Druckversion
Samstag, 24.05.2025, 17:45 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/nachrichten/n/bverfg-2bvr90022-wiederaufnahme-reaktionen-krings-dav-buschmann
Fenster schließen
Artikel drucken
53030

Reaktionen zum Wiederaufnahme-Urteil des BVerfG: "Bitter für die Ange­hö­rigen von Mord­op­fern"

von Hasso Suliak

31.10.2023

CDU-Rechtspolitiker Günter Krings

Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Dr. Günter Krings, kritisierte das Urteil des BVerfG. Die Verfolgung russischer Kriegsverbrechen würde nun erschwert. Foto: picture alliance / Flashpic | Jens Krick

Das Urteil des BVerfG zur Wiederaufnahme nach rechtskräftigem Freispruch hat geteilte Reaktionen hervorgerufen. Während die Anwaltschaft jubelt und der Bundesjustizminister sich bestätigt fühlt, reagieren Unionspolitiker enttäuscht.

Anzeige

So erbittert im Vorfeld über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der 2021 von Union und SPD eingeführten neuen Wiederaufnahme-Vorschrift gestritten worden war, so konträr fielen am Dienstag auch die Reaktionen auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus. Der Zweite Senat unter Vorsitz von BVR'in Doris König und der für das Verfahren zuständigen Berichterstatterin BVR'in Astrid Wallrabenstein hatte § 362 Nr.5 Strafprozessordnung (StPO) gleich aus mehreren Gründen für verfassungswidrig und nichtig erklärt.

In einem knappen Statement brachte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) seine Zufriendenheit mit der Entscheidung des Karlsruher Gerichts zum Ausdruck: "Seit der Einführung der Norm gab es Zweifel an ihrer Verfassungskonformität, die ich auch geteilt habe. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts erlangen wir nun Klarheit und Rechtssicherheit. Das muss die Politik nun respektieren."

DAV und RAV begrüßen BVerfG-Urteil

Begrüßt wurde die Entscheidung auch seitens der Anwaltschaft. "Das Gesetz hat faktisch eine unbegrenzte Möglichkeit zur Wiederaufnahme von Mordverfahren geschaffen und Freisprüchen die Rechtskraftwirkung genommen“, erklärte Rechtsanwalt Stefan Conen vom Ausschuss Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV). Gegenüber LTO stellte der Strafverteidiger klar, dass mit der Entscheidung des BVerfG letztlich nur das bekräftigt worden sei, was eigentlich immer Konsens gewesen sei: "Dass nämlich das Grundgesetz eine eindeutige, abwägungsfeste Entscheidung zugunsten der Rechtskraft von Freisprüchen getroffen hat. Diese Wertung der Verfassung wollte das jetzt gekippte Gesetz unter Berufung auf Gefühlskategorien aufkündigen", so Conen. Es sei beruhigend, dass sich das BVerfG dem verschlossen habe. Im Rückblick bleibe es dennoch erstaunlich, wieviel Widerhall der Versuch, eine klare Wertentscheidung des Grundgesetzes zu relativieren nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wissenschaft gefunden habe.

Peer Stolle, Fachanwalt für Strafrecht vom Republikanischen Anwaltverein (RAV) zeigte sich ebenfalls erfreut: "Es ist zu begrüßen, dass das BVerfG klargestellt hat, dass auch das Doppelverfolgungsverbot abwägungsfest ist. Jemand, der wegen einer Tat freigesprochen wurde, muss darauf vertrauen dürfen, dass diese Entscheidung Bestandskraft hat." Auch Arne Meyn von der Initiative "nichtzweimal", zu deren Initiatoren u.a. der ehemalige Präsident des DAV, Ulrich Schellenberg gehört, begrüßte das Karlsruher Urteil gegenüber LTO: Das BVerfG habe das Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit mit klaren und entschiedenen Worten zurückgewiesen und den Grundsatz ne bis in idem als abwägungsfest gestärkt. "Das Streben nach materieller Gerechtigkeit um jeden Preis findet seine Grenze in Vertrauensschutz und Menschenwürde; ein klares Nein zu einer Aufweichung der Justizgrundrechte. Daran zeigt sich, wie schlecht die Politik beraten ist, populistisch zu handeln."

Enttäuschte CDU-Rechtspolitiker 

Ganz andere Töne waren unterdessen von denjenigen zu vernehmen, die für die vom BVerfG einkassierte Regelung verantwortlich sind. Etwa dem früheren rechtspolitischen Sprecher der Unionsfraktion Jan-Marco Luczak (CDU). Luczak, in der vergangenen Wahlperiode zuständiger Berichterstatter im Rechtsausschuss der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für das Thema, nannte das Urteil "bemerkenswert". Gegenüber LTO erläuterte er noch einmal das Motiv für die misslungene Gesetzesänderung: "Offensichtlich falsche Freisprüche schaffen keinen Rechtsfrieden. Das war unsere Überzeugung als große Koalition. Deswegen haben wir bei unverjährbaren Verbrechen wie Mord die eng begrenzte Möglichkeit geschaffen, Strafverfahren bei neuen Beweisen neu aufzurollen, um dieses exzeptionelle Unrecht zu sühnen und materielle Gerechtigkeit wiederherzustellen."

