Ex-Verfassungsrichter di Fabio und andere diskutieren den britischen EU-Ausstieg. Außerdem in der Presseschau: Die Nebenklagevertreter im NSU-Prozess stellen Fragen an Zschäpe und Messi wird in Spanien verurteilt.
Thema des Tages
Brexit und Recht: Die FAZ widmet der juristischen Diskussion um den Brexit ihre Seite "Staat und Recht". Ex-Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio schreibt in einem Gastbeitrag über Europa, Demokratie und Völkerrecht nach dem Referendum. Die Union müsse sich in den nun anstehenden Verhandlungen kooperativ verhalten. Außerdem müssten die "Migrationskrise" und die wirtschafts- und finanzpolitischen Strukturprobleme der EU gelöst werden, soziale Sicherungssysteme der Staaten sollten nicht vergemeinschaftet werden. Dann könnten sich die Briten vielleicht noch zu einem Verbleib in der Union durchringen.
In einem weiteren FAZ-Gastbeitrag erläutert der emeritierte Staatsrechtslehrer Hans-Peter Schneider das britische Prinzip der Parlamentssouveränität. Ein Referendum sei dementsprechend rechtlich unverbindlich und ein Parlamentsgesetz könne auch eine Wiederholung beschließen, jedenfalls müsse das Parlament die Beitrittsgesetze per Gesetz widerrufen oder ein Austrittsgesetz mit den Austrittsbedingungen beschließen. Hierüber dürfte eine nochmalige Abstimmung kaum zu vermeiden sein. Ex-Rechtsprofessor Rupert Scholz plädiert ebenfalls in der FAZ für den raschen Abschluss eines Assoziierungsabkommens der EU mit Großbritannien. Die Assoziierung sei bisher zwar in der Regel als Vorstufe für einen späteren Beitritt verstanden worden, sie könne jedoch auch als Rückbaustufe dienen. Geregelt werden sollten in einem entsprechenden Vertrag vor allem Freihandel und Freizügigkeit.
Die Anwältin Imke Schneider empfiehlt auf lto.de in Deutschland lebenden Briten, sie sollten möglichst bald ihre Einbürgerung beantragen. Bei der doppelten Staatsbürgerschaft seien sie nur als EU-Bürger sicher privilegiert. Auf dem Verfassungsblog prognostiziert der wissenschaftliche Mitarbeiter Donal Coffey in englischer Sprache, dass der EuGH aufgrund der Vorlage durch britische Gerichte auch über die Auslegung von Art. 50 EUV und damit über das Austrittsverfahren entscheiden werde.
Rechtspolitik
Bundesfernstraßengesellschaft: Die taz (Kai Schlieter) berichtet anlässlich der Veröffentlichung eines verfassungsrechtlichen Gutachtens des Rechtsprofessors Christoph Möllers ausführlich über einen bisher kaum wahrgenommenen Plan der Bundesregierung, eine Bundesfernstraßengesellschaft zu gründen. Dazu wäre eine Änderung von Art. 90 GG erforderlich, welcher den Ländern bisher die Auftragsverwaltung der Bundesfernstraßen zuweist. Die neue Bundesbehörde, an deren Konzeption das Wirtschafts-, Verkehrs- und Finanzministerium beteiligt sind, soll laut dem Gutachten vor allem eine Umgehung der grundgesetzlichen Schuldenbremse ermöglichen. Diese Umgehung würde durch eine weitgehende Privatisierung der Bundesfernstraßen in Form öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPPs) möglich.
Sexualstrafrecht: Im Feuilleton der Welt stellt Hannah Lühmann die Argumente von Befürwortern und Gegnern der geplanten Reform des Sexualstrafrechts gegenüber, die am heutigen Donnerstag verabschiedet werden soll. Sie kritisiert auf der einen Seite die vermeintlich psychoanalytische Abgeklärtheit der Gegner des "Nein-heißt-Nein"-Prinzips, befürchtet aber auch, dass es den Befürwortern gerade um eine Verrechtlichung des Intimen geht. Im Feuilleton der SZ meint Susan Vahabzadeh, dass nach der Debatte zwar vieles unklar bleibe, aber jedenfalls die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit der sexuellen Selbstbestimmung klar geworden sei. Letztlich könne dies zu einem besseren Rechtsempfinden beitragen. Zudem entgegnet in der Zeit Renate Künast auf einen Beitrag von Sabine Rückert. Sie verteidigt die Reform als selbstverständliche Normierung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts der Frau.
Integrationsgesetz: Die taz (Anna Lehmann) berichtet über die für den heutigen Donnerstag geplante Verabschiedung des neuen Integrationsgesetzes im Bundestag. Kritik komme dabei nicht nur von der Opposition, sondern auch von Kirchen, Verbänden und Gewerkschaften. Vor allem die Einteilung in Flüchtlinge mit guter und schlechter Bleibeperspektive konterkariere den Anspruch des neuen Gesetzes, die Integration zu erleichtern. Denn nur Flüchtlingen aus einigen, als unsicher eingestuften Herkunftsländern würde die Arbeits- und Ausbildungssuche erleichtert.
CETA-Abkommen: Die SZ (Michael Bauchmüller) berichtet, dass für eine Verabschiedung des kanadisch-europäischen Freihandelsabkommens CETA in Bundestag und Bundesrat wegen des Widerstands der Grünen keine klaren Mehrheiten bestehen. Dabei wird auch die Frage aufgeworfen, ob die Regierung das Abkommen als Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 GG oder als völkerrechtlichen Vertrag im Sinne des Art. 59 GG einstufen wird. Die SZ (Alexander Mühlauer) beschreibt zudem wie die Ratifizierung von CETA nach Auffassung der Kommission verlaufen soll. Der Ministerrat solle im Oktober dem Vertrag zustimmen. Er solle vollständig für vorläufig anwendbar erklärt werden, da er "EU-only" sei - auch wenn er aus politischen Gründen nun als gemischtes Abkommen eingestuft wurde. Das Europäische Parlament soll dem Vertrag im Februar 2017 zustimmen. Auf nationaler Ebene gehe man dagegen davon aus, dass fünf bis zehn Prozent des Abkommens in die nationale Zuständigkeit fallen.
BVerfG-Wahl: Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) porträtiert die Juristin Christine Langenfeld, die auf Vorschlag der CDU am morgigen Freitag zur Richterin am Bundesverfassungsgericht gewählt werden soll. Die Kandidatin sei auch für die Grünen wählbar, die im Bundesrat eine gewichtige Rolle spielen. Die FAZ (Reinhard Müller) analysiert, dass die Grünen mehr sein wollen als das Zünglein an der Waage. Sie wollen bei der nächsten Nominierung mehr Mitspracherecht einfordern.
Justiz
OLG München - NSU-Prozess: spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet, dass im NSU-Prozess die Befragung von Beate Zschäpe durch die Nebenkläger begonnen habe. Die zahlreichen Nebenkläger stellten über mehrere Stunden ihre Fragen an die Angeklagte. Zschäpe hatte aber Ende Dezember 2015 angekündigt, ausschließlich Fragen des Gerichts beantworten zu wollen. Nunmehr erklärte ihr Wahlverteidiger Borchert, dass sie Fragen beantworten würde, die das Gericht sich zu eigen mache. Die SZ (Annette Rammelsberger) berichtet, dass die Nebenkläger Zschäpe auch mit Hinweisen auf ihre Beteiligung an Anschlägen konfrontieren, die nicht Gegenstand des laufenden Verfahrens sind.
OLG München - Mordprozess: spiegel.de (Gisela Friedrichsen) berichtet von einem Prozess um einen versuchten Mord beim Oktoberfest, der vor dem OLG München verhandelt wird. Dort ließ die Staatsanwältin kurzerhand einen Zeugen in Handschellen abführen, weil sie dessen Angaben für widersprüchlich hielt. Die Verteidigung kritisierte das Verhalten als "Versuch von Beugehaft".
Thüringer VerfGH zu Versammlungsfreiheit: Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat den Justizminister des Landes Dieter Lauinger (Grüne) verpflichtet, eine Stellungnahme zurückzuziehen, in der er vor der Teilnahme an einer AfD-Demo warnte. Damit habe er gegen die Versammlungsfreiheit und gegen das Recht der Parteien auf Chancengleichheit verstoßen, wie der Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet.
StA Berlin – Netzpolitikaffäre: Wie spiegel.de und netzpolitik.org (Andre Meister) berichten, hat die Staatsanwaltschaft Berlin in der Netzpolitik-Affäre bereits im März das letzte noch laufende Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen Verrats von Dienstgeheimnissen eingestellt. Im letzten Sommer hatte der Generalbundesanwalt gegen die Betreiber des Portals "netzpolitik.org" nach der Veröffentlichung vertraulicher Dokumente des Bundesamtes für Verfassungsschutz wegen Verdachts auf Landesverrat ermittelt.
OLG Hamm zu islamischem Eherecht: Wie lto.de berichtet, hat das OLG Hamm entschieden, dass auch wenn ein Ehevertrag nach sunnitisch-islamischen Recht geschlossen wurde die Scheidung nach deutschem Recht zu beurteilen sein kann. Entscheidend sei der kollisionsrechtliche ordre-public Vorbehalt. Nach dem ursprünglichen Ehevertrag war die Frau nicht zur Verstoßung (talaq) berechtigt. Aus diesem Grund hatte der Mann die Zahlung einer dem Unterhalt entsprechenden "Abendgabe" verweigert, als sie die Scheidung einreichte. Dazu wäre er bei einer eigenen Verstoßung verpflichtet gewesen. Nun muss der Mann doch zahlen, weil die Abendgabe dem deutschen Unterhalt entspricht, nicht aber das ausschließliche Scheidungsrecht des Mannes.
Recht in der Welt
Frankreich - Ruanda-Völkermord: Wegen ihrer Beteiligung am Völkermord der Hutu an den Tutsi in Ruanda 1994 wurden am gestrigen Mittwoch die ehemaligen Bürgermeister der Stadt Kabarondo, Octavien Ngenzi und Tito Barahira, verurteilt. Ein Pariser Geschworenengericht erkannten sie jeweils des Völkermords und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig. Barahira wurde verurteilt, weil er das Morden in der Stadt überwacht habe. Ngenzi solle selbst etliche Tutsi zum Ort des Massakers in Kabarondo gebracht haben. Darüber berichtet spiegel.de (Christoph Titz).
Spanien - Messis Steuerhinterziehung: Ein spanisches Gericht hat den Fußballstar Lionel Messi und seinen Vater wegen Steuerhinterziehung zu Gefängnisstrafen von je 21 Monaten und Geldbußen von insgesamt 3,7 Millionen Euro verurteilt, wie unter anderem die SZ (Peter Burghardt) und die FAZ (Hans-Günther Kellner) berichten. spiegel.de meldete allerdings, dass Messi bereits angekündigt hat, in Berufung zu gehen.
Südafrika - Pistorius: Im Fall Pistorius hat das Gericht nun entschieden, dass die gegen ihn verhängte sechsjährige Haftstrafe doch nicht wegen guter Führung in Hausarrest umgewandelt wird. Darüber berichtet unter anderem zeit.de.
Sonstiges
Kriminalität von Migranten: Wie focus.de und die Welt (Kristian Frigelj) berichten, wurde ein Gutachten des Münsteraner Kriminologen Christian Wahlburg vorgestellt, nach dem kein einfacher Zusammenhang zwischen der gestiegenen Einwanderung nach Deutschland und einer Steigerung der Kriminalitätsrate besteht. Dabei kritisiert der Autor des Gutachtens insgesamt die Aussagekraft der Kriminalstatistik.
Das Letzte zum Schluss
Kiffer ruft die Polizei: Als sein Vater wegen eines Familienstreites die Cannabispflanzen eines jungen Australiers verbrannte, rief dieser kurzerhand die Polizei, meldet die SZ. Ihm sei zwar klar gewesen, dass er den Stoff nicht anbauen dürfe, aber die Vernichtung sei ihm als größeres Unrecht erschienen. Die Polizei teilte dieses Judiz zwar nicht, konnte aber auch nichts mehr gegen den Pflanzenfreund unternehmen, da die Beweismittel bereits verbrannt waren.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/jb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 7. Juli 2016: Brexit und Recht / Nebenkläger befragen Zschäpe / Messi-Urteil wegen Steuerhinterziehung . In: Legal Tribune Online, 07.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19914/ (abgerufen am: 14.05.2024 )
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