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27623

AG Dillingen spricht Embyronenspende-Vermittler frei: Unwis­sen­heit schützt vor Strafe nicht, Unklar­heit schon

von Maximilian Amos

20.03.2018

Ärztin bei künstlicher Befruchtung

© Andriy Bezuglov - stock.adobe.com

Drei Vorstände des "Netzwerks Embryonenspende" sind vom AG Dillingen vom Vorwurf unzulässiger Befruchtung von Eizellen freigesprochen worden. Das Urteil gegen eine mitangeklagte Jura-Professorin steht noch aus.

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Dass ein Angeklagter freigesprochen wird, weil schon das relevante Strafgesetz so unklar formuliert ist, dass es kaum als Grundlage für eine Verurteilung taugt, dürfte eine große Seltenheit sein. So geschehen aber am Dienstag am Amtsgericht (AG) Dillingen, wo sich drei Vorstände des "Netzwerks Embryonenspende" verantworten mussten. Ihnen wurde vorgeworfen, Eizellen unzulässigerweise künstlich befruchtet zu haben. Mag sein, urteilte das AG, aber das hätten die Angeklagten nicht wissen können.

Dabei klingt die Vorschrift zunächst völlig klar: § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) untersagt es, "eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt". Hintergrund ist, dass bei künstlichen Befruchtungen oft mehr als eine oder die vorgeschriebenen maximal drei Eizellen von der Mutter entnommen werden. Das dient dem Zweck, der Frau einen möglichen weiteren Eingriff zu ersparen, falls die Entwicklung des Embryos nicht funktioniert.

Bei der Prozedur werden der Frau Eizellen entnommen und dann mit den Spermien des Mannes befruchtet, um einen Embryo zu erzeugen. Dieser wird anschließend, bei gelungener Befruchtung, in die Gebärmutter der Frau eingesetzt. Die übrigen befruchteten Eizellen werden in flüssigem Stickstoff eingefroren, wodurch der Entwicklungsprozess angehalten wird. 

Dies führt dazu, dass im Anschluss an eine erfolgreiche Prozedur oft einige grundsätzlich entwicklungsfähige Embryonen übrig bleiben. Die können dann, mit dem Einverständnis der Mutter, freigegeben werden, um sie anderen Paaren, bei denen die Prozedur nicht mit eigenen Ei- bzw. Samenzellen nicht möglich ist, zu vermitteln.

Die Tatsachen sind unstreitig

Das ist grundsätzlich erlaubt, jedoch nur dann, wenn nicht von vorneherein die Befruchtung mit der Absicht durchgeführt wurde, die Embryonen später an andere Paare weiterzugeben. So will der Gesetzgeber eine kommerzielle Vermittlung von Embryonen verhindern.

Auch die reinen Tatsachen des Falles waren in der Verhandlung vor dem AG völlig unstreitig: Beim "Netzwerk Embyronenspende" handelt es sich um einen gemeinnützigen Verein, der Fortpflanzungsmediziner aus Bayern und Baden-Württemberg verbindet, um Frauen, die keine eigenen Kinder bekommen können, die Vermittlung von "fertigen" Embryonen anzubieten, die nach dem genannten Muster gewonnen wurden.

Seinen Vorstandsmitgliedern legte die Staatsanwaltschaft in Augsburg nun zur Last, in 33 Fällen Beihilfe zur illegalen Befruchtung von Eizellen geleistet, bzw. diese mitunter selbst begangen zu haben. Aus diesem Grund erhielten die Betroffenen Strafbefehle, gegen die sie Einspruch einlegten.

Wann und wie findet die Befruchtung statt?

Dabei hatten sich die Mitglieder im Vorhinein gründlich abgesichert: Vor Aufnahme der Tätigkeit holte man den Rat der Landes- wie auch der Bundesregierung ein, konsultierte den Deutschen Ethikrat und griff auch auf eigene Expertise zurück: Im Vorstand sitzt auch die emeritierte Strafrechtsprofessorin Monika Frommel, die eigens ein dreiseitiges Gutachten verfasste. Alle kamen zu dem gleichen Schluss: Das Vorhaben sei erlaubt.

Frommel stellt in ihrem Gutachten auch gar nicht in Abrede, dass man die Eizellen bereits "imprägniere", um sie später auch anderen Paaren zu vermitteln. Doch schon die Wortwahl impliziert, worum es eigentlich geht: Den Zeitpunkt der Befruchtung. Diesen hat die Rechtswissenschaft für sich noch überhaupt nicht geklärt, wie Richter Patrick Hecken, der selbst am AG Dillingen das Urteil fällte, gegenüber LTO erklärte: "Die Mediziner stellen für die Befruchtung auf mehrere verschiedene Zeitpunkte ab, der Jurist hat keine trennscharfe Abgrenzung".

So definiere das ESchG selbst nicht einmal, was eine Befruchtung sein solle, sondern lasse allenfalls vage Umkehrschlüsse zu. Auch die Gesetzgebungsmaterialien und Meinungen von Experten gäben keinen letztgültigen Aufschluss über die Antwort auf die für diesen Fall entscheidende Frage. Denn: Gab es keine Befruchtung, so ist der Straftatbestand gar nicht erfüllt.

Ob dies tatsächlich der Fall war, spielte für Richter Hecken daher keine allzu große Rolle mehr, denn die Angeklagten hätten in dem Fall jedenfalls nicht wissen können, dass sie eine Straftat begingen. Sie hätten in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum gehandelt.

Anklage gegen Jura-Professorin noch nicht vom Tisch

Ein Versäumnis, das in allererster Linie wohl dem Gesetzgeber anzulasten ist: Zwar war bei Verabschiedung des ESchG im Jahr 1990 noch nicht absehbar, was die Reproduktionsmedizin eines Tages zu leisten im Stande sein würde. Doch auch in der jüngeren Vergangenheit legte man keine Hand mehr an die hier relevanten Vorschriften.

So waren die Freisprüche für die drei Vorstände des Netzwerks mehr oder weniger die logische Folge, jedenfalls was die drei Betroffenen angeht. Weiterhin anhängig ist das Verfahren gegen die ebenfalls angeklagte Strafrechtlerin Frommel. Diese ließ sich am Dienstag krankheitsbedingt entschuldigen, das Verfahren sie betreffend wurde daraufhin abgetrennt. Dass das Urteil in ihrem Fall genau so ausfällt, ist allerdings nicht sicher.

Ob der Verbotsirrtum auch bei einer juristischen Expertin in Frage komme, sei jedenfalls eine legitime Frage, gab Richter Hecken zu, der den Fall durch sein Urteil aber ohnehin nicht abgeschlossen wissen mag. Er habe der Staatsanwaltschaft gar die Sprungrevision zum Oberlandesgericht empfohlen, so Hecken. Die Anklagebehörde hat nun eine Woche Zeit, gegen das Urteil vorzugehen. Er sei "gespannt", gestand Hecken, wie es nun weitergehe.

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Maximilian Amos, AG Dillingen spricht Embyronenspende-Vermittler frei: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, Unklarheit schon . In: Legal Tribune Online, 20.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27623/ (abgerufen am: 24.03.2023 )

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