Testament zugunsten einer privaten Pflegekraft grundsätzlich wirksam sei. Das Heimgesetz verbiete aber, dass Heiminsassen ihre angestellten Pfleger als Erben einsetzen.
Prozessberichte 1967 – 1969: Unter dem Titel "Stehlen, Huren, Morden vor Gericht" stellt nun auch die Samstags-taz (Detlev Claussen) das Buch "Prozesse. Gerichtsberichte 1967–1969" des Schriftstellers und Journalisten Uwe Nettelbeck vor und meint: "Wer sie liest, schaut noch einmal der alten Bundesrepublik ins Gesicht."
Das Letzte zum Schluss
Spiel und Betäubung: Ein Mann aus Castrop-Rauxel hatte Freunde eingeladen, um mit ihnen Computerspiele zu spielen. Als seine Freundin nach Hause kam und sich an der Gesellschaft störte, träufelte er ihr ein Schlafmittel in den Tee. Die Frau schlief bis zum nächsten Mittag und nickte auch dann noch beim Autofahren mehrfach ein. Als der Mann seine Tat gestand, zeigte sie ihn wegen Körperverletzung an. Er wurde zu einer Geldstafe von 500 Euro verurteilt, berichtet justillon (Stefan Meier). Auch die Beziehung besteht nicht mehr.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dc/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 11. bis 13. Juli 2015: Schuldenschnitt ohne Grexit – BGH zu Schatten – Pflegekraft kann erben . In: Legal Tribune Online, 13.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16200/ (abgerufen am: 18.05.2024 )
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