Bisher kann die Polizei Vertrauenspersonen - umgangssprachlich auch als "V-Leute" bezeichnet - als Spitzel einsetzen, ohne dass es dafür spezielle gesetzliche Regeln gibt. Das soll sich nach einem Entwurf aus dem BMJ künftig ändern.
Es sind Fälle wie der von Murat Cem, die das Bundesjustizministerium (BMJ) zum Handeln bewegt haben. Der ehemalige V-Mann hatte die Polizei jahrelang darüber unterrichtet, was er über seine Verbindungen zu Islamisten und Drogendealern alles mitbekam. Wie der Spiegel berichtet, beging Cem während seiner zeit als Spitzel zahlreiche Straftaten, Polizisten sagten für ihn vor Gericht falsch aus und er kaufte von dem Spesengeld sogar Kokain.
Mit solchen Missständen begründet das Ministerium nun geplante Änderungen in seinem jüngsten Referentenentwurf, der LTO vorliegt. Die Vorschläge für eine Gesetzesänderung betreffen vor allem zwei Bereiche zum Einsatz von V-Leuten: Erstens werden Voraussetzungen für den Einsatz von V-Leuten im Gesetz aufgestellt, zweitens wird die mit ihrem Einsatz zusammenhängende Tatprovokation normiert.
Das Ende des nur schwach normierten Einsatzes von V-Leuten?
Bisher ist der Einsatz von V-Leuten durch die Strafverfolgungsbehörden – anders als beim Verfassungsschutz - in der Strafprozessordnung (StPO) nicht explizit geregelt. Der Einsatz wird auf die Ermittlungsgeneralklausel in § 163 Abs. 1 S. 2 StPO gestützt. Die Norm erlaubt "Ermittlungen jeder Art", ist also denkbar weit.
Der Referentenentwurf sieht stattdessen vor, dass V-Leute künftig nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft nach Anordnung durch ein Gericht eingesetzt werden dürfen. Außerdem soll es klare Vorgaben zur Rekrutierung von V-Leuten geben: Wer wegen eines Verbrechens oder zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde, kommt demnach grundsätzlich nicht für die Arbeit als Spitzel in Frage.
Um zu starke persönliche Verflechtungen zwischen Polizei und V-Leuten zu verhindern, dürfen V-Leute künftig auch nur noch maximal fünf Jahre lang tätig sein.
Beschnittene Ermittlungsmöglichkeiten der Polizei
Kritiker befürchten, dass diese geplanten Regeln eine effektive Strafverfolgung behindern werden. Besonders bedeutende Kriminelle schieden aufgrund ihrer Vorstrafen nach dem Entwurf als Vertrauenspersonen aus. Befürworter der vorgesehenen Regeln halten dagegen, dass die Wahrheitsfindung nicht zu Lasten rechtsstaatlicher Kontrolle und Transparenz gehen dürfe. Außerdem erfordere die Grundrechtsschranke des Gesetzesvorbehalts, dass das Parlament die Voraussetzungen für gewichtige Grundrechtsingriffe festlege.
Im Entwurf selbst findet sich noch ein weiteres Argument: So wie es derzeit praktiziert wird, würden durch den Einsatz von V-Leuten die im Vergleich dazu sehr strengen Regeln für den Einsatz verdeckter Ermittler praktisch umgangen. Für den Einsatz von verdeckten Ermittlern gibt es nämlich bereits in §§ 110a ff. StPO wesentlich differenziertere Vorschriften als für den Einsatz von V-Leuten. Hier schlägt das Ministerium mit seinem Entwurf nur eine Verschärfung der Regeln zum sogenannten Kernbereichsschutz vor. Mit anderen Worten: Besonders intime Details von Personen, auf die ein verdeckter Ermittler angesetzt ist, sollen besser geschützt werden.
Der Unterschied zwischen verdeckten Ermittlern und V-Leuten ist, dass verdeckte Ermittler Polizisten sind, die "undercover" ermitteln. V-Leute hingegen sind - so ordnet es der BMJ-Entwurf ein - Personen, die "vertraulich eine Strafverfolgungsbehörde bei der Aufklärung einer Straftat unter Führung der Strafverfolgungsbehörde unterstützen". Vereinfacht gesagt handelt es sich um Milieu-Angehörige, die ihr Umfeld gegen Geld bespitzeln.
Maßstäbe für die Tatprovokation vom BGH übernommen
V-Leute haben als Insider enge Kontakte zu den Zielpersonen der Ermittlungsbehörden. Entsprechend stellt sich immer wieder die Frage, inwieweit V-Leute für die Polizei andere mutmaßliche Kriminelle zu Beweiszwecken zu Taten verleiten dürfen. Der aktuelle Entwurf definiert als Voraussetzung, "dass der Beschuldigte generell zur Begehung von Taten dieser Art bereit ist und das Verleiten ohne erhebliches Einwirken auf ihn erfolgt. Die Tat, zu der der Beschuldigte verleitet werden soll, muss nach Art und Schwere in einem angemessenen Verhältnis zur Tat stehen, derer der Beschuldigte verdächtigt wird."
Der Handlungsspielraum der Behörden endet dabei an der Grenze der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation. Der Entwurf richtet sich hierbei an den Maßstäben, die der Bundesgerichtshof (BGH) entwickelt hat.
Bis zum Ende des Monats hat das SPD-geführte Innenministerium Zeit, sich zu der Vorlage aus dem BMJ zu verhalten. Bis der Entwurf dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt werden könnte, wird es noch einige Monate dauern. Bei der komplexen Abwägung zwischen Wahrheitsfindung und Beschuldigtenrechten in einem Rechtsstaat ist mit viel Abstimmungsbedarf zwischen den Ministerien zu rechnen.
Gesetzentwurf aus dem BMJ: . In: Legal Tribune Online, 20.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52300 (abgerufen am: 10.12.2024 )
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