Sollte Bayern wegen der Flüchtlingspolitik gegen den Bund klagen, würde Ex-Verfassungsrichter Udo Di Fabio das Land vertreten. Außerdem in der Presseschau: OLG Hamm gegen Helmut-Schmidt-Raucherpartys, "Partei" spielt mit Parteienfinanzierung.
Thema des Tages
Transitzonen: Union und SPD konnten sich am Wochenende nicht auf die Einführung von Transitzonen für Asyl-Schnellverfahren an der Grenze einigen. Die Montags-SZ (Daniela Kuhr) schildert die Verhandlungen. Die Samstags-BadZ (Christian Rath) erklärt, worum es beim Streit um die Transitzonen geht. Im Interview mit dem Spiegel (Dietmar Hipp) befürwortet Rechtsprofessor Daniel Thym die Einrichtung von Transitzonen und Einreisezentren, um das Asylverfahren zu beschleunigen. Zudem könne man den Familiennachzug begrenzen und weitere Leistungskürzungen in Betracht ziehen: "Da ist noch Luft nach unten."
Einreiseverweigerung und Rückschiebung: Der Akademische Rat Roman Lehner erläutert auf verfassungsblog.de die Voraussetzungen des Dublin-Verfahrens im Zusammenhang mit der aktuell diskutierten Einreiseverweigerung gegenüber Flüchtlingen. Es sei zumindest eine "Kurz-Prüfung" vorzunehmen, um festzustellen, welcher Staat für das Asylverfahren zuständig ist. An diesen Staat müsse der Flüchtling dann im vorgesehenen Verfahren überstellt werden, wozu das Einverständnis des jeweiligen Staates erforderlich ist. Rechtsprofessor Daniel Thym schildert auf verfassungsblog.de, welche (derzeit eher symbolischen) Möglichkeiten es gebe, abgelehnte Asylbewerber aufgrund alter Rückübernahmeabkommen zum Beispiel nach Österreich zu überstellen oder Anträge von syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen abzulehnen, die sich längere Zeit in der Türkei aufgehalten haben. Deutschland müsse aber EU-Recht einhalten, um ein Vorbild für andere Staaten zu sein. Der emeritierte Rechtsprofessor Kay Hailbronner hält es in der Montags-Welt dagegen für möglich, dass Deutschland EU-Recht ignoriert, solange andere EU-Staaten ihre Dublin-Verpflichtungen nicht erfüllen. Deutschland sei durch Unionsrecht "nicht gehindert, die Kontrolle über irreguläre Masseneinwanderung an seinen Grenzen als unverzichtbaren Teil seiner Souveränität auch durch Einreiseverweigerungen an den Binnengrenzen wiederherzustellen."
Bayerische Klage gegen den Bund: Der Spiegel (Melanie Amann u.a. - spiegel.de-Meldung) erwähnt in einem längeren innenpolitischen Bericht, dass Ex-Verfassungsrichter Udo Di Fabio bereit wäre, die bayerische Verfassungsklage gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung zu vertreten.
Rechtspolitik
Suizidhilfe: Am Freitag dieser Woche wird der Bundestag über die Regelung der Suizidhilfe entscheiden. Der Spiegel (Cornelia Schmergal - spiegel.de-Zusammenfassung), Focus (Daniel Goffart/Kurt-Martin Mayer) und die WamS (Matthias Kamann) erläutern umfassend die Rechtslage rund um Sterbe- und Suizidhilfe und stellen die vier zur Abstimmung stehenden Gesetzentwürfe dar. Den größten Zuspruch unter den Parlamentariern genieße derzeit der Entwurf zur Einführung einer Strafbarkeit der "geschäftsmäßigen" Suizidhilfe. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel habe ihre Zustimmung hierzu signalisiert.
Die Ethikrat-Vorsitzende Christiane Woopen sieht im Focus-Interview (Kurt-Martin Mayer - focus.de-Zusammenfassung) derzeit keinen dringenden Rebelungsbedarf bei der Suizidhilfe und empfiehlt stattdessen ein Gesetz zur umfassenden Prävention.
Der Arzt Stephan Sahm begründet auf der "Gegenwart"-Seite der Montags-FAZ, warum es unethisch wäre, wenn Ärzte Patienten beim Suizid unterstützen. "Das Angebot selbst macht die Handlung unfrei, denn sie signalisiert ein Gutheißen." Ein Teil des Textes wurde im Feuilleton der Montags-FAZ ein weiteres Mal abgedruckt. Dort geht es um eine statistische Untersuchung, derzufolge in Oregon die Suizide zunahmen, nachdem die Beihilfe zum Suizid liberalisiert wurde.
Kopftuch: Jost Müller-Neuhof (Sonntags-Tsp) kritisiert den Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU), der trotz des jüngsten Verfassungsgerichts-Urteils an pauschalen Kopftuchverboten für Beamtinnen festhalten will. "Mit dieser Haltung sind die Henkels in Berlin dem anatolischen Patriarchen näher als den Frauen und Töchtern, die er angeblich unterdrückt."
Justiz
BGH - begrenzte Mieterhöhungen: Auf der Titelseite weist die Montags-SZ (Wolfgang Janisch) auf eine Verhandlung des Bundesgerichtshofs am Mittwoch hin. Es geht um die Frage, ob das Land Berlin für das gesamte Stadtgebiet (oder nur für Bezirke mit angespanntem Mietwohnungsmarkt) eine Beschränkung von Mieterhöhungen vorschreiben durfte. Außerdem sei zu klären, wie frei die Länder bei der Beurteilung sind, ob der Wohnungsmarkt wirklich angespannt ist.
LG Leipzig – kinox.to: Vor dem Landgericht Leipzig hat der Prozess gegen einen der Betreiber der Internetportale kinox.to und movie4k.to begonnen. Wegen der Veröffentlichung von Links zu Hostern, auf denen illegale Kopien von Filmen und Serien abrufbar sind, wird dem Angeklagten Avit O. unter anderem gewerbsmäßige Urheberrechtsverletzung in 767.000 Fällen vorgeworfen. Die beiden flüchtigen Mitbetreiber stehen außerdem im Verdacht der räuberischen Erpressung und der Brandstiftung, berichtet die WamS (Florian Flade/Lars-Marten Nagel).
LG Darmstadt - Ehrenmord: Vor dem Landgericht Darmstadt ist ein aus Pakistan stammendes Elternpaar wegen Mordes angeklagt. Es soll seine 19-jährige Tochter getötet haben, weil sie eine unpassend erscheinende Beziehung eingegangen war, berichtet die Montags-Welt (Katharina Pfannkuch). Die Eltern gehören der Ahmadiyya-Gemeinschaft an, sie hätten deren Lehre nach Einschätzung von Vertretern der Gemeinschaft "aber ganz offensichtlich nicht verinnerlicht".
VG Berlin – Informationsfreiheit und Grenzöffnung: Wie der Spiegel (Melanie Amann - spiegel.de-Zusammenfassung) meldet, hat der Düsseldorfer Anwalt Clemens Antweiler die Bundesregierung vor dem Verwaltungsgericht Berlin auf Herausgabe von Informationen verklagt, auf deren Grundlage die Entscheidung zur Einreise der Flüchtlinge aus Ungarn gefällt worden war. Er habe den Eindruck, die Bundesregierung habe sich über geltendes Recht hinweggesetzt.
OLG Hamm zu Schmidt-Raucherpartys: Das Oberlandesgericht Hamm hat das Bußgeld gegen einen Kneipenwirt bestätigt, der aus Protest gegen das NRW-Nichtrauchergesetz wiederholt Helmut-Schmidt-Raucherpartys in seinem Lokal veranstaltet hatte. Die Versammlungsfreiheit, auf die sich der Wirt berief, werde in verfassungskonformer Weise durch das Gesetz eingeschränkt, entschied das Gericht. Der Samstags-KStA (Peter Berger) berichtet.
Steuerfahndung NRW - neue Massenverfahren: Die Steuerfahndung von Nordrhein-Westfalen hat sich "von Insidern aus der Finanzbranche gleich zwei große Datensätze besorgt", berichtet die Montags-SZ (Hans Leyendecker/Klaus Ott). Den einen Datensatz (keine CD) habe man kostenlos erhalten, er betreffe 55.000 Kunden einer Bank, die Vermögen vor dem Finanzamt versteckt haben sollen. Daneben wurde für fünf Millionen Euro eine CD angekauft, die Tausende Datensätze zu strafbaren Cum-Ex-Dividendengeschäften verschiedener Banken enthalte.
Interview Generalbundesanwalt Peter Frank: tagesschau.de (Christoph Kehlbach) spricht mit dem neuen Generalbundesanwalt Peter Frank über die terroristische Bedrohung durch Dschihad-Rückkehrer aus Syrien und Irak. Wegen ihrer Ausbildung in Trainingcamps gehe von diesen eine erhöhte Gefahr aus. Dagegen lägen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass sich Terroristen unter die aktuell zuwandernden Flüchtlinge mischten.
Anwalt Heinrich Hannover: Am Samstag ist der legendäre Rechtsanwalt Heinrich Hannover 90 Jahre geworden, schreibt die Samstags-SZ (Annette Ramelsberger) in ihrer Laudatio. Als junger Anwalt habe er eine Justiz erlebt, die bis in die 70.er Jahre von Alt-Nazis durchsetzt gewesen sei, die Rechte seiner Mandanten eklatant beschnitten und ihn selbst schikaniert habe. Seit 1995 übe er den Beruf nicht mehr aus und schreibe derzeit Kinderbücher für seine Enkelkinder.
Anwalt Wolfgang Kaleck: Die Samstags-taz (Christian Rath) rezensiert das neue Buch von Rechtsanwalt und Menschenrechtler Wolfgang Kaleck "Mit Recht gegen die Macht". Darin schildert er seinen Werdegang und den Einsatz für den internationalen Schutz von Menschenrechten.
Recht in der Welt
USA - VW: Das HBl (Astrid Dörner) gibt einen Überblick über Sammelklagen, die in den USA im Namen von Autoeigentümern und VW-Aktionären gegen das Unternehmen eingereicht wurden. Es herrsche "Goldgräberstimmung", weil VW sein Fehlverhalten bereits zugegeben habe.
USA – Anwältin Shannon Liss-Riordan: Die WamS (Tina Kaiser) porträtiert die US-amerikanische Anwältin Shannon Liss-Riordan, die im Kampf um Arbeitnehmerrechte namhafte Unternehmen auf Millionensummen verklagt. Derzeit vertritt sie Taxifahrer gegen den Vermittlungsdienst Uber, weil es sich bei den Uber-Fahrern um Scheinselbständige handeln soll. Sie ziehe Befriedigung daraus, die Rechte der einfachen Leute gegen die Großkonzerne durchzusetzen.
USA – Welfenschatz: Der Rechtsstreit vor dem amerikanischen Bezirksgericht in Washington D.C. über die Herausgabe des Welfenschatzes – einer Sammlung kunsthandwerklicher Gegenstände aus Braunschweig – geht in die nächste Runde. Wie die Samstags-Welt (Sven Felix Kellerhof) und die Samstags-FAZ (Patrick Bahners) berichten, wehren sich die Bunderepublik Deutschland und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit neuen Argumenten gegen die Herausgabeansprüche der Erben der einstigen Kunsthändler. Dabei geht es um die Frage, ob die erworbenen Gegenstände als NS-Raubkunst einzustufen sind, weil die Kunsthändler die Reliquien 1935 unter Wert an den preußischen Staat verkauft hatten.
Sonstiges
NSA-Selektoren - Graulich-Gutachten: Der Ex-Bundesverwaltungsrichter Kurt Graulich hat im Auftrag der Bundesregierung die Liste der vom BND beanstandeten NSA-Selektoren überprüft und jetzt sein Gutachten vorgelegt, über das die Samstags-SZ (Thorsten Denkler) berichtet. zeit.de (Kai Biermann) kritisiert das Gutachten, denn es verschweige, "wen genau die NSA mithilfe des BND denn nun ausspähen wollte."
GEMA und Noten: Zum anstehenden Martinstag erklärt lto.de (Tanja Podolski), welche Vereinbarungen zwischen der Gema und Schulen, Kindergärten und Kirchen zur Nutzung von Liedtexten und Noten zu St. Martin bestehen. Meist existieren Pauschalvereinbarungen etwa mit Kirchen, sodass die Lieder bei Umzügen kopiert werden dürften.
Phishing-Mails: Die WamS (Karsten Seibel) erklärt, unter welchen Voraussetzungen Bankkunden ihren Schaden selbst tragen müssen, wenn sie Opfer eines Betrugs mithilfe von Phishing-Mails geworden sind. Die Rechtsprechung bejahe mittelweile die grobe Fahrlässigkeit als Voraussetzung der Eigenhaftung bei klassischen Phishing-Attacken.
Parteifinanzierung: Die Satire-Partei "Die Partei" nutzt die Regeln zur Parteifinanzierung, indem sie 100 Euro-Scheine für 80 Euro verkauft und so Umsatz aus Geschäftsbetrieb erzeugt, der ihr höhere staatliche Zuschüsse sichert. Dies meldet nun auch der Spiegel (Dietmar Hipp).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 31. Oktober bis 2. November: Di Fabio will für Bayern klagen / Keine Helmut-Schmidt-Partys / 100 Euro für 80 Euro . In: Legal Tribune Online, 02.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17398/ (abgerufen am: 21.05.2024 )
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