Weil er fragte, ob die Corona-Impfkampagne die "Banalität des Bösen" sei, kassierte der sachsen-anhaltische Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider (AfD) einen Ordnungsruf. Diesen bestätigte nun das Landesverfassungsgericht.
Ein Ordnungsruf gegen einen Abgeordneten, der eine Herabwürdigung des politischen Gegners und keine inhaltliche Auseinandersetzung darstellt, ist zulässig. Das entschied das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt (LVerfG) am Montag (Urt. v. 21.8.2023, Az. LVG 20/22).
Hintergrund des Organstreitverfahrens war eine Äußerung des AfD-Abgeordneten Hans-Thomas Tillschneider in der Landtagssitzung im Februar 2022. Im Landtag wurde über eine Aktion des Bildungsministeriums debattiert, welche zur Eindämmung der Coronapandemie unter dem Motto "Wir ham 'nen Stich" für 12- bis 17-Jährige durchgeführt worden war. In diesem Zusammenhang hatte der Abgeordnete im Landtag erklärt: "Wenn ich aber über die Initiatoren dieser Kampagne nachdenke, frage ich mich: Weshalb tut man das? Ist es ein Selbstläufer? Ist es Trägheit? Ist es Feigheit? Ist es Bosheit? Ist es die Banalität des Bösen?"
Landtagsvizepräsident Wulf Gallert (Linke) erteilte ihm für diese Formulierung einen Ordnungsruf. Die Begrifflichkeit "Banalität des Bösen" geht auf die Philosophin Hannah Arendt zurück, die als Berichterstatterin den Prozess gegen den NS-Verbrecher Adolf Eichmann in Israel verfolgt hatte. Ihr Buch über den Prozess betitelte sie "Die Banalität des Bösen". Gallert sah in der Formulierung Tillschneiders "eine rote Linie überschritten".
Tillschneider hingegen fühlte sich durch den Ordnungsruf in seinem Recht auf parlamentarische Redefreiheit verletzt. Er stellte beim LVerfG einen Antrag gegen den Ordnungsruf im Wege eines Organstreitverfahrens, der nun aber zurückgewiesen wurde. Die Richter stellten fest, dass der Ordnungsruf die Redefreiheit des Landtagsabgeordneten nicht verletze.
Die Aussage Tillschneiders berge die Unterstellung, dass die Initiator:innen der Impfkampagne moralisch dem NS-Regime, in dem durch die scheinbar banale Erfüllung bürokratischer Aufgaben "dem schlechthin Bösen wie es im millionenfachen Mord an Juden zutage getreten ist", zur Verwirklichung verholfen habe. Die Äußerung könne insgesamt als "Herabwürdigung des politischen Gegners und nicht als Beitrag zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung verstanden werden". Gegen einen solchen "Verstoß gegen Ordnung, Würde und Ansehen des Landtags" sei ein Ordnungsruf gerechtfertigt.
ast/LTO-Redaktion mit Materialien der dpa
Ordnungsruf wegen NS-Vergleichs: . In: Legal Tribune Online, 22.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52531 (abgerufen am: 11.10.2024 )
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