Bundesjustizminister Heiko Maas spricht über NSA-Überwachung und Datenschutz - und findet nicht, dass Snowden extra nach Deutschland kommen muss, um auszusagen. Außerdem in der Presseschau vom Wochenende: Muss Juncker jetzt Kommissionspräsident werden? Ist Schwarzer der neue Hoeneß? Wer sind die beliebtesten Anwälte? Und warum Strandgebühren abgeschafft werden sollten.
Thema des Tages
Maas im Interview: Im Interview mit spiegel.de (Veit Medick/Roland Nelles) spricht Bundesjustizminister Heiko Maas über Überwachung und Datenschutz. Maas wirbt um Verständnis für die Entscheidung von Generalbundesanwalt Harald Range, der wegen des ausgespähten Kanzlerin-Handys gegen US-amerikanische Geheimdienste ermitteln will, nicht aber wegen der mutmaßlichen Massenüberwachung der deutschen Bevölkerung. Im Rahmen der Ermittlungen Edward Snowden anzuhören, hält Maas für sinnvoll, das sei aber auch in Moskau möglich. Weiterhin erklärt Maas, die massenhafte Erhebung von Daten sei grundsätzlich problematisch, das gelte auch für die deutschen Geheimdienste. Zur Vorratsdatenspeicherung werde er erst dann ein neues Gesetz vorlegen, wenn es eine entsprechende europäische Richtlinie gibt. Auf europäischer Ebene solle aber möglichst noch im kommenden Jahr eine Datenschutzgrundverordnung verabschiedet werden.
Rechtspolitik
EU-Kommissionspräsident: Der Rechtsprofessor Mattias Kumm erklärt auf verfassungsblog.de, warum der Europäische Rat verpflichtet sei, Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsidenten vorzuschlagen. Nach dem EU-Vertrag müsse der Rat das Wahlergebnis berücksichtigen – und deshalb den Spitzenkandidaten vorschlagen, der die Mehrheit im Parlament habe. Für Bundeskanzlerin Merkel ergebe sich das auch aus Artikel 23 des Grundgesetzes, wonach die Bundesrepublik an einem demokratischen Europa mitwirkt. Der ehemalige Verfassungsrichter Udo di Fabio sieht das in einem Gastbeitrag für die Dienstags-FAZ anders. Parlament und Rat müssten sich in einem Verhandlungsprozess einigen. Di Fabio verteidigt vehement Bundeskanzlerin Merkel, der der Philosoph Jürgen Habermas eine undemokratisches Haltung vorgeworfen hatte.
Juristen im Finanzministerium: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble beschäftige zu viele Juristen und zu wenig Ökonomen, so der Spiegel (Christian Reiermann). Demnach arbeiten 333 Juristen und 214 Ökonomen im Ministerium, vor allem auf der Führungsebene würden viele Posten mit Rechtswissenschaftlern besetzt. Schäuble bevorzuge juristische Kenntnisse und Argumente, notwendig sei aber mehr wirtschaftlicher Sachverstand.
Terrorabwehrzentren: Heribert Prantl (Samstags-SZ) kritisiert die Terrorabwehrzentren GETZ in Köln und GATZ in Berlin: Für den Informationsaustausch zwischen Polizei und Geheimdiensten gebe es keine gesetzliche Grundlage – eine "rechtsstaatliche Todsünde".
Reform § 211: Muss der Mordparagraf reformiert werden? In zwei Beiträgen im Focus diskutieren Bundesjustizminister Heiko Maas und der bayerische Justizminister Winfried Bausback, das Für und Wider. Maas betont, der Mordparagraf sei von nationalsozialistischem Unrecht geprägt und benachteilige – etwa in den sogenannten Haustyrannen-Fällen – Frauen. Bausback schreibt, die Gerichte hätten längst Wege gefunden, trotz des problematischen Wortlauts zu gerechten Urteilen zu kommen. Eine Reform dürfe nicht dazu führen, dass die lebenslange Freiheitsstrafe in Frage gestellt werde.
Mindestlohn: Ist der Mindestlohn verfassungswidrig? Der Arbeits- und Sozialrechtler Mattias G. Fischer argumentiert auf lto.de, das geplante Gesetz verstoße gegen Artikel 9 des Grundgesetzes, weil es die Tarifautonomie schwächt. Zwar ließe sich solch ein Eingriff in die Tarifautonomie mit dem Grundsatz der Menschenwürde rechtfertigen – dann dürfe der Mindestlohn aber nicht höher liegen als das Existenzminimum.
Syrische Flüchtlinge: Mehr Hilfe für syrische Flüchtlinge fordert Heribert Prantl (Dienstags-SZ). Deutschland könne deutlich mehr Flüchtlinge aufnehmen und müsse bürokratische Hürden beseitigen.
Justiz
EuGH zu Caching: Wer eine Internetseite betrachtet oder Daten technisch bedingt zwischenspeichert (Caching) begeht nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes keine Urheberrechtsverletzung. Beides sei nach der Infosoc-Richtlinie als bloß flüchtige Vervielfältigungshandlung privilegiert. internet-law.de (Thomas Stadler) berichtet knapp und erklärt, damit liege etwa bei Musik- oder Videostrams keine urheberrechtlich relevante Vervielfältigungshandlung vor.
Bundesanwaltschaft – NSA-Ermittlungen: Die Samstags-taz (Christian Rath) versucht zu erklären, warum Generalbundesanwalt Harald Range nicht wegen der NSA-Spionage gegen die deutsche Bevölkerung ermittelt. Bisher sei unklar, wie stark der US-Geheimdienst die Kommunikation in Deutschland überwache und wo er auf die Daten zugreife – wahrscheinlicher als Spionage im Inland sei der Zugriff auf Daten vom Ausland aus. Allerdings spreche viel dafür, dass auch das strafbar ist. Es sei "ein Armutszeugnis", wenn der Bundesanwaltschaft hier "noch nicht einmal der strafrechtliche Maßstab klar" sei.
BVerfG – Redefreiheit des Bundespräsidenten: Darf der Bundespräsident sagen, man müsse "den Spinnern ihre Grenzen aufweisen"? Das wird das Bundesverfassungsgericht am heutigen Dienstag entscheiden. Joachim Gauck hatte sich angesichts der Proteste gegen ein Asylbewerberheim in Berlin-Hellersdorf so geäußert, die NPD legte Klage ein. Der Eilantrag der Partei wurde allerdings abgelehnt, auch in der mündlichen Verhandlung habe sich das Gericht eher skeptisch gezeigt, so die Dienstags-Welt (Claudia Kade).
BVerfG – Erbschaftsteuer: Am 8. Juli verhandelt das Bundesverfassungsgericht über die Erbschaftsteuer. Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte 2012 erklärt, er halte es für verfassungswidrig, dass Betriebsvermögen unverhältnismäßig stark von der Steuer ausgenommen ist. Wie die WamS (Martin Greive/Dorothea Siems) berichtet, übertragen viele Unternehmer ihr Vermögen jetzt an den Firmenerben, weil sie fürchten, das Verfassungsgericht könne sich dem BFH anschließen. Politiker und Wirtschaftswissenschaftler diskutieren bereits über eine Neuregelung.
LAG Berlin-Brandenburg zu Diskriminierung: Die "tageszeitung" hatte eine Volontariatsstelle speziell für Frauen mit Migrationshintergrund ausgeschrieben, nun muss sie einem Bewerber eine Entschädigung in Höhe von drei Monatsgehältern zahlen. Das Landesarbeitegericht Berlin-Brandenburg entschied, es sei unzulässig, die Ausschreibung ausschließlich an Frauen zu richten, so zeit.de (Markus Ehrenberg).
LG Köln – Oppenheim-Prozess: Die Dienstags-SZ (Caspar Dohmen) schildert die Protagonisten im Oppenheim-Prozess vor dem Landgericht Köln, Christopher Freiherr von Oppenheim und Matthias Graf von Krockow. Beide sind in Zusammenhang mit den Geschäften der Privatbank Sal. Oppenheim wegen Untreue angeklagt. Nun geht es in dem bereits mehr als einem Jahr andauernden Prozess auch um das Machtgefüge bei der Bank und Rivalitäten zwischen den Familienmitgliedern.
LG Stade – Notwehr oder nicht: Nachdem der Rentner Ernst B. im Dezember 2010 einen 16-Jährigen erschossen hat, der zusammen mit vier weiteren Tätern flüchten wollte, muss das Landgericht Stade nun klären, ob B. in Notwehr gehandelt hat. Über den Fall berichtet die Dienstags-SZ (Hans Holzhaider) auf ihrer Reportage-Seite.
StA Köln – Alice Schwarzer: Nach Informationen des Spiegel (Jürgen Dahlkamp/Barbara Schmid, Online-Zusammenfassung) könnte die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer mehr Steuern hinterzogen haben, als bisher bekannt. Ihre Selbstanzeige vom vorigen Jahr wäre damit unwirksam. Die Staatsanwaltschaft Köln habe mehrere Konten überprüft und Häuser durchsucht. spiegel.de (Nicolai Kwasniewski/Jonas Schützeberg) erklärt, ins Gefängnis müsse Schwarzer wohl nicht. Eine Haftsstrafe ohne Bewährung droht bei Steuerhinterziehung ab einer Millionen Euro, bei Schwarzer handele es sich vermutlich um eine Summe im sechstelligen Bereich. Auch die Samstags-SZ (Bastian Obermayer/Hans Leyendecker) berichtet, hier heißt es, laut Schwarzers Anwalt gehe es um rund 45.000 Euro.
NSU – Nagelbombe: Vor zehn Jahren verübte der NSU einen Terroranschlag in der Kölner Keupstraße, 22 Menschen wurden verletzt als eine Nagelbombe explodierte. Die WamS (Stefan Aust/Dirk Laabs) zeichnet das Geschehen und die nachfolgenden Ermittlungen detailliert nach.
Best Lawyers Ranking: Das Handelsblatt (Catrin Gesellensetter) veröffentlicht die Liste der bestangesehenen Wirtschaftsanwälte in Deutschland. Der US-amerikanische Verlag Best Lawyers hat ermittelt, welche Anwälte unter ihren Kollegen am besten angesehen sind. Den ersten Rang belegt Hengeler Mueller, es folgen Freshfields Bruckhaus Deringer und Gleiss Lutz. In dem Bericht heißt es außerdem, der Anwaltsmarkt sei zwar durch die wachsende Konkurrenz schwierig, es zeige sich aber, dass mit klaren Strategien unterschiedliche Geschäftsmodelle erfolgreich sein könnten.
Syndikus-Anwälte: Anwaltsverbände fordern gesetzliche Regelungen, die auch Unternehmensjuristen in der Regel von der Rentenversicherungspflicht befreien. Das Bundessozialgericht hatte die bisherige Praxis im April gekippt und Unternehmensjuristen grundsätzlich für versicherungspflichtig erklärt. Das Handelsblatt (Cathrin Gesellensetter) erläutert die Debatte.
Recht in der Welt
Sexuelle Gewalt als Kriegsverbrechen: Die Dienstags-taz (Dominic Johnson) schreibt über die Ahndung sexueller Gewalt als Kriegsverbrechen. Es gebe zwar neue Konzepte für die Strafverfolgung, aber die Beweisführung bleibe schwierig. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag könne hier ein Vorbild sein, auch für Verfahren vor nationalen Gerichten wie dem Prozess um ruandische FDLR-Milizen vor dem Oberlandesgericht Stuttgart.
Österreich – Deutscher Demonstrant vor Gericht: Nach den Demonstrationen gegen Burschenschafter und die rechtspopulistische Partei FPÖ im Januar, steht nun ein deutscher Student in Wien vor Gericht. Wie spiegel.de (Christoph Titz/Fabian Kretschmer) berichtet, bezeichnet ihn die Staatsanwaltschaft als "Demonstrantensöldner" und wirft ihm Landfriedensbruch als führender Beteiligter, versuchte schwere Körperverletzung und schwere Sachbeschädigung vor. Die Beweislage sei aber "dürftig". Mit einem Urteil wird im Juli gerechnet.
Russland – Politkowskaja-Mord: Nach dem Mord an der Kreml-kritischen Journalistin Anna Politkowskaja im Oktober 2006 hat eine Moskauer Gericht nun zwei Männer zu lebenslanger Straflager-Haft verurteilt, sowie drei weitere zu 12, 14 und 20 Jahren Straflager. Das meldet spiegel.de. Es bleibe aber unklar, wer die Hintermänner der Tat seien.
