Von wegen Reformstau – der geplante Tätigkeitswechsel von Ronald Pofalla belebt die Debatte über Karenzzeiten für Politiker. Außerdem in der Presseschau: Koalitionskrach über Vorratsdatenspeicherung, Bürgerrechte in der SPD, Hamburger Gefahrengebiet, gewerbsmäßige Sterbehilfe, Anzeigensteller Carl Christian Müller und ein dringendes Bedürfnis.
Thema des Tages
Karenzzeit: Der geplante Wechsel Ronald Pofallas (CDU) aus dem Kanzleramt in den Vorstand der Deutschen Bahn bringt Bewegung in die Debatte über Karenzzeiten für Politiker, die aus Ämtern in die freie Wirtschaft wechseln. So signalisierten CDU-Politiker ein Einverständnis mit einer 18-monatigen "Abkühlungsphase", schreibt zeit.de (Michael Schlieben) in einem Beitrag, der "Reformmotor Pofalla" überschrieben ist und verschiedene Modelle diskutiert. Das Handelsblatt (Klaus Stratmann) zitiert Eva Högl (SPD), stellvertretende Fraktionsvorsitzende ihrer Partei, mit dem Vorschlag von Selbstverpflichtungserklärungen. Diese ermöglichten nach Rang und Sachgebieten abgestufte Sperrzeiten für Tätigkeitswechsel und liefen auch nicht Gefahr, grundrechtswidrig zu sein.
Ein Interview zum Thema mit Rechtsprofessor Michael Kubiciel bringt lto.de (Claudia Kornmeier). Der Strafrechtler hält Interessenkonflikte für systemimmanent, befürwortet aber eine Abkühlungsphase. Er äußert sich zudem über Karenzzeiten für Berufsbeamte, die für Bundestagsabgeordnete neue Pflicht zur Offenlegung von Nebentätigkeiten, die strafrechtliche Relevanz des Wechsels von Pofalla und schlägt die Einrichtung einer Enquête-Kommission vor, die Verhaltensregeln für derartige Wechsel aufstellen könnte.
Auf einen weiteren Aspekt der Personalie Pofalla macht die taz (Anja Maier) in ihrem Bericht aufmerksam. Die Zeitung zitiert die Parteivorsitzenden Katja Kipping (Linke) mit ihrer Bewunderung für die an den Tag gelegte "gleichstellungspolitische Blindheit." Im Vorstand der Bahn säßen bislang fünf Männer und eine Frau, die Bundesregierung hätte sich demnach bei der Neubesetzung entsprechend der im Koalitionsvertrag erklärten Absicht um eine Erhöhung des Anteils weiblicher Führungskräfte bemühen sollen.
Rechtspolitik
Koalitionsstreit: Die Welt (M. Bewarder/S. von Borstel/T. Vitzthum) dokumentiert die aktuellen und potentiellen Streitpunkte in der großen Koalition. Neben der Vorratsdatenspeicherung werden die Themen Zuwanderung, Mindestlohn und Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes genannt.
Vorratsdatenspeicherung: Die Ankündigung des Justizministers Heiko Maas (SPD), die gesetzliche Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs "auf Eis" legen zu wollen, unterzieht die taz (Christian Rath) einer kritischen Würdigung. Der Artikel zeichnet hierzu den Inhalt der europäischen Richtlinie, den Verfahrensstand der den Luxemburger Richtern vorgelegten Frage ihrer Vereinbarkeit mit EU-Grundrechten und die inhaltlich "völlig oberflächliche" Kritik des Generalanwalts Pedro Cruz Villalón nach. Im Leitartikel des Blattes erinnert Christian Rath (taz) daran, dass die SPD ernsthaften Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung in den Koalitionsverhandlungen hat vermissen lassen. Es sei abzusehen, dass der Europäische Gerichtshof "nur marginale Änderungen" der betreffenden Richtlinie verlangen wird, wegen strengerer deutscher Standards wäre die anstehende Entscheidung also ohne große Relevanz für die Bundesrepublik. Immerhin habe sich Maas als "Blockademinister" profiliert.
Bürgerrechte: In einem Kommentar stellt Heribert Prantl (SZ) das Wirken des Hamburger Innensenators Michael Neumann (SPD) dem des Bundesjustizministers gegenüber. Während Neumann das Polizeirecht seines Landes in einer Weise "auslegen und ausführen" lasse, die "in Deutschland seinesgleichen" suche und sich dabei auf ein Polizeigesetz stütze, für dessen Verfassungsmäßigkeit "wenig" spreche, wolle Maas seiner Partei "offenbar wieder das Buchstabieren des Wortes "Bürgerrechte" beibringen." Es sei zu hoffen, dass ihn der Europäische Gerichtshof hierbei unterstützt.
Gefahrengebiet: Die Hamburger Polizei hat als Reaktion auf die jüngsten Krawalle in der Hansestadt große Teile der Innenstadt auf unbestimmte Zeit zu Gefahrengebieten erklärt. In den betreffenden Gebieten mit insgesamt mehr als 50.000 Einwohnern sind nunmehr verdachtsunabhängige Kontrollen möglich, schreibt zeit.de (Kersten Augustin). Als Rechtsgrundlage der Maßnahme diene die 2005 erfolgte Änderung des Polizeigesetzes des Landes, Kritiker bemängelten gravierende Eingriffe in "mehrere Grundrechte."
Finanzierung der Kommunen: Mit der "Wirklichkeit der Städte" befasst sich Jasper von Altenbockum (FAZ) im Leitartikel der Zeitung. Städte, Gemeinden und Landkreise trügen die laufenden, "wirklichen" Kosten so gut wie aller von Bund und Ländern beschlossener Sozialleistungen. Weil die Gesetzgeber sie aber nicht in die Lage versetzten, diesen "Aufgaben langfristig gerecht zu werden", müsse der "Streit um die Anerkennung kommunaler Realitäten" vor den Verwaltungs- und Verfassungsgerichten ausgetragen werden.
Sozialleistungen für EU-Bürger: Auch die FAZ (Helene Bubrowski/Corinna Budras) bringt nun einen "Wegweiser" zu den Ansprüchen auf Sozialleistungen für EU-Ausländer.
Suizidhilfe: Unter Berufung auf ein Gespräch mit der Rheinischen Post berichtet die FAZ (Andreas Mihm) über einen Vorstoß des neuen Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe (CDU) zum Verbot geschäftsmäßiger Suizidhilfe. Zwar beweise die Straffreiheit der Selbsttötung, "dass es menschliche Dramen gebe, vor denen das Strafrecht zu Recht schweige", mit "den Ängsten der Menschen vor dem Sterben ein Geschäft" machen zu wollen, sei aber verwerflich und damit strafwürdig. Die taz (Heike Haarhoff/Christian Rath) zeichnet in ihrem Bericht den erfolglosen Versuch der letzten Regierung zu einer gesetzlichen Regelung nach und konstatiert im Bezug auf die "dürren" Worte im jetzigen Koalitionsvertrag: "Das politische Konfliktpotential ethisch umstrittener Gewissensfragen bemisst sich häufig im Ausmaß der Ignoranz, mit der dem Thema begegnet wird." Die Welt (Claudia Kade) schreibt dagegen von Überlegungen in den Koalitionsparteien, bei einer etwaigen Bundestagsabstimmung den Fraktionszwang aufzuheben.
Textform: Ulrich Noack (Handelsblatt-Rechtsboard) erläutert den ab Juni geltenden § 126b des Bürgerlichen Gesetzbuches zur Textform einer Willenserklärung unter der Maßgabe einer formgerechten Stimmrechtsvertretung für die Hauptversammlungssaison 2014. In Umsetzung der EU-Verbraucherrechterichtlinie werde es nach Inkrafttreten der Neuregelung auf die Speicherform beim Empfänger und nicht auf die Übermittlungstechnik ankommen.
Justiz
BVerfG – Industriekraftwerk: Nun berichten auch FAZ (Joachim Jahn) und taz (Ingo Arzt) über die Verfassungsbeschwerde des Betreibers eines Industriekraftwerks gegen eine vor einem Jahr erfolgte Neuregelung des Energiewirtschaftsgesetzes. Der Verfassungsblog (Maximilian Steinbeis) interviewt Rechtsprofessor Bernd Holznagel zum Thema. Der Verfassungsrechtler erinnert an die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, hält eine Entschädigung aus Billigkeitsgründen für eher unwahrscheinlich und erwartet ein Grundsatzurteil des Karlsruher Gerichts.
OVG Münster – Kohlekraftwerk: Nach einer Meldung der FAZ (Reiner Burger) hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland beim Oberverwaltungsgericht Münster zwei Klagen gegen Teilgenehmigungen für ein Kohlekraftwerk in Lünen eingereicht. Eine Klage gegen die ursprünglich 2008 erteilte Genehmigung war bereits erfolgreich.
ArbG Berlin – EKD: Wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hat das Arbeitsgericht Berlin eine Einrichtung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt. Die in einer Stellenausschreibung verlangte Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche sei nach Ansicht des Gerichts nur dann nicht zu beanstanden, wenn es sich um "wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderungen" handele, meldet die FAZ. Bei der ausgeschriebenen Referentenstelle sei dies nicht der Fall gewesen. Auch lto.de berichtet.
StA Bremen – Henning Scherf: Gegen den früheren Bremer Regierungschef Henning Scherf (SPD) ist ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer falschen uneidlichen Aussage eingeleitet worden, berichtet die taz-Nord (Jean-Philipp Baeck). Scherf steht im Verdacht, bewusst unwahre Angaben zum Grund seines verspäteten Erscheinens im sogenannten Brechmittelprozess gemacht zu haben.
Redtube-Anzeige: Die FAZ (Fridtjof Küchemann) interviewt in ihrem Medien-Teil den Berliner Anwalt Carl Christian Müller zu der von ihm erstatteten Strafanzeige gegen den als Absender der Redtube-Abmahnungen bekannt gewordenen Kollegen Thomas Urmann. In dem ausführlichen Gespräch äußert sich Müller zu seinem Berufsverständnis, dem Verfahrensgang bei einer Anzeigenerstattung, seiner Rechtsauffassung zu den Redtube-Abmahnungen und seiner Meinung zum neuen Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken.
Recht in der Welt
Rumänien – Korruption: Die FAZ (Karl-Peter Schwarz) meldet, dass der Oberste Gerichtshof Rumäniens den früheren Ministerpräsidenten des Landes wegen Korruption und Erpressung zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt hat. Während seiner Amtszeit habe Adrian Nastase Bestechungsgelder eines Konsuls entgegengenommen und ihn dafür im Amt belassen.
USA – Homo-Ehe: Der Oberste Gerichtshof des US-Bundesstaates Utah hat den Vollzug eines bundesrichterlichen Urteils gegen ein Verbot der Homo-Ehe im Staat ausgesetzt, meldet die FAZ (Andreas Ross). Im zu erwartenden Instanzenzug sei es nun möglich, dass sich der Oberste Gerichtshof der USA mit der Frage beschäftigen muss, ob die US-amerikanische Verfassung Homosexuellen ein Recht auf Eheschließung gewährt.
Afghanistan – Haftentlassungen: Eine von der afghanischen Regierung eingesetzte Kommission hat sich dafür ausgesprochen, knapp 100 Häftlinge eines im März des vergangenen Jahres vom US-amerikanischen Militär übernommenen Gefängnisses freizulassen, da die gegen die Betroffenen vorliegenden Beweise nicht für eine weitere Inhaftierung ausreichten. Die meisten der Häftlinge seien vom amerikanischen Militär aufgegriffen und bislang ohne Gerichtsverfahren festgehalten worden, schreibt die FAZ (Friederike Böge).
Sonstiges
Irrtum: Ein Rechtsquiz "Rund um den Irrtum" veröffentlicht lto.de.
Geschäftsklima: Das Handelsblatt (Catrin Gesellensetter/Axel Schrinner) stellt das vom Ifo-Institut berechnete Geschäftsklima für Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte und Steuerberater vor. Eine steigende Konjunktur begünstige die gegenwärtige Auftragslage ebenso wie die sich auf Rekordniveau bewegende Anzahl von steuerrechtlichen Selbstanzeigen.
Das Letzte zum Schluss
Körperpflege: Über ungebetenen Besuch zweier Krankenhaus-Patienten in Cham berichtet die FAZ. Ein Unbekannter stiefelte am Sonntagmittag wortlos an den Kranken vorbei ins Badezimmer, duschte ausgiebig und rasierte sich. Beim Verlassen wurde er dann festgehalten und der Polizei übergeben. Der erklärte der 50-Jährige seine Aktion folgendermaßen: Vor einigen Tagen sei er daheim hinausgeworfen worden und habe nun "bereits zu stinken angefangen." Ermittlungen wegen Hausfriedensbruch wurden eingeleitet.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 7. Januar 2014: Karenzzeit für Ex-Politiker – Vorratsdatenspeicherung auf Eis – Gefahrengebiet Hamburg . In: Legal Tribune Online, 07.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10570/ (abgerufen am: 16.05.2024 )
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