Druckversion
Monday, 20.03.2023, 14:11 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/kanzleien-unternehmen/k/anwalt-in-der-krise-fehler-medien-haftpflicht-berater-neue-rolle/
Fenster schließen
Artikel drucken
24571

Anwalt in der Krise: Ende der Schon­zeit

von Tanja Podolski

18.09.2017

Verzweifelter Mann im Anzug

© snowgonzales - stock.adobe.com

Einst haben die Anwälte ihre Mandanten in Krisen beraten. Heute geraten sie selbst in den Fokus –wegen übler Nachrede, echter persönlicher Verfehlung oder möglicher Beratungsfehler. Doch es gibt Strategien für den Ernstfall.

Anzeige

Wie aus externen Experten Beteiligte wurden

Bei großen wirtschaftlichen Umwälzungen waren die Anwälte einst nur die unsichtbaren Berater im Hintergrund. Sichtbar waren sie höchstens vor Gericht, doch auch da fast unantastbar in den schwarzen Roben der Gerechtigkeit. Und eines waren sie ganz sicher nicht: kritischer Presse ausgeliefert.

Diese Zeiten sind vorbei. Den Auftakt machte der Fall Haarmann Hemmelrath. Die damals international renommierte, zu den besten des Landes zählende Kanzlei sah sich dem – wie sich später herausstellte unberechtigten - Vorwurf ausgesetzt, zu einer Steuerkonstruktion falsch beraten zu haben.

Die Klage der ehemaligen Mandantin Werhahn lief komplett ins Leere – doch ebenso leer waren schließlich die Kanzleiräume. Die Sozietät, einst die größte Deutschlands und eine der renommiertesten im Steuerrecht, war 2005 am Ende.

Anwälte am medialen Pranger

Seitdem wurden diverse Kanzleien und einzelne Anwälte an den medialen Pranger gestellt. Gelegentlich war es sehr Persönliches, was zu gesellschaftlichem Unmut führte: Unterstellte Befangenheit durch amouröse Partnerschaften zwischen Anwalt und Richter, unterstellte Begünstigungen durch Beziehungen zwischen Kommunalpolitiker und beratendem Anwalt, eine Schlägerei auf dem Oktoberfest.

Längst können derartige Vorkommnisse nicht mehr kanzleiintern gelöst werden, sondern finden früh den Weg in die Medien. Der Aktienkauf durch das Land Baden-Württemberg, dessen früherer Ministerpräsident Stefan Mappus dann gegen Gleiss Lutz und den zuständigen Partner erfolglos klagte, der noch längst nicht abgeschlossene Abgasskandal, aufgrund dessen die Kanzleiräume bei Jones Day durchsucht wurden und natürlich der Cum-Ex-Skandal mit besonderem Fokus auf die Rolle der beratenden Anwälte sind nur die öffentlich bekanntesten Fälle.

Komplexes Recht und die neue Anwaltsrolle

"Es wird härter für Anwälte", sagt Uwe Hornung, Partner bei Clifford Chance. Seine Kanzlei hat seinerzeit Werhahn gegen Haarmann Hemmelrath beraten, auch wenn er selbst zumeist Kollegen, die zivilrechtlich von ihren Mandanten in Anspruch genommen werden, vertritt. "Gegen die Juristen wird zwar heute strenger als gegen andere vorgegangen, aber sie werden auch nicht mehr geschont", meint der 56-Jährige. "Die Staatsanwaltschaften schauen allerdings ebenso wie die Mandanten genauer als früher hin, ob auch bei der Kanzlei was zu holen ist, seien es Informationen bei Durchsuchungen oder eben Schadensersatz für die Mandanten", so Hornung.

Für Dirk von Manikowsky hat die Situation "den Aspekt der ‚Geister, die ich rief". Er ist Partner bei Hering Schuppener, einem der bedeutenden Beratungsunternehmen für Kommunikation hierzulande, wenn es um Krisen in Unternehmen geht. "Nach dem Zusammenbruch des Neuen Marktes und insbesondere während der Finanzmarktkrise vor knapp zehn Jahren suchten die Medien verstärkt nach Erklärungen. Hochkomplexe, oft juristische Zusammenhänge mussten den Lesern verständlich gemacht werden", sagt von Manikowsky. Die Anwälte wurden für Expertenmeinungen konsultiert.

Aber nach den Berichten über die bankrotte alte Dame, die mit der Investition in riskante Zertifikate oder Schiffsfonds mit langen Laufzeiten ihre Altersversorgung verloren hatte, sei dann auch die Rolle der Berater in den Fokus gerückt. "Banker und Anwälte wechselten von der Experten- auf die  Anklagebank der Redaktionen", sagt er.

Hinzu kommt, dass die Rechtfragen komplexer geworden sind – und damit tatsächlich leicht Fehler passieren. "Die Art der Mandate und das Volumen sind ganz andere und auch im Recht verbergen sich viel mehr Fallstricke als früher", sagt Bertin Chab, Rechtsanwalt und Leitender Justiziar bei der Allianz Versicherungs-AG in der Schadenabteilung für die Vermögensschadenhaftpflicht. So müsse heute etwa viel stärker als früher das EU-Recht berücksichtigt werden.

Weniger Fehler, aber schlimmere Folgen

2/2: Weniger Fehler, schlimmere Folgen

Dabei gibt es – zumindest bei der nach Marktinformationen bei Großkanzleien bedeutendsten Versicherung, der Allianz – nicht mehr Schadensfälle als früher. Im Gegenteil: "Die Anzahl der Pflichtverletzungen, also der Fehler von Anwälten, geht seit Jahren kontinuierlich zurück", berichtet Dirk Weske, Leiter der zuständigen Schadenabteilung für die Vermögensschadenhaftpflicht. Die Anzahl der Mandanten hingegen, die versuchten, von ihrem Anwalt Schadensersatz zu bekommen, sei konstant.

Eine deutliche Steigerung sieht Rechtsanwalt Weske bei den Massenschäden. Das sind die Fälle, in denen ein Anwalt z.B. Dutzende von Anlegern vertritt. Passiere hier ein Fehler, ziehe sich dieser durch alle Mandate, so der Schadenrechtler, der zuvor in der Allianz-Rechtsabteilung gearbeitet hat und Mitglied der Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer ist. So sei zwar die Anzahl der Pflichtverletzungen geringer, die Schäden würden unter anderem aus diesem Grund aber teurer.

Wer die Fehler macht und wie man damit umgeht

"Die Fehler machen eher diejenigen, die an sich besonders gute Juristen sind", beobachtet Clifford-Partner Hornung. Das seien die Anwälte, die etwas ausprobierten, neue Wege gingen, etwas wagten. "Anwälte, die unsicherer sind und sich für nicht so genial halten, lesen erst noch mal nach, bleiben bei ihren Leisten und beraten zu besonders gewagten rechtlichen Konstruktionen am Ende lieber gar nicht bzw. reden sie den Mandanten durch ihre eigenen Zweifel aus", so der Haftungsexperte. Umso bestürzter seien die herausragenden Anwälte, wenn sie etwas falsch gemacht hätten. Dabei, so sieht es Hornung, "ist das nun einmal ein Berufsrisiko, das man nicht völlig ausschalten kann".

Und es muss gar nicht immer dramatisch ausgehen. Einen Fehler zu machen, sei menschlich. Wenn der Anwalt dann ehrlich und authentisch bleibe und der Fall professionell betreut werde, bedeute das nicht unbedingt, dass eine Mandatsbeziehung für immer beendet ist.

Entscheidend ist daher, wie Anwalt und Kanzlei mit dem Vorwurf umgehen: "Das pauschale Abblocken von Presseanfragen ist in aller Regel kein guter Rat", meint Dirk von Manikowsky. Zwar könnten der Anwalt oder die Kanzlei, denen Fehler vorgeworfen werden, meist nicht sofort und detailliert etwas zu dem Sachverhalt sagen", weiß er. "Aber will man arrogant und unbelehrbar oder eher sympathisch und gradlinig erscheinen?". Auch wenn die beste Kommunikation nicht die Tatsachen umkehren kann, die öffentliche Wahrnehmung des Menschen oder des Unternehmens lasse sich durchaus mit den richtigen Stellungnahmen verändern.

Das sei wegen des Trends zur Skandalisierung und Zuspitzung in den digitalen Medien auch immer wichtiger: "In der Öffentlichkeit ist schon eine staatsanwaltschaftliche Ermittlung oder eine Anklageerhebung gleichbedeutend mit einer Verurteilung", so von Manikowsky. "Daher ist es entscheidend, welche persönliche Haltung vermittelt wird: Rückgrat, Aufrichtigkeit und bei Fehlern natürlich Reue", meint er. "Die Haltung und persönliche Reaktion der involvierten Personen steht im Mittelpunkt, der eigentliche Sachverhalt tritt nach hinten. Jede Aussage wird dahingehend auf die Goldwaage gelegt. Selbstverständliches zu verlautbaren wie den Standardsatz ´ich habe den Ermittlungsbehörden die volle Unterstützung zugesichert´ helfen selten weiter".

Absicherung für Milliardendeals

Neben dem Druck auf die Reputation durch die öffentliche Wahrnehmung geht es auch um erhebliche finanzielle Risiken. Die Kanzleien wappnen sich gegen das Vorgehen von Ermittlungsbehörden und Mandanten in Form von Schadensersatzansprüchen mit Claim-Managern, also Partnern, die  für mögliche Haftungsfälle zuständig sind. Laut Weske war der Werhahn-Fall der Aufwecker für die Kanzleien im Hinblick auf die eigene Haftpflichtversicherung.

"Plötzlich standen mögliche Pflichtverletzungen mit enormen Schadenssummen im Raum", erinnert sich der Rechtsanwalt. Während um die 1990-er Jahre die höchste Versicherungssumme der Allianz bei damaligen Großkanzleien noch zehn Millionen Euro betragen habe, sei es heute ein Vielfaches.

Auch eine Pflichtversicherung für Anwälte gab es damals noch nicht, diese wurde erst 1994 eingeführt. Heute liegt die gesetzlich vorgeschriebene Pflichtversicherungssumme bei 250.000 Euro für einen Rechtsanwalt.

Von der Realität der wirtschaftsberatenden Sozietäten ist diese Deckungssumme weit entfernt: "Die großen Kanzleien kaufen in der Regel eine Versicherung für alle Anwälte, um die Partner und Associates persönlich abzusichern", sagt Weske. Da kann die Versicherungssumme schon in den dreistelligen Millionenbereich gehen.

Kein Ende in Sicht

Wie hoch die Kanzleien genau gegen derartige Fälle abgesichert sind, darüber möchte keiner der Befragten reden: Man wolle an keiner Stelle, weder bei Mandanten noch potenziell Geschädigten oder gegnerischen Anwälten, Begehrlichkeiten wecken, heißt es. Jedenfalls arbeiten die Haftpflichtversicherer mit Rückversicherern, und die Kanzleien mit Haftungsbeschränkungen – bei großen Sozietäten im mittleren zweistelligen Millionenbereich. Bei den heutigen Transaktionsvolumen gehe es um  Schadenssummen, die kein Dienstleister mehr stemmen könne, sagt ein Marktkenner. Ein Zwei-Milliarden-Schaden sei für keine Kanzlei weltweit versicherbar.

Ein Ende ist nicht in Sicht: Die Transaktionsvolumina sinken höchstens vorübergehend, das Informationsinteresse der Öffentlichkeit wird ebenso wenig abnehmen wie die finanziellen Begehrlichkeiten Betroffener.

Für Kanzleien und Anwälte bedeutet das - für die eigene Situation und in der Beratung ihrer Mandanten – die Notwendigkeit, ein Organigramm für das Schadensmanagement aufzubauen. Nicht um mögliche Fehler zu vertuschen, sondern um derartige Situationen professionell zu meistern. Dazu gehört die Bestellung eines Claim-Managers ebenso wie die Erstellung von Handlungsanweisungen für Partner bzw. Geschäftsführer und Mitarbeiter für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft vor der Tür steht. Ein Rat des Kommunikationsberaters von Manikowsky lässt sich darin schon mal vermerken: "Die Wahrheit ist immer der beste Ratgeber. Der Schaden von zerstörtem Vertrauen und Reputation bleibt sonst irreparabel"

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Tanja Podolski, Anwalt in der Krise: Ende der Schonzeit . In: Legal Tribune Online, 18.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24571/ (abgerufen am: 20.03.2023 )

Infos zum Zitiervorschlag
Das könnte Sie auch interessieren:
  • Irgendwas mit Recht - der LTO-Karriere-Podcast - Als Anwältin im Bereich Restruk­tu­rie­rung und Finance
  • Small Talk mit Dr. Lukas Theune, Anwalt der "Letzten Generation" - "BGH anwenden und sonst nichts mit dem Kli­ma­wandel zu tun haben"
  • LTO-Mini-Podcast Klimaparagrafen - "Wir scannen das Kli­ma­schutz­recht auf Mängel"
  • Frag die Anwälte - Folge neun - Die "rich­tige" Kanzl­ei­größe?
  • Gesetzesanpassung gefordert - DAV kri­ti­siert Arbeits­zeit­ge­setz
  • Rechtsgebiete
    • Berufs- und Standesrecht
  • Themen
    • Anwaltsberuf
    • Anwaltshaftung
    • Das Beste aus Kanzleien & Unternehmen
    • Rechtsanwälte
TopJOBS
Wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter (w/m/d)

Taylor Wessing , Ber­lin

Rechts­an­wäl­te (m/w/d) als An­ge­s­tell­te oder Frei­be­ruf­ler

RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH , 100% Re­mo­te

Wis­sen­schaft­li­che*r Mit­ar­bei­ter*in/Re­fe­ren­dar*in/ Dok­to­rand*in (m/w/d) ...

Becker Büttner Held , Ham­burg

Rechts­an­walt (m/w/d) - Bul­ga­ri­en

Rödl & Partner

In­i­tia­tiv-Be­wer­bung

ADVANT Beiten , Frei­burg im Breis­gau

Re­fe­ren­dar / wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter (w/m/d) Stand­ort Ham­burg

Brinkmann & Partner Rechtsanwälte | Steuerberater | Insolvenzverwalter PartG , Ham­burg

Re­dak­teur LTO News­desk (m/w/d)

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Ber­lin

A&O Fe­ma­le Fu­tu­re

Allen & Overy LLP , Frank­furt am Main

Wis­sen­schaft­li­che*r Mit­ar­bei­ter*in/Re­fe­ren­dar*in/Dok­to­rand*in (m/w/d) ...

Becker Büttner Held , Mün­chen

Wis­sen­schaft­li­che*r Mit­ar­bei­ter*in/Re­fe­ren­dar*in/Dok­to­rand*in (m/w/d) ...

Becker Büttner Held , Stutt­gart

Alle Stellenanzeigen
Veranstaltungen
ESG-Compliance

28.03.2023

Zertifizierter Berater für Restrukturierung & Sanierung (WIRE)

28.03.2023, Frankfurt am Main

AFTER WORK - GET TOGETHER IN BERLIN

30.03.2023, Berlin

LinkedIn 2023 – Smarte & effiziente Strategien für Anwält:innen

30.03.2023

Update Transparenzregister: Aktuelle Entwicklungen auf nationaler und EU-Ebene

29.03.2023

Alle Veranstaltungen
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH