Ist die Äußerung Pirinçcis auf der Pegida-Kundgebung Volksverhetzung? Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Außerdem in der Presseschau: Verhandlungen über neues europäisches Wahlrecht und EGMR verurteilt die Türkei wegen Polizeigewalt.
Thema des Tages
StA Dresden – KZ-Bemerkung: Auf der Pegida-Kundgebung hetzte der deutsch-türkische Autor Akif Pirinçci gegen Politiker und Muslime. "Es gäbe natürlich andere Alternativen, aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb," hatte Pirinçci mit Blick auf deutsche Politiker gesagt. Nun prüft die Staatsanwaltschaft Dresden den Verdacht der Volksverhetzung. Dies melden unter anderem zeit.de, das Handelsblatt (Donata Riedel) und die Welt (Matthias Kamann – Onlinefassung). Die taz (Christian Rath) erläutert darüber hinaus den Straftatbestand der Volksverhetzung und beurteilt die Aussage Pirinçcis rechtlich. Über den allgemeinen Ablauf der Pegida-Demonstration und zu den Hintergründen der Bewegung schreibt außerdem die FAZ (Stefan Locke).
Tanjev Schultz (SZ) vergleicht die politische Kultur von Pegida mit der "Broken-Windows-Theorie" aus der Kriminologie. Er fordert, dass die Polizei härter gegen rechtsradikale Straftäter vorgehe, "sonst werden diese die politische Kultur nach Belieben demolieren." "Im Kampf [gegen den alltäglichen Neonazi-Terror] erweist sich der Staat seit Jahren als schwach und verzagt." Reinhard Müller (FAZ) fordert, dass "Bürger wie Politik […] sich auf die Seite der Schwachen stellen, alle Staatsgewalten gegen Unrecht vorgehen und das Recht wahren [müssen]." Nicht jede scharfe Stimme gegen die Flüchtlingspolitik der großen Koalition dürfe jedoch als rechtsextrem gebrandmarkt werden. Der Staat gerate angesichts der Flüchtlingszahlen an seine Grenzen; es sei sogar von einem Kontrollverlust die Rede.
Rechtspolitik
EU-Wahlrecht: Wie die SZ (Wolfgang Janisch/Thomas Kirchner) berichtet, soll das europäische Wahlrecht geändert werden, um so das Parlament durch stabile Mehrheiten und große Fraktionen funktionsfähiger zu machen und Splitterparteien mit einzelnen Abgeordneten zu verhindern. Dazu soll europaweit eine Sperrklausel von drei bis fünf Prozent eingeführt werden. Des Weiteren soll das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt werden, die Listen, um die Chancengleichheit zu erhöhen, sollen nach dem "Reißverschluss"-Verfahren abwechselnd mit männlichen und weiblichen Kandidaten besetzt werden und das Logo der europäischen Partei, der ein Kandidat angehört, soll auf den Plakaten so groß sein wie das seiner nationalen Partei.
Eingetragene Partnerschaften: Die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Juana Remus und Valérie Suhr zeichnen auf juwiss.de die politische Diskussion zur gleichgeschlechtlichen Ehe nach. Anlass ist die Debatte im Bundestag vom letzten Donnerstag zum "Gesetzentwurf zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner". Verfassungsrechtliche Probleme bei einer Gleichstellung zur Ehe, welche gerade nicht verhandelt wurde, sehen die Autorinnen nicht, vielmehr sei diese verfassungsrechtlich geboten. Besonders diskriminierend sei die derzeitige Situation für gleichgeschlechtliche Lebenspartner mit Kinderwunsch.
Ehegattensplitting: Die SPD wagt einen neuen Vorstoß das Ehegattensplitting abzuschaffen: "Das Ein-Ernährer-Modell mit der hinzuverdienenden Partnerin ist nicht mehr der Maßstab für die Mehrheit." Die taz (Ulrich Schulte) erklärt wie das Splitting steuerrechtlich funktioniert und zeigt die gegensätzlichen Positionen von SPD, Union, Grünen und Linken auf.
Ulrike Hermann (taz) findet, dass kaum eine Steuersubvention so ungerecht sei: "Sie begünstigt Besserverdiener, während Alleinerziehende leer ausgehen." Das von der SPD vorgeschlagene "Familiensplitting" sei gut, aber nicht neu. Das Ehegattensplitting sei Teil eines Teufelskreises, in den viele Frauen geraten.
Justiz
BGH zu Bankkartengebühr: Banken dürfen von ihren Kunden bei Verlust der Geldkarte keine Gebühr für eine neue Karte verlangen. Dies hat nun der Bundesgerichtshof entschieden, melden zeit.de und die Welt (Karsten Seibl). Geklagt hatten Verbraucherschützer gegen die Postbank. Das Ausstellen einer Ersatzkarte sei keineswegs eine Serviceleistung der Bank; sie erfülle nur ihre vertragliche Pflicht.
OLG München – NSU: Mit einer Video-Anlage haben die mutmaßlichen Rechtsterroristen Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos die Zugänge zu ihrer Wohnung überwacht. Jetzt wurden die Videobänder im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München gezeigt. Einzelheiten über deren Inhalt, sowie über das Verhalten der Verteidiger Zschäpes berichten spiegel.de (Gisela Friedrichsen) und die SZ (Annette Ramelsberger).
VG Berlin zu Transparenz im Parlament: Der Bundestag muss über Ermittlungen gegen Abgeordnete berichten. Dies hat das Berliner Verwaltungsgericht entschieden, berichtet Tsp (Jost Müller-Neuhof). "Die Garantie des freien Mandats hat nicht zur Folge, dass sich Abgeordnete einer öffentlichen Diskussion über ihr Verhalten entziehen könnten." Geklagt hatte der Tagesspiegel mit einer Auskunftsklage.
LG Hof zu Reproduktionsmediziner: Wie die SZ meldet, verurteilte das Landgericht Hof einen Reproduktionsmediziner unter anderem wegen Verstöße gegen das Embryonenschutzgesetz und das Transplantationsgesetz zu einer Freiheitstrafe von fünf Jahren. Er habe eine Art "Eizellenbank" aufgebaut, um so Frauen mit Kinderwunsch Eizellen fremder Frauen einzusetzen. Auch habe er mehr als eine Million Euro Steuern hinterzogen, sowie bei der Abrechnung für die Kassenärtzliche Vereiningung betrogen.
LG Stuttgart – Wiedeking: Die SZ (Thomas Fromm u.a) und das Handelsblatt (Martin Buchenau) berichten über die Hintergründe des Wiedeking-Prozesses, welcher diesen Donnerstag vor dem Landgericht Stuttgart beginnt. Wendelin Wiedeking, ehemaliger Porschechef und Holger Härter, vormaliger Finanzvorstand bei Porsche sollen im Zuge des Übernahmekampfes um Volkswagen Anleger mit Falschinformationen gezielt getäuscht und den Kurs der Volkswagen-Aktie so manipuliert haben. Es werde für die Juristen schwer werden den Tatbestand der Marktmanipulation aufzuarbeiten, da die Norm bisher selten angewandt wurde und der "Fall heikel und extrem kompliziert" sei.
LG Köln – Salafisten: Am Dienstag hat vor dem Landgericht Köln ein Prozess gegen acht Salafisten begonnen, die durch Einbrüche im Raum Köln und Siegen den bewaffneten Kampf in Syrien unterstützen wollten. Unter anderem sollen sie in zwei Schulen und zwei Kirchen eingebrochen sein. Die Männer müssen sich wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und bandenmäßigen Diebstahls verantworten. Insgesamt sind nach Gerichtsangaben 47 Verhandlungstage bis Ende März 2016 angesetzt, meldet das Handelsblatt.
StA Düsseldorf – Germanwings-Absturz: zeit.de (Lisa Caspari) berichtet über den Besuch Angela Merkels in Haltern und den Verfahrensstand der Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Diese gehe weiterhin davon aus, dass der Copilot Lubitz das Flugzeug aus "suizidaler Absicht" gegen den Felsen steuerte. Außerdem wird der Frage nach der Verantwortung von Lufthansa nachgegangen und die aktuelle Diskussion zur Flugsicherheit nachgezeichnet.
StA Frankfurt/M. – DFB: Die SZ (Hans Leyendecker/Klaus Ott) gibt erste Antworten auf die wichtigsten Fragen zur Affäre um die WM 2006. zeit.de berichtet nun auch über die Erwägungen des Deutschen-Fußball-Bundes Strafanzeige wegen des Verdachts der Untreue gegen den früheren Präsidenten des Verbandes Theo Zwanziger zu stellen.
EuGH zu Umweltklagen: Der Rechtsprofessor Felix Ekardt bespricht auf lto.de das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom letzten Donnerstag zur Erweiterung des Klagerechts von Umweltverbänden. Er zeigt insbesondere auf, wie der Gerichtshof in seinem Urteil mit deutschem Verwaltungsprozessrecht bricht.
Facebook: In einem Leitartikel bespricht die BerlZ (Christian Bommarius) die Anzeige des Würzburger Rechtsanwalts Chan-jo Jun gegen drei Manager von Facebook wegen Beihilfe zur Volksverhetzung. Er erklärt wie Facebook den Schutz der Meinungsfreiheit definiert. spiegel.de (Fabian Reinbold) fasst die aktuellen Streitigkeiten gegen Facebook zusammen. In einem Gastbeitrag berichtet der Anwalt Carlo Piltz in der FAZ nun auch über das Positionspapier des Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz in Schleswig Holstein. Im Interview mit der FAZ (Bernd Freytag) spricht Luca Mucic, Finanzvorstand von SAP, über die Safe-Harbor Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs und dessen Folgen.
Entsprechen Hassbotschaften den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook, "dann sind die Regeln das Papier nicht wert, auf dem sie stehen," äußert Christian Bommarius (BerlZ) in einem gesonderten Kommentar. Facebook begründe seine Zurückhaltung beim Löschen von Hassbotschaften mit der Meinungsfreiheit; in erster Linien seien soziale Netzwerke jedoch ein Geschäftsmodell und "nur unter anderem Kommunikationsplattform."
Thomas Fischer: Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet über den "Justiz-Talk" mit "Deutschlands bekanntesten Strafrichter" Thomas Fischer, zu welchem Zeit Online eingeladen hatte, um so den Mann hinter der Kolumne "Fischer im Recht" kennenzulernen. "Außergewöhnlich sind Fischers Texte schon, weil er selbst außergewöhnlich ist. Richter, zumal Bundesrichter, [pflegen] ihre politische Sicht der Dinge mit Eintritt in den Staatsdienst ihrer Intimsphäre zuzuweisen".
Revision im Zivilprozess: Der Rechtsanwalt Ekkehart Reinelt fordert auf lto.de, dass die Berufungsgerichte häufiger kritisch prüfen sollen, "ob und wann eine Zulassung der Revision sinnvoll und geboten ist" und dass der Bundesgerichtshof seine "überaus strenge und restriktive Zulassungspraxis überdenken" solle. Nur dann könne dem Trend entgegengewirkt werden, dass die Parteien in außergerichtliche, nicht-öffentliche Streitlösungen ausweichen. Dies könne nicht im Sinne einer Sicherung und Vereinheitlichung der Rechtsprechung sein.
Studienplatzklage: Das Handelsblatt (Carola Sonnet) erklärt, wie eine Studienplatzklage funktioniert und sprach mit auf Studienplatzklagen spezialisierten Anwälten. Klagen für einen Studienplatz in Medizin seien schwieriger geworden, bei sozialer Arbeit oder Medienwissenschaften jedoch sei die Chance auf einen Vergleich mit einer Hochschule sehr gut.
Recht in der Welt
EGMR – Polizeigewalt: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte die Türkei wegen Polizeigewalt. 1999 sollen Polizisten eine Türkin vier Tage lang in Polizeigewahrsam misshandelt haben. Sie sei an Armen aufgehängt, gegen die Wand geworfen, zum Entkleiden gezwungen und mit Vergewaltigung bedroht worden. Der Gerichtshof sprach der Betroffenen 45.000 Euro Entschädigung zu, meldet spiegel.de.
Irland – Safe-Harbor: Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Übermittlung von Daten in die USA hat das oberste Gericht in Dublin angeordnet, dass die irische Datenschutzbehörde nun die Geschäftspraktiken Facebooks überprüfen müsse, so spiegel.de und zeit.de. Facebook hat seinen EU-Sitz in Irland.
Frankreich – Le Pen: Im Prozess gegen die rechtsextreme französische Politikerin Marine Le Pen wegen islamkritischer Äußerungen hat die Staatsanwaltschaft einen Freispruch gefordert, berichten die taz (Rudolf Balmer), zeit.de und die FAZ (Christian Schubert). Die Politikerin habe nur ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausgeübt, als sie Ende 2010 Straßengebete von Muslimen mit der NS-Besatzung in der Zeit des Zweiten Weltkriegs verglich. Angeklagt wurde sie wegen "Anstiftung zu Diskriminierung, Gewalt oder Hass gegen eine Personengruppe wegen ihrer Religionszugehörigkeit". Das Urteil wird für den 15. Dezember erwartet.
Sonstiges
Ignacio Garcia Bercero: Die SZ (Alexander Hagelüken/Alexander Mühlauer) porträtiert Ignacio Garcia Bercero, Europas Chefverhandler für TTIP und zeichnet seinen schwierigen Job, die europäischen Umwelt- und Lebensmittelstandards mit den USA zu verteidigen, nach.
OB-Kandidatin Köln: Im Interview mit lto.de (Tanja Podolski) erklärt der Rechtsprofessor Michael Schmitz die verfahrensrechtliche Vorgehensweise der nächsten Tage in Köln. Auf die am Sonntag zur Oberbürgermeisterin gewählte Henriette Reker wurde am Samstag ein Attentat verübt. Sollte sie das Amt nicht annehmen, würden im Mai 2016 Neuwahlen anstehen.
Tagesverträge bei der Deutschen Post: zeit.de (Zacharias Zacharakis) zeigt auf, dass die Deutsche Post Hunderte von Mitarbeitern über viele Jahre hinweg mit Tagesverträgen beschäftigt in sogenannten Rahmenvereinbarungen. Dies sei rechtlich problematisch, da Arbeitsverträge ohne sachlichen Grund maximal viermal verlängert werden können, wird der Arbeitsrechtsprofessor Olaf Deinert wiedergegeben. Der Europäische Gerichtshof hat in einem anderen Fall darauf hingewiesen, dass bei Kettenbefristungen durch Vorschieben des Sachgrunds Missbrauch vorliegen könnte.
Notwehr: In seiner Kolumne erklärt der Bundesrichter Thomas Fischer auf zeit.de aus gegebenem Anlass die Bedeutung der Notwehr im Strafgesetzbuch.
U-Ausschuss zur bayerischen Justizaffäre: Das Handelsblatt (Sönke Iwersen) berichtet über die Vernehmung des Zeugen Wolfgang Natale, ehemaliger Staatsanwalt in Augsburg, vor dem Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags am vergangenen Montag zur Justizaffäre in Bayern 2008. Hintergrund ist ein mutmaßlicher Abrechnungsbetrug, an dem 10.000 Ärzte und ein Großlabor beteiligt gewesen sein sollen. Die Generalstaatsanwaltschaft München gab mitten im Verfahren alle Fälle nach Augsburg ab, dort wurden innerhalb weniger Wochen mehr als 100 Verfahren eingestellt und mehr als 9.800 Verfahren ließen die Beamten verjähren.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ps
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 21. Oktober 2015: "KZs sind leider außer Betrieb" – neues EU-Wahlrecht - Polizeigewalt in der Türkei . In: Legal Tribune Online, 21.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17283/ (abgerufen am: 17.05.2024 )
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