Er arbeitet als Rechtsanwalt, ist Schiedsrichter, nennt sich Gerechtigkeitsforscher und berät Start-Ups. Das Lebensthema von Markus Schollmeyer ist die Gerechtigkeit. Und die sucht er im Sport wie im Beruf. Ein Portrait.
Sein oberbayerischer Zungenschlag verrät die Münchener Herkunft. Er klingt durch, wenn Markus Schollmeyer (47) von Gerechtigkeit und der Suche nach Wahrheit erzählt. Bei öffentlichen Auftritten trägt der Anwalt anthrazitfarbene Anzüge mit weißem Hemd, keine Krawatte. Spricht er vor Kameras, beherrscht er seine Gesichtszüge und gestikuliert sachte.
Seit mehr als 15 Jahren sucht Schollmeyer nach der 'wahren' Gerechtigkeit. Nicht nach der, die Parteien in ihre Wahlprogramme schreiben oder Unternehmen in ihrer Werbung propagieren. Nicht nach der, die viele Menschen mit dem egoistischen Streben nach persönlicher Bevorteilung verwechseln.
"Sondern nach dem unbewussten Gefühl, welches bei jedem Menschen tief im Bauch sitzt", erzählt der Anwalt. "Ähnlich dem Ekel, entsteht es spontan und ruft dasselbe Gefühl hervor: Etwas muss weg." Ein Mensch, eine Situation, egal was. Das, was das Gefühl auslöst, muss weg. Schollmeyer: "Die Gerechtigkeit gehört zu den unbewussten Gefühlen, auf die wir reagieren, ohne darüber nachzudenken."
Anwälte fordern Gesetzesfolgsamkeit
Seit jeher setzen sich Menschen mit dem Gerechtigkeitsbegriff auseinander. Philosophen wie Platon, Aristoteles, Kant oder Habermas - und ganz normale Menschen mit der Liebe zum Nachdenken. Markus Schollmeyer ist einer von ihnen. Wie die berühmten Denker vor ihm hat er seine Definition in Büchern veröffentlicht und auf Vorträgen verbreitet. Und wie die berühmten Denker vor ihm hat er sich seine eigene Definition in langer Forschung erarbeitet. Doch sein Versuch, als Anwalt Gerechtigkeit herzustellen, scheiterte.
Dabei führte ihn genau dieser Wunsch in das Jurastudium. "Wie die meisten Jurastudenten stellte ich mir damals vor, dass Recht automatisch zu mehr Gerechtigkeit führen würde", erinnert er sich. "Heute würde ich meinem jüngeren Ich vehement widersprechen." Denn er sieht die Anwaltschaft nicht als Kämpfertum für Gerechtigkeit, sondern als Eintreiber von Gesetzesfolgsamkeit.
Gesetze seien die Regeln, die der Staat festlege, um ein Land zu verwalten. "Insofern hat die Justiz nichts mit Gerechtigkeit zu tun", ist Schollmeyer überzeugt. "Sie ist lediglich dazu da, dass die Regeln eingehalten werden, die die Gesellschaft zusammenhalten."
Fußball und die Frage nach richtig oder falsch
Die Suche nach dem, was richtig und falsch ist, machte auch vor dem Hobby nicht halt. Schollmeyer ist sportbegeistert und spielte seit jeher Fußball. Von DFB und BFV als Fußball- und Futsalschiedsrichter zugelassen, pfiff er offizielle Ligaspiele,. Um die Regeln des Spiels fair auszulegen, wie er sagt.
Sein starkes Vertrauen auf das eigene Bauchgefühl war es, was Schollmeyer hat zweifeln lassen. Noch weit vor seiner anwaltlichen Karriere - im Jurastudium - verspürte er erste Unstimmigkeiten zwischen den Worten, die in Gesetzestexten abgedruckt sind und dem Gefühl, das ihm erste Zweifel einpflanzte.
Das Rechtswesen vereinnahmt die Symbolfigur Justitia als Wahrzeichen der Gerechtigkeit für sich. "Dieser Zusammenhang hat sich mir nie erschlossen", sagt der Anwalt. In ihm entstand ein Gefühl, das eine - also das Recht – habe mit dem anderen - nämlich der Gerechtigkeit - nur wenig zu tun.
2/2 Urteile, die sich ungerecht anfühlen
Diese Zweifel kamen offen zutage, als er sich als junger Strafverteidiger immer öfter fragte, ob Richter denn tatsächlich immer gerecht urteilen. Verließ er das Gerichtsgebäude nach einem gewonnenen Prozess, versteckte sich das Triumphgefühl oftmals weit hinter dem unguten Bauchgefühl. Schollmeyer: "Ich merkte, dass etwas nicht stimmte. Mögen die Urteile rechtlich korrekt gewesen sein, manche fühlten sich für mich einfach nicht gerecht an."
Doch während andere nur mit den Schultern zucken und weitermachen, hat Schollmeyer angefangen zu graben. In Büchern, in Gesprächen, in anderen Ländern. In den USA stieß er auf die dort übliche Gerechtigkeitsforschung, deren Ziel es ist, die Geschworenen in einem Gerichtsprozess mit den eigenen Argumenten zu beeinflussen. Zurück in Deutschland fand er einen BWL-Professor an der Ludwig-Maximilian-Universität in München, der ihn ermunterte, die Forschung zu vertiefen, es folgten zudem Ausflüge in die Psychologie.
Die Flucht aus der Kanzlei
Schollmeyer wurde von Kollegen immer häufiger als Philosoph belächelt. Sich selbst nannte er Gerechtigkeitsforscher und gründete mit "Aequalitas" ein eigenes Institut, um als Coach Unternehmen darin zu beraten, mehr Gerechtigkeit in den Arbeitsalltag einzubringen.
Währenddessen verließ ihn zunehmend die Motivation, als Anwalt in der damaligen Kanzlei zu verbleiben. "Der berufliche Ehrgeiz war zu Beginn meiner Karriere noch voll ausgeprägt. Wie so viele Juraabsolventen wollte ich Partner in einer Großkanzlei werden", erzählt Schollmeyer. "Diese Ambition ist jedoch im Laufe der Zeit völlig verschwunden. Stattdessen herrschten Routine und Trott." Die Diskrepanz zwischen dem subjektiven Gefühl und dem vorgegebenen Schein von Gerechtigkeit wurde für Schollmeyer zu stark.
Der Moment, als er seine Kanzleiordner in Kisten verpackt und einfach losfährt, entsteht spontan. Er wollte weg. Ohne Ziel, ohne Plan, Hauptsache weg. "Damals arbeitete ich im Kontext eines Kronzeugenfalls des Terroranschlags vom 11. September in New York City", erinnert sich der Münchener. "Und plötzlich wurde mir bewusst: Menschenleben sind nichts wert, es geht nur um Geld." Er befand sich auf der für ihn 'falschen' Seite. An dem Tag, als er sein Büro räumte, fasste er den Entschluss, dass er das nicht mehr wollte. Und ging.
Gerechtigkeit –ein Lebensthema
Nach dieser Flucht rollte Schollmeyer sein berufliches Leben neu auf. Er trat in die Münchener Kanzlei FASP Finck Sigl & Partner ein, in der er nun seit eineinhalb Jahren als Partner arbeitet. Das anwaltliche Engagement fuhr er in dem Zuge drastisch zurück. Heute sieht seine Zeitverteilung ganz anders aus: "Einen Tag pro Woche widme ich der Mandatsarbeit, einen Tag der Gerechtigkeit und an drei Tagen arbeite ich als Social Entrepreneur."
Denn als Resümee aus seinen bisherigen beruflichen Erfahrungen zog Schollmeyer den Schluss, dass er sich für Chancengerechtigkeit in der Berufswelt einsetzen möchte. Und warum gerade als Sozialunternehmer? "Ich möchte Menschen unterstützen, die Gutes tun wollen. Junge Macher, die mit unternehmerischen Ideen gesellschaftliche Probleme lösen möchten."
In der christlichen Religion schenkt Gott den Menschen die Gerechtigkeit. Manche Menschen betrachten sie als Tugend, andere als moralischen Maßstab. Politische Aktivisten beschwören sie hinauf, Finanzkrisen zerstören sie. Für Schollmeyer ist es das Thema seines Lebens.
Désirée Balthasar, Vom Wirtschaftsanwalt zum Philosophen: "Justiz hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun" . In: Legal Tribune Online, 26.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20981/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
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