Der Ex-Arcandor-Chef Middelhoff ist zu einer Millionenzahlung Schadensersatz an den Arcandor-Insolvenzverwalter verurteilt worden. Außerdem in der Presseschau: radikale Vorschläge zur Verfassungsschutzreform, die Verurteilung eines Burschenschafters wegen der Verunglimpfung Dietrich Bonhoeffers, der kenianische Vize-Präsident vor dem IStGH und warum ein Arbeitnehmer wegen eines Smileys im Arbeitszeugnis vor Gericht zog.
Thema des Tages
LG Essen zu Ex-Arcandor-Chef Middelhoff: Der ehemalige Arcandor-Vorstandschef Thomas Middelhoff ist vom Landgericht Essen zu Schadensersatz und Rückerstattung von rund 3,4 Millionen Euro an den Insolvenzverwalter von Arcandor verurteilt worden. Den Großteil der Summe machen 2,3 Millionen Sonderboni aus, die Middelhoff laut Gericht zu Unrecht erhalten habe, weil zu dem Zeitpunkt bereits festgestanden habe, dass er den Konzern verlassen werde. Wie das Handelsblatt (jj/cs) erläutert, habe das Landgericht zur Begründung auf das Mannesmann-Urteil zur Millionenabfindung des Vorstandschefs Klaus Esser verwiesen. Middelhoffs Anwälte hätten sich ihrerseits auf das Mannesmann-Urteil bezogen und argumentiert, Middelhoff habe auch nach seinem Ausscheiden weiter an drei eingeleiteten Großprojekten als Berater mitgearbeitet.
Auch spiegel.de, die SZ (Marc Beise, Caspar Dohmen) und die FAZ (Joachim Jahn, Brigitte Koch) besprechen das Urteil.
Rechtspolitik
Reform des Verfassungsschutzes: Einen "radikalen Reform-Vorschlag" des Staatsrechtlers und früheren Bundesdatenschutzbeauftragten Hans-Peter Bull zur Neuorganisation der Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern stellt die SZ (Heribert Prantl) vor. Danach soll der Verfassungsschutz als "kleine, aber feine Analysebehörden" nur noch für die wissenschaftliche Analyse offener Quellen zuständig sein. Die bisherigen operativen Aufgaben würden dagegen komplett auf die Kriminalpolizei übergehen, wobei Polizei und Staatsanwaltschaft aber keine geheimdienstlichen Befugnisse übernehmen sollen.
Jugendstrafrecht: Die Welt (Sarah Lehnert) führt ein Interview mit "Deutschlands härtestem Jugendrichter" Andreas Müller über dessen kürzlich erschienenes Buch "Schluss mit der Sozialromantik! Ein Jugendrichter zieht Bilanz". Er kritisiere sowohl linke als auch konservative "Sozialromantik", so Müller: Wer nach absoluter Härte schreie, liege genauso falsch, wie jene, die noch und noch einen Sozialarbeiter fordern. Vielmehr dürfte ein Mittelweg richtig sein.
Justiz
OLG Hamm zu Arzthaftung: Nach Meldung von lto.de und der FAZ (Reiner Burger) hat das Oberlandesgericht Hamm einen Frauenarzt zur Zahlung von 20.000 Euro Schmerzensgeld verurteilt, weil er eine an Brustkrebs erkrankte Patientin nicht rechtszeitig zur Mammografie geraten hätte. Dies hätte der Frau nach Ansicht des Gerichts wahrscheinlich eine Chemotherapie erspart.
OLG Düsseldorf zur Fristwahrung: Allein der Umstand, dass ein Gericht ein Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach unterhält, bedeutet nicht automatisch, dass eine fristwahrende elektronische Einreichung von Schriftsätzen möglich sein muss. Das Oberlandesgericht Düsseldorf stellte in einer Berufungsabweisung darauf ab, dass das Land Nordrhein-Westfalen noch keine entsprechende Rechtsverordnung für die Einreichung elektronischer Dokumente erlassen habe. Thomas Stadler bewertet die Entscheidung auf internet-law kritisch: Den elektronischen Rechtsverkehr würden "derart kleinteilige Entscheidungen" sicherlich nicht nach vorne bringen.
LG Darmstadt – Heidi H.: Im Strafverfahren gegen die Lehrerin Heidi H. vor dem Landgericht Darmstadt wegen schwerer Freiheitsberaubung sind am Montag die Plädoyers gehört worden. Die Frau hatte im Jahr 2001 einen Kollegen der Vergewaltigung bezichtigt, der daraufhin zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und erst 2011 in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen worden war. Laut SZ (hh) und spiegel.de (Gisela Friedrichsen) forderte die Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von siebeneinhalb Jahren, die Verteidigung beantragte Freispruch.
