Der Bundestag steht vor der Abstimmung zur Gesetzesregelung der Suizidhilfe. Außerdem in der Presseschau: StA erhebt Anklage wegen Waffenverkäufen nach Mexiko, Kurt Graulich im NSA-Ausschuss und eine Superheldin abseits des Tennisplatzes.
Thema des Tages
Suizidhilfe: Der Bundestag entscheidet am heutigen Freitag über eine gesetzliche Regelung zur Suizidhilfe. Ausführliche Darstellungen zu den vertretenen Positionen bringen unter anderem der Tsp (Rainer Woratschka/Jost Müller-Neuhof) und die FAZ (Heike Schmoll). Auch lto.de (Pia Lorenz) gibt einen ausführlichen Überblick. Unter Verweis auf eine von der früheren Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) vertretene Auffassung fragt der Beitrag zudem, ob der hochsensiblen Thematik nicht besser durch einen Verzicht auf eine gesetzliche Regelung gedient wäre. In weiteren Beiträgen befragt lto.de (Pia Lorenz) Rechtsprofessor Christian Hillgruber und Rechtsanwalt Wolfgang Putz zu den von ihnen vertretenen Ansichten.
In ihrem Kommentar befürchtet Heike Haarhoff (taz), dass sich der maßgeblich von Kerstin Griese (SPD) vorangetriebene Entwurf, nach dem jede Suizidbeihilfe strafbar sein soll, sobald sie auf Wiederholung ist, durchsetzen wird. Dies wäre nicht nur "eine Kapitulation vor der Mündigkeit aufgeklärter Menschen", sondern auch ein "Wertangriff auf den säkular-pluralistischen Staat". Die individuelle Entscheidung für einen Suizid dürfe nicht vom Staat bewertet werden. Zu diesem Zweck sei es vorzuziehen, beim rechtlichen Status Quo zu verbleiben. In einem ausführlichen Gastbeitrag für das Feuilleton der FAZ legt dagegen Oliver Tolmein dar, dass eine Liberalisierung des geltenden Rechts analog zu vergleichbaren Regelungen in den Niederlanden und Belgien konsequenterweise auch das Recht beinhalten müsse, "sich vom Arzt töten zu lassen". Die dortigen Voraussetzungen würden neben einer erhöhten staatlichen Entscheidungskompetenz im Ergebnis auch eine Relativierung des Lebensschutzes und damit die Aufgabe eines Prinzips der deutschen Rechtsordnung mit sich bringen.
Rechtspolitik
Flüchtlinge: Die Regierungskoalition hat sich auf die Einrichtung von drei bis fünf speziellen Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge mit geringer Bleibeperspektive verständigt. Wie unter anderem die SZ (Christoph Hickmann/Robert Roßmann) berichtet, sollen in den Registrierzentren beschleunigte Asylverfahren durchgeführt werden. Die Bewerber würden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Anspruch nehmen können und während der Prüfung einer verschärften Residenzpflicht unterworfen sein.
Informationsfreiheit: Der Rechtsstudent Lukas Müller (verfassungsblog.de) untersucht die im Juli vom Europäischen Parlament erlassene Verordnung zum Telekommunikationsmarkt unter der verfassungsrechtlichen Maßgabe der staatlichen Gewährleistung der Informationsfreiheit im Internet.
Elektronischer Rechtsverkehr: Spätestens ab dem Jahr 2022 wird die elektronische Kommunikation von Anwälten mit Gerichten obligatorisch sein. In einer gemeinsamen Erklärung kritisieren der Deutsche Anwaltverein und der Deutsche Richterbund den aktuellen Stand der diesbezüglichen Vorbereitungen. Wie lto.de (Pia Lorenz) schreibt, fordern die Verbände zudem, dass zum genannten Stichtag auch der elektronische Kommunikationsweg in der entgegengesetzten Richtung sichergestellt sei.
