Der frühere BVerfG-Präsident Papier im großen Pressegespräch. Außerdem in der Presseschau: Cannabis-Legalisierung in Berlin-Kreuzberg und Uruguay, BGH zu Schwarzarbeit, eine Premiere in Italien, absurde Verträge und ein echter Gangster-Rapper.
Papier-Interview: In einem zweiseitigen Titelthema führt das Handelsblatt (Jan Hildebrand/Axel Schrinner) ein Interview mit dem früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier. Schwerpunkt des Gesprächs ist das vor dem Bundesverfassungsgericht laufende Verfahren über den Euro-Rettungsschirm ESM und die Staatsanleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB). Der Verfassungsrichter a.D. hält eine Entscheidung dahingehend für theoretisch möglich, dass die Maßnahmen der EZB mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt werden, meint aber, dass ein solches Urteil "eher symbolische Wirkung" hätte. Denn die EZB könne nicht "von einem nationalen Gericht zu einem Tun oder Unterlassen verurteilt werden." Die verbindliche Entscheidung darüber, ob die Politik der EZB mit dem Europarecht vereinbar ist, sei dem Europäischen Gerichtshof vorbehalten. Derzeit sehe es jedoch nicht nach einer Vorlage an diesen aus. Den gelegentlich geäußerten Vorwurf, dass der "notorisch EU-freundliche" EuGH ohnehin alles durchwinken würde, hält Papier für falsch und arrogant.
Weitere Themen – Rechtspolitik
Kostenrechtsreform: Seit Donnerstag ist das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz geltendes Recht. Für lto.de nimmt Matthias Kilian, Direktor des Soldan Instituts und als Sachverständiger an der Erarbeitung des Gesetzes beteiligt, das "Herzstück der Reform", die Erhöhung der Anwaltsgebühren, unter die Lupe. Die Konzentration auf den "plakativen Wert" einer 19-prozentigen Gebührenerhöhung verkenne, dass jahrelang im Bereich der Tarifanpassung nichts geschehen sei. Andere Rechtsordnungen seien hier weiter: statt "unregelmäßige(r), mühsame(r) Anpassungen im Einzelfall" sähen etwa einige US-Bundesstaaten eine automatische Anpassung von Gerichtskosten und Anwaltsgebühren an einen Preisindex vor.
Cannabis-Legalisierung in Kreuzberg?: Die neue Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Kreuzberg, Monika Herrmann (Grüne), plant nach einem Bericht der taz (Sebastian Heiser) beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Ausnahmegenehmigung für die Einrichtung eines Coffeeshops zum Verkauf von Cannabis an Erwachsene zu beantragen. Das einschlägige Betäubungsmittelgesetz sehe eine derartige Möglichkeit zu "im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken" vor. Die Bürgermeisterin hoffe hierdurch dem Problem der vielen Kleinst-Dealer eines Parks des Bezirkes Herr zu werden. Diese ließen sich auch durch regelmäßige Polizeirazzien nicht von ihrer Tätigkeit abhalten und belästigten Anwohner und nicht-drogenaffine Nutzer des Parks. Dass dem Antrag stattgegeben werde, sei unwahrscheinlich, immerhin bringe der Vorschlag "wieder Leben in die Debatte um die Cannabis-Legalisierung."
Steuervermeidung: Der Präsident des Europäischen Zentrums für Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest entwirft in einem Handelsblatt-Gastkommentar Strategien zur Steuervermeidung multinationaler Konzerne. Besser als unilaterale Maßnahmen, wie etwa die 2008 von Deutschland eingeführte Zinsschranke zur Begrenzung der Abzugsfähigkeit von Finanzierungskosten, sei eine international koordinierte Reform der OECD-Staaten. Zusätzlich müssten die Regeln, nach denen bestimmt wird, unter welchen Umständen ein Unternehmen in einem Land steuerpflichtig ist, reformiert werden. Hierdurch könnten etwa Anbieter von Online-Leistungen dort zur Besteuerung herangezogen werden, wo die Empfänger sind.