LG Hildesheim zu sexuellem Missbrauch: Nach Meldung der FAZ (Robert von Lucius) sowie spiegel.de (Julia Jüttner) ist ein Kinderkrankenpfleger vom Landgericht Hildesheim wegen Vergewaltigung, schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und sexueller Nötigung zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Vor Inhaftierung soll er jedoch in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht und therapiert werden. Der Mann hatte unter anderem im Nachtdienst junge Patientinnen im Alter zwischen zehn und 15 Jahren betäubt und missbraucht oder vergewaltigt.
LG Regensburg – Bischof Williamson: Der Prozess gegen den britischen Bischof Richard Williamson wegen Volksverhetzung geht vor dem Landgericht Regensburg in eine neue Runde. Wie spiegel.de schildert, hatte Williamson vor fünf Jahren in einem Interview in der Bundesrepublik den Holocaust geleugnet. Zuvor war der Geistliche bereits vom Regensburger Amts- und Landgericht verurteilt, das Urteil aber vom Oberlandesgericht Nürnberg wegen Verfahrensfehlern aufgehoben worden, so dass das Verfahren erneut beim Amtsgericht und nun wieder beim Landgericht Regensburg als Berufungsinstanz landete.
LG Bonn zu Verunglimpfung von Dietrich Bonhoeffer: Das Landgericht Bonn hat die Verurteilung des Burschenschafters Norbert Weidner zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu 30 Euro wegen der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener in der Berufung bestätigt. Der ehemalige Chefredakteur der Verbandszeitschrift "Burschenschaftliche Blätter" hatte Ende 2011 in einem internen Mitteilungsblatt die Hinrichtung des NS-Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer als "juristisch gerechtfertigt" bezeichnet; der Theologe sei "zweifelsfrei ein Landesverräter" gewesen. zeit.de (Tilman Steffen) berichtet.
VG Göttingen zu waffenhandelndem Polizisten: Ein Polizeibeamter darf nebenberuflich mit einer entsprechenden behördlichen Zulassung mit Waffen handeln. Allein das Handeln mit Waffen sei für sich genommen nicht geeignet, einen angehenden Polizeikommissar in einen Konflikt mit seinen dienstlichen Pflichten zu bringen, urteilte das Verwaltungsgericht Göttingen laut lto.de.
BGH zu Geschäftsführerhaftung: Rechtsprofessor Ulrich Noack erläutert auf dem Handelsblatt-Rechtsboard eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Frage, ob der Geschäftsführer eines Unternehmens für üppige Honorarvereinbarungen mit Rechtsanwaltskanzleien in der Krise haftet. Im konkreten Fall hatte der Geschäftsführer einer mittlerweile insolventen Gesellschaft mit einer Kanzlei eine nachträgliche Honorarvereinbarung getroffen, deren Höhe über den gesetzlichen Gebühren lag. Dies könne laut Gerichtshof aber nicht mit einer "kompensationslosen Anerkennungsprämie" wie im Mannesmann-Fall verglichen werden, da bei der Sanierungsberatung ein sachlicher Grund für höhere Honorare vorliege.
Recht in der Welt
Kenia – Ruto vor IStGH: Der kenianische Vizepräsident William Ruto muss sich ab Dienstag vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen der Unruhen nach der Präsidentschaftswahl 2007 verantworten, bei denen mehr als 1.100 Menschen starben. Nach einem Bericht der SZ (Ronen Steinke) seien die Hoffnungen der Juristen groß, eine präventive Wirkung damit zu erzielen, dass mit Ruto und dem kenianischen Präsidenten Uhuru Kenyatta erstmals amtierende Regierungspolitiker vor Gericht stehen. Gleichzeitig bestehe aber das Risiko, dass die Ankläger am Ende mit leeren Händen dastehen, da Kenyatta und Ruto die Ermittlungen durchgehend hintertrieben hätten und etwa eine ganze Reihe von Zeugen mittlerweile verstummt seien.
Die gegenwärtige Situation der Flüchtlinge infolge der Unruhen in Kenia beschreibt die SZ (Tobias Zick).
China – strafbare "Gerüchteverbreitung": In China wird fortan das Verbreiten "unverantwortlicher Gerüchte" im Internet mit bis zu drei Jahren Freiheitsentzug bestraft. Laut FAZ sei eine Strafbarkeit eröffnet, sobald eine Website mit einem Gerücht von 5.000 Internet-Nutzern angeklickt oder 500 Mal weitergepostet wird. Nach Einschätzung von netzpolitik.org (Nicolas Fennen) könne als "unverantwortlichen Gerücht" alles gefasst werden, was nicht in das politische Bild der chinesischen Kommunistischen Partei passt.
Ägypten – neue Verfassung: In Ägypten hat die Verfassungsversammlung, die bis Anfang November eine neue Verfassung entwerfen soll, ihre Arbeit aufgenommen. Wie die FR (Julia Gerlach) berichtet, soll das fünfzigköpfige Gremium zur Arbeitserleichterung anhand eines vorangegangenen Expertenentwurfs diskutieren. Dieser sieht nach Erläuterung der FAZ (Markus Bickel) unter anderem die Streichung des von Gefolgsleuten des gestürtzten Präsidenten Mursi durchgesetzten Artikels 219 vor, der die Aufwertung "der Prinzipien des islamischen Scharia-Rechts" beinhaltet.
Italien – Berlusconi: Nach der Verurteilung von Silvio Berlusconi wegen Steuerbetrugs hat nunmehr in Italien die Diskussion darüber begonnen, ob der ehemalige Regierungschef auch seinen Sitz im Senat verlieren werde. Die FAZ (Tobias Piller) zeichnet vor diesem Hintergrund den Ablauf des sechs Jahre andauernden Verfahrens sowie die einzelnen Argumentationsschritte in der Verurteilung nach.
Sonstiges
Ermittlungskompetenzen der EU-Kommission: Aus Anlass des am Freitag ergangenen Urteils des Europäischen Gerichts in der in der Rechtssache der Deutsche Bahn befasst sich Rechtsanwalt Markus Röhrig auf lto.de mit den Ermittlungskompetenzen der EU-Kommission. Auch wenn es nach dem Urteil keinen Verstoß gegen die EU-Grundrechtscharta darstelle, dass die Kommission für Nachprüfungen bei Unternehmen grundsätzlich keines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses bedarf, enthalte das Urteil auch prägnante Ausführungen zu den Grenzen ihrer Befugnisse. In der letzten Zeit würden die Ermittlungskompetenzen der Kommission vermehrt vor den europäischen Gerichten angegriffen.
Schmerzensgeld: Mit einem kürzlich in der Zeitschrift für Schadensrecht erschienen Beitrag zu geschlechtsspezifischen Unterschieden bei der Bemessung von Schmerzensgeld befasst sich nunmehr auch lto.de (Constantin Baron van Lijnden). Der lesenswerte Artikel zeige auf, dass etwa die Entschädigungen für den Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit bei Männern deutlich höher ausfielen als bei Frauen, wohingegen beispielsweise für Narben Frauen höher entschädigt würden. Für derartige Ungleichbehandlungen seien möglicherweise "patriarchalische Altlasten in der Richterschaft" ursächlich, so einer der Verfasser, Rechtsanwalt Hans-Berndt Ziegler, auf Nachfrage.
TV-Anwaltsserie: Die FAZ (Daniel Haas) bespricht die ab Mittwoch auf VOX ausgestrahlte amerikanische Anwaltsserie "Fairly Legal". Die Sendung sei eine "Anwaltsgeschichte ohne Anwältin", in der "die Gesetze therapiert werden".
Das Letzte zum Schluss
Smiley im Arbeitszeugnis: Weil der Buchstabe "G" in der Unterschrift seines Arbeitgebers unter seinem Arbeitszeugnis aufgrund von zwei Punkten und einem nach unten gezogenen Haken den Eindruck erweckte, dass damit ein Smiley mit negativen Gesichtszügen wiedergegeben werde, klagte ein Arbeitnehmer auf Berichtigung des Zeugnisses. Wie Rechtsprofessor Markus Stoffels auf blog.beck.de berichtet, gab das Arbeitsgericht Kiel dem Kläger Recht: Der Arbeitgeber habe mit seiner Unterschrift in der Form zu unterzeichnen, wie sie von ihm im Rechtsverkehr gebraucht werde. Da der Beklagte selbst angegeben hatte, sonst stets mit lachendem Smiley zu unterschreiben, müsse er der Unterschrift ein solches lachendes Smiley hinzufügen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/js
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 10. September 2013: Middelhoffs Millionen – Bulls Radikalreform – Rutos Strafverfahren . In: Legal Tribune Online, 10.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9525/ (abgerufen am: 29.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag