Im NSU-Prozess will die Hauptangeklagte nun offenbar doch aussagen. Außerdem in der Presseschau: Kritik an Freshfields in der DFB-Affäre und ein Grüner wirbt für das Zulassen politischer Alternativen in der Diskussion um die Flüchtlingskrise.
Thema des Tages
OLG München – NSU-Prozess: Nach mehr als 240 Verhandlungstagen steht der vor dem Oberlandesgericht München stattfindende NSU-Prozess vor einer Premiere. Wie spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet, will die Hauptangeklagte am morgigen Mittwoch ihr bisheriges Schweigen brechen und sich zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen äußern. Der im Sommer beigeordnete Anwalt Mathias Grasel werde ihre Aussage verlesen lassen. Dass hierfür nur ein Tag reserviert sei, spreche dafür, dass Antworten auf Fragen der übrigen Prozessbeteiligten nicht vorgesehen seien. Die Einlassung folge einem länger verfolgten Plan Zschäpes, der auch einen Grund für ihr Zerwürfnis mit ihren "Alt-Anwälten" darstellt. Diese seien im Gegensatz zum Gericht nicht im Vorhinein über die jetzige Entwicklung informiert worden. Weitere Bericht zum mutmaßlichen Inhalt der Aussage und möglichen Auswirkungen auf den Prozess bringen SZ (Tanjev Schultz), FAZ (Annette Ramelsberger) und Welt (Hannelore Crolly). Letzterer Beitrag beruft sich auf Informationen des Rechtsanwalts Hermann Borchert, in dessen Kanzlei Graselt arbeitet.
Rechtsanwalt Carsten Hoenig (kanzlei-hoenig.de) stößt sich an der in einer Meldung verwendeten Formulierung, Zschäpe sei von ihrem ursprünglichen Verteidigerteam für den Fall einer Aussage mit der Niederlegung des Mandats gedroht worden. Im Mandat sei der Mandant Chef, der Verteidiger dagegen Auftragnehmer. Er könne dem Mandanten zwar Ratschläge erteilen, diesem aber niemals drohen. Der Strafverteidiger erhofft sich daher eine Richtigstellung, die "zum besseren Verständnis einer professionellen Verteidigung beitragen" würde.
Rechtspolitik
Flüchtlinge: Nach dem vom Bundesinnenminister Thomas de Maizíere (CDU) über das Wochenende unternommenen Vorstoß zur Änderung des Schutzstatus syrischer Flüchtlinge stellt die SZ in Frage-und-Antwort-Form die Voraussetzungen und die praktische Bedeutung des Familiennachzugs dar. In der BadZ (Christian Rath) werden die Unterschiede zwischen Asylrecht und subsidiärem Schutz erläutert. Während sich unter anderem wegen politischer Gründe Verfolgte auf das grundgesetzlich garantierte Asylrecht berufen können, gelte der subsidiäre Schutz für Flüchtlinge aus Kriegsgebieten.
In einem Gastbeitrag für die FAZ wirbt der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) für eine "lösungsorientierte Debattenkultur" in der Flüchtlingsfrage. Hierzu gehöre auch das Zulassen politischer Alternativen bei der Diskussion, "wie weit unsere Hilfsbereitschaft geht". Auch dürfe "nicht gleich mit Pegida oder Nazis verglichen" werden, wer "nicht der These von der Pflicht zur unbegrenzten Hilfe zustimmen will". Stattdessen müssten Fakten ermittelt und offengelegt werden, um auf dieser Grundlage öffentliche "Belastungsgrenzen" definieren zu können.
Flüchtlingskonten: Die FAZ (Markus Frühauf) berichtet zur Kritik Jürgen Fitschens, Co-Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, an Regierungsplänen, Banken zur Einrichtung von Basiskonten für Flüchtlinge zu verpflichten. Weil viele Flüchtlinge keine Passdokumente besäßen, würden sich Banken der Gefahr von Verstößen gegen strenge US-amerikanische Regeln gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung aussetzen.
Korruption: Am vergangenen Freitag billigte der Bundesrat das bereits im Oktober vom Bundestag beschlossene Gesetz zur Bekämpfung der Korruption. Die zahlreichen neuen Bestimmungen, etwa zur Ausdehnung der Bestechlichkeitsstrafbarkeit auch auf Handlungen in der Privatwirtschaft, unterzieht Rechtsanwalt David Pasewaldt auf lto.de einer kritischen Würdigung.