Prostitution: Die Stellungnahmen von Ländern und Verbänden zu dem von der Regierung geplanten Prostitutionsschutzgesetz melden erhebliche Bedenken an. Der thüringische Datenschutzbeauftragte etwa bemängele die Masse von Daten, die zu den Prostituierten erfasst werden sollen, schreibt die SZ (Constanze von Bullion). Nordrhein-Westfalen dagegen melde verfassungsrechtliche Bedenken an. Die vorgesehene Anmeldepflicht verletze die Berufsfreiheit.
Antiterrorgesetz: Das nach den Anschlägen vom 11.September eingeführte Terrorismus-Bekämpfungsgesetz ist vom Bundestag zum dritten Mal verlängert worden. Eine von Rechtsprofessor Jan Ziekow verantwortete Evaluation zur Anwendung der im Gesetz vorgesehenen Auskunftsbefugnisse für Geheimdienste habe keine "flächenhaften Auskunftsverlangen" ergeben. Es berichtet die taz (Christian Rath).
Insolvenzanfechtung: Dieter Fockenbrock (Handelsblatt) führt im Leitartikel der Zeitung die aktuell von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) betriebene Reform der Insolvenzanfechtung, dem "Kern des Insolvenzrechts", auf "verantwortungslose Geschäftemacher" etwa bei Teldafax, "aber auch in der Anwaltschaft" zurück. Die gegenwärtig in der Kritik stehende Bestimmung, nach der Insolvenzverwalter Leistungen zahlungsunfähiger Unternehmen auch noch nach Jahren zurückfordern können, bestünde schon seit 1999, "die Aufregung darüber tobt aber erst seit ein paar Jahren". Die angedachte Verkürzung der Fristen für Anfechtungen sei zwar "logisch", begünstige aber auch einflussreiche Gläubiger.
Justiz
BVerfG – TTIP: Von hunderten gegen die geplanten Freihandelsabkommen TTIP und Ceta beim Bundesverfassungsgericht eingelegten Verfassungsbeschwerden sei nur mehr eine immer noch anhängig, schreibt die FAZ (Helene Bubrowski). Auch dieser dürfte nach Einschätzung der Autorin kein Erfolg beschieden sein, denn die immer noch im Verhandlungsstadium befindlichen Abkommen verstießen weder gegen Grundrechte noch sonstige verfassungsrechtliche Prinzipien, wie anhand von Beispielen belegt wird.
BGH zu Persönlichkeitsrechten: Auch die FAZ (Mechthild Küpper) berichtet nun zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die weitere Verbreitung des Buches "Hexenjagd. Mein Schuldienst in Berlin" von Ursula Sarrazin wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten einer im Text namentlich erwähnten Schülerin zu untersagen.
OLG München – NSU: Eine Dokumentation von spiegel.de (Bertolt Hunger u.a.) hat die Kontaktlisten beschlagnahmter Mobiltelefone des im NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht München mitangeklagten Andre E. ausgewertet. Aus den Listen würden sich zahlreiche Kontakte zu Rechtsextremen und anderen mutmaßlichen Kriminellen ergeben. E. gilt als maßgeblicher Unterstützer des untergetauchten Trios.
LG Stuttgart – Heckler & Koch: Nach mehr als fünfjährigen Ermittlungen hat die Stuttgarter Staatsanwaltschaft am Landgericht Stuttgart nun eine Anklage gegen sechs aktuelle und ehemalige Mitarbeiter des Waffenherstellers Heckler & Koch eingereicht. Den Angeschuldigten werden Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz durch Verkäufe des Sturmgewehrs G36 nach Mexiko vorgeworfen, schreibt die SZ (Max Hägler/Josef Kelnberger).
Wolf-Dieter Vogel (taz) kritisiert in seinem Kommentar die Dauer der Ermittlungen. Zudem stehe zu befürchten, dass die Anklagebehörde die Sache ohne die begleitende "journalistische Offensive" im Sande hätte verlaufen lassen.
