Hiphop hat ein Grundrecht auf Samples, entscheidet das BVerfG. Außerdem in der Presseschau: Kritiker bemängeln fortbestehende Rechtsunsicherheiten bei der Störerhaftung und der EuGH verhandelt über Kopftuchverbote in Privatunternehmen.
Thema des Tages
BVerfG zum Sampling von "Tonfetzen": Kurze Tonsequenzen aus urheberrechtlich geschützten Musikstücken dürfen grundsätzlich genutzt werden, um daraus ein neues Werk zu schaffen – und zwar, ohne den ursprünglichen Urheber dafür um Erlaubnis zu fragen oder zu entlohnen. Das hat das Bundesverfassungsgericht im seit fast 20 Jahren schwelenden Streit zwischen der Band Kraftwerk und Hiphop-Produzenten Moses Pelham entschieden, der 1999 einen Song auf Grundlage eines Kraftwerk-Samples herausbrachte. Eine etwaige Entlohnung des Sample-Urhebers in solchen Fällen müsse der Gesetzgeber regeln. Aktuell gehe zumindest dann, wenn dadurch kein finanzieller Schaden entstünde, die Kunstfreiheit vor, befand das oberste Gericht und verwies den Fall an den Bundesgerichtshof zurück, der Kraftwerk Recht gegeben hatte. Es berichten die SZ (Wolfgang Janisch), die taz (Christian Rath) und netzpolitik.org (Leonhard Dobusch).
Jost Müller-Neuhof (Tsp) meint, "das Urteil schlägt keine Bresche für Sound-Tüftler, sondern schleift die gesetzlich verhärteten Fronten zwischen Urhebern alter Schule und digitalen Innovatoren". Auch Thomas Stadler (internet-law.de) erkennt keine "Zeitwende". Hendrik Wieduwilt (FAZ) lobt, das Gericht habe "dem dogmatischen kontinentaleuropäischen Urheberrecht etwas Biegsamkeit beigebracht". Gigi Deppe meint im Audio-Kommentar auf swr.de, von diesem Richterspruch werde die Kreativbranche profitieren. Reinhard Müller (FAZ) hingegen warnt davor, dass zu Zeiten der einfachen Verfügbarkeit im Internet der Schutz des geistigen Eigentums in Gefahr sei.
Rechtspolitik
Störerhaftung: Nach der grundsätzlichen Einigung der Großen Koalition auf die Abschaffung der Störerhaftung liegt nun der Gesetzentwurf vor: Durch Einfügung eines Absatzes in § 8 des Telemediengesetzes (TMG) soll das "Providerprivileg" auf Betreiber von offenen Netzen ausgeweitet werden. Kritiker bemängeln, dass damit zwar Schadensersatzansprüche für das Handeln der Nutzer ausgeschlossen würden, sich ein ausdrücklicher Ausschluss auch von Unterlassungsaussprüchen aber lediglich aus der Gesetzesbegründung ergebe und damit Rechtsunsicherheit bestehen bleibe, so netzpolitik.org (Ingo Dachwitz).
Sexualstrafrecht: Die taz (Christian Rath/Simone Schmollack) weist darauf hin, dass der Entwurf zur Änderung des Sexualstrafrechts nach wie vor die Forderung "Nein heißt Nein" nicht umsetze, weil die bloß verbale Ablehnung sexueller Handlungen weiterhin nicht zur Strafbarkeit des Täters führe. Auch die angekündigte Strafbarkeit des "Grapschens" sei nicht aufgenommen.
Ehemündigkeit: Im Gespräch mit der FAZ (Albert Schäffer) fordert der bayerische Justizminister Winfried Bausback (CSU) eindeutige gesetzliche Regelungen zur Anerkennung von im Ausland geschlossenen Ehen Minderjähriger in Deutschland. Zurzeit obliegt es der Einzelfallentscheidung der Gerichte, ob eine Ehe wegen eines Verstoßes gegen deutsche Familienrechtsgrundsätze unwirksam ist, was zu manchen sehr umstrittenen Urteilen führte. Die Welt (Peter Issig) schildert einen solchen Fall.
Abschaffung des 500-Euro-Scheins: Rechtsanwalt Björn Demuth fragt auf lto.de nach den Gründen für die Pläne in der EU, den 500-Euro-Schein abzuschaffen. Zu einer wirksamen Verhinderung von Geldwäsche oder Terrorismus werde dies nicht führen, es gehe eher um den staatlichen Wunsch nach Kontrolle der Geldbewegungen.
Mietpreisbremse: Einer aktuellen Studie zufolge hat die Mietpreisbremse ein Jahr nach ihrer Einführung nicht zu einem geringeren Anstieg der Mieten in den betreffenden Gebieten geführt, berichtet die SZ (Benedikt Müller). Im Interview mit der SZ (Robert Rossmann) ermutigt Bundesjustizminister Heiko Maas die Mieter, von ihren Rechten stärker Gebrauch zu machen, schließt aber auch Nachbesserungen des Gesetzes nicht aus.
Staatsangehörigkeitsrecht: Die FAZ (Reinhard Müller) zeichnet die Gesetzesentwicklung um das Recht der deutschen Staatsangehörigkeit in den letzten 20 Jahre nach. Er warnt davor, dass die deutsche Staatsangehörigkeit im europäischen Vergleich einfach zu erlangen sei, in manchen Fällen auch ohne Integrationsbemühungen. Dies sei angesichts des "in der Flüchtlingskrise festgestellten Kontrollverlusts" problematisch.
Arbeitnehmerüberlassungsgesetz: Rechtsanwalt Jörn Kuhn befasst sich auf dem Handelsblatt Rechtsboard mit der Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Er kritisiert die vorgesehene Befristung des Einsatzes von Leiharbeitnehmern auf 18 Monate und zeigt alternative Möglichkeiten für Unternehmen auf, Mitarbeiter flexibel einzusetzen.
Justiz
OLG München – NSU: Im Prozess gegen die mutmaßlichen Terroristen des NSU haben Nebenklagevertreter mehrere Beweisanträge zu dem "Piatto" genannten V-Mann Carsten Szczepanski gestellt, die darauf abzielen, dass dieser gezielt ins Umfeld der Zwickauer Zelle geschleust worden sei. Ziel dabei sei nicht gewesen, das Trio auffliegen zu lassen, sondern nur die Beschaffung von Informationen, gibt die Welt (Stefan Aust/Dirk Laabs) die Anträge wieder. Der Nebenklage gehe es nach wie vor darum, die Verstrickung der Behörden in die Mordserie genauer aufzuklären. Währenddessen waren wiederum die Bilder der Hauptangeklagten Beate Zschäpe aus dem Urlaub mit den mutmaßlichen Komplizen Mundlos und Böhnhardt Thema, berichtet zeit.de (Tom Sundermann).
LG Zwickau zu Brandanschlag: Weil sie Molotow-Cocktails auf eine bewohnte Flüchtlingsunterkunft geworfen hatten, sind drei Männer vom Landgericht Zwickau zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden, unter anderem wegen versuchten Mordes. Das Gericht ging davon aus, dass die alkoholisierten Männer aufgrund einer ausländerfeindlichen Gesinnung handelten, so zeit.de.
LG Hagen – Brandanschlag: Im Prozess gegen zwei junge Männer, die einen Brand in einer Flüchtlingsunterkunft im Sauerland gelegt haben sollen, hat der Hauptangeklagte die Tat gestanden, meldet spiegel.de. Zeit.de (Karsten Polke-Majewski) befasst sich damit, ob derartige Gewalttaten tatsächlich immer öfter von "unbescholtenen Bürgern" begangen werden.
LG Mönchengladbach zu Kindstötung: Das Landgericht Mönchengladbach hat einen Vater, der seinen 19 Tage alten Sohn aus Eifersucht getötet hat, zu lebenslanger Haft verurteilt. Er wurde wegen Mordes, Misshandlung von Schutzbefohlenen und schwerem sexuellem Missbrauch verurteilt. Die Mutter des Kindes erhielt eine Bewährungsstrafe, schreibt spiegel.de.
AG Herford – Körperverletzung durch Polizisten: Vor dem Amtsgericht Herford läuft ein Prozess gegen einen Polizisten, der einen Autofahrer bei einer Kontrolle vor zwei Jahren grundlos geschlagen und Pfefferspray eingesetzt haben soll. Wie spiegel.de berichtet war der Fahrer im vorangegangenen Prozess freigesprochen worden, weil im Beweisvideo der Polizei Teile fehlten.
VG München zu Stolpersteinen: Die Stadt München ist nicht verpflichtet, sogenannte Stolpersteine im Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus zu verlegen, befand das Verwaltungsgericht München. Es wies die Klagen dreier Befürworter mit Verweis auf seine Unzuständigkeit ab, weil es sich um eine zivilrechtliche Angelegenheit handele. Zudem habe die Stadt Ermessen bezüglich der Art von Gedenksymbolen, schreibt spiegel.de.
LAG Sachsen zu Raubkopien im Dienst: Die unerlaubte Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Bild- und Tonträger für Freunde und Kollegen mit dem Dienstrechner kann einen Kündigungsgrund darstellen. Wie die FAZ (Hendrik Wieduwilt) berichtet urteilte das Landesarbeitsgericht Sachsen, dass das Vertrauensverhältnis zum betreffenden Arbeitnehmer dadurch zerstört sei.
BVerfG – Bundeswehr gegen IS: Wie zeit.de berichtet klagt die Partei Die Linke vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Einsatz der Bundeswehr in Syrien und dem Irak, der sich gegen die Terrororganisation "Islamischer Staat" richtet. Weder aufgrund von UN-Resolutionen noch aufgrund von "Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit" innerhalb der EU ergebe sich ein derartiges Mandat.
Interview mit Promi-Anwalt: Spiegel.de (Peter Maxwill) spricht mit Rechtsanwalt Hermann Messmer, der seit den 1960er Jahren mit der Vertretung Prominenter insbesondere in Ehescheidungssachen bekannt wurde. Damals sei die Ehe noch ein "Hausfrauenghetto" gewesen und "die Leute sollten wissen, wie sie sich aus dieser Zwangsjacke befreien konnten", so Messmer. Prominenten seien Vorreiter in der Modernisierung der Ehe gewesen.
Recht in der Welt
EuGH/Belgien – Kopftuchverbot: Vor dem Europäischem Gerichtshof wehrt sich eine belgische Muslimin dagegen, dass ihr Arbeitsverhältnis gekündigt wurde, als sie sich für das Tragen eines Kopftuches entschied. Am gestrigen Dienstag hat Generalanwältin Juliane Kokott sich dafür ausgesprochen, Verbote religiöser Kleidung durch private Unternehmen zuzulassen, sofern dies allgemein und auch für politische oder weltanschauliche Symbole gelte, berichtet die BerlZ (Christian Bommarius). Parvin Sadigh (zeit.de) kritisiert, dass auch weiterhin schwer zu entscheiden sein werde, wann ein Verbot verhältnismäßig sei und wann es unzulässig auf Vorurteilen beruhe.
Italien – Costa Concordia: Das Berufungsgericht in Florenz hat die Verurteilung des Kapitäns der "Costa Concordia" zu einer Haftstrafe von 16 Jahren bestätigt, meldet die SZ. 32 Menschen starben, als das Kreuzfahrtschiff im Januar 2012 sank; der Kapitän war früher von Bord gegangen.
Spanien – Lionel Messi: Die SZ (Javier Cáceres) schreibt über den Strafprozess gegen den argentinischen Spitzenfußballer Lionel Messi, der in Barcelona wegen Steuerhinterziehung vor Gericht steht. Um die Finanzen kümmere sich sein Vater, Verträge unterschreibe er, ohne sie zu lesen, habe dieser sich in einer Vernehmung 2013 verteidigt.
Polen – Auslieferung Román Polanskis: Die polnische Regierung will die Auslieferung des Regisseurs Román Polanskis an die USA vorantreiben, wo er wegen der Vergewaltigung einer 13-Jährigen im Jahr 1977 angeklagt ist. Ein Gericht in Polen hatte die Auslieferung Polanskis, der in Frankreich lebt und die französische und die polnische Staatsangehörigkeit besitzt, Ende vergangenen Jahres untersagt, was die Regierung als "Prominentenbonus" bezeichnet, berichtet zeit.de.
Sonstiges
Steuererklärung und Korrektur: In einem Gastbeitrag in der FAZ erläutert Rechtsanwalt Ulrich Jänsch, worauf geachtet werden muss, wenn eine falsche Steuererklärung gegenüber dem Finanzamt berichtigt werden soll. Bei unbeabsichtigten Fehlern sei nach § 153 Abgabenordnung (AO) eine Korrektur vorzunehmen, bei absichtlich falscher Erklärung gebe es die gegebenenfalls strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO.
Fischer und Schulden: Bundesrichter Thomas Fischer schreibt in seiner aktuellen Kolumne auf zeit.de darüber, wie der Staat mit verschiedenen Arten von Schulden umgeht, erläutert die Trennung von Zivilrecht und öffentlichem Recht und die Strafbarkeit des "Erschleichens von Leistungen".
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lil
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 1. Juni 2016: Hiphop vor Urheberrecht / doch Störerhaftung? / EuGH und Kopftuchverbot . In: Legal Tribune Online, 01.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19649/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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