Er sei enttäuscht, dass das BVerfG diese Möglichkeit nun verworfen habe, aber die Entscheidung müsse akzeptiert werden, so Luczak. "Aus meiner Sicht gibt es gute Gründe, dem Streben nach materieller Gerechtigkeit bei exzeptionellem Unrecht wie Mord den Vorrang gegenüber der formalen Rechtskraft eines Urteils zuzubilligen." Wie zu erwarten schloss sich Luczak den Sondervoten von BVR'in Langenfeld und BVR Müller an. Diese hatten die Abwägungsfestigkeit von Art.103 Abs.3 GG bezweifelt. "Die Sondervoten der Richter Müller und Langenfeld arbeiten aus meiner Sicht zu Recht heraus, dass die Auffassung der Senatsmehrheit zu schwerwiegenden Wertungswidersprüchen führt", erklärte Luczak. Der Rechtsfrieden und das Vertrauen in rechtsstaatliche Strafverfahren könnten auch dann Schaden nehmen, wenn trotz erdrückender Beweise ein offensichtlich falscher Freispruch bestehen bleibe.

SPD verspricht: Keine Vorstöße zur GG-Änderung geplant

Ähnlich enttäuscht wie Luczak reagierte auch sein Parteifreund, der aktuelle rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Günter Krings (CDU): "Die heutige Entscheidung ist bitter für die Angehörigen von Mordopfern. Ich hätte mir gewünscht, dass das Gericht die Belange der Familien der Opfer und der Allgemeinheit stärker gewichtet hätte", so Krings. Der CDU-Politiker brachte auch noch einen ganz anderen Aspekt ins Spiel: "Es ist zu befürchten, dass die Entscheidung auch negative Auswirkungen auf die Verfolgung von Kriegsverbrechen haben wird: Jetzt werden deutsche Staatsanwälte noch vorsichtiger werden, ob sie beispielsweise ein russisches Kriegsverbrechen bei uns zur Anklage bringen, wenn hier nicht alle Beweismittel aus dem Kriegsgebiet optimal verfügbar oder erreichbar sind. Viele Kriegsverbrecher werden dann voraussichtlich gar nicht vor Gericht gebracht."

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Johannes Fechner bemerkte in einem Statement, das BVerfG habe eine jahrzehntelange rechtspolitische Debatte entschieden. Er kündigte an, die Niederlage in Karlsruhe "selbstverständlich" zu akzeptieren und keine Vorstöße zu unternehmen, "durch eine Grundgesetzänderung unser ursprüngliches Gesetzesziel zu erreichen". Dafür gäbe es im Deutschen Bundestag auch keine Mehrheit aus den demokratischen Fraktionen, so Fechner. Zur Erläuterung, warum die SPD-Fraktion die Regelung seinerzeit forciert hatte, erklärte er: "Es erscheint uns unerträglich, dass ein Täter einer unverjährbaren Tat wie Mord, dem nach vorherigen Freispruch die Tat doch noch nachgewiesen werden kann, nicht in einem zweiten Verfahren verurteilt werden kann."

Auch Vertreter der Polizei äußerten sich am späten Nachmittag zum Urteil des BVerfG. Man nehme die Entscheidung zur Kenntnis, erklärte der stellvertretende Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Alexander Poitz auf "X". "Aus Perspektive der Angehörigen von Opfern und Ermittler:innen sei das Urteil im Ergebnis aber natürlich enttäuschend. Unser Drang nach Gerechtigkeit ist Antrieb der Ermittlungen."*

Anwälte des Beschwerdeführers erfreut 

Natürlich erfreut reagierten die Anwälte des Beschwerdeführers gegenüber LTO auf das Karlsruher Urteil. Entschiedener hätte das BVerfG die Grundrechtsverletzungen des Gesetzes nicht herausstellen können, so die Hamburger Strafverteidiger Johann Schwenn, Leon Kruse und Yves GeorgYves Georg. "Mit deutlichen Worten hat es klargemacht, dass Freigesprochene auch beim Vorliegen neuer Tatsachen oder Beweismittel nicht mit einem neuen Verfahren überzogen werden dürfen. Das gilt nicht nur für die bisherige Fassung – auch eine Beschränkung auf neue kriminaltechnische Methoden würde die Mängel nicht heilen. Einen zweiten Versuch wird es nicht geben."

 

*Anmerkung der Redaktion: Reaktion wurde ergänzt am Tag des Erscheinens, 16.45 Uhr.

 

     

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Reaktionen zum Wiederaufnahme-Urteil des BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 31.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53030 (abgerufen am: 24.05.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Strafrecht
    • BVerfG
    • Kriegsverbrechen
    • Mord
    • Strafverfahren
    • Wiederaufnahme
Dr. Josef Christ 22.05.2025
BVerfG

Neuwahl eines Verfassungsrichters:

BVerfG schlägt Spinner, Klein und Menges vor

Schneller als erwartet hat das Bundesverfassungsgericht drei Personalvorschläge für die Nachfolge von Josef Christ gemacht: den BAG-Richter Günter Spinner und die BGH-Richter:innen Oliver Klein und Eva Menges.

Artikel lesen
StVE Stollberg/Hoheneck 20.05.2025
Befangenheit

Befangenheitsantrag in DDR-Rehablitationsverfahren abgelehnt:

BVerfG bemän­gelt "grund­le­gende Ver­ken­nung des Gewähr­leis­tungs­ge­halts"

Auch Jahrzehnte später kämpfen DDR-Opfer um Rehabilitierung. Das BVerfG stellte in einem Verfahren nun erhebliche Rechtsverstöße des LG Meiningen fest.

Artikel lesen
Zwei Polizeibeamte begleiten einen Angeklagten in den Gerichtssaal des Oberlandesgerichts München. Prozessbeginn zu Spionagevorwürfen. 20.05.2025
Nachrichten

Oberlandesgericht München:

Pro­zess­be­ginn wegen Spio­na­ge­vor­würfe

Drei Deutsch-Russen stehen in München wegen Spionagevorwürfen vor Gericht. Die Angeklagten bestreiten die Vorwürfe – einer soll laut Verteidigung nur auf eigene Faust den Spion gespielt haben. 

Artikel lesen
Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal, die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas und der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha bei einer Pressekonferenz beim Treffen der EU-Außenminister am 9.5.2025. 19.05.2025
Ukraine-Krieg

Russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine:

Der euro­päi­sche Weg zum Son­der­tri­bunal

Schon lange wurde ein Sondergerichtshof für den Ukraine-Krieg gefordert. Jetzt hat der Europarat die Einrichtung beschlossen. Wie es jetzt weitergeht und wie das Tribunal ausgestaltet sein wird, erläutert Franziska Rinke.

Artikel lesen
Polizeimitarbeiter in Uniform nimmt DNA-Spuren 16.05.2025
DNA-Analyse

Justizminister wollen DNA-Analyse erweitern:

"Der Vor­schlag ist ras­sis­tisch"

Anwaltsverbände sind empört: Die Länderjustizchefs wollen sich Anfang Juni für die hochumstrittene "biogeografische DNA-Analyse" aussprechen. Bei der Suche nach Straftätern könnten dann auch Aussagen über deren Herkunft getroffen werden. 

Artikel lesen
Quarzhandschuhe, die bei geballter Faust bretthart werden 16.05.2025
Körperverletzung

BGH sieht "durchgreifenden Rechtsfehler":

20 Schläge mit Quarz­hand­schuhen spre­chen für Töt­ungs­vor­satz

Drei Täter, die ihrem Opfer mit Quarzsandhandschuhen über 30 Sekunden lang 20-mal ins Gesicht schlagen: Hier nicht von bedingtem Tötungsvorsatz auszugehen, ist abwegig, hat der BGH klargestellt und ein Urteil des LG Marburg aufgehoben.

Artikel lesen
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von GvW Graf von Westphalen
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) Stand­ort Stutt­gart

GvW Graf von Westphalen , Stutt­gart

Logo von Wolters Kluwer
Ju­rist als Pro­dukt­ma­na­ger im Be­reich Con­tent - Straf­recht (m/w/d)

Wolters Kluwer , Hürth

Logo von CMS Deutschland
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) für den Be­reich Wirt­schafts­straf­recht

CMS Deutschland , Stutt­gart

Logo von FPS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH & Co. KG
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) für al­le Rechts­be­rei­che

FPS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH & Co. KG , Ham­burg

Logo von Wolters Kluwer
Ju­rist als Pro­dukt­ma­na­ger Print & On­li­ne (m/w/d)

Wolters Kluwer , Hürth

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Cott­bus

Logo von Oppenhoff
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) al­le Fach­be­rei­che

Oppenhoff , Köln

Logo von Evangelische Hochschule Freiburg
Pro­fes­sur für Recht in der So­zia­len Ar­beit (m/w/d)

Evangelische Hochschule Freiburg , Frei­burg im Breis­gau

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Matchwinner Verfahrensrecht

26.05.2025

Logo von Deloitte Legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Das EU-Geldwäscheprävention-Maßnahmenpaket

28.05.2025

Der Umgang mit Betriebsprüfern und Steuerfahndern

28.05.2025

Logo von Leuphana Universität Lüneburg
Triff Möhrle Happ Luther auf der FOR YOUR CAREER in Lüneburg

27.05.2025, Lüneburg

Krisenland. Finanzielle Restrukturierung durch StaRUG-Verfahren.

05.06.2025, Frankfurt am Main

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH