Wissensmanagement ist für Kanzleien ein Dauerbrenner-Thema: Wie lässt sich das Wissen jedes einzelnen Anwalts allen Mitarbeitern und sogar den Mandanten zugänglich machen? Désirée Balthasar stellt einige Best-Practice-Beispiele vor.
Es klingt zwar etwas gestelzt, was die Autoren des Handbuchs für Wissensmanagement des BMWi schreiben – aber richtig ist es dennoch: "Wissen, Information, Kenntniserweiterung sind für Unternehmen unbestritten notwendig, um im marktlichen Wettbewerb bestehen zu können." Das Wissen der Mitarbeiter geschäftlich nutzen und allen zugänglich machen ist in einer Dienstleistungsgesellschaft das Fundament für Erfolg.
Das gilt natürlich auch für Sozietäten. Für sie ist die Erfahrung jedes Anwalts und jeder Anwältin essenziell. Im Laufe des beruflichen Lebens erwerben Rechtsberatende spezifisches Wissen, welches sie zu Experten auf ihren Gebieten macht und ihren Kanzleien im intensivierten Wettbewerb Vorteile bringt.
Die zentralen Fragen, die sich dabei stellen: Wie bekommt man das Wissen aus den Köpfen der Menschen heraus und in die Kanzlei? Und wie verwertet man es gewinnbringend für die Mandatsarbeit? Dass Wissensmanagement ein wichtiges Thema ist, bestätigen alle Sozietäten, mit denen man darüber spricht. Auf die Frage nach dem Warum erzählen sie dann oft von Wettbewerbern, die nach der richtigen IT-Lösung suchen, um Wissen effizient zu verwalten. Natürlich vom finanziellen Druck. Und von den steigenden Anforderungen der Mandanten an Qualität, Zeitdruck und Extraleistungen.
Anspruchsvolle Mandanten
"Manche Unternehmen fragen explizit danach, Wissen von uns vermittelt zu bekommen", sagt Dr. Sebastian Benz, Steuerrechtspartner bei Linklaters in Düsseldorf. "Mittlerweile wird es bei dem ein oder anderen Pitch als 'value added service' sogar erwartet." Seit einem halben Jahr ist Benz als sogenannter Know-How-Partner für das "Learning Management" und Wissen verantwortlich.
"Inhouse-Seminare und Newsletter sind bereits Standard. Mandanten erwarten aber noch mehr. In London haben wir beispielsweise Softskill-Kurse für Mandanten angeboten", erzählt Benz. Seit 2012 gibt es auf der Linklaters-Webseite ein Knowledge Portal, explizit für Mandanten. "Die Idee dahinter war: Das Wissen, das wir nach innen haben, können wir auch nach außen verkaufen. Also haben wir das Portal gegründet." Linklaters unterscheidet wie viele andere Wettbewerber zwischen kanzleiinternem Wissen für seine Mitarbeiter und Anwälte - und dem aufbereiteten Wissen für die Mandanten. Die Kanzlei beschäftigt dafür eigens ein Team von rund einem Dutzend Anwälten.
Information und Unterhaltung
Benz hat einen hohen Anspruch an den Service, der über die reine Wissensvermittlung hinausgeht: "Unsere Mandanten sollen sich gerne im Portal aufhalten und nicht nur informiert, sondern auch unterhalten werden." Aus diesem Grund wird es derzeit unter anderem optisch verbessert.
Weiterer Mehrwert soll durch Formate geschaffen werden, die über den reinen Text hinausgehen. Zum Beispiel, indem man einige Seminare online verfügbar macht. "Wir möchten die Seminare zentral an einem Ort stattfinden und aufzeichnen lassen, um sie später als Audio- oder Videodatei bereitzustellen. So können Mandanten zeitlich parallel an anderen Orten oder im Nachhinein darauf zugreifen."
Mehr als nur Datenbankenpflege
Die Mandanten sollen also zeit- und ortsunabhängig das Wissen ihrer Anwälte abrufen können. Idealerweise ziehen sie daraus für sich einen Mehrwert. Doch in Zeiten grenzenloser Informationsüberflutung sind sich auch die Wissensmanager der Kanzleien bewusst, dass vor allem Zeit ein rares Gut ist.
Stefan Sieling will deshalb das Wissen zielgruppengerecht anpassen. "Alles, was wir an Wissen haben, möchten wir unseren Mandanten effizient zur Verfügung stellen", sagt der Managing Partner des Stuttgarter Büros von CMS Hasche Sigle. Neben dem Wissensverkauf nach außen beschäftigt sich Sieling schwerpunktmäßig mit dem internen Wissensmanagement. "Gemeinsam mit dem Business Development und Marketing-Team erarbeiten wir Ideen, welche Themen sich für Newsletter oder anderweitig für Marketingzwecke eignen." Das Team entwickelt daraus auch neue Beratungsprodukte.
Eine Datenbank befüllen die CMS-Anwälte bereits seit 15 Jahren. Sieling, der Schirmherr für das Knowledge Management, legt aber Wert darauf, auf vielfältige Arten Wissen zu sammeln. "Wir möchten auf verschiedenen Ebenen Wissen transportieren. Weil Dokumente immer nur so gut sein können, wie die geistige Ebene, auf der sie erstellt wurden." Deshalb investiert die Kanzlei in zahlreiche Mensch-zu-Mensch-Wissensvermittlungen, zum Beispiel in Form von Mentorships, Fortbildungen oder Standortbesprechungen zu aktuellen Entwicklungen.
2/2 Debriefing: Sinnvoll oder nicht?
Wenngleich sich die Kanzleien einig darüber sind, wie wichtig es ist, Wissen zu managen, so gibt es doch Unterschiede in der Auslegungsart. Etwa in der Frage, welches Wissen überhaupt relevant ist. CMS-Partner Siegling beispielsweise legt großen Wert auf Debriefings, nachdem ein Mandat abgeschlossen wurde. "Wir erfassen dann in einem Standardformular die Besonderheiten einer Transaktion und sammeln Informationen für Mandatsrankings und eigene Studien."
Benz von Linklaters hingegen hält nichts von Debriefings. Denn: "Jede Transaktion ist anders und außerdem veraltet Wissen sehr schnell. Ich erachte es deshalb für wertvoller, wenn ich mit einer Person, die bereits vergleichbare Probleme behandelt hat, über eine spezielle Frage sprechen kann."
Wie also füllt man eine Wissensdatenbank? Zu wenig Information macht die Datenbank überflüssig, zu viel kann die Nutzer überfordern und vor allem Zeit rauben. Es sei denn, man verfügt über technische Hilfe. "Unsere interne Wissensvermittlung soll mithilfe einer optimierten Software die vorhandene Datenbank und weitere Tools zusammenbringen", erklärt Benz. Weitere Tools etwa sind der 'Dealfinder' und 'Making Links'. Die erste Datenbank sammelt transaktionsspezifische Daten, in letzterer vermerken Associates, woran sie arbeiten. Benz: "Über allem soll eine ausgeklügelte Suche stehen, damit man spezifische Informationen leicht findet. An dieser Suchfunktion arbeiten wir gerade."
Eine Wissensbilanz erstellen
Der Wissenskreislauf, den das BMWi-Handbuch nachzeichnet, gilt nicht nur für Mittelständler, sondern auch für Kanzleien: Wissen identifizieren, erzeugen, speichern, teilen und nutzen. Für den Anfang helfe es, eine Wissensbilanz zu erstellen, so die Handbuch-Autoren. Außerdem sei es sinnvoll, die Wissenssammlung mit der eigenen Unternehmenskultur in Einklang zu bringen. Dazu heißt es: "Daher ist es ratsam, dass Maßnahmen im Unternehmen, die einen Eingriff in kulturelle Faktoren bedeuten, möglichst gemeinsam (partizipativ) mit den Mitarbeitern abgeleitet, geplant und umgesetzt werden." Um also überhaupt derartige umfangreiche Maßnahmen mittel- und langfristig umzusetzen, bedarf es vor allem der Akzeptanz der Anwälte.
Für Sozietäten bedeutet dies: Schafft es das Management nicht, die einzelnen Anwälte zum Sammeln und Pflegen ihres Wissens zu motivieren, ist das Wissensmanagement zum Scheitern verurteilt. "Die größte Herausforderung ist tatsächlich, die Partner und erfahrenen Associates dazu zu bewegen, Zeit darauf zu verwenden", erzählt Sieling von CMS. "Sie sind es, die die Dokumente für unsere Mustersammlung erstellen, pflegen und überhaupt muster-fähig machen. Und sie sind ja auch später, die sie nutzen sollen."
Anreize für Zeiteinsatz
Das verlangt den Anwälten einiges ab. Sie sollen überlegen, welche Informationen überhaupt für andere nützlich sind, was man davon immer wieder benutzen kann und welche Klauseln für jeden Fall relevant sind. "Wir überlegen deshalb, gewisse Anreize zu setzen und diese mit den Karrierestufen zu koppeln."
Das könnte dann so aussehen, dass CMS-Associates beispielsweise Patenschaften für bestimmte Dokumente übernehmen oder in drei Jahren fünf Musterdokumente angelegt haben und diese pflegen. Oder sie investieren Arbeitsstunden auf das Wissensmanagement. "Wenn jeder unserer 600 Anwälte im Jahr 50 Stunden investieren würde, wäre die Hebelwirkung enorm", sagt Sieling. Würde man ein derartiges Investment mit dem Karrieremodell koppeln, könnte es sich positiv auf die Assessments der jeweiligen Anwälte auswirken.
Allerdings: Ist der Partnerstatus erstmal erreicht, verlieren Karriereanreize ihre Wirkung. Dann gilt es, ständig dafür zu werben. "Oft sind wir erfolgreich, denn die meisten Partner sind längst überzeugt davon, dass Knowledge Management nützlich ist", sagt Sieling. "Wenngleich Anwälte früher dachten: Mein Wissen gehört mir, das teile ich nicht. Darüber sind wir glücklicherweise seit langem hinweg."
Désirée Balthasar, Knowledge Management: Wissen sammeln für den Erfolg . In: Legal Tribune Online, 29.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18886/ (abgerufen am: 30.05.2023 )
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