LG Berlin – Zalando: Vor dem Landgericht Berlin wird demnächst eine Unterlassungsklage der Wettbewerbszentrale gegen den Online-Modehändler Zalando verhandelt. Wie die SZ (Michael Kläsgen) schreibt, hatte sich Zalando geweigert, eine geforderte Unterlassungserklärung wegen angeblich irreführender Werbung zu unterzeichnen. Die beanstandete Werbung sei aber nach einer Abmahnung geändert worden.
LG Berlin zu Jürgen Trittin: Der frühere Grünen-Vorsitzende Jürgen Trittin hat nach Bericht von zeit.de (Christian Bangel) vor dem Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung gegen die stellvertretenden AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland und Albrecht Glaser erwirkt. Beide müssen in einer Gegendarstellung klarstellen, dass Trittin den Satz "Deutschland verschwindet mit jedem Tag immer mehr, und das finde ich einfach großartig" tatsächlich nicht geäußert hat.
LG Frankfurt – S&K: Das Strafverfahren gegen sechs Angeklagte der S&K Immobiliengruppe, denen die Schädigung von Anlegern durch ein Schneeballsystem vorgeworfen wird, wurde vor dem Landgericht Frankfurt/M. mit der Verlesung der Anklageschrift fortgesetzt. Von deren 3.200 Seiten sollen 1.700 Seiten tatsächlich verlesen werden, schreibt die SZ (Markus Zydra).
LG Hamburg – Kindesmisshandlung: Über den Prozessauftakt im Verfahren zu einer Kindesmisshandlung vor dem Landgericht Hamburg berichtet spiegel.de (Julia Jüttner). Der angeklagte Vater habe in einer von seinem Verteidiger verlesenen Erklärung Schläge gegen seinen zur Tatzeit drei Monate alten Sohn eingeräumt, zugleich aber alkoholbedingte Erinnerungslücken geltend gemacht. Das Kind ist seit der Tat schwerstbehindert.
LG Stuttgart – Wendelin Wiedeking: Im Verfahren gegen den ehemaligen Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und seinen Finanzvorstand Holger Härter wegen vermeintlicher Marktmanipulationen vor dem Landgericht Stuttgart hat ein gerichtlich bestelltes Gutachten wesentliche Vorwürfe entkräftet. Wie spiegel.de berichtet, hätte ein beauftragter Wirtschaftsprofessor in mehreren offiziellen Verlautbarungen der Angeklagten keine Einwirkung auf den Kurs der VW-Aktie ausmachen können.
StA Frankfurt – DFB: Die SZ (Hans Leyendecker/Klaus Ott) berichtet zu Vermutungen, nach denen die ominöse Millionenzahlung des DFB an die FIFA in einen Zusammenhang mit einem mittlerweile wegen Korruptionsvorwürfen gesperrten, vormaligen Funktionär des Weltverbandes aus Katar steht. bild.de (H. Cronauer/M. Steuer) stellt den zuständigen Staatsanwalt der Frankfurter Anklagebehörde vor und fasst die im Raum stehenden Vorwürfe gegen DFB-Funktionäre zusammen.
Recht in der Welt
Großbritannien – Überwachungsgesetz: In einem Kommentar zum von der britischen Regierung vorgelegten Entwurf zu einer "Supervorratsdatenspeicherung" meint Patrick Beuth (zeit.de), dass das Land "das schlimmstmögliche Beispiel für die Folgen der Snowden-Enthüllungen" abgebe. Nachdem die ganze Welt wisse, "wie fundamental Geheimdienste jedwede elektronische Kommunikation unterwandert haben", komme es nirgendwo zu einem Paradigmenwechsel. Stattdessen würde die anlasslose Massenspeicherung und -überwachung von Daten "allenfalls nachträglich durch neue Gesetze legitimiert".