USA – Deals mit Banken: Die Samstags-SZ (Nikolaus Piper) schildert, wie amerikanische Behörden gegen Banken in den USA vorgehen. So wurden für Verfehlungen in der Finanzkrise hohe Strafzahlungen fällig, nun droht angeblich der französischen Bank BNP Paribas wegen Embargoverstößen ein Bußgeld in Höhe von zehn Milliarden Euro. Problematisch sei, dass die Angemessenheit solcher Strafen nie gerichtlich überprüft werde - die Behörden handeln regelmäßig Deals mit den Banken aus. Die Samstags-FAZ (Carsten Knop und andere, Online-Zusammenfassung) hat recherchiert, dass sich die Strafzahlungen für amerikanische und europäische Banken seit 2009 auf mehr als 94 Milliarden Dollar belaufen, auch eine Liste der höchsten Strafen wird im Wirtschaftsteil veröffentlicht.
Sonia Sotomayor in Berlin: Sonia Sotomayor, Richterin am US Supreme Court, hatte im Mai an der Humboldt-Universität Berlin ihre Autobiografie "Meine geliebte Welt" vorgestellt. Die Jurastudentin Alice Bertram berichtet auf verfassungsblog.de ausführlich von der Veranstaltung und erläutert die unterschiedlichen Rollen von Supreme Court-Richtern in den USA und Verfassungsrichtern in Deutschland.
Sonstiges
Edward Snowden: Vor einem Jahr hat Edward Snowden die weltweite Überwachung durch die US-Geheimdienste öffentlich gemacht. Heribert Prantl (Feueilleton der Samstags-SZ) schreibt eine Lobeshymne zum Pfingstwochenende: Snowdens "Outing" sei "eine Art modernes Pfingstwunder", der Kampf gegen Überwachung stehe im "Geist der Aufklärung".
NSA-Spionage und Völkerrecht: Der NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag hat Experten angehört, um zu klären, inwiefern die Spionage der US-Geheimdienste gegen das Völkerrecht verstoßen könnte. zeit.de (Lisa Caspari) berichtet. Demnach ist die Spionage in einem anderen Staat zwar verboten, unklar sei jedoch, wie der Zugriff auf Daten vom Ausland aus bewertet werde.
"Recht auf Vergessenwerden": Die Rechtswissenschaftlerin Anna Schimke befasst sich auf juwiss.de mit der Frage, wie das "Recht auf Vergessenwerden" im europäischen Datenschutzrecht verankert ist. Anlass ist das Google-Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Künftig müsse im Mittelpunkt der Diskussion aber nicht die Verteidigung persönlicher Daten, sondern die Freiheit der Kommunikation stehen.
Urheberrechte im Netz: Die Rechtsanwälte Niklas Haberkamm und Dennis Tölle kritisieren auf lto.de Urheberrechtsverstöße auf der Internetseite Heftig.co, die Beiträge vor allem aus verschiedenen anderen Quellen im Internet zusammen stellt. Die Argumentation der Betreiber, wer Inhalte ins Netz stelle, sei grundsätzlich mit der weiteren Verwendung einverstanden, sei "irrwitzig".
Tattoos im Dienst: lto.de (Pia Lorenz) spricht mit dem Rechtsanwalt Urban Slamal – stark tätowiert und Rechtsvertreter von Tattoo-Studios – über Tattoos im Dienst. Anlass ist die Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Darmstadt, wonach die Polizei eine tätowierte Bewerberin ablehnen durfte. Slamal erklärt, auch bei Ordnungsämtern und im Justizdienst müsse Neutralität gewahrt werden, allerdings genüge es dafür in der Regel, Tattoos mit der Kleidung zu verdecken.
Das Letzte zum Schluss
Schluss mit der Strandgebühr: Hitze am Pfingstwochenende, da lockt der Strand. Der kostet etwa an der niedersächischen Küste allerdings bis zu drei Euro Eintritt. Die Initiative "Freie Strände für freie Bürger" will die Kassenhäuschen am Strandzugang nun abschaffen und klagt unter Berufung auf das Bundesnaturschutzgesetz, meldet spiegel.de. Erholung in der Natur müsse grundsätzlich frei sein. Und dass die Strandgebühr auch bei schlechtem Wetter oder Ebbe fällig werde, sei erst recht nicht einzusehen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ak
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 7. bis 10. Juni 2014: Maas im Interview – Schwarzers Selbstanzeige – Die besten Anwälte . In: Legal Tribune Online, 10.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12213/ (abgerufen am: 18.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag