Schiedsvereinbarungen im Spitzensport sind unbedenklich, die nationalen Gerichte unzuständig, so der BGH. Außerdem in der Presseschau: Streit und Erinnerungslücken im NSU-Prozess – und in den USA könnte ein Papagei als Zeuge aussagen.
Thema des Tages
BGH zu Claudia Pechstein: Streitigkeiten um internationale Sportwettkämpfe werden weiterhin vor dem internationalen Sportschiedsgericht (Court of Arbitration for Sport, CAS) verhandelt und nicht vor den ordentlichen Gerichten – das entschied der Bundesgerichtshof und wies die Klage von Einsschnellläuferin Claudia Pechstein als unzulässig ab. Die Sportlerin war wegen Dopingvorwürfen bei der Weltmeisterschaft 2009 für zwei Jahre gesperrt worden und verlangte deshalb Schadensersatz von der International Skating Union (ISU), die die Sperre verhängt hatte. Vor dem CAS blieb sie mit ihrem Anliegen erfolglos und klagte daraufhin vor den deutschen Gerichten, weil sie die Schiedsvereinbarung für unwirksam hielt: Weil eine Wettkampfteilnahme nur bei Zustimmung zu der Vereinbarung möglich war, sei sie zu dieser gezwungen worden. Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs urteilte nun, dass die ISU mit dem Verlangen einer Schiedsvereinbarung nicht eine marktbeherrschende Stellung missbraucht habe. Auch die Auswahl der Schiedsrichter sei nicht zu beanstanden. Es berichten die FAZ (Christoph Becker), die FR (Ursula Knapp) und swr.de (Klaus Hempel).
Reinhard Müller (FAZ) begrüßt, dass mit dem Urteil die Schiedsgerichtsbarkeit gestärkt wird. Christian Rath (BadZ) hält zwar Verbesserungen am CAS für wünschenswert, nicht aber, dass den Nationalstaaten die internationale Sportgerichtsbarkeit obliegt – dies würde im Chaos enden. Auch Rechtsprofessor Jens Adolphsen hält es auf lto.de für richtig, dass der BGH eine Nationalisierung im globalen Sport verhindert habe. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Johanna Croon-Gestefeld bedauert hingegen auf verfassungsblog.de, dass die Karlsruher Richter die Möglichkeit nicht genutzt hätten, "die ungleichen Machtstrukturen im professionellen Sport einer effektiven und unabhängigen Kontrolle zu unterziehen und die weitreichende Macht der Sportverbände zu begrenzen."
Rechtspolitik
BND-Reform/Anti-Terror-Paket: Auch zeit.de (Kai Biermann) schreibt nun über den "Entwurf eines Gesetzes zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes", den er in Zusammenhang mit dem am 1. Juni vom Bundeskabinett beschlossenen sogenannten Anti-Terror-Paket stellt. Die nach den Enthüllungen durch Edward Snowdon vielfach geforderte verbesserte Kontrolle der Geheimdienste und Beschränkung der Zusammenarbeit mit fremden Diensten werde keineswegs vorgesehen, im Gegenteil seien die Entwürfe "niederschmetternd". Befugnisse würden massiv ausgeweitet, bisher umstrittene Methoden weitreichend erlaubt.
Hasskommentare im Internet: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) beschäftigt sich mit der rechtlichen Zulässigkeit von "Verhaltenskodexen" für Social-Media Anbieter, die diese zu vermehrtem Einschreiten bei hetzerischen Beiträgen bringen sollen. Derartige Vorschläge wurden sowohl jüngst von der EU-Kommission als auch zuvor vom Bundesjustizministerium gemacht. Kritisiert wird, dass damit private Unternehmen zur Rechtsdurchsetzung eingeplant würden und eine weitreichende Macht über die Auswahl von Beiträgen bekämen.
§ 103 StGB: Die Ausschüsse des Bundesrates haben sich für eine Streichung des § 103 Strafgesetzbuch (StGB) ausgesprochen, wonach die "Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten" gesondert unter Strafe gestellt wird. Sie empfohlen dem Plenum, den Gesetzentwurf beim Deutschen Bundestag einzubringen. Hierüber wird am 17. Juni 2016 entschieden werden, meldet lto.de.
Justiz
OLG München – NSU: Im Prozess gegen die mutmaßlichen Terroristen des NSU hat erneut der ehemalige V-Mann Tino Brandt als Zeuge ausgesagt. Diesen hatte die Hauptangeklagten Beate Zschäpe als zentrale Figur der damaligen rechten Szene bezeichnet, er habe "überall seine Finger im Spiel" gehabt. Zu seiner Verstrickung in Waffenkäufe des Trios gab Brandt an, er habe von Waffen nichts gewusst. Ihm sei "momentan nicht erinnerlich", ob er Carsten S. – dem bereits geständigen Beschaffer der Waffen – Geld übergeben habe, berichten spiegel.de (Wiebke Ramm) und zeit.de (Tom Sundermann). Zudem gab es nochmals eine scharfe Auseinandersetzung zwischen Bundesanwalt Diemer und einem Nebenklagevertreter um die Vernehmung des ehemaligen V-Manns Ralf M. alias "Primus".
EuGH zu Inhaftierung bei illegaler Einreise: Gegen einen Migranten, der illegal über eine Binnengrenze des Schengen-Raums in einen EU-Staat eingereist ist, darf allein aus diesem Grund keine Freiheitsstrafe verhängt werden, entschied der Europäische Gerichtshof. Aufgrund der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG müsse eine Rückkehrentscheidung getroffen werden, die die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise beinhalte. Inhaftierungen beeinträchtigten ein wirksames Rückführungsverfahren, sie seien höchstens kurzfristig nach dem Verwaltungsrecht zulässig, schreibt lto.de.
EGMR zu Israelkritik: verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) beschäftigt sich mit einem Streitfall zwischen der jüdischen Organisation CICAD und einem Genfer Professor. CICAD hatte dem Professor wegen Passagen in dessen Buch Antisemitismus vorgeworfen, letzterer hatte gegen diesen Vorwurf geklagt und vor den Schweizer Gerichten gewonnen. Der EGMR schloss sich dem an, weil der Vorwurf des Antisemitismus jeder Faktenlage entbehre. Der Autor kritisiert, dass dies die öffentliche Diskussionsmöglichkeit gefährde.
BFH zu Anwaltsversicherung und Lohnsteuer: Eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts aus Anwälten muss keine Lohnsteuer auf ihre Berufshaftpflichtversicherung abführen, wenn die Anwälte damit zusätzlich zu ihrer eigenen Police versichert sind, entschied der Bundesfinanzhof nach einer Meldung der FAZ (Hendrik Wieduwilt). Dies gilt aber nicht für die Übernahme der Versicherung eines angestellten Anwalts.
BAG zu eigenem Server für Betriebsrat: Mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts, wonach der Betriebsrat keinen Anspruch auf einen separaten Internet- oder Telefonanschluss hat, befasst sich Rechtsanwalt Wolfgang Lipinski in einem Gastbeitrag in der FAZ. Danach rechtfertige die abstrakte Gefahr von missbräuchlichen Kontrollen durch die Firma keinen eigenen Proxy-Server. Betriebsräte könnten aber vom Arbeitgeber andere Maßnahmen verlangen, beispielsweise, die Kontrolle des Telefonanschlusses und des E-Mail-Verkehrs in einer Betriebsvereinbarung auszuschließen.
OLG Sachsen-Anhalt zu Doppelbestrafung: Das Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt hat die Verurteilung eines Mannes aufgehoben, der sich bei einer Kontrolle geweigert hatte, seine Personalien anzugeben, und im Anschluss Widerstand gegen die Verbringung zur Polizeiwache leistete. Da er wegen der verweigerten Personalienangabe bereits einen Bußgeldbescheid erhalten hatte und der Widerstand dieselbe Tat darstelle, dürfe er hierfür nicht erneut bestraft werden. Dies berichtet lawblog.de (Udo Vetter).
AG Düsseldorf zu Lehrerbeleidigung bei Facebook: Das Amtsgericht Düsseldorf hat eine 14-Jährige, die ihren Lehrer bei Facebook beleidigt hatte, zu 20 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Die Angeklagte habe ehrliche Reue gezeigt. Die Verhandlung war nichtöffentlich, dennoch fand sie große mediale Beachtung, das Urteil habe daher generalpräventive Wirkung, schreibt die FAZ (Reiner Burger).
VG Berlin – Ferienwohnungen: Am heutigen Mittwoch verhandelt das Verwaltungsgericht Berlin über die Klagen von vier gewerblichen Vermietern, die sich gegen das Verbot der Nutzung von Wohnungen als Ferienwohnungen wehren. Nach dem sogenannten Zweckentfremdungsverbotsgesetz ist eine derartige Nutzung nur mit Sondergenehmigung möglich, ansonsten drohen Bußgelder. Die Kläger rügen Unverhältnismäßigkeit, so die taz Berlin (Sophie Schmalz).
StA Krefeld – Colonia Dignidad: Die Staatsanwaltschaft Krefeld hat beim Landgericht beantragt, dass die Freiheitsstrafe des ehemaligen Arztes der deutschen Sekte Colonia Dignidad, Hartmut Hopp, in Deutschland vollstreckt wird. Hopp war 2011 in Chile wegen Beihilfe zu sexuellem Missbrauch von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden, hatte sich aber nach Deutschland abgesetzt, von wo aus er als Deutscher nicht ausgeliefert werden darf. spiegel.de berichtet.
StA Chemnitz – Polizei in Clausnitz: Laut Tsp (Matthias Meisner) hat die Staatsanwaltschaft Chemnitz die Ermittlungsverfahren gegen zwei Polizisten eingestellt, die am Einsatz in Clausnitz im Februar beteiligt waren. Zu dem umstrittenen Einsatz war es gekommen, als aufgebrachte Bürger die Ankunft von Bussen an einer Flüchtlingsunterkunft zu blockieren versuchten. Dabei wurde auch die Polizei massiv kritisiert, zu hart gegen Flüchtlinge vorgegangen zu sein.
Recht in der Welt
USA – Sexueller Missbrauch: In den USA sorgt das milde Urteil gegen einen 20-Jährigen für Kritik, der wegen der Vergewaltigung einer bewusstlosen jungen Frau zu sechs Monaten Haft verurteilt wurde. Eine längere Strafe könne negative Folgen haben, so der Richter. Die Betroffene leidet seit der Tat an Depressionen und musste ihren Job aufgeben, berichtet die SZ (Christina Waechter).
Israel – Tötung durch Soldaten: Die taz (Susanne Knaul) berichtet vom Prozess gegen einen israelischen Soldaten, der einen bewusstlosen Palästinenser mit Kopfschüssen hingerichtet haben soll. Videoaufnahmen von der Tat haben dem Fall eine große Aufmerksamkeit verschafft und eine heftige Debatte über die Methode der Sicherheitsdienste ausgelöst. Es ist seit zwölf Jahren der erste Prozess wegen Totschlags im Dienst gegen einen Soldaten.
Türkei – Abgeordnetenimmunität: Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat eine Verfassungsänderung unterzeichnet, mit der die Immunität von 138 Abgeordneten aufgehoben wird. Fast alle Betroffenen gehören der kurdischen Partei HDP an. Sie könnten nun etwa wegen Meinungsäußerungen verurteilt werden, schreibt spiegel.de.
Sonstiges
Fischer und Schulden: In seiner aktuellen Kolumne auf zeit.de holt Bundesrichter Thomas Fischer zum Rundumschlag gegen die Bestrebungen zur Verschärfung des Sexualstrafrechts aus. Derartiges sei nicht notwendig und die geltende Rechtslage stehe nicht im Widerspruch zur Istanbul-Konvention. Im Anschluss beschäftigt er sich in Fortsetzung der letzten Kolumne mit verschiedenen Vermögensstraftaten.
Das Letzte zum Schluss
Papagai als Belastungszeuge? Im US-Staat Michigan drängen die Eltern eines Mordopfers darauf, dass ein Afrikanischer Graupapagei namens Bud als Zeuge vernommen wird. Dieser könne den letzten Streit zwischen dem Getöteten und seiner unter Mordverdacht stehenden Ehefrau wiedergeben, wie auf einer Audioaufnahme zu hören sei – und die letzten Worte des Toten bewiesen die Schuld der Verdächtigen. Der zuständige Staatsanwalt zeigt sich etwas ratlos bezüglich dieses Anliegens. Es gebe keine Präzedenzfälle für Derartiges, und zudem grämt ihn die Frage, wie ein Vogel die Hand zum Zeugenschwur heben könnte, berichtet die Welt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lil
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 8. Juni 2016: Pechstein verliert beim BGH / Trubel im NSU-Prozess / Papagei als Zeuge . In: Legal Tribune Online, 08.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19567/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag