Das Oberste Gericht der USA beschäftigt sich mit Wahlkreisgeometrie. Außerdem in der Presseschau: der Unionskompromiss zur Flüchtlingsaufnahme. Welttag gegen die Todesstrafe und Menschenrechts-Preis für türkischen Verfassungsrichter.
Thema des Tages
USA – Gerrymandering: Der Oberste Gerichtshof der USA verhandelt zur Zeit über die Verfassungsmäßigkeit des Gerrymanderings, der auch Wahlkreisgeometrie genannten Praxis, Wahlkreise so zuzuschneiden, dass die jeweils größere Partei einen sicheren Sieg einfährt. Auslöser des jetzigen Verfahrens seien Änderungen, die von der Republikanischen Partei im Bundesstaat Wisconsin bestimmt wurden, erklärt zeit.de (Thorsten Schröder). Im Jahr 2004 hatte das Gericht eine vergleichbare Klage mit der Begründung abgewiesen, das politische Verfahren der Wahlkreisbestimmung sei nicht justiziabel. In der Verhandlung hätten die als konservativ eingestuften Richter ähnliche Bedenken angemeldet. Die als liberal bekannten Richter hätten in der Einschätzung von Beobachtern dagegen auf mögliche Grundrechtsverletzungen durch die systematische Ungleichgewichtung von Wählerstimmen abgestellt.
Rechtspolitik
Flüchtlingspolitik: Inhalte und Zustandekommen der in der Union erzielten Einigung über eine potenzielle Begrenzung der Aufnahme von Flüchtlingen stellt u.a. die taz (Christian Rath/Ulrich Schulte) dar. Die SZ (Bernd Kastner) untersucht die Vorschläge auf ihre Praxistauglichkeit und hält vor allem die verlängerte Aussetzung des Familiennachzugs für problematisch. Dieser werde schon jetzt von zahlreichen Menschenrechtlern und Juristen als Verstoß gegen Grundgesetz, Europäische Menschenrechtskonvention und Kinderrechtskonvention gesehen. Unabhängig von der Bezeichnung der Einigung begrüßt Jasper von Altenbockum (FAZ) im Leitartikel des Blattes, dass nun im Falle einer drohenden Überschreitung des angestrebten Richtwertes der Bundestag abstimmen solle "und nicht das Kanzleramt dekretiert, was 'wir' zu schaffen haben". Die Vorschläge seien zudem so formuliert, dass den potenziellen Koalitionspartnern die Zustimmung nicht unmöglich sein sollte.
Asylrecht: Die Präsidenten der Oberverwaltungsgerichte haben auf ihrer Jahrestagung am vergangenen Wochenende neben einer besseren personellen und sachlichen Ausstattung ihrer Gerichte Reformen zur Beschleunigung von Verfahren gefordert. Nur so würde man mit der steigenden Zahl von Asylverfahren zurechtkommen, meldet lto.de über die Tagung.
NetzDG: Thomas Stadler (internet.law.de) versucht eine "differenzierte Betrachtung" des seit dem 1. Oktober in Kraft befindlichen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Am stichhaltigsten seien europarechtliche Bedenken, so widerspreche die Starrheit der Sperrvorgaben den Bestimmungen der E-Commerce-Richtlinie. Ein Tätigwerden der Kommission sei jedoch nur insofern zu befürchten, als man "dort noch viel weiterreichende Regulierungsmaßnahmen im Auge" habe. Zu Bedenken, dass NetzDG gefährde die Meinungs- und Informationsfreiheit, müsse festgestellt werden, dass Facebook & Co. tatsächlich "rechtsstaatlicher Kuratel" bedürften, "weil eine gesetzeskonforme und rechtsstaatlich akzeptable Löschpraxis" dort bislang nicht existierte.
Steuerberater: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) berichtet in ihrem Wirtschafts-Teil über die Jahrestagung des Deutschen Steuerberaterverbandes. Dessen Präsident Harald Elster habe sich entschieden gegen die auf EU-Ebene geplanten Anzeigepflichten für Steuergestaltungen ausgesprochen. Der als Gastredner ebenfalls auftretende Rudolf Mellinghoff, Präsident des Bundesfinanzhofs, habe unter anderem die Erwartungen eines richtungsweisenden Cum-Ex-Urteils gedämpft.
Justiz
BVerfG – Numerus clausus: In einem Kommentar zur mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts zur verfassungsmäßigen Zulässigkeit gegenwärtiger Zulassungsregeln für das Medizinstudium erwartet Jost Müller-Neuhof (Tsp), dass ein Urteil "möglicherweise weiterhelfen" könne, bestehende Ungerechtigkeiten bei der angemessenen Gewichtung von Kriterien zu beseitigen. "Ehrlich machen" müsse man sich hingegen auf der politischen Ebene. So könnte die Zulassung zum Studium an die Bedingung geknüpft werden, sich in unterversorgten Gebieten niederzulassen.
LSG Nds-HB zu "Gesundheitstourismus": Kostenerstattungen für Krankenbehandlungen im Ausland sind nach einem jetzt veröffentlichten Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen aus dem vergangenen Monat nur für Notfälle oder solche Anwendungen möglich, die im Inland nicht leistbar seien. Lediglich subjektive Erfolge nicht näher spezifizierter Behandlungen im Ausland könnten keinen Anspruch auf Kostenerstattung auslösen, wenn – wie im entschiedenen Fall – eine Behandlung im Inland möglich und vor allem nicht ausgeschöpft sei. Nach Ansicht des Gerichts müsse die beklagte Krankenkasse dagegen für einen Gesundheitstourismus nicht aufkommen, so lto.de.
LG Freiburg – Fall Maria L.: In einer Seite Drei-Reportage über die Stimmung in Freiburg, der "Hochburg des ökologischen Linksliberalismus", nach der Tötung der Studentin Maria L. schreibt die FAZ (Rüdiger Soldt) auch über das am Landgericht Freiburg anhängige Strafverfahren. Die Staatsanwaltschaft wolle nachweisen, dass der Angeklagte bereits 22 Jahre alt ist.
LG Halle – "Reichsbürger": Zu Beginn des Verfahrens gegen einen wegen versuchten Mordes angeklagten mutmaßlichen "Reichsbürger" hat der Angeklagte vor dem Landgericht Halle die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritten. Auch als Reichsbürger wolle er nicht gelten, gibt zeit.de die Einlassung wieder.
Recht in der Welt
EU – Brexit: In einem englischsprachigen Beitrag für verfassungsblog.de untersucht Cormac MacAmhlaigh, Dozent für öffentliches Recht, ob der Brexit durch das europäische Recht gestoppt werden könnte.
Polen – Justizminister: Am heutigen Dienstag berät das Unterhaus des polnischen Parlaments, der Sejm, über die von Präsident Andrzej Duda eingebrachten Entwürfe für eine Justizreform. Nach dem Bericht der Welt (Gerhard Gnauck) dürfte bei der anstehenden Debatte deutlich werden, dass innerhalb der Regierungspartei PiS um die Nachfolge von Parteichef Jarosław Kaczyński gerungen werde. Als "Sturmgeschütz des rechten Lagers" gelte Justizminister Zbigniew Ziobro.
Bosnien-Herzegowina – Kriegsverbrechen: Die taz (Erich Rathfelder) porträtiert Naser Orić, den früheren Kommandeur der bosnischen Truppen in Srebrenica. Der Staatsgerichtshof von Bosnien-Herzegowina sprach Orić nun von dem Vorwurf frei, 1992 an der Tötung serbischer Kriegsgefangener beteiligt gewesen zu sein.
Türkei – Menschenrechtsaktivisten: Die zu der nun in der Türkei vorliegenden Anklage gegen Peter Steudtner vorhandenen Fakten fasst die taz (Ali Celikkan) zusammen. Luisa Seeling (SZ) bezweifelt in einem Kommentar, dass die jetzige Anklage einer klaren Strategie folge. "In einem Land, in dem Zehntausende Beamte aus dem Amt entfernt wurden", seien Mängel "an Abstimmung zwischen Regierung und Justiz" durchaus denkbar. Eine "nur noch erratisch" handelnde Türkei wäre aber für Deutschland keine gute Nachricht und ein weiterer Rückschritt gegenüber der bislang gepflegten "Retourkutschen-Politik".
Sonstiges
Todesstrafe: Anlässlich des heutigen Welttages gegen die Todesstrafe setzen sich sechs Außenminister europäischer Staaten, unter ihnen Deutschland, in einem Gastbeitrag in der taz für die weltweite Ächtung dieser Sanktion ein. Unabhängig von ihrer konkreten Anwendung und davon, ob sie unschuldig Verurteilte trifft oder nicht, sei die Todesstrafe "nicht vereinbar mit unserem Verständnis der Menschenrechte". Sie habe im "im 21. Jahrhundert keinen Platz". Für den Politische Bücher-Teil der FAZ bespricht Rechtsprofessor Christian Hillgruber "Wenn der Staat tötet. Eine Geschichte der Todesstrafe" von Helmut Ortner. Indem der Autor geschichtliche Aspekte und den tatsächlichen Vollzug der Todesstrafe "mit kühler Nüchternheit betrachtet", liefere er "besonders handfeste Argumente" gegen sie. Das Nachwort des Buches stammt von Thomas Fischer.
Hochschulautonomie: lto.de (Herrmann Horstkotte) stellt die nun veröffentlichte Dissertation "Ungeschriebener Parlamentsvorbehalt und akademische Selbstverwaltung" von Gerrit Hellmuth Stumpf vor. Die mit dem Konrad-Redeker-Preis prämierte, von Rechtsprofessor Christian Hillgruber betreute Arbeit untersuche das "Spannungsverhältnis zwischen der hochschulpolitische Verantwortung des Gesetzgebers und der akademischen Selbstverwaltung" und schrecke hierbei auch nicht vor "provokanten Thesen" zurück.
Menschenrechtspreis: Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat den jährlich vergebenen Václav-Havel-Preis für Menschenrechte an den türkischen Verfasssungsrichter Murat Arslan verliehen. Arslan sitzt als vermeintlicher Anhänger der Gülen-Bewegung seit Juli 2016 in türkischer Untersuchungshaft. zeit.de berichtet.
Das Letzte zum Schluss
Selbstjustiz und Kunst: Ein Aachener Falschparker inspirierte in der vergangenen Woche gleich mehrere künstlerische Höchstleistungen. Wie lawblog.de (Udo Vetter) berichtet, verschönerten Passanten den Wagen mit eindeutigen Hinweisen auf die fehlende verkehrsordnungsrechtliche Übereinstimmung des gewählten Abstellortes mit den örtlichen Bestimmungen. Mutmaßlich, weil dies mit abwaschbarer Sprühkreide geschah, veröffentlichte die Polizei ihre Pressemitteilung zum Vorfall in Reimform.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 10. Oktober 2017: Wahlkreisgeometrie vor Gericht / Richtwert für Flüchtlingsaufnahme / Welttag gegen Todesstrafe . In: Legal Tribune Online, 10.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24925/ (abgerufen am: 27.04.2024 )
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