Frankreich – Geschlecht: Im August entschied ein französisches Gericht in Tours, dass nach dem Personenstandsrecht des Landes auch das neutrale Geschlecht zulässig sein soll. Die Rechtsstudentin Franziska Brachthäuser (juwiss.de) nimmt die Entscheidung zum Anlass, die Rechtslage zu Fragen des Geschlechts im Nachbarland mit jener in Deutschland zu vergleichen.
Italien – Mafia: In Rom hat ein Prozess zum sogenannten Mafia Capitale-Komplex gegen 46 Angeklagte begonnen. Zwischen 2008 und 2014 sollen die Angeklagten in der Hauptstadt unter Führung des als Einäugigen bekannten Massimo Carminati kommunale Dienstleistungen und öffentliche Bauaufträge im Wert mehrerer Hundert Millionen untereinander aufgeteilt haben, schreibt die SZ (Oliver Meiler) in einem ausführlichen Bericht. Die FAZ (Jörg Bremer) berichtet ebenfalls.
Mexiko – Legalisierung: Vier Marihuanakonsumenten haben sich vor dem Obersten Gerichtshof Mexikos das Recht erstritten, die Droge ihrer Wahl straffrei zu konsumieren. Ein totales Verbot sei übertrieben und schütze auch nicht das Recht auf Gesundheit, gibt lto.de die Entscheidung wieder. Nach dem Bericht der Welt (Tobias Käufer) bietet der nun geschaffene Präzedenzfall die Chance für das Land, seine "Drogenpolitik auf lange Sicht neu ausrichten" zu können und damit auch den Einfluss hochgerüsteter Kartelle zurückzudrängen. Die mexikanische Justiz folge einem lateinamerikaweiten Trend, "sich von der harten Anti-Drogen-Politik", die von den USA gefordert werde, "zu distanzieren".
Sonstiges
NSA-Ausschuss: Im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags hat der von der Bundesregierung eingesetzte Sonderermittler Kurt Graulich bestätigt, Teile der rechtlichen Einschätzung seines Abschlussberichts zu NSA-Selektoren aus einem Bericht des Bundesnachrichtendienstes übernommen zu haben. Den Vorwurf der inhaltlichen Beeinflussung wies Graulich jedoch zurück, berichtet die SZ (Thorsten Denkler). Einzelheiten zur Arbeit des Sonderermittlers enthält der ausführliche Bericht der taz (Konrad Litschko).
Dass die im Ausschuss vertretene Opposition Graulich wegen des Arbeitsmethode als "Auftragsgutachter schmähen", ist für Reinhard Müller (FAZ) der Beweis, "dass der Ausschuss eben auch nur ein politisches Kampfinstrument ist". Die Geheimdienstkontrolle bleibe Aufgabe des Parlaments, sie dürfe angesichts transnationalen Terrors der Exekutive aber auch nicht die Handlungsfähigkeit nehmen. Kai Biermann (zeit.de) dagegen hält das von der Bundesregierung gewählte Verfahren für eine "Farce". Die Regierung habe ein "Gefälligkeitsgutachten" beauftragt und bekommen. Es sei irrig, anzunehmen, dass hierdurch "die Arbeit eines gewählten Parlaments" ersetzt werden könne.
Das Letzte zum Schluss
Selbsthilfe: Serena Williams ist nicht nur Weltranglistenerste im Tennis, in ihrer Freizeit geht sie offenbar einer Nebentätigkeit als Superheldin nach. So zumindest kommentierte sie den versuchten Diebstahl ihres Smartphones bei einem Restaurantbesuch. Wie sz.de schreibt, sprintete sie dem Dieb hinterher und konnte ihn durch verbale Konfrontation zur Herausgabe des guten Stücks bewegen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 6. November 2015: Suizidhilfe vor Abstimmung / Heckler & Koch vor Anklage / Unabhängiger Sonderermittler? . In: Legal Tribune Online, 06.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17458/ (abgerufen am: 21.05.2024 )
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