Tariftreuegesetz Schleswig-Holstein: Nach einer Meldung der taz-Nord ist seit Donnerstag in Schleswig-Holstein ein Tariftreue- und Vergabegesetz in Kraft. Bei der Ausschreibung öffentlicher Aufträge im Land dürften demnach nur noch Unternehmen den Zuschlag bekommen, die nach Tarif entlohnen. Bei fehlendem Tarif gelte ein Mindestlohn von 9,18 Euro.
Weitere Themen - Justiz
BVerfG zu Nichtanerkennungsbeschwerden: In der vergangenen Woche hatte sich das Bundesverfassungsgericht zum ersten Mal mit Verfahren nach § 18 Abs. 4a Bundeswahlgesetz, der neu eingeführten Nichtanerkennungsbeschwerde für vom Bundeswahlausschuss zurückgewiesene Parteien, zu befassen. Privatdozent Julian Krüper beschreibt auf juwiss.de die skurril anmutenden formalen Mängel, die einigen der beschwerdeführenden Parteien und Gruppierungen unterliefen, und stellt daneben auch grundsätzliche Überlegungen zur Rechtsnatur des Verfahrens an. So sei erkennbar, dass die Nichtanerkennungsbeschwerde das Karlsruher Gericht in die Rolle einer Tatsacheninstanz dränge. Wenn die entscheidungserheblichen Punkte aber keinen Bezug zum Verfassungsrecht aufwiesen, sei zu fragen, ob ein derartiges Verfahren nicht doch eigentlich in die Verwaltungsgerichtsbarkeit gehöre.
BGH zu Schwarzarbeit: Wer einen Handwerker schwarz beauftragt, kann diesen nicht gerichtlich zur Beseitigung von Mängeln verpflichten. Dies entschied nach einem Bericht der SZ (Wolfgang Janisch) der Bundesgerichtshof am Donnerstag und änderte damit seine bislang geltende Rechtsprechung. Noch 2008 sei ein schwarzarbeitender Handwerker zur Mängelbeseitigung mit dem Argument verurteilt worden, dass Schlechtleistung nicht auch noch belohnt werden dürfe. Janisch begrüßt die Entscheidung als "konsequent". Schwarzarbeit schade Fiskus und Sozialkassen, für die Auftraggeber sei zudem nun klar, dass sie ihr Risiko nicht auch noch durch einklagbare Nacherfüllungsansprüche verringern könnten. Auch die FAZ berichtet knapp.
LAG Stuttgart zu Scheinwerkverträgen: Nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Stuttgart haben zwei Mitarbeiter eines Computerdienstleisters Anspruch auf Anstellung beim Autohersteller Daimler. Wie die FAZ (D. Creutzburg/B. Freytag/C. Ruhkamp) schreibt, sah das Gericht es als erwiesen an, dass zwischen den Beteiligten ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist. Die Art der Beschäftigung sei als Scheinwerkvertrag und damit als Arbeitnehmerüberlassung einzustufen.
OLG München – NSU-Prozess: Im Verfahren gegen Beate Zschäpe u.a. vor dem Oberlandesgericht München beginnt in der kommenden Woche eine einmonatige Sommerpause. Die FAZ (Helene Bubrowski) zieht aus diesem Anlass eine ausführliche Zwischenbilanz. Sämtliche Prozessbeteiligten sähen sich als vorläufige Etappensieger, dabei gäbe es sowohl für die von der Anklage vertretene These der Mittäterschaft Zschäpes als auch auch für jene von der bloßen Gehilfin Anhaltspunkte. Die Abgrenzung von Mittäterschaft und bloßer Unterstützung sei dabei eines der "komplexesten Probleme des deutschen Strafrechts."
Mit einem anderen Prozessaspekt befasst sich Holger Schmidt (swr-Terrorismus-Blog). Eine Münchner Tageszeitung berichtete titelseitig über die Unterbringung der Zschäpe-Anwälte in einem Hotel der gehobenen Preisklasse. Schmidt kommentiert den Bericht, der auch von focus.de (Julian Rohrer) aufgegriffen wird, launig und mutmaßt über die Gründe der Veröffentlichung.
LG Regensburg zu Mollath-Wiederaufnahme: In der vergangenen Woche verwarf das Landgericht Regensburg die von Verteidigung und Staatsanwaltschaft im Fall Gustl Mollath gestellten Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens als unzulässig. Rechtsprofessor Henning Ernst Müller unterzieht auf blog.beck.de den Beschluss einer ausführlichen "Detail-Kritik", die fortgesetzt wird.
LG Düsseldorf zu "Kundenanwalt": Die Ergo Versicherungsgruppe darf nach einem am Donnerstag bekanntgewordenen Urteil des Landgerichts Düsseldorf nicht mehr die Bezeichnung "Kundenanwalt" verwenden. Wie lto.de meldet, entschied das Gericht auf eine Klage der Rechtsanwaltskammer Berlin, dass die verwendete Bezeichnung irreführende Werbung sei.
Weitere Themen – Recht in der Welt
Italien – Berlusconi: Der Oberste Gerichtshof Italiens hat zwei unterinstanzliche Verurteilungen Silvio Berlusconis wegen Steuerbetrugs im Zusammenhang mit dem von ihm kontrollierten Medienunternehmen bestätigt. Der frühere Ministerpräsident ist damit trotz einer Vielzahl von Prozessen in den letzten Jahren zum ersten Mal rechtskräftig verurteilt worden. Wie die FAZ (Tobias Piller) schreibt, erwartet Berlusconi wegen allgemeiner Strafnachlässe von den nun bestätigten vier Jahren nur ein Jahr Haft, wegen seines Alters könne er diese zudem in Hausarrest verbringen. Nicht bestätigt wurde indes die Strafe zur Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, einschließlich des passiven Wahlrechts, hierüber müsse erneut verhandelt werden.
Uruguay – Cannabis-Legalisierung: Einem Bericht der FAZ zufolge plant Uruguay die weitgehende Legalisierung von Cannabis. Das Abgeordnetenhaus stimmte für eine Vorlage, die den Kauf von bis zu 40 Gramm pro Monat sowie auch den Anbau, beides unter staatlicher Kontrolle und Regulierung, legalisiert.
Peter Burghardt (SZ) begrüßt das Experiment als "längst überfällige Revolution." Die repressive Drogenpolitik sei "katastrophal gescheitert", der "Krieg gegen den Stoff verloren." Drogenbosse leisteten sich Privatheere, die zu multinationalen Konzernen geworden seien und staatliche Institutionen auf dem amerikanischen Kontinent korrumpierten. Bernd Pickert (taz) nennt das Vorhaben einen "überfälligen Paradigmenwechsel." Tatsächlich müsse man die "Verbotsverfechter" mutig nennen. "Ohne auch nur einen begründeten Hinweis darauf, dass die Prohibition gesundheitspolitische, gesellschaftliche oder überhaupt sinnvolle Ziele" erreiche, beharrten diese auf ihrer Meinung.
USA – Urteil gegen Vergewaltiger: Ariel Castro, der in Cleveland/USA drei Frauen entführte und sie in seinem Haus über mehrere Jahre festhielt und aufs schwerste misshandelte, ist zu lebenslanger Haft ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung verurteilt worden. Die FAZ (Matthias Rüb) schreibt, dass Castro sich bei seinen Opfern entschuldigte und selbst für schuldig erklärte. Hierdurch sei er der Todesstrafe entgangen.
