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BGH verwirft Revisionen: Mord­ver­ur­tei­lung und Frei­sprüche im Lübcke-Pro­zess bestä­tigt

25.08.2022

Der Dritte Strafsenat beim Bundesgerichtshof (BGH), (l-r) Renate Wimmer, Jürgen Schäfer (Vorsitz), und Johannes Berg eröffnet die Verhandlung zur Überprüfung des Urteils im Mordfall Lübcke.

Im Mordprozess Lübcke wurden sämtliche sechs Revisionen verworfen. Auch der Freispruch für Lübckes Mörder Stephan Ernst wegen versuchten Mordes an einem Flüchtling bleibt bestehen. picture alliance/dpa/dpa Pool | Uli Deck

Der BGH bestätigt die Verurteilung von Stephan Ernst wegen Mordes an Walter Lübcke und den Freispruch für Markus H. wegen Beihilfe. Auch der Freispruch von Ernst wegen des Vorwurfs des versuchten Mordes an einem Flüchtling hält vor dem BGH.

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Das Urteil im Mordfall Walter Lübcke ist rechtskräftig. Der Bundesgerichtshof (BGH) verwarf am Donnerstag sämtliche Revisionen - unter anderem von den Hinterbliebenen des früheren Kasseler Regierungspräsidenten, den Angeklagten und der Generalbundesanwaltschaft (Urt. v. 25.08.2022, Az. 3 StR 359/21). Der Vorsitzende Richter des dritten Strafsenats, Jürgen Schäfer, sprach von einer "fehlerfreien Beweiswürdigung" des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt am Main - sowohl mit Blick auf die Schuldsprüche als auch auf die Freisprüche.

Das OLG verurteilte den Rechtsextremisten Stephan Ernst am 28.01.2021 wegen Mordes zu lebenslanger Haft und stellte die besondere Schwere der Schuld fest (Urt. v. 28.01.2021, Az. 5-2 StE 1/20 - 5a). Das OLG hatte es als erwiesen angesehen, dass der heute 48-jährige Ernst den CDU-Politiker Lübcke am 1. Juni 2019 spätabends zu Hause auf dessen Terrasse aus nächster Nähe mit einem Kopfschuss getötet hatte. Er habe seinen Fremdenhass auf Lübcke projiziert, seit sich dieser auf einer Bürgerversammlung Jahre zuvor für die Aufnahme von Flüchtlingen ausgesprochen hatte. Den wegen Beihilfe Mitangeklagten Markus H. sprach das OLG in diesem Punkt frei. 

Auch Ernst wurde freigesprochen, was den Vorwurf des versuchten Mordes am irakischen Flüchtling Ahmed I. angeht, der wie die Familie Lübcke als Nebenkläger auftrat. Gegen das Urteil legten alle Beteiligten Revision ein.

  • Die Familie Lübcke und die Bundesanwaltschaft wendeten sich gegen den Freispruch von Markus H. 
  • Ahmed I. und die Bundesanwaltschaft gegen den Freispruch von Ernst, was den mutmaßlichen Messerangriff auf Ahmed I anging.
  • Stefan Ernst wandte sich gegen die Mordverurteilung, plädierte auf Totschlag.
  • Und Markus H. wandte sich gegen die Veurteilung wegen eines Waffendelikts.

Am 28.07.2022 tauschten die Parteien vor dem BGH in der mündlichen Verhandlung umfassend Argumente aus. Nun das Urteil des BGH. Aus seiner Sicht hat das OLG die Tat von Ernst richtig gewürdigt, insbesondere die Mordmerkmale Heimtücke und niedrige Beweggründe. Lübcke sei an jenem Abend arg- und wehrlos gewesen, er habe keine Chance gehabt. "Das Mittel der politischen Auseinandersetzung ist das Wort, nicht die Gewalt", sagte Richter Schäfer während der rund 45-minütigen Urteilsbegründung.

Freispruch für Markus H. bleibt bestehen

Den Mitangeklagten Markus H., einen Freund von Ernst aus der rechten Szene, hatte das OLG zu einer anderthalbjährigen Bewährungsstrafe wegen eines Waffendelikts verurteilt - aber nicht wie angeklagt wegen Beihilfe zum Mord an Lübcke. Er kam im Oktober 2020 frei. Die Beweiswürdigung des OLG weise auch in diesem Punkt keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf, sagte BGH-Richter Schäfer. Unter anderem seien am Tatort keine Spuren des Angeklagten gefunden worden.

Das OLG habe zudem keinen Rechtsfehler gemacht, indem es der ersten Aussage von Ernst nur teilweise Glauben schenkte, die dortigen Anschuldigungen gegenüber Markus H. aber nicht als bewiesen ansah. Hier war in der mündlichen Verhandlung diskutiert worden, ob das OLG fälschlich von einer Beweisregel ausging, nach der einem lügenden Angeklagten allgemein nicht geglaubt werden dürfe. Der BGH wollte dem OLG diesen Vorwurf jedoch nicht machen. Auch wenn manche Passagen in dem langen Urteil dahingehend missverstanden werden könnte, würde im Gesamtkontext deutlich werden, dass das Gericht jede einzelne Aussage von Ernst auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft habe.

Die Familie des CDU-Politikers und die Bundesanwaltschaft hatten vor allem den Teilfreispruch für Markus H. moniert. Aus ihrer Sicht spielte der heute 46-Jährige eine wesentlich zentralere Rolle. Er habe mit Ernst schießen geübt und ihn in seinem Willen zur Tat bestärkt. Die Hinterbliebenen halten ihn sogar für einen direkten Mittäter.
Die Witwe Irmgard Braun-Lübcke hatte in der Verhandlung am BGH Ende Juli gesagt: "Für uns ist es wichtig, dass wir die ganze Wahrheit erfahren." Das bisherige Urteil lasse noch einige Fragen offen. Dabei gehe es vor allem um die letzten Minuten im Leben ihres Mannes: Gab es noch einen Wortwechsel, wurde er aus dem Hinterhalt erschossen?

Die Ermordung ihres Mannes, des Vaters ihrer beiden Söhne, des Großvaters ihrer vier Enkel, gehöre nun zu ihrem Leben, sagte Braun-Lübcke. Die Familie müsse damit umgehen. Das gelinge mal mehr, mal weniger gut, sagte sie. "Mit diesem Mord ist nicht nur sein Leben zerstört worden, sondern auch unsere teilweise." Richter Schäfer sprach am Donnerstag von "eindrucksvollen Worten", die in Erinnerung blieben. Der Wunsch der Familie nach genauerer Aufklärung sei verständlich. Dass dies nicht geschah, habe aber an der konkreten Beweislage gelegen und nicht etwa am Unwillen des OLG.

Freispruch für Ernst wegen versuchten Mordes an Flüchtling rechtsfehlerfrei

Neben dem Fall Lübcke ging es in dem Verfahren noch um einen Angriff auf einen irakischen Asylbewerber. Jemand hatte den Mann Anfang 2016 attackiert und ihm ein Messer in den Rücken gestochen. Die Bundesanwaltschaft hält Ernst für den Täter, konnte die Gerichte aber nicht überzeugen. Das Opfer trat ebenfalls als Nebenkläger auf.

Indiz für die Bundesanwaltschaft war unter anderem ein bei Ernst sichergestelltes Messer, an dem DNA-Mischspuren des Tatopfers gefunden wurden. Doch weil Ernst eine Quittung für das Messer vorweisen konnte mit Kaufdatum nach dem Anschlag auf I., kam das OLG zu dem Schluss, dass das Messer nicht das Tatmesser sei. Umstände, dass sich die Quittung auf ein anderes Messer bezogen hätte, seien nicht zu Tage getreten. Der BGH monierte diese Beweiswürdigung nicht. Das OLG sei mit nachvollziehbaren Gründen davon ausgegangen, dass das Messer erst nach der Tat gekauft wurde. 

Der BGH verkündete um 10:30 das Urteil mitsamt Begründung. Dieses können Sie hier aufrufen:

Aufsehenerregender Prozess vor dem OLG Frankfurt

Der Prozess vor dem OLG Frankfurt war in vielerlei Hinsicht aufsehenerregend. So lagen drei unterschiedlichen Versionen von Geständnissen des Stephan Ernst vor. Dies auch, weil mitten im Verfahren ein Vernehmungsvideo von Ernst aus dem Ermittlungsverfahren an das öffentlich-rechtliche Format StrG-F geleaked und veröffentlicht wurde. Dies führte zu kontroversen Diskussionen, auch vor Gericht.

picture alliance/dpa/Getty Images Europe/Pool | Thomas LohnesZudem sagten insgesamt vier Strafverteidiger von Ernst selbst als Zeugen aus, nachdem dieser sie von der Schweigepflicht befreite. Gegen einen der Verteidiger leitete die Staatsanwaltschaft Kassel auch ein Ermittlungsverfahren ein, nachdem Ernst behauptete, diese habe ihm zu einer Falschbeschuldigung von Markus H. als eigentlichen Haupttäter geraten. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt, u.a. mit der Überlegung, dass die Aussage von Ernst allein nicht zur Überzeugungsbildung ausreichen werde.

dpa/fz/LTO-Redaktion

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BGH verwirft Revisionen: . In: Legal Tribune Online, 25.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49422 (abgerufen am: 23.05.2025 )

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