Showdown in Karlsruhe. Ab Dienstag verhandelt das BVerfG zu Rettungsmaßnahmen der EZB und zwar öffentlich. Außerdem in der heutigen Presseschau: Überwachung auf amerikanisch, Nachruf auf Konrad Redeker, Dante und der § 63 StGB, Missbrauch unter Wandervögeln, Nazis im BMJ und eine Überweisung mit ganz vielen Zweien.
BVerfG zu EZB: Die europäische Zentralbank EZB kündigte im vergangenen September an, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenländern aufzukaufen. Von dem Programm unter dem Namen OMT ("Outright Money Transactions") können betroffene Staaten dabei nur profitieren, wenn sie sich den strengen Regeln des europäischen Finanzrettungsschirmes ESM unterwerfen. Kritiker sehen dagegen ein unkontrollierbares Haftungsrisiko der Bundesrepublik, eine Verletzung der Haushaltsautonomie des Bundestages sowie einen Verstoß gegen das Verbot der direkten Staatsfinanzierung im EU-Vertrag und strengten daher eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht an, über die ab Dienstag in Karlsruhe öffentlich verhandelt wird. Befürworter sehen dagegen die gemeinsame europäische Währung in Gefahr.
Über das ungewöhnliche Verfahren, die beteiligten Akteure und das mögliche Ergebnis berichtet die FAZ (Joachim Jahn) in ihrem Wirtschafts-Teil.
Der Bericht der SZ (Wolfgang Janisch) sieht eine Frage "aus dem juristisch-ökonomischen Grenzland" als entscheidend an: Betreibt die EZB Fiskalpolitik? Um ohne "ökonomische und justizielle Verheerungen" auszukommen, denke man in Karlsruhe jedenfalls darüber nach, der EZB schonend Grenzen aufzuzeigen.
In einem ausführlichen Interview mit dem Verfassungsblog äußert Rechtsprofessor Ingolf Pernice Zweifel an der Prüfkompetenz des BVerfG. Sollte das Gericht zur Auslegung des EU-Vertrages entscheiden, ohne dem Europäischen Gerichtshof diese Frage vorzulegen, bedeute dies "eine Krise des europäischen Rechts und auch des Verfassungsrechts."
Das Handelsblatt (Axel Schrinner) stellt in seinen Namen des Tages Bundesverfassungsrichter Peter M. Huber vor, der im Verfahren Berichterstatter ist. Der "Konservative{r}, wie er im Buche steht" sei besorgt über die Entmachtung der vom Volk gewählten Abgeordneten und war bis vor einem Jahr im Verein "Mehr Demokratie" aktiv. Der gehöre nun zu den Klägern.
Weitere Themen – Rechtspolitik
Kartellrechtsnovelle: Ein Gesetzesvorhaben zur Neugestaltung des Kartellrechts hat am vergangenen Mittwoch den Vermittlungsausschuss passiert. Es dürfte damit wohl noch vor der Bundestagswahl verabschiedet werden. Rechtsanwalt Axel Gutermuth stellt auf lto.de die gefundenen Kompromisse zur Fusionskontrolle von gesetzlichen Krankenkassen und zur wegfallenden Gebührenkontrolle der Kartellbehörden gegenüber kommunalen Versorgern vor.
Europäische Drei-Prozent-Hürde: Über die Expertenanhörung im Innenausschuss des Bundestages zur Einführung einer Drei-Prozent-Sperrklausel für die im nächsten Jahr stattfindende Europawahl berichtet die FAZ (Günter Bannas). Die geladenen Rechtswissenschaftler sprachen sich mehrheitlich für eine solche Sperrklausel aus, warnten jedoch auch vor dem Risiko einer erneuten Verwerfung durch das Bundesverfassungsgericht.
Überwachung auf amerikanisch: Mit dem jüngst publik gewordenen Überwachungsprogramm des US-Geheimdienstes NSA beschäftigt sich ein Beitrag der Rechtsanwälte Thomas Weimann und Daniel Nagel auf lto.de. Die Autoren zeichnen die gesetzlichen Grundlagen der Datenschnüffelei nach und resümieren, dass Schutzbestimmungen aus dem europäischen oder deutschen Recht für Betroffene praktisch nicht durchsetzbar seien.
Zum selben Schluss kommt der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar im Interview mit dem Handelsblatt (Daniel Delhaes). Er fordert daher "eine globale Grundrechtecharta zum Schutz personenbezogener und damit sensibler Daten." Heribert Prantl (SZ) vergleicht in seinem Kommentar die vor einigen Jahren kursierenden Pläne für Nacktscanner an Flughäfen als "Kinderspielzeug" gegenüber den Aktivitäten der NSA. Deren Bekanntwerden habe immerhin den Vorteil, dass die gängige Begründung für den Umbau des Sicherheitssystems nach dem 11. September - "Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten." - als die Dummheit entlarvt werde, die sie sei.
Schadensersatz wegen Kartellverstoß: Nach Informationen des Handelsblatts (Thomas Ludwig) plant die EU-Kommission die Einführung einer Klagemöglichkeit für kartellgeschädigte Verbraucher. Zu diesem Zweck solle bei festgestellten Wettbewerbsverstößen künftig eine konkrete Schadenssumme beziffert werden, die dann zur Grundlage einer Schadensersatzklage gemacht werden könne. Die Kommission empfehle zudem den Mitgliedsstaaten, kollektive Schadensersatzklagen etwa durch Verbraucherverbände auf nationaler Ebene zu ermöglichen. Bei der Umsetzung sollten sich die Staaten aber nicht am US-Sammelklagen-System orientieren.
Auskunftspflicht für Kapitalerträge: Das Handelsblatt (Ruth Berschens) berichtet über einen vom EU-Steuerkommissar Algirdas Semetas vorgelegten Richtlinienentwurf, nach dem ab 2015 Banken gezwungen werden sollen, Steuerbehörden über sämtliche Einkünfte von EU-Ausländern zu informieren. Nach der 2011 beschlossenen Richtlinie zur Zusammenarbeit der Steuerbehörden waren Kapitaleinkünfte vom automatischen Informationsaustausch nicht erfasst. Diese Lücke solle nun durch eine Zusammenlegung mit der Zinssteuerrichtlinie geschlossen werden.
Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen: Übereinstimmenden Meldungen der FAZ, SZ und Welt zufolge befassen sich die Justizminister der Länder auf der anstehenden Justizministerkonferenz mit der Möglichkeit von Live-Übertragungen aus Gerichtssälen. Es sei eine Öffnung dergestalt denkbar, dass etwa Urteilsverkündungen von Prozessen von überragendem zeitgeschichtlichen Interesse ermöglicht werden.
Rechtspolitisches Engagement: Die Welt (Alexandra Grauvogel) schreibt über einen hartnäckigen Ex-Polizisten, der seine Arbeit wegen einer schweren Erkrankung aufgeben musste und anschließende Prozesse gegen seine Krankenversicherung verlor. Über Petitionen und zahllose Telefonate mit Abgeordneten erreichte der Mann eine Änderung der Zivilprozessordnung, nach der es für Versicherte leichter sein soll, vor Gericht aufzutreten und etwa auch eigene Gutachten vorzulegen. Aktuell sei er für eine Änderung des Sachverständigenrechts aktiv.
Weitere Themen - Justiz
OVG Bremen zu Lebenspartnern: Die taz-Bremen (Jan Zier) berichtet über ein "Präzendenzurteil" des Oberverwaltungsgerichts Bremen. Das Gericht entschied, dass der Hinterbliebene eines Soldaten die selben Versorgungsansprüche wie ein Witwer habe und diese auch rückwirkend bis zum Jahr 2004 geltend machen könne. Begründet worden sei dies mit einer unmittelbaren Berufung auf die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie aus dem Jahr 2000, deren Umsetzung in nationales Recht der deutsche Gesetzgeber verschleppt habe.
LG Osnabrück zu Volksverhetzung: Das Landgericht Osnabrück hat den Sänger und Texter einer rechtsextremen Band wegen der Leugnung des Holocausts zu einer Geldstrafe verurteilt. Wie lto.de meldet, entging damit das aus der gleichen Feder stammende "Döner Killer"-Lied einem Strafurteil, da es mehrdeutig interpretierbar und damit durch die Meinungsfreiheit geschützt sei.
Konrad Redeker: Den am Freitag verstorbenen Rechtsanwalt Konrad Redeker würdigen Nachrufe bei lto.de und in der FAZ (Corinna Budras). Als Mitarbeiter einer führenden Wirtschaftskanzlei habe der Verstorbene das Verfassungs- und Verwaltungsrecht sowie das Berufsrecht der Anwaltschaft entscheidend geprägt. Ein besonderes Anliegen sei Redeker die Aufarbeitung der Rolle der Anwaltschaft im Dritten Reich gewesen.
Fall Mollath: In einem längeren Beitrag setzt sich Heribert Prantl (SZ) mit § 63 StGB, der Rechtsgrundlage für die Einweisung Gustl Mollaths, auseinander. Er vergleicht ihn mit der Inschrift am Höllentor in Dantes "Göttlicher Komödie." Die tatsächliche Verweildauer von Untergebrachten hänge in der Praxis hauptsächlich vom Bundesland ab. Als existenzieller Eingriff verlange die Einweisung nach § 63 StGB auch existenzielle Sorgfalt. Hier sei der Gesetzgeber gefordert.
Missbrauch Schutzbefohlener: In Saarbrücken muss sich ein Funktionär des Jugenbunds "Autonomer Wandervogel" wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen verantworten. Nach dem Bericht der taz-zwei (Christian Füller) sitzt neben dem Angeklagten "eine mehr als 100-jährige Tradition sexueller Ausbeutung auf der Anklagebank."
Weitere Themen – Recht in der Welt
USA – Trayvon Martin: Vor über einem Jahr erregte die amerikanische Öffentlichkeit der Tod Trayvon Martins, der von einem Nachbarschaftwächter erschossen wurde. Der muss sich nun wegen Mordes vor Gericht verantworten. Über den mühseligen Prozessbeginn berichtet spiegel.de (Marc Pitzke).
Sonstiges
Anwälte-Ranking: In einem mehrseitigen Themen-Schwerpunkt stellt das Handelsblatt (Heike Anger, Catrin Gesellensetter) exklusiv ein Ranking der besten deutschen Wirtschaftskanzleien vor.
Karriere für Nazis: Die vom Bundesjustizministerium eingesetzte unabhängige Kommission zur Erforschung der NS-Verstrickung des eigenen Hauses hat gestern eine erste Bestandsaufnahme vorgelegt. Wie die SZ (Melanie Staudinger) berichtet, kommt "Die Rosenburg", so der Titel des Berichts und des ersten Sitzes des Ministeriums zu "teilweise überraschenden" Ergebnissen. So seien etwa in den 1960er Jahren sämtliche Abteilungsleiter des BMJ einschlägig vorbelastet gewesen. In einem nächsten Schritt werde die Kommission von Juristen und Historikern Personalakten des Ministeriums auswerten, um personelle Kontinuitäten auch in unteren Ebenen zu untersuchen.
Haftung von Geschäftsführern: Auch wenn die Stimmung von Unternehmern gegenwärtig "prächtig" sei, sollten GmbH-Geschäftsführer für Zeiten der Krise gewappnet sein. Dies rät Fachanwalt Niels George in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt. Ein verspäteter Insolvenzantrag könne die persönliche Haftung des Geschäftsführers bewirken und wegen Veruntreuung von Arbeitsentgelten oder Bankrott strafrechtlich relevant werden.
Wahrheitskommissionen: Über eine Tagung von Historikern, Juristen, NS-Fahndern und Holocaust-Überlebenden zum Sinn und Zweck von Wahrheitskommissionen als Alternative zur juristischen Aufarbeitung staatlichen Unrechts berichtet die FAZ (Thomas Thiel) in ihrem Feuilleton. Derartige Kommissionen böten die Chance, den Tätern die Zunge zu lösen, seien aber in besonderem Maße von der Unterstützung der betroffenen Bevölkerung abhängig.
Das Letzte zum Schluss
Gut gegangen: Beruhigung für schusselige Arbeitnehmer. Das Landesarbeitsgericht Hessen hob die Kündigung einer Bankangestellten auf, die bei der Prüfung von Zahlungsbelegen eine fehlerhafte Überweisung von 222.222.222,22 Euro übersah. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass weder eine vorsätzliche Schädigung des Arbeitgebers noch eine vorsätzliche Manipulation der eigenen Arbeitsleistung vorgelegen habe. Über den Fall berichte Rechtsanwalt Thorsten Blaufelder (kanzlei-blaufelder.com). Er weiß auch zu berichten, dass die Überweisung einer systeminternen Prüfungsroutine der Bank auffiel und nicht ausgeführt wurde.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 11. Juni 2013: BVerfG vs. EZB - Überwachung auf amerikanisch - Die Rosenburg und die Nazis . In: Legal Tribune Online, 11.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8895/ (abgerufen am: 02.05.2024 )
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