USA – Patrick Leahy: Die FAZ (Matthias Rüb) porträtiert den Vorsitzenden des Justizausschusses des US-amerikanischen Senats, Patrick Leahy. Der als linksliberal geltende Senator habe bereits kurz nach Verabschiedung des Patriot Acts von 2001 die Wahrung bürgerlicher Grund- und Freiheitsrechte angemahnt, sei als früher Unterstützer des heutigen Präsidenten Obama gegenüber den von diesem angeordneten Überwachungsmaßnahmen aber weniger kritisch gewesen. Bei der Untersuchung der Sicherheitslücke, die dem Whistleblower Edward Snowden Zugang zu den geheimsten Dokumenten des NSA-Geheimdienstes gestattete, laufe Leahy jedoch wieder zu Höchstform auf.
Sonstiges
Luxus-Gefängnis: Im kalifornischen Fremont (USA) können sich Untersuchungshäftlinge und Kleinkriminelle gegen eine Gebühr von 155 Dollar pro Nacht eine von anderen Häftlingen getrennte Unterkunft erkaufen. Ausgehend von einem tagesschau.de-Bericht über diese innovative Methode des Strafvollzugs untersucht lto.de (Caudia Kornmeier), ob auch in Deutschland vergleichbare Unterbringungs-Differenzierungen denkbar wären. Das Fazit eines zu Rate gezogenen Experten: Rechtlich nicht, praktisch wohl schon. Denn es gebe "erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern und auch den einzelnen Anstalten, was Ausstattung, Räume, Personal und Regime betrifft."
Absurde Verträge: Die SZ (Jan Fürchtjohann) interviewt in ihrem Feuilleton den Junior-Rechtsprofessor Maximilian Becker zu dessen jüngst veröffentlichter Dissertation über "Absurde Verträge". Obwohl die Rechtslage eindeutig sei – bei Unmöglichkeit der vereinbarten Leistung entfallen sowohl der Anspruch auf diese als auch die Bezahlung – stecke der Teufel im Detail. Denn der rechtlich anerkannte Maßstab der Unmöglichkeit sei die Naturwissenschaft, was zu einem Problem werde, wenn Vertragspartner esoterischen Vorstellungen anhingen. Auch habe der Bundesgerichtshof 2011 entschieden, dass der Kunde einer Kartenlegerin den vereinbarten Lohn zahlen müsse, weil er bereits vor Vertragsabschluss gewusst hätte, das Kartenlesen unmöglich ist.
Menschenrechte: Die Welt (Cigdem Toprak) interviewt den Schriftsteller und Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff zu seiner Rolle als Prozessbeobachter in dem in Istanbul eröffneten Verfahren gegen Dogan Akhanli. Dem türkischstämmigen deutschen Schriftsteller wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und die Beteiligung an einem Raubüberfall vorgeworfen, das Gericht hat einen internationale Haftbefehl gegen ihn erlassen. Wallraff hält das Verfahren für einen "politischen Schauprozess" und betont, dass es sich bei der Verletzung von Menschenrechten um öffentliche Belange handele, bei denen nationale Grenzen keine Rolle spielten. Deshalb sei auch die Beobachtung des NSU-Prozesses durch türkische Medien richtig.
Das Letzte zum Schluss
Gangsta Rap: Der Berliner Rapper Bushido befindet sich derzeit wegen verbaler Ausfälle in einen Songs im Visier der Staatsanwaltschaft. Ein US-amerikanischer Kollege mit dem Künstlernamen Twain Gotti ist schon ein Stück weiter: Weil er sich in einem Lied mit Täterwissen zu einem vor sechs Jahren verübten Doppelmord brüstete, wurde er jetzt festgenommen. Wie spiegel.de (wit) schreibt, hatten die Ermittler den Fall längst zu den Akten gelegt, als Hinweise von Zeugen sie auf die Spur des Rappers brachten.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 2. August 2013: Papier-Interview - Luxusgefängnis - Legalisierung von Cannabis . In: Legal Tribune Online, 02.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9272/ (abgerufen am: 30.04.2024 )
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