Am zweiten Tag des EZB-Verfahrens haben die Experten das Wort und die Berichterstattung ergeht sich in Prognosen. Außerdem in der Presse: Wahrheitssuche im NSU-Prozess, Diskriminierungsklage gegen BMW, Jubiläum der wohl bekanntesten europäischen Verordnung und wann der Besuch einer Gerichtsvollzieherin richtig unangenehm werden kann.
BVerfG – EZB: Hat die Europäische Zentralbank mit der Ankündigung ihres OMT-Programms zum Kauf von Staatsanleihen mehr als Geldpolitik betrieben und damit ihre Kompetenzen überschritten? Die Mehrheit der am Mittwoch vom Bundesverfassungsgericht gehörten Experten vermittelte diesen Eindruck. Zum Ende des europäischen Währungsverbundes durch das für den Herbst erwartete Urteil des Gerichts dürfte dies gleichwohl nach dem Eindruck der meisten Beobachter nicht führen.
Für Christian Rath (taz) stehen Machtfragen im Mittelpunkt des Prozesses. Es würde entschieden, wer die Leitlinien deutscher Europa-Politik definiere – das Verfassungsgericht oder die Politik. Torsten Riecke (Handelsblatt) konstatiert, dass Politik und Recht "längst in getrennten Welten" lebten. Die Währungsunion erfordere ein Maß an politischer Integration, die bislang weder durch einen Gemeinschaftsvertrag noch durch die nationalen Verfassungen gedeckt seien. Diese "seit langem offenkundige Erkenntnis" offen auszusprechen, trauten sich die Verfassungsrichter jedoch nicht, wie die bisherigen "Ja-aber-Urteile" zum Euro belegten. Nach dem Bericht der FAZ (Helene Bubrowski) sei ein solches "Ja, aber" zu erwarten. Bei den Befragungen am Mittwoch hätten Bemühungen um eine Begrenzung des OMT-Programms im Mittelpunkt gestanden, etwa durch eine konsequente Durchsetzung einer Bindung an den Europäischen Stabilitätsmechanismus. Hierdurch könnte die Beteiligung des Bundestags sichergestellt werden. Nach Darstellung der SZ (Wolfgang Janisch) ist auch ein Feststellungsurteil denkbar: "ein Weg für das Gericht, die Zähne zu zeigen, ohne wirklich zuzubeißen." Max Steinbeis (verfassungsblog.de) hält es derweil "nicht für völlig ausgeschlossen", dass das Gericht die Beschwerden für unzulässig erklärt.
Im Interview mit dem Handelsblatt (Axel Schrinner) erklärt der emeretierte Rechtsprofessor Josef Isensee den Bezug der Materie zum deutschen Verfassungsrecht. Dem Gericht traut der Staatsrechtler jedoch nicht den "Mumm" zu, im Sinne einer Überschreitung der EZB-Kompetenzen zu entscheiden. Er erwarte einen demonstrativen Einsatz des BVerfG für parlamentarische Mitbestimmungsrechte, ansonsten quelle die Karlsruher Rechtsprechung über "von großen Worten", von denen "kleine Urteile" zurückblieben.
Den ersten Verhandlungstag schildert die Zeit (Heinrich Wefing). Der Autor fasst die verfahrensentscheidenden Fragen zusammen, prognostiziert ebenfalls ein Ergebnis und beschreibt, wie die bedeutungsschwere Atmosphäre sich zuweilen entspannt – in der Kantine, zur Mittagspause.
Weitere Themen – Rechtspolitik
Europäisches Asylrecht: Das Europäische Parlament hat ein umfassendes Gesetzeswerk zur Reform des europäischen Asylrechts verabschiedet, berichtet die taz (Jannis Papadimitrou). Geregelt seien einheitliche Verfahrensstandards und eine verbindliche Höchstdauer des Asylverfahrens von sechs Monaten. Kritiker bemängelten den Weiterbestand des sogenannten Erststaatsprinzips und der Datenbank Eurodac. Auf die unter dieser Bezeichnung gespeicherten Fingerabdrücke von Asylbewerbern dürfen unter bestimmten Voraussetzungen künftig auch nationale Strafverfolgungsbehörden zugreifen.
Homo-Adoptionen: Wie die taz (Astrid Geisler) schreibt, wird sich die Justizministerkonferenz heute mit einem Antrag zum Adoptionsrecht für Homosexuelle beschäftigen. Der am Mittwoch vom Kabinett gebilligte Gesetzesentwurf zur Umsetzung des jüngsten BVerfG-Urteils zur steuerrechtlichen Gleichbehandlung eingetragener Lebenspartnerschaften habe diese Frage ausgespart. Nach Darstellung der SZ (Guido Bohsem) erfüllt der Regierungsentwurf nur die "Karlsruher Minimalforderungen". Wichtige Details, etwa Bestimmungen in der Abgabenordnung oder zur Altersvorsorge, blieben unberührt.
Weitere Themen - Justiz
OLG München - NSU-Prozess: Im Münchner NSU-Prozess verdichten sich nach der Fortsetzung der Vernehmung von Carsten S. die Hinweise auf einen weiteren, den Ermittlungsbehörden bis jetzt unbekannt gebliebenen Sprengstoffanschlag 1999 in Nürnberg. Der bislang ungelöste, mittels einer Taschenlampe verübte Anschlag auf ein von einem Türken geführtes Lokal sei von den bayerischen Behörden trotz einer entsprechenden Aufforderung nicht an die Bundesanwaltschaft gemeldet worden, berichtet die SZ (A. Ramelsberger/T. Schultz/K. Auer). Annette Ramelsberger (SZ) kommentiert, dass nunmehr im Mittelpunkt des Verfahrens jene Wahrheitsfindung steht, an der Gerichte oft scheiterten, "weil längst alles ausgedealt ist", die Angeklagten "eisern" schweigen würden und ihnen Verteidiger "noch die persönlichste Erklärung paragrafenfest vorformulieren" würden.
OLG Köln zu Bonusmeilen: Nach Meldung von lto.de hat das Oberlandesgericht Köln entschieden, dass eine von der Lufthansa verwendete AGB-Klausel, die Mitgliedern des "Miles & More"-Programms den Verkauf von Prämien und Meilen an Dritte untersagte, Kunden unangemessen benachteiligt und daher unwirksam ist. Die deshalb dem Kläger gegenüber ausgesprochene Kündigung des Bonusprogramms hatte keinen Bestand, wegen der unklaren Rechtslage sei Lufthansa jedoch nicht schadensersatzpflichtig.
LG Bayreuth – Fall Mollath: Gustl Mollath bleibt weiter in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Wie lto.de berichtet, siehet sich die Kammer an die Tatsachenfeststellungen aus dem Urteil des LG Nürnberg-Fürth aus dem Jahr 2006 gebunden. Sie könne auch nicht mit Sicherheit absehen, dass die Wiederaufnahmeanträge im Verfahren erfolgreich sein würden. Olaf Przybilla (SZ) kommentiert diese "Zirkelschlüsse" als "unfassbar". Nachdem "reihenweise rechtsstaatliche Prinzipien übergangen" worden seien, um Mollath in die Psychiatrie zu bringen, bemühten Gerichte nun "alle Register juristischer Spitzfindigkeit" um ihn dort zu belassen. Auch spiegel.de (Beate Lakotta) berichtet ausführlich.
LG München – Siemens: Nach Meldung der SZ (ok) ist vor dem Landgericht München eine Anklage gegen den früheren Siemens-Vorstand Uriel Sharef wegen Verwicklungen in illegale Geschäfte in Südamerika zugelassen worden. Sharef sei der "letzte alte Siemens-Vorstand", der sich wegen schwarzer Kassen und Schmiergeldzahlungen vor Gericht verantworten müsse.
AG Nienburg zu Notstand: Das Amtsgericht Nienburg hat eine Afghanin von dem Vorwurf der Urkundenfälschung freigesprochen. Wie die taz-Nord (Kai von Appen) schreibt, war die Frau mit einem gefälschten türkischen Pass eingereist und hatte nach Entdeckung der Fälschung Asyl beantragt, weil sie und ihr Mann in der Heimat Repressalien wegen der Dolmetscher-Tätigkeit ihres Mannes befürchteten. Nach Ansicht des Gerichts sei die tatbestandlich verwirklichte Urkundenfälschung zwar nicht gerechtfertigt, gleichwohl liege eine Notstandslage vor, weswegen die Angeklagte freizusprechen sei.
Gewerkschaft nicht tariffähig: Die Gewerkschaft medsonet, die rund 7.000 in der Gesundheitsbranche Tätige vertritt, ist nicht tariffähig. Ein entsprechender Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamburg aus dem letzten Jahr ist nun rechtskräftig, nachdem beim Bundesarbeitsgericht eingelegte Rechtsbeschwerden zurückgenommen wurden. Über das Verfahren berichtet Rechtsprofessor Christian Rolfs auf blog-beck.
Weitere Themen – Recht in der Welt
USA – Diskriminierungsklage gegen BMW: Ein BMW-Werk in den USA ist von der US-amerikanischen Gleichstellungsbehörde EEOC wegen Rassendiskriminierung verklagt worden, schreibt die SZ (Nikolaus Piper) in ihrem Wirtschafts-Teil. Anlässlich der Übernahme eines Zulieferers im Jahr 2008 habe das Werk sämtlichen Vorbestraften gekündigt, unter diesen befanden sich überdurchschnittlich viele Afro-Amerikaner. Einem Mitarbeiter sei nach 14 Jahren Betriebszugehörigkeit gekündigt worden, weil er 1990 wegen Körperverletzung in einem minder schweren Fall zu 137 Dollar Strafe verurteilt worden war.
USA – Überwachungsprogramm: Nach Bericht von Netzpolitik.org (Nicolas Fennen) hat die US-amerikanische Bürgerrechtsvereinigung ACLU in New York eine Klage gegen hochrangige Regierungsmitarbeiter wegen der jüngst bekannt gewordenen Überwachungsaktivitäten der NSA eingereicht. Als Klagegrund wird die nach Ansicht der ACLU verfassungswidrige Auslegung einer Bestimmung des Patriot Act durch Regierungsbehörden angegeben.
Der Leitartikel der Zeit (Heinrich Wefing) bezeichnet den Umgang der USA mit dem mutmaßlichen Whistleblower der Affäre, Edward Snowden, als "Testfall für den amerikanischen Rechtsstaat." Die Justiz des Landes müsse beweisen, wie unabhängig sie sei.
Frankreich – Vereinsverbote: Den Vorstoß des französischen Premiers Jean-Marc Ayrault, mehrere rechtsextreme Gruppierungen verbieten zu lassen, begrüßt Günther Nonnenmacher (FAZ), hält aber die Polarisierung im französischen Parteienspektrum "für gefährlicher als ein paar hundert militanter Rechtsextremisten." Der Vorsitzende der "Linksfront", Jean-Luc Mélenchon, habe vorgeschlagen, in Auseinandersetzungen verwickelte Gewerkschafter, denen "Gewalt gegen Sachen" vorgeworfen werde, zu amnestieren. Aus Erfahrungen wisse man, "dass es dabei nicht bleibt."
Sonstiges
Gurkenkrümmungsverordnung: Die europäische Verordnung 1677/88, besser bekannt als Gurkenkrümmungsverordnung, tatsächlich aber Handelsklassenverordnung, feiert ihren 25. Geburtstag. Anlass für eine Würdigung im Wirtschafts-Teil der SZ (Harald Freiberger). Die berüchtigten Brüsseler Bürokraten hätten mit der Verordnung auf Wünsche des Lebensmittel-Einzelhandels reagiert und Obst und Gemüse kategorisiert. Nach Außerkraftsetzung der Verordnung unter dem Stichwort "Bürokratieabbau" 2009 würden die europäisch normierten Handelsklassen stillschweigend weiter verwendet.
Beweismittel: An der Frontscheibe montierte Kameras, sogenannte Dashcams, produzieren zahlreiche Youtube-Clips. Rechtsprofessor Christian Wolf und Hanna Schmitz untersuchen auf lto.de, ob sich der aus Russland stammende Trend auch als Beweismittel in deutschen Prozessen eignet. Ihr Urteil: Eher nicht, weil wegen der üblicherweise verdeckten Aufzeichnung regelmäßig die Persönlichkeitsrechte der Aufgezeichneten überwiegen dürften.
Gewinnzusage: 500 Euro Gewinn hatte das Unternehmen PayPal am Ende der letzten Woche Teilnehmern eines Gewinnspiels per E-Mail versprochen, die Erklärung aber kurze Zeit später widerrufen. Zu Recht, wie die Prüfung der Rechtsanwältin Astrid Ackermann auf lto.de ergibt. PayPal habe seine Erklärung anfechten können und dies auch unverzüglich getan.
Sachverständigen-Haftung: Ein französisches Gericht hat im Mai einen renommierten deutschen Kunstexperten zur Zahlung von mehreren hunderttausend Euro Entschädigung wegen grob fahrlässiger Falsch-Expertisen verurteilt. Die Zeit (Stefan Koldehoff/Tobias Timm) berichtet in ihrem Feuilleton über die Auswirkungen des Urteils für den deutschen und internationalen Kunstmarkt.
Das Letzte zum Schluss
Lieber bezahlen: Der dienstliche Besuch einer Gerichtsvollzieherin wird für einen Berliner Schuldner richtig teuer: Nachdem sich die Beamtin Zugang zur Wohnung des gerade Abwesenden verschafft hatte, entdeckte sie eine Cannabisplantage und verständigte die Polizei. Deren Rechnung ergab 132 abgeerntete Pflanzkübel, 143 Jungpflanzen und drei Kilo Marihuana. Der zwischenzeitlich Eingetroffene wurde festgenommen, wie Rechtsanwalt Sascha Böttner (anwalt-strafverteidiger.de) berichtet.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 13. Juni 2013: Finanzexperten vor Gericht - NSU-Erkenntnisse - 25 Jahre GurkenkrümmungsVO . In: Legal Tribune Online, 13.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8917/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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