Ende Mai fragten wir 300 Arbeitgeber der Rechtsbranche, wie sich die Corona-Krise auf ihr Recruiting und ihre Personalplanung auswirkt. Die Ergebnisse zeigen, dass an die Stelle von Zurückhaltung nun vorsichtiger Optimismus getreten ist.
Die Kanzleien und Unternehmen gehen davon aus, dass sie in den nächsten Monate wieder zu alter Stärke zurückkehren und auf Jahresanfangsniveau rekrutieren werden. Änderungen erwarten sie vor allem im Hinblick auf die Arbeitsorganisation: Aufgrund guter Erfahrungen mit Homeoffice und digitalen Arbeitsumgebungen werden sie ihren Mitarbeitern mehr Freiheiten geben.
Auf den folgenden Seiten lesen Sie u.a.
- Wie viele Arbeitgeber Kündigungen aussprechen oder Arbeitszeiten reduzieren mussten
- Welcher Anteil an Arbeitgebern keine Neueinstellungen mehr vornimmt
- Wie die Prognose der Arbeitgeber für die kommenden Monate ausfällt
- Wie die Arbeitgeber mit persönlichen Kontakten bei Bewerbungsgesprächen und Onbaording umgehen
Die Umfrage fand im Zeitraum vom 28. Mai bis 4. Juni statt. Von den 300 Arbeitgebern, die wir zur Umfrage eingeladen haben, beteiligten sich 76. Und so verteilten sich die Teilnehmer auf die Kanzlei- und Unternehmensgrößen:
- 17 Kanzleien und 4 Unternehmen mit bis zu 20 Berufsträgern
- 34 Kanzleien und 1 Unternehmen mit 21 bis 100 Berufsträgern
- 25 Kanzleien und 7 Unternehmen mit mehr als 100 Berufsträgern.
Bestehende Arbeitsverhältnisse
Zwei Drittel der Arbeitgeber mussten ihre Personalplanung nicht anpassen. Besonders Kanzleien mittlerer Größe mit 21 bis 100 Berufsträgern zeigten sich in der Krise robust. 34 nahmen an der Umfrage teil, keine sprach Kündigungen aus und nur eine musste Arbeitszeiten reduzieren. Im Gegenteil: Ein Teil der Befragten profitierte von den Auswirkungen der Pandemie. So schrieben uns Kanzleien "Wir haben eher mehr zu tun als in 'normalen' Zeiten, d.h. tendenziell erhöhte Arbeitszeiten" oder "Bei uns ist die Lage hingegen absolut positiv; wir sind viel beschäftigt (…) gerade in Zeiten, in denen sich Dinge ändern und Unternehmen umstrukturiert werden, steigt der Beratungsbedarf".
Bei den Arbeitgebern, die Kündigungen aussprechen mussten, waren in jedem Fall Assistenzen und Fachangestellte betroffen, bei der Hälfte auch Anwält*innen. Wurden Arbeitszeiten reduziert, traf dies in den meisten Fällen auch Berufsträger. So startete Norton Rose Fulbright im April ein flexibles Arbeitszeitprogramm und bot Mitarbeitern die Möglichkeit, ihre Stundenzahl vorübergehend auf 80% zu reduzieren.
27% der Arbeitgeber haben Einstellungstermine verschoben. Oft waren nicht wirtschaftliche, sondern organisatorische Motive entscheidend: Die Kanzleien und Rechtsabteilungen waren nicht dafür aufgestellt, neue Mitarbeiter im Homeoffice einzuarbeiten oder waren der Meinung, dass das sogenannte Onboarding eine Vor-Ort-Präsenz erfordert. Von den großen Einheiten mit mehr als 100 Berufsträgern griff sogar mehr als die Hälfte zu dieser Maßnahme.
Neueinstellungen
40% der Kanzleien reduzierten während der Pandemie die Einstellungen oder stoppten sie vollständig. Diese Zahl deckt sich mit den Daten aus dem LTO-Stellenmarkt, in dem wir im März und April 40% weniger aktive Stellenanzeigen verzeichnen konnten als noch im Februar. Kleine Einheiten bis 20 Berufsträger setzten dabei auf einen kompletten Einstellungsstopp, während mittlere und große Einheiten je nach Fachbereich die Einstellungen reduzierten. Betroffen waren unter anderem die Bereiche Corporate/M&A und Intellectual Property.
Mehr Einstellungen als vor der Krise gab es fast ausschließlich bei mittelgroßen Kanzleien. Naheliegend war die Nachfrage vor allem in den Fachbereichen Arbeitsrecht, Insolvenzrecht, Gesellschaftsrecht und Restrukturierung erhöht, aber auch im Bereich Banking profitierten einige Kanzleien von der Situation.
Referendariatsplätze
Von öffentlichen Arbeitgebern wie der Justiz NRW wurden Referendare teilweise enttäuscht, die Teilnehmer an unserer Umfrage hielten ihre Zusagen aber zu 100% ein. Lediglich ein kleiner Teil verzichtet zurzeit darauf, neue Referendariatsplätze zu vergeben. Die große Mehrheit bildet Referendare ganz oder teilweise im Homeoffice aus.
Praktikumsplätze
Anders als bei Referendariatsplätzen haben die Arbeitgeber teilweise ihre Zusagen für Praktika zurückgezogen, viele nehmen zurzeit keine neuen Praktikanten an. Diese Entscheidungen sind insoweit nachvollziehbar, als Praktikanten einen Einblick in die Arbeitsweise erhalten und Mitarbeitern über die Schulter schauen sollen. Dieser Anspruch lässt sich im Homeoffice nur schwer erfüllen.
Recruiting-Budgets
30% der Arbeitgeber fuhren die Recruiting-Kosten während der Krise herunter. Auch hier agierten die großen Einheiten ab 100 Berufsträger vergleichsweise vorsichtig: Nur rund die Hälfte änderte das Recruiting-Budget nicht, alle anderen kürzten es oder froren es ein. Bei den mittelgroßen Kanzleien legten nur knapp 25% Hand an die Ausgaben, bei den kleineren Einheiten knapp 30%.
Die Kürzungen waren teilweise nur mittelbare Effekte anderer Krisen-Symptome: Die Arbeitgeber konnten Vor-Ort-Events und Messen nicht anbieten oder besuchen, so dass unter anderem Catering- und Reisekosten eingespart wurden.
Rund 80% der Arbeitgeber haben – nicht unbedingt freiwillig - weniger Geld für Events und Messen ausgegeben. Ausgaben für Jobbörsen und Headhunter wurden um je rund 25% reduziert. Karriere- und Business-Netzwerke sind mit 13% Kürzung im geringsten Umfang betroffen.
Bewerbungseingänge
Weniger Kandidateninteresse verzeichnen die Arbeitgeber durch geringere Recruiting-Akivitäten nicht – im Gegenteil. Selbst von den Kanzleien, die ihre Recruiting-Maßnahmen zurückgefahren haben, erhalten 40% mehr Bewerbungen als vor der Krise. Von den Kanzleien, die ihr Budget nicht gekürzt haben, berichten sogar 55% von mehr Bewerbungen.
Prognose für die nächsten Monate
Die Prognose der Umfrageteilnehmer für die nächsten Monate ist, sofern die Pandemie weiter zurückgeht, sehr positiv. Mehr als 65% der Arbeitgeber gehen davon aus, dass das Recruiting dasselbe Niveau wie vor der Krise erreichen wird, 15% glauben sogar an einen Mehrbedarf. "Wir erwarten erhöhte Geschäftsaktivität im Herbst 2020 mit entsprechenden Nachholeffekten, so dass wir dann sehr rasch rekrutieren müssen."
Mit zusätzlichen Einstellungen planen allerdings nur mittlere und kleinere Einheiten, nicht aber Arbeitgeber mit mehr als 100 Berufsträgern.
Für hochqualifizierte Bewerber hat die Pandemie ohnehin kaum negative Auswirkungen. Die größte HR-Herausforderung auch während der Krise sei es "wie immer, passende Bewerber zu finden", war eine Aussage, die so oder so ähnlich von vielen Umfrageteilnehmern getätigt wurde.
Bewerbungsgepräche
Bewerbungsgespräche finden während der Pandemie überwiegend telefonisch oder per Videocall statt. Eine oft genannte Best Practice: Die erste Runde erfolgt ohne persönlichen Kontakt, das zweite Gespräch findet – bei Zustimmung der Bewerber - weiterhin vor Ort statt "in entsprechend großen Räumlichkeiten mit viel Abstand" oder bei gutem Wetter auch auf der Terrasse.
Onboarding neuer Mitarbeiter
Beim Onboarding neuer Mitarbeiter haben die Arbeitgeber wenig Vertrauen in den virtuellen Austausch. Nur 12% der Umfrageteilnehmer lassen die Einarbeitung komplett im Homeoffice stattfinden. Die große Mehrheit sieht zumindest zeitweise Vor-Ort-Präsenz als erforderlich an. Große Arbeitgeber haben dabei deutlich stärker auf digitale Möglichkeiten gesetzt. 28% lassen ihre neuen Mitarbeiter dauerhaft im Homeoffice, nur 8% bestehen auf tägliche Büro-Präsenz. Bei mittleren und kleineren Einheiten war dieses Verhältnis umgekehrt.
Homeoffice
Einen besonders großen Effekt hat die Krise auf die Einstellung der Arbeitgeber zum Homeoffice. So äußerte sich ein Managing Partner: "In Sachen Homeoffice hat sich mein Standpunkt durch die Corona-Krise total verändert. Vorher fand ich Homeoffice nur in einem sehr begrenzten Rahmen okay. Jetzt weiß ich, dass man als Anwalt mit der nötigen IT-Unterstützung auch zu Hause absolut produktiv arbeiten kann. Manchmal vielleicht noch effektiver, weil man weniger abgelenkt wird."
Eine klare Mehrheit der Arbeitgeber wird nach der Krise in größerem Umfang von zu Hause arbeiten lassen als zuvor. Arbeitgeber, die weiterhin auf dauerhafte Büro-Präsenz bestehen, werden im "War for Talents" also einen größeren Wettbewerbsnachteil in Kauf nehmen müssen.
Ergebnisse der Arbeitgeber-Umfrage: So reagiert der juristische Arbeitsmarkt auf die Corona Krise . In: Legal Tribune Online, 26.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42000/ (abgerufen am: 31.05.2023 )
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