WLAN-Gesetz: zeit.de (Patrick Beuth/Claus Hecking) berichtet zu einer der Zeitung vorliegenden Stellungnahme der EU-Kommission zum Regierungsentwurf eines WLAN-Gesetzes. In der Stellungnahme würden im Hinblick auf die unternehmerische Freiheit und jene der Meinungsäußerung nach der EU-Grundrechtecharta Bedenken gegen die Haftungsbedingungen für WLAN-Diensteanbieter geltend gemacht.
Datensicherheit: In einem Gastbeitrag für die SZ diskutiert der Rechtswissenschaftler Thomas Wischmeyer staatliche Pflichten zur Gewährleistung von Datensicherheit. Auch der vorsichtigste Internetnutzer sei bei Angriffen auf die Infrastruktur des Netzes – immerhin öffentlicher Raum - hilflos, hier habe die Pflicht zur Sicherheitsgewährleistung durch den Staat zu greifen. Das jüngst verabschiedete IT-Sicherheitsgesetz werde dieser Aufgabe in großen Teilen nicht gerecht.
Europäischer Datenschutz: Die SZ (Varinia Bernau) berichtet zum Inhalt der Verhandlungen zwischen Europäischem Parlament und Europäischem Rat zur Datenschutz-Grundverordnung. In einem weiteren Beitrag befragt die SZ (Varinia Bernau) die frühere Justizkommissarin Viviane Reding zum maßgeblich von ihr vorangetriebenen Entwurf der Kommission aus dem Jahr 2012, der Verantwortung für die nach wie vor nicht erfolgte Umsetzung und dem diesbezüglichen Einfluss von Lobbyorganisationen.
Justiz
BVerfG zu AfD-Warnung: Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) musste nach einem im Eilverfahren vom Bundesverfassungsgericht erlassenen Beschluss einen auf der Webseite ihres Ministeriums veröffentlichte Pressemitteilung entfernen lassen. Die beanstandete Mitteilung setzte sich kritisch mit der AfD auseinander. Hierbei sei nach Ansicht des Gerichts nicht auszuschließen gewesen, dass die Ministerin ihr amtliches Neutralitätsgebot verletzt habe. lto.de berichtet.
BAG zu Leiharbeitern: Auch das Handelsblatt (Heike Anger) berichtet nun zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts, nach dem im Bereich der Unternehmensmitbestimmung betriebliche Leiharbeiter mitzuzählen sind.
DPMA zu DFB-Adler: Das Deutsche Patent- und Markenamt hat den Antrag der Handelskette real,- auf Löschung der DFB-Marke zurückgewiesen. In dem am vergangenen Freitag veröffentlichten Beschluss sei dargelegt worden, dass der vom Verband verwendete Adler zwar eine relevante Ähnlichkeit zum Bundesadler aufweise, berichtet lto.de. Der DFB-Adler sei aber wegen seiner hohen Bekanntheit dem sportlichen Bereich zuzuordnen. Im Übrigen habe auch das Innenministerium sein Einverständnis mit der Nutzung erklärt, die beantragte Markenlöschung sei dadurch ausgeschlossen.
StA Köln – Steuerhinterziehung: Die SZ (Hans Leyendecker/Klaus Ott) berichtet zu Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln und der Steuerfahndung Wuppertal gegen der Steuerhinterziehung verdächtige Kunden der luxemburgischen Bank BCEE. Grundlage nun durchgeführter Razzien seien Kontounterlagen der Bank, die rheinland-pfälzischen und französischen Behörden zum Kauf angeboten worden sei. Diese hätten die Daten dann kostenfrei an die nordrhein-westfälischen Ermittler weitergereicht.
StA Frankfurt – DFB: In ihrer Berichterstattung zum Rücktritt Wolfgang Niersbachs vom Amt des DFB-Präsidenten geht die SZ (Johannes Aumüller/Thomas Kistner) ausführlich auf Vorwürfe gegen die Kanzlei Freshfields ein. Die vom DFB zur Untersuchung der Affäre zu Zahlungen im Zusammenhang der Vergabe der WM 2006 eingesetzte Kanzlei wurde vom früheren DFB-Präsidenten Theo Zwanziger dafür kritisiert, persönliche Verbindungen zu DFB-Funktionären nicht offengelegt zu haben. Zudem seien angebliche Verbindungen der Kanzlei nach Katar problematisch. Laut einem weiteren Beitrag von SZ (Klaus Ott u.a.) sind die externen Ermittler bei ihrer Arbeit auf ein Dokument aus dem Jahr 2000 gestoßen, in dem als Vertragsentwurf auf die damals stattgefundene Vergabe der WM Bezug genommen werde.
BGH-Vizepräsident und Konkurrentenklage: Die CDU schlägt als neuen BGH-Vizepräsidenten ausgerechnet den BGH-Richter vor, der erfolgreich gegen BGH-Präsidentin Limperg geklagt hatte, um im Konkurrentenstreit um den Vorsitz im 5. BGH-Strafsenat ein besseres Zeugnis zu erhalten. Das berichtet die FR (Ursula Knapp). Die CDU setze damit Limperg unter Druck, weil der Vizepräsident auf jeden Fall Vorsitzender Richter sein muss.
Fachanwalt für Migrationsrecht: Die Bundesrechtsanwaltskammer hat die Einführung eines neuen Fachanwaltstitel beschlossen. Der Fachanwalt für Migrationsrecht solle neben den klassischen Bereichen des Ausländer- und Asylrechts auch Fragen zur europäischen und außereuropäischen Arbeitsmigration umfassen, meldet lto.de.
Recht in der Welt
Weltstrafgerichtsbarkeit: Aus Anlass mutmaßlicher Drohungen ethnisch motivierter Übergriffe seitens des Präsidenten Burundis stellt die SZ (Ronen Steinke) die aus dem Völkermord im benachbarten Ruanda gezogenen rechtlichen Konsequenzen dar. Deren herausragendste sei die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, der auch bei den jetzigen Aufrufen zu Massengewalt zuständig sei. Gleichwohl besitze der Gerichtshof keine Polizei, sei also nach wie vor auf die Bereitschaft der Weltgemeinschaft angewiesen, menschenrechtsverletzende Diktatoren zu verfolgen.
Spanien – Katalonien: Nachdem das katalanische Parlament für eine Unabhängigkeitsresolution gestimmt hat, kündigte der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy die Anrufung des Verfassungsgerichts in der Sache an. Hierdurch würde die Umsetzung der Resolution für maximal fünf Monate suspendiert, schreibt die FAZ (Leo Wieland). Der Ministerpräsident scheine zudem gewillt, in Anwendung eines entsprechenden Verfassungsartikels die Absetzung der katalanischen Regionalregierung wegen Rechtsverletzungen zu betreiben.
Belgien – Facebook: Nach einer Meldung von zeit.de hat ein Gericht in Brüssel dem sozialen Netzwerk Facebook unter Androhung einer Strafe von 250.000 Euro untersagt, Daten von Nicht-Mitgliedern zu sammeln. Verfahrensgegenständlich sei ein bestimmter Identitäts-Cookie gewesen, der das Verhalten von Nutzern auf Seiten mit dem Like-Button verfolge.
Ägypten – Journalist: Die SZ (Paul-Anton Krüger) berichtet zur Festsetzung eines ägyptischen Enthüllungsjournalisten durch die dortige Militärstaatsanwaltschaft. Dem Journalisten werde offenbar vorgeworfen, entgegen einer behördlichen Anordnung zu einem Militärgerichtsverfahren gegen mutmaßlich abtrünnige Offiziere berichtet zu haben.
Sonstiges
Zahlungsaufforderungen: Die SZ (Berrit Gräber) legt dar, wie Verbraucher zwischen seriösen und unseriösen Zahlungsaufforderungen unterscheiden können.
Das Letzte zum Schluss
Kinderlärm: Der von Spielplätzen und ähnlichen Einrichtungen ausgehende Lärm ist vom deutschen Gesetzgeber vor einigen Jahren durch eine Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes gegenüber anderen Lärmquellen privilegiert worden. Derartige Geräuscheinwirkungen sind nun von Anwohnern regelmäßig hinzunehmen. Dass die Rechtslage in Großbritannien anders ist, ergibt sich aus einer Meldung von focus.de. Dort wird zu einem Rentnerehepaar berichtet, das sich nach andauernden Störungen zum Kauf einer "Anti-Kind-Maschine" entschloss. Das Gerät sende nur für junge Menschen – dann aber schmerzhaft - wahrnehmbare, hohe Töne aus und wirke äußerst effektiv. Bei seinem Einsatz würden die vormals lärmenden Nachbarskinder "weinend" davonlaufen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 10. November 2015: Zschäpe vor Aussage / Weltstrafgericht vor Herausforderung / Spanien vor Spaltung . In: Legal Tribune Online, 10.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17490/ (abgerufen am: 17.05.2024 )
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